| # taz.de -- Kuratorin über Krieg und Kunst: „Der Ukraine-Krieg verändert al… | |
| > Eine Ausstellung im Berliner Kunstverein KVOST bringt Künstler aus | |
| > Georgien, der Ukraine und Belarus zusammen. Ein Gespräch mit der | |
| > Kuratorin Marija Petrovic. | |
| Bild: Zum Osteuropa-Workshop der Panter Stiftung wird am 29. November eine Auss… | |
| taz: Frau Petrovic, am 29. November eröffnet im Kunstverein KVOST [1][die | |
| Ausstellung „All the Dots Connected Form an Open Space Within“]. Sie | |
| beschäftigt sich mit Krieg und Konflikt im postsowjetischen Raum. Brauchen | |
| wir Kunst, um den Krieg begreifen zu können? | |
| Marija Petrovic: Kunst kann uns helfen, über Erfahrungen zu sprechen, die | |
| in die Medien oder in die Geschichtsbücher keinen Eingang finden. Sie kann | |
| thematisieren, was in die schnelllebige Art und Weise, wie normalerweise | |
| über Krieg, Unterdrückung und Gewalt berichtet wird, nicht hineinpasst. | |
| „All the Dots Connected Form an Open Space Within“ bringt | |
| Künstler:innen aus der Ukraine, Georgien und Belarus zusammen. Sie | |
| haben die Ausstellung kuratiert. Was lag Ihnen bei diesem Projekt besonders | |
| am Herzen? | |
| Die Ausstellung zeigt, wie sich Erfahrungen von Gewalt, Unterdrückung und | |
| Krieg im täglichen Leben manifestieren. Es ist wichtig, [2][die Invasion | |
| der Ukraine durch Russland] in einen längeren, historischen Kontext zu | |
| stellen – sie begann nicht in einem Vakuum, es gibt eine lange Geschichte | |
| der Brutalität Russlands gegen seine Nachbarstaaten. Was jetzt in der | |
| Ukraine passiert, sticht heraus, aber die Erfahrungen der Menschen in der | |
| Ukraine ähneln denen der Menschen in Georgien oder in Belarus. | |
| In Osteuropa wird viel gesprochen über „Desowjetisierung“ – den Rückbau… | |
| während der Sowjetzeit aufgebauten Denkstrukturen in Politik und | |
| Gesellschaft in den ehemaligen Satellitenstaaten. Kunst wurde von der | |
| Sowjetregierung instrumentalisiert, um ihre kommunistische Ideologie | |
| durchzusetzen. Kann sie auch zu einer Befreiung von den Resten dieser | |
| Ideologie beitragen? | |
| Kunst muss keine Antworten geben, sondern Fragen stellen. Sie muss keinen | |
| klaren Weg vorgeben, sondern kann unsere gewohnte Art und Weise zu denken | |
| verändern. Ich schätze Kunst, die eindeutige Binäritäten und einfache | |
| Antworten vermeidet. Die Beziehung zur Vergangenheit ändert sich durch die | |
| Geschehnisse der Gegenwart. In der Ukraine werden die Themen | |
| Desowietisierung und Entkommunisierung besonders viel diskutiert. Der | |
| Krieg dort verändert alles, auch die Beziehung der Menschen zum Erbe der | |
| Sowjetunion und der mit ihr einhergehenden Besatzung. Das gilt für alle | |
| osteuropäischen Staaten. | |
| Auch Ostberlin und Ostdeutschland waren einmal Austragungsorte sowjetischer | |
| Ideologie. Lässt sich die Diskussion aus Osteuropa auf Deutschland | |
| übertragen? | |
| Hier ist das Problem ein anderes. Es wird zu selten thematisiert, dass | |
| viele Menschen des heutigen Deutschlands in einem ganz anderen System | |
| aufgewachsen sind und Kunst geschaffen haben, die sich auf dieses andere | |
| politische System bezieht. Sie haben ganz andere Erfahrungen und Probleme. | |
| Es ist uns wichtig, Menschen davor zu bewahren, ihre Geschichte zu | |
| vergessen. | |
| KVOST ist der einzige Kunstverein Berlins, der sich auf osteuropäische | |
| Kunst spezialisiert hat. Wie hat sich dieser Fokus entwickelt? | |
| KVOSTs Gründer Stephan Koal hat 2018 festgestellt, dass es diesbezüglich | |
| einen Mangel gibt. Auch das Erbe Berlins, die DDR-Geschichte, wurde wenig | |
| thematisiert. Wir konzentrieren uns deshalb hauptsächlich auf | |
| zeitgenössische Künstler:innen aus Mittel- und Osteuropa. Außerdem | |
| haben wir einmal im Jahr eine historische Ausstellung zu Kunst und Design | |
| in der DDR. Unsere Arbeit ist wichtig, denn in Deutschland und Westeuropa | |
| gibt es einen großen Mangel an Wissen über Osteuropa. Teile der Geschichte | |
| und der Kultur sind kaum bekannt. KVOST arbeitet dagegen an und ermöglicht | |
| einen Austausch mit Künstler:innen, die in Osteuropa leben. | |
| KVOST ist ein Tor zwischen Ost und West. Sehen Sie sich als Vermittlerin? | |
| Allein schon die geografische Lage von KVOST ist sehr interessant: Der | |
| Kunstverein befindet sich in einem Gebäude der „sozialistischen Wohnutopie“ | |
| in der Leipziger Straße in Berlin, parallel zur ehemaligen Mauer. Vom | |
| Westen aus sahen die Häuser wirklich toll aus, sie sollten eine Art Werbung | |
| für die DDR sein. Heute ist das Viertel eine Insel mitten in Berlin – und | |
| ein Symbol dafür, dass KVOST eine deutsche Institution und ein Teil der | |
| Berliner Kulturlandschaft ist, sich aber gleichzeitig nach Osten | |
| orientiert. Es nimmt so gesehen eine Zwischenposition ein: KVOST muss sich | |
| in der westlichen Sphäre der Berliner Kulturlandschaft zurechtfinden und | |
| gleichzeitig den Menschen, die oft nicht als Teil der westlichen Welt | |
| betrachtet werden, gerecht werden. Es ist sehr wichtig für uns, Menschen | |
| aus Osteuropa mit Respekt zu begegnen. Eine Art, wie wir das im Moment tun, | |
| ist die Aufrechterhaltung des [3][Boykotts von russischen | |
| Kulturakteur:innen]. | |
| Hat Kunst die Macht zu verändern, wie Menschen Politik und Gesellschaft | |
| wahrnehmen? | |
| Kunst und Aktivismus sind ganz unterschiedliche Wege, Dinge anzusprechen. | |
| Sie gehen oft Hand in Hand: Denn viele Künstler:innen sind auch | |
| Aktivist:innen. Aber Politik und auch Aktivismus setzen oft auf binäre | |
| Aussagen. Ich schätze aber an der Kunst die Möglichkeit, Probleme und | |
| Erfahrungen so anzusprechen, dass es keine eindeutige Antwort geben muss. | |
| Kunst kann ansprechen, was normalerweise in Schweigen gehüllt bleibt – und | |
| sie kann die Art und Weise, wie über Dinge gesprochen wird, verändern. | |
| Kunst ist ein Weg, Wissen zu verbreiten. Sie ein Instrument, das wir nutzen | |
| können, um Perspektiven zu verändern. | |
| Aus dem Englischen von Lisa Schneider | |
| 28 Nov 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Daniela Calmîș | |
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