# taz.de -- Umgang mit Roma aus Moldau: „Irgendwer ist immer dran“ | |
> Berlin schiebt Geflüchtete aus Moldau wieder verstärkt ab. Manchmal | |
> werden Menschen auf dem Amt verhaftet. Maria C. erzählt vom Leben mit der | |
> Angst. | |
Bild: Proteste in Berlin gegen Abschiebepolitik am Romaday, 8. April 2023 | |
Maria C. ist eine Romni aus Moldau. Die 33-Jährige hat fünf Kinder im Alter | |
von vier Monaten bis 16 Jahren. Mit ihnen und ihrem Mann lebt sie in einer | |
Gemeinschaftsunterkunft im Bezirk Pankow. Das erste Mal kamen sie im | |
November 2019 nach Berlin, ihr Asylantrag wurde, wie bei Moldauer*innen | |
üblich, abgelehnt, im Sommer 2020 wurden sie abgeschoben. Im Sommer 2021 | |
sind sie zurückgekommen. Marias Schwiegermutter wurde [1][vor Kurzem | |
abgeschoben], als sie bei einem Termin im Landesamt für Einwanderung (LEA) | |
war. | |
Wir treffen uns in einer Bäckerei in der Nähe. Maria möchte, dass die Welt | |
erfährt, wie schlecht die Roma behandelt werden, aber sie hat Angst, Ärger | |
zu bekommen, wenn sie mit der Presse spricht. Weil Maria Russisch spricht, | |
die Reporterin aber nicht, begleitet uns Anna vom Bare-Bündnis. Bare heißt | |
„groß“ oder „stolz“ auf Romanes und steht für „Berliner Bündnis ge… | |
Antiziganismus und für Rom*nja Empowerment“. Anna geht in Heime, klärt die | |
Geflüchteten über ihre Rechte auf, hilft ihnen bei Ämterdingen und so | |
weiter. | |
taz: Maria, wo leben Sie in Moldau? | |
Maria C.: Das ist ein kleines Dorf in den Bergen. Da gibt es nichts, man | |
kann nichts einkaufen, es gibt keine Arbeit. Wenn überhaupt, kann man einen | |
Job nur in der Hauptstadt Chișinău bekommen, aber nur wenn man Bildung | |
habt. Das haben die wenigsten von uns, wir sind Analphabeten. | |
Ist das der Grund, warum Sie hierher gekommen sind? | |
Es gibt dort keinen Sinn zu leben. Wir sind gekommen, um eine Perspektive | |
für die Zukunft zu haben, für die Kinder. | |
Was wünschen Sie sich für Ihre Kinder? | |
Dass sie zur Schule gehen, etwas lernen, vielleicht studieren und einen Job | |
bekommen – nicht wie wir. | |
Haben Sie vorher etwas gehört über Deutschland, wie es Roma aus Moldau hier | |
ergeht? | |
Es gibt zweierlei Meinungen darüber. Die einen sagen, es ist besser als in | |
den anderen Ländern. Aber viele haben auch gesagt, dass die Abschiebungen | |
sehr brutal sind und man ständig am Rennen ist. | |
Am Rennen? | |
Verstecken. Immer wieder schlafen Leute im Park auf einer Bank, weil sie | |
Angst haben, dass nachts die Polizei kommt. | |
Ihre Schwiegermutter wurde kürzlich abgeschoben. Wie ist das passiert? | |
Sie hatte am 18. April einen Termin beim LEA, um ihren Ausweis zu | |
verlängern. Das war um 11 Uhr morgens. Sie kam den ganzen Tag nicht zurück. | |
Wir haben auf sie gewartet und versucht sie anzurufen, aber sie ging nicht | |
ran. Wir hatten Sorge, weil sie Diabetes hat, dass sie nichts isst und es | |
ihr schlecht geht. Dann hat sie um 19 Uhr angerufen und gesagt, etwas ist | |
passiert. Wir haben verstanden, dass sie verhaftet wurde. | |
Wie ging es weiter? | |
Wir haben die ganze Nacht nichts mehr gehört und auch den ganzen nächsten | |
Tag nicht. Abends gegen 22 Uhr hat mich die Schwiegermutter dann aus | |
Chișinău angerufen und erzählt, was passiert ist. Sie haben sie in eine Art | |
Gefängnis gebracht und ihr das Handy weggenommen. Sie wurde hysterisch, ihr | |
Blutdruck ging hoch, sie hat gefleht, dass sie ihren Sohn anrufen darf, | |
aber sie durfte nicht. Ihr wurde dann noch schlechter, sie war in einem | |
Einzelraum eingesperrt und bekam kaum Luft. Sie konnte nur auf allen vieren | |
zur Tür kriechen und einmal an die Tür klopfen, dann wurde sie ohnmächtig. | |
Dann wurde ihr geholfen? | |
Dann kamen Leute, haben einen Notarzt gerufen und sie ins Krankenhaus | |
gebracht. Dort haben sie ihr eine Spritze gegeben, sodass sie zu sich kam, | |
