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# taz.de -- Rechte Gewalt: Poesie des Antifaschismus
> Die jüngsten Gewaltexzesse von Rechtsextremen wecken Erinnerungen an die
> brutalen Baseballschägerjahre. Doch Geschichte muss sich nicht
> wiederholen.
Bild: Es ist noch nicht zu spät, um eine Wiederholung der Geschichte zu verhin…
Jeden Tag nähert sich die Gegenwart ein bisschen mehr an die 1990er Jahre
an. Und das nicht nur, weil junge Menschen wieder bauchfreie Tops, Choker
und Baggy Jeans tragen und Eurodance hören. Auch politisch erinnern die
Nachrichten aus Brandenburg dieser Tage schwer an die brutalen
Baseballschlägerjahre, als in der Nachwendezeit rechte Banden in
Ostdeutschland Linke und Menschen mit Migrationshintergrund jagten:
Eine Gruppe junger Männer greift am vergangenen Wochenende [1][eine
Flüchtlingsunterkunft in Stahnsdorf an] und verletzt einen Wachmann, der
sich ihnen in den Weg stellt. Anfang März überfallen 35 Neonazis [2][einen
linken Jugendclub in Senftenberg]. Ende Februar wird ein Schwarzer in
Cottbus von zwei vermummten Männern rassistisch beleidigt, verfolgt und
tätlich angegriffen. Mitte Februar wird ein junger Mann festgenommen, der
einen [3][Anschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft in Senftenberg] geplant
hat, bei ihm werden Kugelbomben gefunden. An anderen Orten in Brandenburg
werden meterhohe Hakenkreuze gesprüht, die Angst und Schrecken verbreiten.
Auch im vermeintlich so weltoffenen Berlin häufen sich die Meldungen über
rassistische und rechte Übergriffe. Erst am vergangenen Wochenende wird in
Lichtenberg ein 16-jähriger Antifaschist von 15 [4][Neonazis durch die
Straßen gejagt]. Bereits zuvor waren Steckbriefe von ihm aufgetaucht.
Das sind nur einige der Horrormeldungen aus den vergangenen vier Wochen.
Begleitet werden sie von einer rassistischen Debatte, die ebenfalls stark
an die frühen 90er Jahre erinnert: CDU und SPD hetzen gegen Geflüchtete,
machen Migrant*innen zum Sündenbock für alle sozialen Probleme und
[5][legen die Axt an das Asylrecht] – beziehungsweise an das, was davon
noch übrig geblieben ist. Mit freundlicher Unterstützung der rechtsextremen
AfD, die angesichts des zunehmenden Rechtsrucks mehr und mehr an Zustimmung
gewinnt.
## Neue alte Zeit
Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich, lautet ein bekanntes
Sprichwort. In diesen Tagen gleicht die Geschichte einem Kindervers:
Wirtschaftliche Probleme und damit verbundene Abstiegsängste führen in der
Nachwendezeit zu gesellschaftlichen Spannungen, die sich durch den hohen
Zuzug von Schutzsuchenden und die in Ost und West gleichermaßen
gescheiterte Integrationspolitik noch verschärfen.
Statt Lösungen zu suchen, lenkt die Politik von ihrem sozialpolitischen
Versagen und der massiven gesellschaftlichen Umverteilung von Ost nach West
und von Unten nach Oben mittels rassistischer Narrative ab. Die Folge: Ein
massiver Rechtsruck in der Gesellschaft.
Wo das in den 90ern endete, ist bekannt: Eine breite Welle rechter Gewalt,
die schließlich in die Pogrome in Rostock, Hoyerswerda und Mölln mündete.
Statt gegen Rechtsextremismus und Rassismus klare Kante zu zeigen,
Solidarität mit von rechter Gewalt Betroffenen zu demonstrieren und aktiv
für eine offene, menschenfreundliche Gesellschaft einzutreten, befeuerte
die Bundesregierung Hass und Hetze noch: Ungeachtet der
Massendemonstrationen gegen den Rechtsruck schafften SPD, CDU und FDP das
deutsche Asylrecht 1993 de facto ab.
Nur drei Tage später, am 29. Mai 1993, starben fünf Menschen türkischer
Abstammung bei einem rechtsradikalen Brandanschlag in Solingen.
## Das Ende der Ohnmacht
Die Geschichte erscheint als Plagiat ihrer selbst. Wieder wird von rechts
gehetzt, gejagt und gemordet. [6][Wieder trifft es Migrant*innen in
Solingen.] Menschen mit Migrationsgeschichte und Linke sind vielerorts
nicht mehr sicher, der Staat hält sich das rechte Auge zu. Weil Appelle an
die Menschlichkeit nichts bringen, wird die kapitalistische
Verwertungslogik angeführt und [7][Rassismus als Standortnachteil
kritisiert]. Die pure Verzweiflung hat sich breit gemacht.
Dabei gibt es noch mehr Lehren, die aus den 90er Jahren gezogen werden
können: Antifaschismus lohnt sich. Letztlich war es eine solidarische
Zivilgesellschaft, die sich entschlossen gegen Rechts gestellt hat, die,
flankiert von einem Erstarken der Antifa zu einer großen Bewegung, zu einem
Ende der Baseballschlägerjahre geführt hat. Rechtsextremismus war damit
zwar nicht verschwunden, aber auch keine Massenbewegung auf Straßen und
Schulhöfen mehr.
Noch ist es nicht zu spät, um zu verhindern, dass der nächste Reim der
Geschichte im Volksmund des Nationalsozialismus daherkommt.
15 Mar 2025
## LINKS
[1] /Welle-rechter-Gewalt/!6071615
[2] /Rechter-Angriff-auf-Jugendclub/!6070293
[3] /Rechtsextremismus-in-Ostdeutschland/!6069548
[4] /Welle-rechter-Gewalt/!6071615
[5] /Asylplaene-von-SPD-und-Union/!6071792
[6] /Der-rechtsextreme-Taeter-von-Solingen/!6071625
[7] /Asylplaene-von-SPD-und-Union/!6071792
## AUTOREN
Marie Frank
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