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# taz.de -- Erinnerungskultur in Moldau: Der Tag des Sieges hat ausgedient
> Die Republik Moldau gedenkt künftig der Opfer des 2. Weltkrieges am 8.
> Mai. Dabei geht es auch um Versöhnung und Abgrenzung von der Sowjetunion.
Bild: Eine Lenin-Büste im Geschichtsmuseum der gagausischen Hauptstadt Comrat …
Im Zentrum von Chișinău ragt eine Pyramide aus fünf 25 Meter hohen Stämmen
auf, in deren Mitte sich ein fünfzackiger Stern befindet. In ihm brennt
eine „ewige Flamme“. Die Gedenkstätte „Eternitate“ (Ewigkeit) wurde am…
Mai 1975 errichtet, zum 30. Jahrestages des Sieges der Sowjetunion im
Zweiten Weltkrieg.
Der 80-jährige Konstantin kommt fast jeden Tag hierher. Für ihn sei das ein
heiliger Ort. „Mein Vater hat im Krieg gekämpft, darum betrachte ich diese
Gedenkstätte mit Respekt und Ehrerbietung“, erzählt er. Er wurde im Zweiten
Weltkrieg geboren und wuchs in der Sowjetunion auf. Er sagt, dass die
Gedenkstätte so ein heimatlicher Ort sei, läge auch an der hier
konservierten sowjetischen Atmosphäre.
Obwohl man den Eindruck haben könnte, dass die Gedenkstätte nur
sowjetischen Soldaten gewidmet ist, sind hier auch deutsche Soldaten
begraben, die im 2. Weltkrieg gekämpft haben. Auch ein Denkmal für den
Krieg um die Unabhängigkeit der Republik Moldau in den Jahren 1991/92 wurde
hier errichtet. Alljährlich finden an der Gedenkstätte Veranstaltungen
statt, aber die meistbesuchte ist die am 9. Mai.
Zwei Kilometer von der Gedenkstätte „Eternitate“ entfernt befindet sich ein
anderes Denkmal. Es steht auf dem Platz vor dem Bahnhof von Chișinău und
heißt „Zug des Schmerzes“. Das Denkmal wurde 2013 errichtet und ist den
Opfern der Deportationen und Repressionen des sowjetisch-kommunistischen
Regimes zwischen 1940 und 1953 gewidmet.
## Denkmal für die Opfer des sowjetischen Regimes
Neben dem Denkmal findet jedes Wochenende ein Flohmarkt statt. Hier
verkauft Ana Dinge, die sie von zu Hause mitgebracht hat, um ihre Rente
aufzubessern. „Unsere Großeltern haben gelitten, als sie deportiert wurden
– daran erinnert dieses Denkmal. Nach dem Krieg gab es Hungersnöte und
Repressionen. Menschen, die es zu etwas Wohlstand gebracht hatten, wurden
abgeholt, nur Arme blieben zurück“, sagt Ana.
[1][Für sie ist der 9. Mai kein Tag des Sieges]. „Der Krieg wurde geplant,
von Stalin und Hitler. Alle haben gelitten. Mein Vater hat nie an diesen
Paraden teilgenommen. Das ist nur Heuchelei. Alle denken an die
schmerzhafte Vergangenheit“, sagt Ana und fügt hinzu, dass dieser Tag ein
Gedenktag für alle im Krieg Gefallenen sein sollte.
Der Zweite Weltkrieg hatte für Moldau katastrophale Folgen. Nach Kriegsende
erlebte das sowjetisch besetzte Land die Tragödie der zweiten großen
Deportationswelle nach Sibirien und Mittelasien. Die erste Welle hatte am
13. Juni 1941 stattgefunden, nachdem Moskau Moldau annektiert hatte, gemäß
des geheimen Zusatzprotokolls des Hitler-Stalin-Paktes. Zwei Annexionen
kosteten mehr als eine Million Opfer, von denen 400.000 auf der Straße oder
in Scheinprozessen hingerichtet wurden, verhungerten oder in sowjetischen
Gefängnissen und Lagern umkamen. Diese Tragödie begann am Hauptbahnhof von
Chișinău.
## Am 8. Mai dem Ende des Zweiten Weltkriegs gedenken
In diesem Kontext sind die Feiern am 9. Mai als Sieg in Moldau absurd.
Dieser „Feiertag“ ist ein sowjetisches Erbe, das Stalin und die UdSSR dem
sozialistischen Lager oktroyiert hatten, um ihre Schlüsselrolle beim Sieg
über Nazi-Deutschland hervorzuheben.
Seit 1990 heißt der 9. Mai in Moldau offiziell „Tag des Sieges zum Gedenken
an die Helden, die für die Unabhängigkeit des ‚Mutterlandes‘ gestorben
sind“. Mit der Unabhängigkeitserklärung der Republik Moldau 1991 verschwand
das ‚Mutterland‘ mit der UdSSR. Den Tag des Sieges zu begehen wie vor 1990
hieße, die Unabhängigkeit des Staates Moldau zu leugnen. Und die Verbrechen
anzuerkennen, die das ‚Mutterland‘ zwischen 1940 und 1944 begangen hat.
Dies gilt umso mehr, als in den letzten drei Jahrzehnten kremltreue
moldauische Politiker den Sieg über den Faschismus nur Russland zuschreiben
und ihn dem in der EU gefeierten [2][Europatag] (9. Mai) gegenüberstellen,
um sich von eben diesem abzugrenzen. Dadurch spalten sie die Gesellschaft.
Sie nutzen den Feiertag, um die Erinnerung an die Sowjetunion zu bewahren
und die Bevölkerung geopolitisch einzunorden, um Moldau an die „russische
Welt“ zu binden. Darum ist ein Gesetzentwurf, der einen Übergang zu einer
nicht-ideologischen Interpretation dieses Datums vorsieht, richtig.
So wird es möglich, die Opfer derer, die zum Sieg über den
Nationalsozialismus beigetragen haben, zu ehren und dem Kreis
demokratischer Staaten beizutreten. Das strebt Moldau an, wenn es künftig
am 8. Mai dem Ende des Zweiten Weltkriegs gedenkt.
Aus dem Russischen von [3][Gaby Coldewey]
16 Jun 2023
## LINKS
[1] /Kriegsende-am-8-und-9-Mai/!5932667
[2] https://european-union.europa.eu/principles-countries-history/symbols/europ…
[3] /Gaby-Coldewey/!a23976/
## AUTOREN
Daniela Calmîș
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