# taz.de -- Strafvollzug in Berlin unter Rot-Rot-Grün: „Gar keine Presse ist… | |
> Ein grüner Justizsenator habe nur wenig Spielräume, im Strafvollzug etwas | |
> zu ändern. Das sagt Matthias Blümel, ehemaliger Leiter des Berliner | |
> Frauenknasts. | |
Bild: Wieder offen: 60 Haftplätze gibt es im Frauenknast Pankow | |
taz: Herr Blümel, es gab Zeiten, da waren die Grünen für die Abschaffung | |
der Knäste. Nun geschieht das Gegenteil. Der grüne Justizsenator Dirk | |
Behrendt machte am gestrigen Montag den Frauenknast Pankow wieder auf. Muss | |
das sein? | |
Matthias Blümel: Irgendwann müssen die von der Justiz verhängten | |
Freiheitsstrafen und Ersatzfreiheitsstrafen verbüßt werden. Das ist in | |
unserem bestehenden Rechtssystem nun mal so vorgesehen. | |
Hat ein grüner Justizsenator dann wenigstens Spielräume, im Strafvollzug | |
etwas zu verändern? | |
Um es mal so zu sagen: Revolutionen finden im Vollzug nicht mehr statt. | |
Gab es die denn mal? | |
Es gab zumindest mal eine Aufbruchstimmung. Als ich jung war, in den 70er | |
Jahren, gab es eine kritische Kriminologie. Viele Soziologen und | |
Psychologen haben sich mit der Rolle des Strafvollzugs im | |
Kriminalisierungsprozess beschäftigt. Ich habe mich in dem Kreis auch | |
engagiert. Da ging es um Fragen wie: Warum wird ein Knacki zum Knacki? | |
Oder: Gehören Drogenabhängige in den Knast? Die Alternative für | |
Drogenabhängige wäre das Krankenhaus. Das Strafvollzugsgesetz sieht solche | |
Möglichkeiten ja vor. Therapie statt Strafe nennt sich das. | |
Heute interessieren sich nur noch wenige Wissenschaftler für das Thema. | |
Das ist ausgesprochen bedauerlich. Aber ich gebe zu: Auch ich bin müde | |
geworden. In den vielen Jahren, die ich im Strafvollzug gearbeitet habe, | |
habe ich fünf Organisationsentwicklungen mitgemacht. Das Resultat war am | |
Ende meistens nicht anders als das vorhergehende. Dennoch ist es etwas | |
Besonderes, wenn ein Grüner Justizsenator wird. | |
2001 hatte Berlin zum ersten Mal – ein halbes Jahr lang – einen grünen | |
Justizsenator: Wolfgang Wieland. Was haben Sie aus dieser Zeit in | |
Erinnerung? | |
Allein die Tatsache, dass ein Grüner Justizsenator geworden war, hat dazu | |
geführt, dass die Bediensteten im Vollzug die Löffel fallen gelassen haben. | |
Es war eine üble Stimmung. Ich habe das damals live mitgekriegt. Wieland | |
hatte noch nicht angefangen, da hieß es schon: Das ist das Ende des | |
Vollzugs. | |
Und – war das so? | |
Natürlich nicht. Es sind ganz ganz kleine Schrauben, an denen ein grüner | |
Justizsenator drehen kann. Aber Berlin hat inzwischen auch einen ganz guten | |
Standard. | |
Was meinen Sie damit? | |
Das weiß ich aus eigener Anschauung, aber auch von Inhaftierten, die den | |
Vollzug in anderen Bundesländern kannten. Da ist allein die Tatsache, dass | |
man in Berlin in vielen Gefängnissen Telefon und Fernsehen im Haftraum hat. | |
Wer Geld hat, kann immer nach draußen telefonieren. Einschränkungen gibt es | |
eigentlich nur in der Untersuchungshaft. Aber nicht nur die materielle | |
Ausstattung ist in Berlin oftmals besser, sondern auch das | |
Betreuungsangebot. | |
Können Sie das am Beispiel der Frauenhaftanstalt konkretisieren, die Sie | |
bis zu Ihrer Pensionierung im Sommer 2016 fast 20 Jahre geleitet haben? | |
Die Frauenhaftanstalt ist eine gute Einrichtung. Die Mitarbeiterinnen und | |
Mitarbeiter –80 Prozent des Personals sind weiblich – unterstützen die | |