und haben ein EKG gemacht. Aber die Polizei hat gar nicht auf das Ergebnis | |
gewartet. Sie haben ihr erklärt, dass sie nach Hause geschickt würde, und | |
haben sie zurück in die Abschiebehaft gebracht, ihr nicht mal ein Glas | |
Wasser oder Essen angeboten. Am Morgen kam eine Dolmetscherin und fragte | |
sie, ob sie ihre Familie anrufen will. Sie sagte: Natürlich will ich! Die | |
Dolmetscherin tippte auf ihrem Handy herum und sagte dann, da geht keiner | |
ran. Aber das stimmte nicht. Ich hatte die ganze Zeit mein Handy bei mir, | |
ich wartete ja auf ein Lebenszeichen von meiner Schwiegermama. Sie hat nur | |
geweint, fühlte sich völlig machtlos. Der Flug ging dann um 14 Uhr, abends | |
erst konnte sie mich anrufen. | |
Hatte sie irgendwas dabei? | |
Nichts. Nur 20 Euro, die Bundespolizei hat ihr noch 25 Euro dazugegeben. | |
Was macht sie jetzt? | |
Sie weint jeden Tag, ist ganz alleine. Sie versucht Medikamente zu | |
bekommen. Ich habe ihr meine 300 Euro Erspartes geschickt – ein Mann, der | |
nach Moldau gefahren ist, hat es mitgenommen. | |
Wo wohnt sie? | |
Sie ist in unser Dorf zurückgegangen, wohnt in einem Haus, das nicht fertig | |
gebaut ist. Da gibt es einen Ofen, der stark qualmt, wenn sie Essen kocht, | |
sodass sie keine Luft mehr bekommt. An Möbeln gibt es nur ein kleines Sofa, | |
das war es. | |
Was ist mit der Diabetes? | |
Deswegen habe ich ihr mein Geld geschickt. Medikamente sind sehr teuer. Der | |
Stress durch die Abschiebung hat verursacht, dass sie einen sehr hohen | |
Blutdruck habt, auch ihr Zucker ist noch höher geworden, sie fühlt sich | |
sehr schlecht. | |
Wie können Sie mit ihr sprechen? | |
Sie kann nur anrufen, wenn sie irgendwo ist, wo es Internet gibt. Ich kann | |
sie nicht anrufen. | |
Hätten Sie vorher gedacht, dass man abgeschoben wird, wenn man aufs Amt | |
geht? | |
Nein, niemals. Sie sollte ja nur ihre Duldung verlängern. | |
Was ist mit Ihren Papieren? | |
Ich mache mir sehr große Sorgen, weil unsere Dokumente auch abgelaufen | |
sind. Beim Landesamt für Flüchtlinge haben sie mir gesagt, wenn ich keine | |
gültigen Papiere habe, bekomme ich kein Geld mehr. Aber was mache ich mit | |
fünf Kindern ohne Geld? Anfang April habe ich einen Termin beim LEA | |
beantragt, aber noch habe ich keine Antwort. Ich habe nur noch 100 Euro | |
übrig. | |
Haben Sie jetzt Angst, zum Amt zu gehen? | |
Ja, sehr große. Ich habe Anna gefragt, ob sie mitkommt. Ich gehe davon aus, | |
dass sie von mir verlangen, dass ich die Geburtsurkunde von meinem | |
Neugeborenen vorzeige. Aber um die Geburtsurkunde zu bekommen, muss ich | |
meine Geburtsurkunde und die von meinem Mann vorzeigen – aber die sind in | |
Moldau. Das heißt, ob mein Mann so etwas hat, weiß ich gar nicht. Das Haus | |
von ihm ist auseinandergefallen und da ist nicht mehr viel übrig. Trotzdem | |
möchte das Standesamt dieses Papier haben. | |
Das ist ja kompliziert. | |
Ja, und ich muss alles übersetzen lassen. Das kostet Geld, jedes Papier 20 | |
bis 40 Euro, woher soll ich das nehmen? Aber wenn das Kleine keine Papiere | |
hat, bekomme ich vielleicht unsere Papiere nicht mehr verlängert, das macht | |
mir große Angst. Ich weiß nicht, was ich machen kann. Und die | |
Schwiegermutter sitzt alleine in Moldau und hat eine Einreisesperre | |
bekommen. | |
Würden Sie jetzt auch lieber zurückgehen oder ist es hier für Sie trotzdem | |
noch besser? | |
Trotz allem ist es hier immer noch besser. Obwohl es bei uns im Heim viele | |
Probleme gibt. | |
Welche? | |
Zum Beispiel gibt es seit zwei Monaten keine einzige Dusche auf unserer | |
Etage, die funktioniert. Auch die Küche ist seit zwei Monaten zu, ich muss | |
zwei Etagen höher kochen gehen und die Kinder im Zimmer alleine lassen. | |
Kann man sich beschweren? | |
Ja, kannst du, aber nichts passiert. | |
Wissen Sie, dass es eine unabhängige Beschwerdestelle gibt für Fälle wie | |
