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# taz.de -- Berlins neuer Justizsenator im Interview: „Das sind Gefängnisse,…
> Mit Dirk Behrendt übernimmt ein linker Grüner die Senatsverwaltung für
> Justiz und Antidiskriminierung. Ist das das Ende aller Gefängnisse in
> Berlin?
Bild: Handys im Knast? „Bleiben verboten“, sagt Dirk Behrendt, Berlins grü…
taz: Herr Behrendt, was steht in Ihrem Vorstrafenregister?
Dirk Behrendt: Selbst wenn ich eines hätte – die Löschungsfrist gilt für
alle. Auch für Justizsenatoren.
Alles gelöscht? Nie beim Kiffen erwischt worden mit dem Grünen-Abgeordneten
Benedikt Lux?
Nein, es gab nichts zu löschen. Ich muss zwar als Senator – anders als die
Mitarbeiter, die hier in der Senatsverwaltung für Justiz anfangen – kein
polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Aber, wie gesagt, es gibt da auch
nichts zu verstecken.
Keine Angst, dass die Boulevardpresse Ihre Akte in die Hände bekommt?
Nein. Keine Angst. Ich habe Respekt vor meiner neuen Aufgabe.
Als Justizsenator haben Sie doch kaum Möglichkeiten, politisch zu glänzen.
Es gibt Gestaltungsspielräume, vor allem im Verbraucherschutzbereich – der
ja auch zum Profil gehört. Da habe ich einige Pläne, was die Kooperation
mit der Landwirtschaft in Brandenburg angeht.
Von Ihrem Vorgänger, Thomas Heilmann (CDU), ist vor allem der Bello-Dialog
– also der Umgang mit Hunden – in Erinnerung geblieben. Bei Ihnen werden es
die Schweine sein?
Schweinezucht wird es auch weiterhin in Berlin nicht geben (lacht). Mir
geht es darum, die Produktion von Lebensmitteln in Brandenburg und den
Berliner Markt enger zu vernetzen.
Das dürfte Ihnen nicht viel Aufmerksamkeit bringen.
In Berlin gibt es viele Menschen, für die Essen nicht nur Nahrungsaufnahme
ist. Die Foodszene wird uns schon ganz genau beobachten. Und es geht ja
weiter. Umfangreiche Gestaltungsmöglichkeiten bestehen auch im Bereich
Antidiskrimierung, der ja künftig ebenfalls in mein Ressort fällt: Die
LGBTTIQ*-Projekte und die Projekte gegen rechts werden jetzt über mein Haus
gefördert.
Haben Sie konkrete Pläne?
Wir sind zum Beispiel dabei, ein schwul-lesbisches Jugendzentrum in die
Spur zu bringen. Außerdem wollen wir die Beratungsstelle für
Diskriminierung im Wohnungsmarkt voranbringen.
Bisher haben Sie den Bereich Justiz noch gar nicht erwähnt. Können Sie da
was rocken?
Wir müssen die Justiz fit machen für das 21. Jahrhundert, hier besteht
Nachholbedarf. Wir arbeiten in der Justiz teilweise immer noch mit
Computerprogrammen aus den 90er Jahren.
Bevor Sie 2006 erstmals ins Abgeordnetenhaus gewählt wurden, waren Sie
Richter.
Mir war immer wichtig, auch einen Beruf neben der Politik zu haben.
Welche Richterämter haben Sie ausgeübt?
Ich war an verschiedenen Gerichten tätig: Amtsgericht Mitte, Amtsgericht
Tempelhof-Kreuzberg, in Köpenick. Dort habe ich viele verschiedene Sachen
gemacht: Nachlassangelegenheiten, Wohneigentumsverfahren, Betreuungssachen
und anderes. Einen Teil meiner Probezeit als Richter habe ich auch hier in
diesem Büro verbracht – als Referent von Wolfgang Wieland, 2001, damals
Justizsenator.
Wann waren Sie zum letzten Mal im Männerknast Tegel?
Wohl im September. Auf jeden Fall nach dem Sommer. Ich habe auch als
Abgeordneter ein offenes Ohr für die Belange der Gefangenen gehabt.
Woher kommt Ihr Engagement für Knäste?
Ich bin in Reinickendorf aufgewachsen als Sohn eines Sozialarbeiters, der
vor allem im Gefängnis gearbeitet hat. Ich kann mich noch erinnern, wie er
mich im Alter von fünf oder sechs Jahren mal mitnahm in die
Jugendstrafanstalt. Wie da diese großen Tore aufgeschlossen wurden, diese
riesigen Schlüsselbunde mit den vielen Schlüsseln – das ist mir als
Erinnerung noch sehr präsent. Das war ein Eindruck von einer Welt, die man
ja sonst nicht kennt.