Inhaftierten wirklich. | |
Wie sieht das aus? | |
Die Inhaftierten sind ja nicht nur Täter, sie sind zumeist auch Opfer. Da | |
waren Jugendliche, die haben gesagt: Wenn das meine Eltern sehen würden, | |
dass ich hier gerne zur Schule gehe, die würden das nicht glauben. Die | |
Fähigkeiten der Frauen fördern, ihnen Selbstbewusstsein und | |
Selbstwertgefühl vermitteln – darum geht es. Und es bringt sehr viel. Viele | |
Mitarbeiter merken, dass die Inhaftierten im Grunde keine anderen Menschen | |
als sie selbst sind. Irgendwann in ihrem Leben haben sie lediglich eine | |
andere Weichenstellung gehabt. | |
Aber das sehen nicht alle Mitarbeiter so, oder? | |
Einige grenzen sich auch ab und sagen: Die Inhaftierten haben es nicht | |
anders verdient. Investitionen in den Strafvollzug seien rausgeschmissenes | |
Geld. Warum steckt man es nicht in Schulen und Krankenhäuser? Das ist ja | |
auch immer sehr naheliegend. | |
Ist Justizbeamter ein Traumberuf? | |
Ich habe niemanden kennengelernt, der sagt, ich möchte Vollzugsbeamter aus | |
Leidenschaft werden. Und ich habe an vielen Bewerbungsgesprächen | |
teilgenommen. | |
Wie viele Leute haben Sie eingestellt? | |
Hunderte werden es im Laufe der Jahre schon gewesen sein. Die Motivation | |
ist bei den Bewerbungsgesprächen immer Thema. Viele sagen zwar, ich arbeite | |
gerne mit Menschen, aber das Hauptmotiv ist: Wie wird man am schnellsten | |
Beamter? | |
Nach welchen Kriterien haben Sie die Leute ausgewählt? | |
Im Frauenvollzug haben wir das immer im Team gemacht. Wir haben versucht, | |
Menschen zu finden, die kein hohes Strafbedürfnis haben und die in der Lage | |
sind, flexibel, überlegt und menschlich auf unterschiedliche Situationen zu | |
reagieren. Wir hatten und haben sehr fähige Leute. | |
Bei den Justizbediensteten – egal ob im Männer- oder Frauenknast – gibt es | |
einen extrem hohen Krankenstand. In der Berliner Verwaltung ist das mit der | |
höchste. Liegt das an mangelnder Zufriedenheit? | |
Das hat die Personalvertretung auch immer behauptet: Über5 Prozent der | |
Krankmeldungen seien managementbedingt. Ich glaube nicht daran. Ich glaube, | |
es liegt auch daran, dass es so einfach ist. | |
Sie meinen, sich krankschreiben zu lassen? | |
Ja. Wenn ich ein Problem auf der Station habe oder mit meinem Vorgesetzten, | |
bin ich erst mal drei Wochen weg. Man findet immer einen Arzt, Beamte sind | |
ja Privatpatienten. Und wenn ich wiederkomme, ist der oder die Inhaftierte | |
weg. Oder ich bin auf einer anderen Station. Nach dem Motto: Ist mir doch | |
egal. Die Anstalt wird es schon richten. Und wenn ich sogar zwei Jahre | |
krank sein kann, ohne dass ich dadurch einen finanziellen Verlust habe, | |
dann mache ich das auch. | |
Der Staat zahlt Beamten im Falle einer Krankmeldung zwei Jahre das volle | |
Gehalt weiter? | |
So ist es. Wohlgemerkt: Nicht alle machen das, und wenn man/frau den Job | |
ernst nimmt, kann das eine sehr belastende Arbeit sein. Es kommt auf den | |
Charakter an. Aber es gibt viele Menschen, sagen wir mal zehn Prozent, die | |
sagen: Warum nicht? Die anderen sind doch viel öfter krank als ich. | |
Die Knäste haben ein großes Personalproblem. Pankow ist deshalb für | |
eineinhalb Jahre geschlossen worden. Einer, der nie krank ist, fühlt sich | |
da vermutlich ausgebeutet. | |
Wenn wir fast 40 Prozent haben, die über 50 Tage im Jahr krank sind, und da | |
ist einer, der nie krank ist, sagt der sich doch irgendwann: Eigentlich bin | |
