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# taz.de -- Wahl des Baschkans von Gagausien: Wahlkampf mit deutscher Hilfe
> In Moldaus Süden wird Sonntag der Regierungschef gewählt. Prorussicher
> Kandidat wird von deutscher NGO unterstützt.
Bild: Eine Lenin-Büste im Geschichtsmuseum der gagausischen Hauptstadt Comrat
Comrat taz | Der Name Viktor Petrov mag für manch eine*n bekannt klingen,
handelt es sich doch um den Namen des fiktiven russischen Präsidenten in
der US-amerikanischen Serie House of Cards. Fast schon ironisch mutet es
an, dass der prorussische Kandidat zur Wahl des „Baschkans“, des
gagausischen Regierungschefs, einen gleichlautenden Namen trägt: Victor
Petrov. Petrov ist aktuell ein parteiloser Abgeordneter im gagausischen
Parlament.
In Gagausien leben vor allem Angehörige der Minderheit der Gagaus*innen,
einem Turkvolk. Gagausien untersteht moldauischer Gesetzgebung, verfügt
jedoch über weitgehende Selbstbestimmungsrechte und ein eigenes Parlament.
Amtssprachen sind Gagausisch, Russisch und „Moldawisch“, de facto läuft die
Alltagskommunikation aber auf Russisch ab.
Anfang März veröffentlichte Petrov ein Video gemeinsam mit der von ihm
selbst ins Leben gerufenen Hilfsorganisation Nationaler Antikrisenstab
(Nasch), in dem er einem Krankenhaus in der Stadt Vulcanesti Hilfsgüter
übergibt. Man sieht, dass die Kisten auf Deutsch beschriftet sind. Die
Aktion habe nämlich, so Petrov in seinem Facebook-Post, in Zusammenarbeit
mit Helping Hands e. V. stattgefunden.
Dabei handelt es sich um einen Verein aus der niedersächsischen Kleinstadt
Lathen. Ein Blick in Petrovs Profil und Telegram-Kanal verrät, dass es sich
hierbei keineswegs um einen Einzelfall handelt: Immer wieder taucht Helping
Hands e. V. in Petrovs Posts und seiner Hilfsorganisation Nasch auf. Kurz
nach der Video-Aktion im Krankenhaus gab Petrov offiziell bekannt, dass er
zur Wahl des „Baschkans“ antreten werde.
## Freiwillige Helfer verteilen Lebensmittel und Hygieneartikel
Petrov erlangte erst durch die Gründung der Hilfsorganisation vor drei
Jahren während der Coronapandemie Bekanntheit in Gagausien – davor war er
laut eigenen Angaben im Tourismussektor tätig. Nasch kooperiert regelmäßig
mit der russischen Botschaft und verschiedenen russischen Organisationen in
Moldau. Freiwillige Helfer von Nasch verteilen regelmäßig Lebensmittel und
Hygieneartikel an bedürftige Menschen, auch ein kostenloser Minibus-Service
wurde für Alte und Kranke eingerichtet.
Bei den gagausischen Parlamentswahlen 2021 bekam Petrov einen Sitz als
Abgeordneter des gagausischen Parlaments in Comrat. Im Juli 2022 gründete
er eine eigene Bewegung, die sogenannte Volksunion von Gagausien (Gagauz
Halk Birlii). „Die Entwicklung guter Beziehungen zu den historischen
Freunden des gagausischen Volkes – Russland und anderen Ländern der
Eurasischen Wirtschaftsunion“, so lautet eine der Leitlinien der Bewegung.
In seinem Wahlkampf ist er darum bemüht, mit einer prorussischen Rhetorik
Stimmen zu gewinnen. Traditionell stimmt man in Gagausien für
Kandidat*innen, die von Russland unterstützt werden. So reiste Petrov am
14. März demonstrativ nach Russland, um [1][Rustam Minnichanow, den
Präsidenten der zu Russland gehörenden Republik Tatarstan], zu treffen.
Tatar*innen und Gagaus*innen verbindet ihre Identität als Turkvolk –
die symbolische Botschaft des Treffens: Wir postsowjetischen Turkvölker
kooperieren miteinander und bleiben dabei vor allem Russland treu. In den
letzten Wochen bereiste Petrov vor allem gagausische Dörfer.
## Prorusssische Medienoffensive
Ein prorussischer Kurs wird auch durch bestimmte Medien in Moldau
bekräftigt. So hat sich Nasch nicht nur der wohltätigen Arbeit
verschrieben, sondern agiert ebenfalls im Medienbereich. Die Domain der
Website gagauznews.md ist auf Nasch registriert – und auch unmittelbar mit
Petrov verbunden. Vor allem im aktuellen Wahlkampf mehren sich
vermeintliche „Nachrichtenmeldungen“, die Petrov als idealen Kandidaten für
das Amt des Baschkans anpreisen.
