# taz.de -- Schwarze Filmgeschichte in den USA: Jagd auf Zombies, Jagd auf Schw… | |
> Der Dokumentarfilm „Horror Noire: A History of Black Horror“ von Xavier | |
> Burgin zeichnet Veränderungen in der US-Gesellschaft nach. | |
Bild: Ken Foree und Keith David sehen in „Horror Noire“ schwarzen Horror au… | |
Eine Urszene schwarzer Figuren im US-Horrorfilm stammt aus David Wark | |
Griffiths filmischer [1][Ku-Klux-Klan]-Huldigung „Birth of a Nation“ von | |
1915. Der freigelassene und kurz zuvor beförderte „schwarze“ Soldat Gus | |
(gespielt vom weißen Schauspieler Walter Long mit Blackfacing) erklärt der | |
weißen Flora, dass er sie heiraten möchte. Flora flieht vor Gus durch einen | |
Wald, bis sie vor einer Klippe steht. Als Gus nicht stehen bleibt, springt | |
Flora in den Tod. Floras Bruder Ben beobachtet die Szene, kurz darauf wird | |
Gus vom Ku-Klux-Klan gelyncht. | |
Griffiths Film ist einer der notorischsten Filme der US-amerikanischen | |
Filmgeschichte. Der Film zeigt den Aufstieg des Ku-Klux-Klan in der Zeit | |
nach dem US-amerikanischen Bürgerkrieg. Während der Film technisch ein | |
Meilenstein ist und ein großer Erfolg war, den sich sogar der damalige | |
US-Präsident Woodrow Wilson im Weißen Haus vorführen ließ, begründete er | |
zugleich zahlreiche filmische Klischees in der Darstellung der schwarzen | |
Bevölkerung der USA. | |
In Xavier Burgins Dokumentarfilm „Horror Noire: A History of Black Horror“ | |
ist Griffiths Film der Ausgangspunkt für eine Filmgeschichte des schwarzen | |
Horrorfilms. Wie die Literaturwissenschaftlerin Tananarive Due, eine der | |
Gesprächspartnerinnen Burgins, klarstellt: „‚Birth of a Nation‘ war ein | |
Horrorfilm, besonders, wenn man schwarz war.“ | |
Burgin übernimmt für seinen Film den Titel der Doktorarbeit der | |
Filmwissenschaftlerin Robin R. Means Coleman und folgt dem Buch als | |
Leitfaden. Dafür wählt er eine recht konventionelle Form: Filmausschnitte | |
wechseln sich mit Gesprächen mit Regisseur:innen und Schauspieler:innen | |
sowie Filmwissenschaftler:innen ab. Im Wechselspiel dieser Elemente fräst | |
sich der Film durch ein Jahrhundert Filmgeschichte. | |
[2][Jordan Peeles „Get Out“] von 2018 bildet den Zielpunkt von Burgins | |
Film. Mit dem Erfolg von „Get Out“ öffneten sich die Türen für schwarze | |
Filmemacher:innen, die den Horrorfilm als Form nutzen wollten, um die | |
Konflikte der US-Gesellschaft zu reflektieren. Nach der Premiere des Films | |
2018 schien der Film wie ein perfekter Kommentar des veränderten Bilds von | |
der US-Gesellschaft. | |
## Der Horrorfilm als Ventil unserer Ängste | |
Peele selbst spricht in „Horror Noire“ von Horrorfilmen als „Ventilen für | |
unsere Ängste“. Zugleich markiert der Film in der Geschichte des schwarzen | |
Horrorfilms eine einschneidende Veränderung: Als sie „Get Out“ im Kino | |
gesehen habe, so Tananarive Due, sei ihr aufgefallen, dass auch das weiße | |
Publikum mit dem schwarzen Protagonisten mitfiebert. | |
Burgins Gesprächspartner:innen sind sich einig: Schwarze | |
Protagonist:innen sind im Mainstream-Genrefilm heute verbreiteter als | |
je zuvor und werden anders als in früheren Jahrzehnten auch von einem | |
weißen Publikum akzeptiert. Das erhöht die Auswertungsmöglichkeiten | |
erheblich. | |
Zwischen „Birth of a Nation“ und „Get Out“ liegt ein Schnelldurchgang d… | |
die Geschichte des schwarzen Horrorfilms von den 1930er Jahren bis in die | |
Gegenwart. In all den Jahrzehnten waren Horrorfilme in den seltenen Fällen, | |
in denen schwarze Regisseure Regie führen durften oder die Filme als | |
Autor:innen prägen konnten, eine Gelegenheit, Alltagsszenen in die | |
Horrorhandlung einzuweben. | |
So konnte Spencer Williams schon 1940 als Drehbuchautor von „Son of Ingagi“ | |
Szenen aus dem Leben der schwarzen Mittelschicht in die Handlung einweben. | |
Williams drehte etwa ein Dutzend Regiearbeiten und hatte später als | |
Fernsehkomiker Erfolg. Dass er in „Horror Noire“ als oft übersehener | |
Vorläufer des modernen schwarzen Kinos präsentiert wird, ist eine der | |
interessantesten Thesen des Films. | |
Erwiesen sich die 1930er und 1940er Jahre als überraschend ergiebig für die | |
Geschichte des schwarzen Horrorfilms, erscheinen die 1950er und die frühen | |
1960er Jahre in „Horror Noire“ als Brache. In der Nachkriegseuphorie der | |
USA und dem Wissenschaftsjubel des Atomzeitalters war kein Platz für | |
vielschichtige Repräsentationen von nichtweißen Menschen. | |
## Der schwarze Hauptdarsteller bei George A. Romeros | |
Einen Wendepunkt entdeckt der Film in [3][George A. Romeros] Zombiefilm | |