Haben Sie zu Hause viel geredet über die Lage in den Knästen?
Wir haben eher allgemein politisch diskutiert, ich komme ja aus einem
SPD-Elternhaus. Meine Eltern sind wegen Willy Brandt in die SPD
eingetreten.
Heute vertreten Sie die linken Grünen im Senat. Was ist linke
Strafvollzugspolitik?
Wir wollen linke Reformpolitik machen. Im Bereich der Gefängnisse wollen
wir ein noch stärkeres Augenmerk auf die Resozialisierung der Häftlinge
legen. Damit sie, wenn sie aus dem Gefängnis kommen, möglichst ein Leben
ohne Straftaten führen.
Das sind doch Worthülsen!
Nein, wir wollen ganz konkret die Aspekte der Resozialisierung auch im
Strafvollzugsgesetz stärker verankern und die Projekte, die es schon gibt,
etwa für ein besseres Übergangsmanagement, ausweiten. Da geht es um die
Vermittlung einer Wohnung und eines Jobs und dass der entlassende Gefangene
auch draußen einen Ansprechpartner hat. Das klingt alles nach langweiliger
Reformpolitik, und Sie können sagen, hier wären umwälzende Veränderungen
nötig…
… das hatten wir eigentlich von Ihnen erwartet…
… aber ich will auch meinen Handlungsspielraum aufzeigen: Strafgesetzbuch
und Strafprozessordnung sind Bundesrecht. Dieser Rahmen ist mir und dieser
Regierung vorgegeben. Ich setze aber auch auf die Zusammenarbeit mit den
drei anderen grünen Justizministern. Mittlerweile gibt es ja mehr grüne als
SPD-Justizminister. Vielleicht können wir im inneren Sicherheitsdiskurs den
einen oder anderen Pflock einschlagen.
Aber Sie haben doch auch in Berlin Spielräume. Was ist mit Internet im
Knast?
In dieser Legislaturperiode wird die erste E-Mail aus dem Gefängnis kommen
– weil die Häftlinge dann Rechner fürs Mailen benutzen können.
Also freier Internetzugang in den Knästen?
Nein, ganz so weit wird es nicht gehen. Vermutlich werden in mehreren
Stufen Internetseiten freigegeben. Es ist ja nicht wirklich zu erklären,
dass Menschen im Gefängnis zwar ein taz-Abo haben können, aber die taz
nicht online lesen dürfen. Das gilt dann auch für Bereiche wie Fortbildung;
schon jetzt gibt es ja einen Zugang zur Fernuni. Eine weitere Stufe ist die
Arbeits- und Wohnungssuche, die findet heute im Internet statt. Gefangene
können da nicht mitmachen. Und es geht auch um den Zugang zu sozialen
Netzwerken. Letzteres wird man aber nur mit einer Infrastruktur hinkriegen,
die auch eine Kontrolle ermöglicht.
Sicherheit geht also vor?
Mit dem Internet bietet sich eben auch die Möglichkeit, neue Straftaten zu
begehen. Und der Ebay-Betrüger soll seine Betrügereien nicht aus dem
Gefängnis wieder aufnehmen können. Von anderen hässlichen Formen der
Kriminalität will ich gar nicht reden.
Was ist mit Handy im Knast?
Sind verboten. Und bleiben verboten!
Der Knastzeitung Lichtblick haben Sie vor einiger Zeit ein Interview
gegeben und gesagt: „Ein guter Strafvollzug hängt am guten Personal.“ Wird
es mehr Personal geben?
Viele Mitarbeiter werden in Kürze pensioniert. Wir werden uns strecken
müssen, diese Lücken aufzufüllen. Wir werben bereits intensiv um
Nachwuchskräfte. Ob es letzten Endes mehr Personal geben wird, wird auch
davon abhängen, ob es uns gelingt, genügend Auszubildende zu gewinnen.
Sie haben mal gesagt, Sie wünschen sich, dass alle Knäste so wären wie der
Frauenknast in Lichtenberg. Was ist daran so toll?
Also erst mal sind das Gefängnisse.
Wie bitte?
Gefängnisse, keine Knäste.
Ach so.
Das ist so eine Veränderung bei mir: Wir betreiben in Berlin Gefängnisse.
Was ist denn nun besonders am Frauenknast?
