| # taz.de -- Proteste gegen die AfD: Antifaschismus ist wieder „in“ | |
| > Tausende Menschen stellen sich dem Rechtsruck entgegen. Initiativen | |
| > schmieden Bündnisse, organisieren Proteste und diskutieren über ein | |
| > AfD-Verbot. | |
| Bild: Vor dem Brandenburger Tor demonstrierten am Sonntag 25.000 Menschen gegen… | |
| Berlin taz | Fast fünf Jahre ist es her, als das letzte Mal so viele | |
| Menschen gegen die AfD und den gesellschaftlichen Rechtsruck in Berlin auf | |
| die Straße gingen wie an diesem Sonntag. Damals hatte zunächst im Mai eine | |
| bundesweite AfD-Demonstration den massiven Protest der Zivilgesellschaft | |
| mobilisiert: [1][Mindestens 25.000 Menschen, nach Angaben der Veranstalter | |
| gar dreimal so viele], waren den Aufrufen der Clubszene und anderer Akteure | |
| gefolgt. Nach den rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz folgte im | |
| Oktober 2018 der Protest des Unteilbar-Bündnisses mit mehr als 200.000 | |
| Teilnehmer:innen. | |
| Doch danach blieben annähernd große Mobilisierungen aus, trotz der weiteren | |
| Radikalisierung der AfD zu einer Partei, in der der faschistische Flügel | |
| den Ton angibt, trotz Wahlerfolgen in Serie und ihrem Aufstieg zur | |
| stärksten Partei in den ostdeutschen Bundesländern samt der Übernahme | |
| erster kommunalpolitischer Machtposten. Als im Oktober 2022 [2][erneut | |
| 10.000 AfD-Anhänger:innen im Regierungsviertel zusammenkamen], war vom | |
| Gegenprotest kaum mehr etwas zu vernehmen: Antifaschistische und | |
| zivilgesellschaftliche Strukturen schauten wie gelähmt auf die Rechten, die | |
| inzwischen offen von der Machtübernahme träumen. | |
| Seit diesem Wochenende aber ist das vorbei. [3][25.000 Menschen vor dem | |
| Brandenburger Tor und 10.000 in Potsdam zeigen]: Der Rechtsruck muss kein | |
| Naturereignis sein, dem man nur staunend beiwohnen kann. Es sind viele, die | |
| jetzt aktiv sein wollen, weil sie mit großer Sorge auf die bevorstehenden | |
| Wahlen für das Europaparlament und die Landtage in Brandenburg, Sachsen und | |
| Thüringen blicken. | |
| In die Lücke, die durch die Auflösung von Unteilbar und die | |
| Handlungsunfähigkeit antifaschistischer Vernetzungen entstanden ist, stoßen | |
| dabei nun andere Akteure, wie etwa Fridays for Future, die den Protest am | |
| Sonntag initierten. Der Startschuss für die Proteste machte derweil eine | |
| [4][Kundgebung am Freitagabend vor dem Kanzleramt], auf der bis zu 1.000 | |
| Menschen die Prüfung eines AfD-Verbots forderten. | |
| Ein loses Bündnis aus Einzelpersonen hatte sich nach der | |
| [5][Correctiv-Recherche über rechte Deportationspläne] über die sozialen | |
| Meiden zusammengefunden und den spontanen Demo-Aufruf gestartet. Man wollte | |
| die „Initialzündung“ sein, sagt Gruppensprecher Justus Hirsch der taz. Dies | |
| hätte „gut funktioniert“. Die namenlose Gruppe plant bereits die nächste | |
| Demonstration, um ihrem Anliegen des Parteiverbots Nachdruck zu verleihen. | |
| ## Neues Bündnis entsteht | |
| Der Druck aus der Zivilgesellschaft muss größer werden. Da ist sich auch | |
| Tareq Alaows vom neuen Bündnis Hand in Hand #Wirsinddiebrandmauer sicher, | |
| das sich am Mittwoch der Öffentlichkeit vorstellen will. Seit dem | |
| vergangenen Jahr arbeite man am Aufbau einer großen Struktur, „um den | |
| anhaltenden Rechtsruck zu bekämpfen“, wie Alaows sagt. Mittlerweile zählt | |
| das Bündnis über 120 Organisationen, von Pro Asyl über Aufstehen gegen | |
| Rassismus bis Fridays for Future Berlin. Die Auftaktveranstaltung ist für | |
| den 3. Februar geplant: eine Menschenkette um den Bundestag. „Wenn die | |
| politische Brandmauer bröckelt, dann sind wir in der Zivilgesellschaft eure | |
| Brandmauer“, sagt Alaows. | |
| Das Bündnis tritt für eine deutlichere Abgrenzung der demokratischen | |
| Parteien von der AfD ein. Wichtig sei es, so Aloaws, sich nicht an den | |
| politischen Themen der Rechten abzuarbeiten, sondern ernsthafte Debatten | |
| über die Bewältigung der multiplen Krisen unserer Zeit zu führen. | |
| Froh über die neue Aufbruchstimmung ist man bei den Berliner Omas gegen | |
| Rechts: „Ich hoffe, das ist jetzt der Wendepunkt im Kampf gegen die AfD“, | |
| sagt Renate Christians. Überrascht seien die Omas von dem „Geheim-Treffen“ | |
| mit Nazis und den „Remigrationsplänen“ nicht. Über diese hätte schon der | |