„Night of the Living Dead“ von 1968. Seine Bedeutung liegt vor allem darin, | |
dass der Film einen schwarzen Hauptdarsteller hat. Die Geschichte ist | |
einfach: Eine Gruppe Menschen verschanzt sich in einem Haus, das umringt | |
ist von Zombies. Zugleich wird zur Jagd auf die Zombies aufgerufen. | |
Dabei evozieren die Schwarz-Weiß-Bilder Parallelen zu den damaligen realen | |
Übergriffen der Polizei gegen die schwarze Bürgerrechtsbewegung vor allem | |
im Süden der USA. Genau dies ist die Stärke von „Night of the Living Dead�… | |
Verschiedene Ereignisse und Phänomene seiner Entstehungszeit sind in | |
verfremdeter Form in den Film eingegangen. | |
Demgegenüber erwiesen sich die Blaxploitation-Filme der 1970er Jahre, mit | |
denen Filmproduktionsfirmen versuchten, ein schwarzes, städtisches Publikum | |
als Publikum zu gewinnen, als mittelfristig zwiespältig. Einerseits boten | |
sie einer ganzen Generation schwarzer Schauspieler:innen die | |
Möglichkeit, so viele Rollen zu spielen wie selten zuvor, andererseits | |
waren die Rollen auf Stereotype wie Zuhälter, Gangster und Prostituierte | |
beschränkt. | |
Wie groß das Potenzial eigentlich war, zeigt sich an einer Handvoll Filme, | |
bei denen schwarze Regisseure Regie führen durften – allen voran William | |
Crains „Blacula“ von 1972. Crain schloss Ende der 1960er Jahre sein | |
Filmstudium an der University of California in Los Angeles ab, zeitgleich | |
mit einer Reihe von Regisseuren der sogenannten L. A. Rebellion. Doch | |
während die Kommilitonen offen sozialkritische Filme drehten, realisierte | |
Crain einige wenige Horrorfilme. | |
„Blacula“ ist ein Vampirfilm. Der afrikanische Prinz Mamuwalde bittet im | |
18. Jahrhundert Graf Dracula, ihm zu helfen, den Sklavenhandel zu beenden. | |
Dracula lehnt ab und verwandelt Mamuwalde in einen Vampir. Mamuwaldes Sarg | |
kommt 1972 nach Los Angeles, der Sarg wird geöffnet, und Mamuwalde stürzt | |
sich ins Getümmel. Ein Jahr darauf folgte eine Fortsetzung mit dem Titel | |
„Scream, Blacula, Scream“, in dem Pam Grier Blacula durch Voodoo von dem | |
Fluch befreit, als Vampir leben zu müssen. | |
## Die konservative Wende nach der Wahl Ronald Reagans | |
Sofern durch die schwarzen Horrorfilme der 1970er Jahre bei | |
Filmemacher:innen leise Hoffnung aufgekommen war, zerplatzte diese in | |
den 1980er Jahren schnell wieder. Die konservative Wende, die mit der Wahl | |
Ronald Reagans einherging, drängte auch schwarze Schauspieler:innen im | |
Horrorfilm zunächst wieder an den Rand. | |
Das änderte sich Anfang der 1990er Jahre mit Filmen wie Bernard Roses | |
„Candyman“. Ein Gelynchter aus der Zeit nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg | |
wird im Chicago der Gegenwart lebendig und beginnt zu morden. Der Erfolg | |
des Films hing nicht zuletzt mit der Verkörperung der Hauptrolle durch den | |
schwarzen Schauspieler Tony Todd zusammen. Bis Mitte der 1990er gab es | |
zwei Fortsetzungen, aktuell ist ein Remake des Films in Arbeit. | |
Mitte der 1990er Jahre folgte Rusty Cundieffs Episodenfilm „Tales from the | |
Hood“, der sich in den vier Episoden des Films vier Problemfeldern aus dem | |
schwarzen Alltag der 1990er Jahre annahm: die Polizeigewalt, die häusliche | |
Gewalt, der Rassismus der US-amerikanischen Politik und die Gewalt der | |
Gangs. | |
Xavier Burgins Film zeichnet am Beispiel der Geschichte des schwarzen | |
Horrorfilms eine zentrale Veränderung der Darstellung der schwarzen | |
Bevölkerung der USA nach. Von den Zerrbildern der Anfangszeit, in denen | |
weiße Schauspieler dunkel geschminkt Stereotype verkörperten, über die | |
zaghaften emanzipatorischen Ansätze der 1940er Jahre verlief der Kampf um | |
eine weniger verzerrte Darstellung im Kino parallel zu den | |
gesamtgesellschaftlichen politischen Entwicklungen. | |
Diese These ist nicht ganz überraschend. Die größte Schwäche von Burgins | |
Film ist, dass die Äußerungen der Filmemacher:innen und | |
Schauspieler:innen bisweilen arg auf die Illustration der | |
filmwissenschaftlichen Thesen von Robin R. Means Coleman reduziert werden | |
und die Länge der Interviews nur selten komplexe Argumentationen aufkommen | |
lässt. | |
Alles in allem ist „Horror Noire“ aber trotz der unspektakulären Form ein | |
ausgesprochen interessanter und sehenswerter Film, der durch seine | |
Ausschnitte nicht zuletzt Lust macht, die Geschichte des schwarzen | |
Horrorfilms selbst nachzusehen. | |
15 Oct 2020 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
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