Am dritten Tag nach dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine am
24. Februar 2022 sperrte der moldauische Informations- und
Sicherheitsdienst (ISS) die Seite gagauznews.md wegen Hass-Informationen im
Rahmen des Ausnahmezustands im Land. Trotz Sperrung arbeitet GagauzNews
weiterhin unter einer anderen Domain, [2][gagauznews.com] – und ist auch in
sozialen Netzwerken zu finden. Der russische Präsident Wladimir Putin wird
von GagauzNews als „der beste Leader unserer Zeit“ (7. Oktober. 2022)
bezeichnet.
Beim GagauzNews-Redakteur Nikolai Kostyrkin fand im Juni 2022 eine
Hausdurchsuchung statt. Er wurde verdächtigt, regelmäßig Propagandamaterial
zu verbreiten, welches die militärische Aggression Russlands gegen die
Ukraine rechtfertigt. Kostyrkin unterhält auch einen eigenen
Telegram-Kanal: „Nikolai Kostyrkin – Z – Bessarabischer Russe“.
## „Ist es denn schlimm?“
Eine an Helping Hands e. V. schriftlich gerichtete Anfrage blieb
unbeantwortet, doch das Vorstandsmitglied Svetlana Keller konnte
telefonisch erreicht werden. Auf die Frage hin, ob ihr bekannt sei, dass
Helping Hands e. V. mit ihrer Hilfe einen prorussischen moldauischen
Politiker beim Wahlkampf unterstütze, erwiderte Keller: „Ist es denn
schlimm, dass er ein prorussischer Politiker ist?“
Man helfe „beiden Seiten“, auch in die Ukraine würden Hilfsgüter
geliefert. Man wisse bei Helping Hands e. V. durchaus, wer Petrov sei und
wofür er stehe. Die Kooperation mit Nasch wurde jedoch für die Zeit des
Wahlkampfs pausiert, so Keller. Die Idee für eine Kooperation stamme von
ihr persönlich: Victor Petrov habe sie in einem sozialen Netzwerk gefunden
und ihn privat kontaktiert.
Die beschriebene Kooperationspause im Wahlkampf entspricht allerdings bei
genauerem Hinschauen nicht der Wahrheit: Die am 20. Februar gelieferten 10
Tonnen Hilfsgüter scheinen nämlich nach wie vor in „wohltätigen Aktionen“
von Nasch im Rahmen von Petrovs Wahlkampf verteilt zu werden, so auch
jüngst am 21. März Schulmöbel. Nasch versucht dies aber allem Anschein nach
zu verschleiern: Im Post zur Aktion auf Victor Petrovs Telegram-Kanal heißt
es im Wortlaut, die Schulmöbel seien von Nasch „käuflich erworben“ worden.
## Ohnehin schon angespannte Gesamtlage
Am 17. April kündigte GagauzNews kurzfristig – noch für denselben Tag –
eine außergewöhnliche Veranstaltung in Comrat an: „den ersten
internationalen Kongress der Völkerdiplomatie, ‚Völkerfreundschaft 2023‘�…
der prorussische Politiker, russische Diplomaten und russische
Organisationen zusammenbrachte. Im Mittelpunkt stand einmal mehr Petrov.
Nicht teilnehmen durfte der tatarische Regierungschef Minnichanow, den
Petrov noch in Russland besucht hatte. Von den moldauischen Behörden wurde
ihm die Einreise ins Land untersagt. Daraus machte GagauzNews einen
Skandal.
Die Wahlen in Gagausien stellen eine Zuspitzung einer ohnehin schon
angespannten Gesamtlage Moldaus dar. Zwischen Moldau und der Ukraine
befindet sich [3][der unter russischem Einfluss stehende De-facto-Staat
Transnistrien], in dem nach wie vor russische Truppen stationiert sind.
Immer wieder wurden Befürchtungen geäußert, Moldau könne das nächste Opfer
des russischen Imperialismus werden und bei erfolgreichem Vordringen der
[4][russischen Offensive bis nach Transnistrien der Krieg auf Moldau
überschwappen].
Das kleine osteuropäische Land leidet wirtschaftlich sehr unter dem
russischen Angriffskrieg, die Inflation erreichte letzten Sommer ein
Maximum von 34 Prozent. Prorussische Politiker*innen nutzen diese Lage
aus, [5][um Wut in der Bevölkerung auf die proeuropäische Politik der
Präsidentin Maia Sandus zu schüren] – und zugleich politisch kremlnahe
Ziele zu verfolgen.
27 Apr 2023
## LINKS
[1] /Russische-Tataren-und-WM-Fussball/!5515863
[2] https://gagauznews.com/
[3] /Kriegsgefahr-in-Transnistrien/!5857844
[4] /Ein-Jahr-Krieg-gegen-die-Ukraine/!5915507
[5] /Proteste-gegen-Regierung-in-Moldau/!5919940
## AUTOREN
Yelizaveta Landenberger
Piotr Garciu
## TAGS
Russland
Republik Moldau
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Chisinau
Transnistrien
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Olaf Scholz
Sinti und Roma
Kolumne Krieg und Frieden
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