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# taz.de -- Gipfeltreffen in Moldau: Alle gegen Putin – aber einer fehlt
> In Moldau treffen sich über 50 europäische Regierungschefs, um Stärke
> gegen Russland zu zeigen. Doch die Türkei sagt überraschend ab.
Bild: Alle an der Seite Selenskis, alle gegen Putin: Familienfoto in Bulboaca
Chișinău/Brüssel taz | Sein Name stand am Donnerstag noch im offiziellen
Programm: Recep Tayyip Erdoğan, Präsident der Türkei. Doch der frisch
Wiedergewählte sagte überraschend einen Tag zuvor ab. Ein erster Dämpfer
für das seit Monate vorbereitete Treffen von rund 50 Staatschef:innen
aus ganz Europa in der Republik Moldau. Besonders die EU hatte gehofft,
zwischen sanften Weinbergen und Obstgärten das Verhältnis zum schwierigen
Nato-Partner etwas informeller auszuloten.
Dafür war ein anderer schon gelandet, als der Flieger mit dem Bundeskanzler
noch gen Chișinău schwebte: der ukrainische Präsident Wolodomir Selenski.
„Alle an der Seite Selenskis, alle gegen Putin“, das sollte die Botschaft
sein, die von dem Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft
ausging.
[1][Die Gemeinschaft gründete sich im Oktober 2022]. Sie umfasst alle
europäischen Länder sowie die EU, exklusive Russland und Belarus. Diese
Mitgliederliste sagt denn auch schon vieles über ein wichtiges
Gründungsmotiv aus: eine Allianz gegen den russischen Angriffskrieg zu
schmieden, über die EU hinaus.
Als Gastgeber des zweiten Treffens war schon damals sehr bewusst das kleine
Moldau gewählt worden. Das Land grenzt im Westen an das EU-Mitglied
Rumänien und im Osten an die Ukraine. Moldau, die letzte der ehemaligen
Sowjetrepubliken, die Anfang der 1990er unabhängig wurde, versucht sich
unter der 2020 zur Präsidentin gewählten Maia Sandu tapfer aus der
russischen Umklammerung zu lösen. Zuletzt auch mit tatkräftiger Hilfe der
EU.
## Sanfter Druck auf die EU
Die [2][Furcht, als nächster Appetithappen] dem russischen Großmachthunger
zum Opfer zu fallen, ist groß. Bei dem russischen Angriff auf die Ukraine
im Februar 2022 war das Land fast komplett abhängig von russischen
Gaslieferungen und bezog seinen Strom aus der von Moskau kontrollierten
Provinz Transnistrien. Als Reaktion auf den Angriffskrieg wurde Moldau ans
rumänische Gas- und Stromnetz angeschlossen.
Die EU versucht seitdem mit Millionenhilfen, die hohe Inflation zu dämpfen
und hat das Land zusammen mit der Ukraine 2022 offiziell zum
Beitrittskandidaten erklärt. EU-Fahnen säumen die Straße, die zum Ort des
Gipfeltreffens führt. Man sei nur 20 Kilometer entfernt von der
ukrainischen Grenze, erinnerte Gastgeberin Sandu ihre Gäste, und nutzte die
Gelegenheit, um insbesondere die EU mit sanftem Druck zu überreden, ihr
Land „bis zum Ende dieses Jahrzehnts“ in die EU aufzunehmen.
Verdient hätte sich Moldau einen EU-Beitritt allemal: Das bitterarme Land
hat pro Kopf mehr ukrainische Flüchtlinge aufgenommen als jedes
vergleichsweise reiche EU-Land. „Moldau ist in dieser Woche das politische
Herz Europas“, säuselte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
zwar, doch ein Beitrittsdatum nannte sie nicht. Dennoch gab sich Sandu am
Ende des Gipfels, der für Moldau der größte in seiner Geschichte war,
optimistisch. Man sei unumkehrbar auf dem Weg in die EU.
Dass es schon 2030 so weit sein könnte, wie Moldau hofft, glaubt in Brüssel
kaum jemand. Der EPG-Gipfel sei in erster Linie ein Signal an Moskau, sagte
ein EU-Diplomat vor dem Treffen. Es geht um Geopolitik – und das in der von
Putin so begehrten „nahen Nachbarschaft“. Die EU will ihre Einflusszone
ausweiten und ist dabei nicht zimperlich. So verhängte Brüssel am Dienstag
Sanktionen gegen den prorussischen Oligarchen Ilan Shor. Ihm wird
vorgeworfen, Moldau „destabilisieren“ zu wollen.
