# taz.de -- Ein Jahr Krieg gegen die Ukraine: Who's next? | |
> Russland hat die europäische Nachkriegsordnung aus den Angeln gehoben. | |
> Das Schicksal der Ukraine ist entscheidend – auch für unseren künftigen | |
> Frieden. | |
Bild: Szenen, die sich ins Gedächtnis gebrannt haben: Menschen fliehen aus der… | |
Seit nunmehr einem Jahr tobt er, Russlands mörderischer Feldzug gegen die | |
Ukraine. Die Bilanz ist verheerend: Zehntausende Tote, wahllos zerbombte | |
Städte und Dörfer sowie Millionen Geflüchtete und Heimatlose, die bis auf | |
ihr Leben alles verloren haben. Die Kyiv School of Economics schätzt die | |
Kriegsschäden im Land allein im Zeitraum Februar bis Dezember 2022 auf | |
137,8 Milliarden US-Dollar. Wie lange wird dieses Grauen mitten in Europa, | |
das täglich weitere Opfer kostet, noch dauern? | |
Eine Antwort darauf hat Russlands Präsident Wladimir Putin diese Woche in | |
seiner Rede an die Nation gegeben: Wenn nötig, lange. Denn für den Kreml | |
ist der Feind nicht mehr nur die Ukraine, die zu „entnazifizieren“, zu | |
unterwerfen und als Staat zu vernichten russische Soldaten in einen | |
sinnlosen Tod geschickt werden. Moskau wähnt sich im Krieg gegen den | |
„kollektiven Westen“. Und dieser, Inkarnation des Bösen, wolle unter der | |
Ägide der USA Russland „erledigen“. Der Angreifer ist in dieser Logik zum | |
Verteidiger mutiert, eine klassische Täter-Opfer-Umkehr. „Sein oder nicht | |
sein“ also – zu dieser durch nichts belegten Propagandabehauptung passen | |
auch die jüngsten Einlassungen des ehemaligen Präsidenten und heutigen | |
Chefs des Nationalen Sicherheitsrates, Dmitri Medwedjew, dass Russland | |
zerfallen werde, sollte es diesen Krieg verlieren. | |
Derart historisch aufgeladene Narrative sind nicht nur der Versuch, die | |
heimische Bevölkerung auf einen möglicherweise langen Krieg einzuschwören | |
und die Reihen um den „leader“ Putin noch fester zu schließen, wobei die | |
Anzahl der eigenen Opfer keine Rolle spielt. Sie sind, neben einer | |
unverhohlenen Kampfansage an den Westen, auch Ausdruck der bitteren | |
Einsicht in Moskau, sich verkalkuliert zu haben. | |
Die Ukraine ist, zum Erstaunen vieler, die die Entwicklungen seit der | |
Orangenen Revolution von 2004 ignoriert haben, widerständiger als erwartet. | |
Die Menschen scheinen zu allem bereit – trotz oder gerade wegen des hohen | |
Blutzolls, den sie entrichtet haben. Denn die Existenz ihres Staates steht | |
auf dem Spiel. Aber es geht auch um die Freiheit, sich dem Moskauer Diktat | |
ein für alle Mal zu entziehen und über den künftigen Weg der Ukraine selbst | |
zu entscheiden – eine Kategorie, die in den Köpfen der Mehrheit der | |
Russ*innen nicht vorkommt, ja nicht vorkommen darf. | |
## Der Westen lässt sich bislang nicht spalten | |
Auch Putins Kalkül, den Westen zu spalten, ist bislang nicht aufgegangen. | |
Dies war die klare Botschaft von US-Präsident Joe Biden, die er Anfang | |
dieser Woche zuerst in Kyjiw und dann in Warschau überbrachte. Zwar sind | |
die jeweiligen Interessen der Nato-Staaten, die zwar nicht völkerrechtlich, | |
jedoch politisch und moralisch längst Kriegspartei sind, unterschiedlich. | |
Dennoch ist das Credo in weiten Teilen Konsens, fest an der Seite der | |
Ukraine zu stehen. Das hat auch das Votum über eine UN-Resolution zur | |
Ukraine am Donnerstag gezeigt. 141 von 193 Staaten stimmten dafür und damit | |
für einen Rückzug der russischen Truppen. Dieser ist eins von Kyjiws | |
erklärten Kriegszielen. | |
Unterstützung also, solange das überfallene Land sie braucht – nicht nur, | |
aber auch mit Waffen. Russland hat die europäische Nachkriegsordnung aus | |
den Angeln gehoben. Das Schicksal der Ukraine wird maßgeblich darüber mit | |
entscheiden, ob die Menschen auch hier in Zukunft friedlich werden leben | |
können. | |
Ohne Frage: Die Aufrüstung der Ukraine birgt Risiken, die niemand | |
abschätzen kann. Schon jetzt werden in den westlichen Gesellschaften | |
Verwerfungen sichtbar. Ängste, Unsicherheit und Kriegsmüdigkeit wachsen | |
genauso wie politische Polarisierung. Was aber ist die Alternative? | |
Verhandlungen und ein sofortiger Stopp von Waffenlieferungen an die | |
Ukraine? Wer, wie hierzulande die Linkenpolitikerin Sahra Wagenknecht, | |
solche Forderungen erhebt, sollte um der Aufrichtigkeit willen gleich dazu | |
sagen, wozu er/sie in letzter Konsequenz bereit zu sein scheint: um des | |
lieben Friedens willen die Ukraine zu opfern. | |
Und nicht nur sie. Was ist beispielsweise mit Georgien und der Republik | |
Moldau? Beide Länder, nach ihrer Unabhängigkeit von Kriegen gegen Russland | |
unter dem Deckmantel separatistischer Kräfte nachhaltig traumatisiert, | |
erleben die Soft Power Moskaus tagtäglich am eigenen Leib: | |
Destabilisierung, koste es, was es wolle, um den eigenen Machtanspruch | |
durchzusetzen. Dazu muss nicht einmal ein Schuss fallen, denn Russlands | |
Instrumentenkasten ist reichhaltig bestückt. Wer wird sie schützen? | |
Von der estnischen Regierungschefin Kaja Kallas stammt der Satz: „Wir | |
könnten die Nächsten sein.“ Ihre Warnung gilt es ernst zu nehmen. Wohin es | |
führt, das nicht zu tun, erleben wir seit dem 24. Februar 2022. Wer wird | |
der Nächste sein? Eben, genau darum geht es. Um nichts weniger als das. | |
24 Feb 2023 | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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