Das bezog sich auf die Sozialtherapie Neukölln …
… der Frauenknast ist in vier Standorte unterteilt.
Genau. Die Sozialtherapie befindet sich in Neukölln. Das ist eine kleine
Einheit mitten in einem Wohngebiet mit hoher Betreuungsquote, was das
Personal angeht. Das würde ich mir überall wünschen – es ist allerdings
wenig realistisch, dass es umgesetzt wird in den nächsten 50 Jahren, weil
es sehr, sehr teuer wäre. Und es gibt ja noch andere Dinge, die diese
Koalition angehen will und die Geld kosten: Schulsanierung,
Hochschulsanierung etc.
Weg von der Utopie, hin zum Berliner Chaos: Was wird aus den vielen
Cannabis-Strafverfahren wegen geringfügiger Menge, die noch als
Hinterlassenschaft von Frank Henkels Nulltoleranzzone im Görlitzer Park bei
der Staatsanwaltschaft liegen?
Da werde ich den kurzen Draht mit SPD-Innensenator Andreas Geisel nutzen.
Wir werden schauen, wie wir das angehen können.
Diese vielen Verfahren einzustellen wäre ein Signal, so ähnlich wie Ihr
Schwarzfahrerprojekt. Was genau haben Sie da vor?
Rund 400 Leute verbüßen derzeit Ersatzfreiheitsstrafen, die Hälfte davon
sind Schwarzfahrer. Sie gehören nicht ins Gefängnis: Sie wurden ja nicht zu
einer Haftstrafe verurteilt, sondern zu einer Geldstrafe. Viel häufiger als
bisher soll künftig Strafe durch soziale Arbeit abgeleistet werden.
Am Verwaltungsgericht stapeln sich die Klagen syrischer Flüchtlinge. Was
gedenken Sie da zu tun?
Die Masse der Verfahren ist erst ab Oktober eingegangen. Dabei geht es um
die Familienzusammenführungen, weil sich die Spruchpraxis des Bundesamts
für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geändert hat. Das Amt gewährt den
Syrern nur noch den eingeschränkten Schutzstatus …
… das heißt, alle bekommen nur noch ein Jahr.
Jetzt klagen die Flüchtlinge auf einen besseren Schutzstatus, damit die
Familien schneller nachkommen können. Ich würde mir eine politische Lösung
wünschen.
Wie sollte die aussehen?
Dass das BAMF zur alten Spruchpraxis zurückkehrt. Die Gerichte müssen die
falschen politischen Entscheidungen ausbaden. Aber wir werden an den
Verwaltungsgerichten zügig Personal nachbesetzen.
Ihr CDU-Vorgänger hatte die Stellen ja schon aufgestockt.
Ja, um sieben Stellen. Der Plan ist auf alle Fälle, dass es im nächsten
Jahr mehr Personal geben soll.
Ihr Lebenspartner Daniel Wesener ist seit September Mitglied des
Abgeordnetenhauses und damit der Legislative, kontrolliert also die
Exekutive. Haben Sie einen Deal, wie Sie dieses Spannungsverhältnis im
Privaten auflösen wollen?
Vor der Wahl war Daniel Wesener der Landesvorsitzende der Grünen und hat
die Fraktion kontrolliert. Und ich war Abgeordneter. Jetzt haben wir einen
Rollenwechsel gemacht: Er ist ins Parlament gegangen, ich in die Exekutive.
Von daher ist das ein bisschen vergleichbar mit der vorherigen Situation.
Wir machen beide Politik, haben aber immer darauf geachtet, dass wir das
nicht in einem Gremium machen.
Vorher war das eine parteiinterne Frage. Als Justizsenator wissen Sie am
besten, wie wichtig die Gewaltenteilung ist.
Ich sehe da keinen Konflikt. Herr Wesener wird auch nicht im Bereich der
Rechtspolitik tätig werden, das steht fest.
Ihre Nominierung als Senator hat viele Realo-Grünen verärgert.
Ich kann mir keine Partei vorstellen, bei der Personalentscheidungen nicht
zu Diskussionen führen.
Sie galten als Provokateur.
Das ist entschieden. Mit breiter Mehrheit. Und jetzt gehen wir die Probleme
der Stadt an.
Sie sehen sich nicht mehr als Provokateur?
Das ist entschieden. Mit breiter Mehrheit.
Wir erkennen Sie gar nicht wieder!
Ich habe ja auch einen neuen Anzug.
20 Dec 2016
## AUTOREN
Plutonia Plarre
Bert Schulz
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