## Plaudern im Warteraum
Auch der ukrainische Präsident Selenski, der sein Land sowohl in die EU als
auch in die Nato führen will, drückt aufs Tempo. „Dieses Jahr müssen
Entscheidungen fallen“, sagte er beim Mittagessen auf Schloss Mimi.
Doch die USA und Deutschland sehen eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine
skeptisch. Zu groß das Risiko, dass der Bündnisfall eintritt und sich die
Nuklearmächte USA und Russland in direkter Konfrontation gegenüberstehen.
„Momentan geht es darum, die Ukraine zu unterstützen und nicht darum eine
Nato-Mitgliedschaft zu gründen“, sagte Scholz am Ende des Treffens.
Auch in puncto Sicherheitsgarantien ist Scholz vorsichtig: Man sei weit
davon entfernt zu sagen, wie eine Sicherung des Friedens in der Ukraine im
Frieden gelingen könne. Im Klartext: Konkrete Sicherheitsgarantien für die
Ukraine, die dann ja auch die Verpflichtung einschließen würden, im
Konfliktfall Beistand zu leisten, kann es erst nach einem Friedensschluss
geben.
Was eine schnelle Aufnahme der Ukraine in die EU betrifft, steht vor allem
Frankreich auf der Bremse. Präsident Emmanuel Macron, von dem die
Initiative für den neuen Europaclub ausging, hatte dabei auch eine Art
Warteraum im Sinn, um beitrittswillige Länder bei der Stange und
gleichzeitig außen vor zu halten.
Scholz war skeptisch: Die Europäische Gemeinschaft dürfe keine EU zweiter
Klasse sein, warnte er in seiner EU-Rede 2022. Mittlerweile ist er
überzeugt von dem Format und hält die EPG für einen großen Erfolg. Die
Gemeinschaft sei kein Warteraum, sondern habe einen eigenen Wert. De facto
ist sie das nun, aber auch in einem Warteraum lässt es sich ja angenehm
plaudern. Dazu dienen die Treffen eben auch: dass sich die
Staatenlenker:innen mal abseits der Sprechzettel ihrer
Berater:innen austauschen können.
## Speeddating zum Kosovo
Auf Scholz’ Speedatingplan standen neben einem Treffen mit Selenski auch
gemeinsam mit Macron anberaumte Einzelgepräche mit dem serbischen
Präsidenten Aleksandar Vučić und seiner kosovarischen Amtskollegin Vjosa
Osmani-Sadriu. Am Ende wurde es sogar ein Treffen zu viert, was für das
Format der EPG spricht.
Nötig waren die Gespräche, [3][weil auf dem Balkan fast 25 Jahre nach Ende
des Kosovokrieges wieder die Luft brennt.] Anlass waren Regionalwahlen im
Norden des Kosovos, die von der Mehrheit der dort lebenden Serben
boykottiert wurden. Als die von den verbleibenden 3,5 Prozent der
Bevölkerung gewählten Bürgermeister im Mai in die Rathäuser ziehen wollten,
hinderten serbische Demonstranten sie mit Gewalt daran.
Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien, die USA und die EU
machten dennoch unmissverständlich klar, wen sie für den eigentlichen
Brandstifter halten: die kosovarische Regierung. Die USA haben Kosovo nun
auch aus dem gemeinsamen Nato-Manöver Defender Europe wieder
rausgeschmissen. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte, er wolle sich
um eine Beilegung des Konflikts bemühen.
Warum Erdoğan das Spitzentreffen schwänzte, war zunächst unklar. Beobachter
vermuten, dass er nicht an einem Anti-Putin-Gipfel teilnehmen wollte – denn
für die Türkei ist Putin weiter ein wichtiger Partner.
1 Jun 2023
## LINKS
[1] /Neue-europaeische-Gemeinschaft/!5886380
[2] /Warnungen-vor-russischem-Angriff/!5904062
[3] /Unruhen-im-Norden-Kosovos/!5934666
## AUTOREN
Anna Lehmann
Eric Bonse
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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