ich bescheuert. Aber da gibt es keine einfache Lösung. Das Dienstrecht und | |
die Rechtsprechung müssten sich ändern. | |
Sie haben sowohl im Männer- als auch im Frauenvollzug gearbeitet. Was | |
unterscheidet die Bediensteten? | |
Soll ich Ihnen das wirklich sagen? | |
Ja! | |
In Tegel kommt zum Beispiel das Gerücht auf, es gibt im Haus eine Waffe. Da | |
sträuben sich die Nackenhaare, das ist ein schwerwiegendes Problem. Man | |
diskutiert das Vorgehen mit den Bediensteten, und dann wird der Beschluss | |
umgesetzt. Die Mitarbeiter, die anderer Meinung sind, maulen vielleicht, | |
aber sie fügen sich. | |
Und in der Frauenanstalt? | |
Das erste Problem, das ich dort lösen musste, war: ob eine Bastelarbeit aus | |
dem Haftraum entfernt werden muss, weil sie die Übersichtlichkeit stört. | |
Nachdem ich zwei Stunden mit den Mitarbeiterinnen darüber diskutiert habe, | |
habe ich auf eine Entscheidung gedrängt. Punkt, aus. Ich dachte, dass es | |
damit erledigt war. War es aber nicht. Ich habe noch drei Wochen darüber | |
diskutieren müssen, warum ich so entschieden habe und nicht anders. | |
Was unterscheidet weibliche von männlichen Inhaftierten? | |
Frauen sind solidarischer, eine Subkultur wie bei den Männern mit einer | |
klaren Hierarchie habe ich nicht festgestellt. Dafür gibt es Zickenkrieg. | |
Die Frauen nennen das selbst so. | |
Ist das alles? | |
Wir haben nicht genug Wischschwämme und Wischmopps – auch das ist | |
vermutlich typisch Frauenvollzug. Aber das ist auch wichtig. Frauen legen | |
viel mehr Wert darauf als die Männer, dass ihre Umgebung schön aussieht. | |
Auch Kommunikation hat für Frauen eine andere Priorität. Frauen wollen | |
überzeugt werden. Männern ist das ab irgendeinem Punkt egal. | |
Wo hat man es als Anstaltsleiter leichter? | |
Der Männervollzug ist schwerer, wenn es um Gewalt, Waffen und | |
Ausbruchsversuche geht. Der Frauenvollzug ist anstrengender. | |
Zurück zum grünen Justizsenator. Behrendt will im Kriminalgericht Moabit | |
zwei Hochsicherheitssäle für Terrorismusprozesse bauen. Erinnert Sie das | |
nicht auch an die Aufrüstung in den Zeiten der RAF? | |
Durchaus. Aber lassen Sie mal einen von diesen islamistischen Terrorhelfern | |
fliehen. In Berlin sitzen ja einige in Haft. Da vergessen viele | |
Verantwortliche ganz schnell Recht und Gesetz und sagen, da darf nie was | |
passieren. Der soll lieber in einen besonders gesicherten Haftraum oder in | |
die Psychiatrie. So etwas wie der Suizid des Tatverdächtigen im Oktober in | |
Leipzig ist eine Katastrophe. Daran merken die Senatoren, dass man im | |
Strafvollzug eigentlich nur eine schlechte Presse haben kann. | |
Gute Presse ist unmöglich? | |
Ich glaube, ja. Gar keine Presse ist das Beste. Wenn gar nichts passiert. | |
Solche Diskussionen hatten wir übrigens auch schon mehr als einmal: dass | |
man sagt, unser Bild in der Öffentlichkeit müssen wir doch verbessern. | |
Was meinen Sie? | |
Ich glaube, das lässt sich gar nicht so verbessern. Versuchen Sie mal, das | |
Bild eines Totengräbers positiver zu gestalten – oder das eines Müllmanns. | |
Einspruch. Die Imagekampagne der Berliner Stadtreinigung „We kehr for you“ | |
hat gut einschlagen. | |
Na ja. Aber das wird nie die Qualität eines Arztes oder Polizisten haben. | |
Strafvollzug verkörpert nun mal das Böse. Das kriegt man aus den Köpfen | |
nicht raus. | |
30 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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