diesen? | |
Nein, wusste ich nicht. Aber das wird auch nichts helfen. | |
Was sagen die Sozialarbeiter in Ihrem Heim? | |
Die tun nichts für Roma. Die haben mir auch nicht erzählt, dass es | |
Alphabetisierungskurse gibt, wo man Deutsch lernt und Lesen und Schreiben – | |
das weiß ich erst, seit Anna kommt. Die Mitarbeiter im Heim wollen keine | |
Zeit mit uns Roma verlieren, ich glaube, weil sie wissen, dass wir | |
jederzeit abgeschoben werden können. | |
Anna: Hier muss ich etwas erzählen. Maria ist mal zu den Sozialarbeitern | |
gegangen, damit sie ihr helfen, einen Termin beim Sozialamt zu machen. Sie | |
haben sich geweigert. Dann hat sie mich geholt, wir sind zusammen | |
hingegangen – und auf einmal ging es doch. | |
Maria C.: Manche Mitarbeiter schreien einen an. Ich will keine schlechten | |
Worte sagen, aber die kommen so nah an mein Gesicht (zeigt mit der Hand | |
kurz vor ihre Nasenspitze) und fragen: Was willst du? Du frierst ein vor | |
Angst, so schreien sie. Zum Glück haben wir eine sehr gute neue | |
Heimleiterin, sie spricht Russisch. Die anderen Mitarbeiter helfen immer | |
nur den Leuten, deren Sprache sie sprechen – meistens Persisch oder | |
Arabisch. Sie behandeln uns Roma-Leute ganz schlecht. Zum Glück gibt es das | |
Bare-Projekt. Ich glaube, die neue Heimleitung hat verstanden, dass wir | |
Hilfe brauchen und jemanden, der Russisch spricht. Wir waren eingesperrt | |
wie Sklaven, und jetzt hat man die Tore aufgemacht und wir haben die Welt | |
gesehen. | |
Eingesperrt? | |
Ja, wirklich. Um 22 Uhr müssen wir alle in unseren Zimmern sein. Um 20 Uhr | |
müssen die Kinder im Zimmer sein, auch meine 16-Jährige. Ich koche den | |
ganzen Tag, putze und mache, da möchte ich abends mal draußen sitzen und | |
mit anderen quatschen. Nein, das geht nicht. Und wenn die Polizei kommt, um | |
jemanden abzuschieben, dürfen wir die Zimmer natürlich auch nicht | |
verlassen. | |
Wann waren die das letzte Mal hier? | |
Vor zwei Tagen haben sie Georgier geholt. Die Polizei ist mit Hunden durch | |
die Zimmer gegangen. Sie haben bei einer Familie nur den Mann angetroffen, | |
Frau und Kinder waren nicht da. Da haben sie aus dem Schrank Kleidung | |
geholt und die Hunde daran schnuppern lassen und so nach ihnen gesucht. | |
Haben sie sie gefunden? | |
Nicht mit den Hunden. Sie haben die Frau dann angerufen, sie ist gekommen | |
und wurde mitgenommen. | |
Passiert das oft? | |
Das mit den Hunden war zum ersten Mal. Aber ohne Hunde fast jeden Tag | |
beziehungsweise Nacht. Jede Nationalität wird jede Woche abgeschoben, | |
irgendwer ist immer dran. Wenn Roma aus Moldau abgeschoben werden sollen, | |
gehen sie durch alle Zimmer der Roma. Die Sicherheitsleute kooperieren auch | |
mit der Polizei und sagen, wer befreundet ist. Dann gehen sie auch dort | |
gucken, wenn sie die Leute nicht auf ihren Zimmern finden. | |
Mitten in der Nacht? | |
Ja, sie kommen immer um ein Uhr nachts oder später. Oft um vier, fünf | |
morgens, manchmal morgens um acht. Die Kinder haben Angst. „Mama, Mama, | |
Polizei“, rufen sie. Es ist sehr laut. Da kommen zehn Leute mit schweren | |
Waffen. Sind wir Verbrecher? Vor allem die weiblichen Polizisten sind laut, | |
schreien, packen dich am Arm. Man darf nichts einpacken, sie lassen einem | |
keine Zeit. Auch bei meiner Schwiegermutter war es so. Alle ihre Papiere, | |
ihre Kleidung, ihre Krankenunterlagen sind noch im Heim. Ich weiß nicht, | |
was damit passiert, wahrscheinlich schmeißen sie es weg. Als sie bei der | |
Polizei war, hat sie gesagt, wenn ihr mir nicht glaubt, dass ich krank bin, | |
fahrt doch mit mir ins Heim, da habe ich meine Unterlagen. Sie haben nur | |
gelacht und gesagt, du kannst in Moldau zum Arzt gehen. | |
25 May 2023 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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