| Thüringer AfD-Chef Björn Höcke in seinem Buch geschrieben. | |
| Christians sagt, die neueste Recherche habe viele Menschen von ihren Sofas | |
| runter auf die Straße geholt: „Auch wir Omas haben jetzt großen Zulauf, es | |
| gibt viele neue Interessenten“. Bei der Demo am Sonntag seien sie zudem von | |
| Menschen aus Brandenburg angesprochenen worden, die dort jetzt Strukturen | |
| gegen rechts aufbauen wollen. | |
| ## Brandenburg braucht Hilfe | |
| Auch bei der Initiative „Kein Raum der AfD“ schaut man nach Brandenburg: | |
| „Es ist nicht viel schwerer nach Oranienburg zu fahren als zum | |
| Brandenburger Tor“, so ein Sprecher zur taz. Die Gruppe plädiert dafür, die | |
| AfD im Lokalen zu stellen, „beim Straßenwahlkampf und bei | |
| Festveranstaltungen“. In der Vergangenheit hatte man oft erfolgreich | |
| bereits im Vorfeld gegen geplante AfD-Parteitage interveniert, aber zuletzt | |
| sei die „Brandmauer gebröckelt“, falle es der AfD einfacher Räume zu | |
| mieten, etwa in Bezirksrathäusern. | |
| Seit dem gescheiterten Protest gegen den AfD-Parteitag in Biesdorf 2021 ist | |
| es für die Initiative immer schwieriger geworden, Proteste zu organisieren: | |
| „Wir haben lange in den Wald hineingeschrien, ohne dass da was zurückkam.“ | |
| Dabei habe es Anlässe genug gegeben: So habe im Wilmersdorfer Restaurant | |
| „Grüne Lampe“ im Sommer vergangenen Jahres [6][Martin Sellner, Kopf der | |
| Identitäten Bewegung, sein Buch vorgestellt. Im Publikum: | |
| Protagonist:innen der Berliner AfD.] | |
| In der Berliner AfD ist trotz des zurückhaltenderen Stils der Vorsitzenden | |
| Kristin Brinker die Grenze zur völkisch-nationalistischen Strömung längst | |
| verwischt. Brinker hat die rechtsextremen Netzwerke eingebunden und sich | |
| damit zweimal bereits ihre Wahlen zur Landesvorsitzenden gesichert. Der | |
| ehemalige Flügel-Obmann Thorsten Weiß sitzt im Fraktionsvorstand, ebenso | |
| sind ehemalige Flügel-Leute im Landesvorstand aktiv. | |
| In einem Lokal am Rande von Berlin in Hoppegarten finden immer wieder | |
| Vernetzungstreffen, Vorträge und „Bürgertreffs“ der AfD, völkischer | |
| Aktivist*innen und Neonazis statt. So veranstaltete der Flügel-Obman | |
| Weiß dort im Oktober 2022 [7][eine Veranstaltung mit Höcke], zuletzt lud | |
| die extrem rechte [8][Junge Alternative Brandenburg dort zu einer | |
| Jahresabschlussfeier]. Gäste und Programm erinnerten dabei an ein | |
| klassisches Rechtsrock-Konzert. | |
| Ein Unikum ist die AfD Berlin, weil sie eine mutmaßliche Rechtsterroristin | |
| auf ihrer Wahlliste bei der Berliner Wiederholungswahl stehen hat. Weil | |
| dieselbe AfD-Landesliste wie zur Bundestagswahl 2021 zum Zuge kommen muss, | |
| ist die vor gut einem Jahr als Reichsbürger-Verschwörerin festgenommene | |
| ehemalige Bundestagsabgeordnete, Birgit Malsack-Winkemann, erneut für die | |
| AfD wählbar – obwohl diese derzeit im Gefängnis sitzt. | |
| ## Debatte über AfD-Verbot | |
| Gute Argumente eigentlich für eine Initiative für ein AfD-Verbotsverfahren. | |
| Die Debatte über ein Parteiverbot hatte das Künstlerpolitkollektiv | |
| [9][Zentrum für politische Schönheit im November angestoßen, als sie Olaf | |
| Scholz (SPD) die Verkündung eines Verbotsantrags in den Mund legten]. Doch | |
| die schwarz-rote Koalition in Berlin, die einen entsprechenden Antrag im | |
| Bundesrat stellen könnte, will davon – zumindest derzeit – wenig wissen. | |
| So warnt der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Martin Matz, vor | |
| Schnellschüssen. „Das muss man sehr, sehr genau prüfen. Wenn man ein | |
| solches Verfahren anfängt, sollte man sich vorher schon recht sicher sein, | |
| dass das auch was wird“, sagt Matz zur taz. | |
| Dass der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) jetzt gegenüber dem | |
| Tagesspiegel als „gemeinsame Kraftanstrengung der demokratischen Parteien“ | |
| gegen die AfD ausgerechnet ein „Umsteuern“ in der Geflüchtetenpolitik und | |
| eine weitere Begrenzung der „illegalen Migration“ ins Spiel gebracht hat, | |
| hält Matz für „total kontraproduktiv“. Man müsse über Migration spreche… | |
| „Aber so ist es die alte Debatte, ob man Rechtsextremisten bekämpft, indem | |
| man ihnen entgegenkommt. Ich kenne kein Beispiel, wo das erfolgreich war.“ | |
| Beim Koalitionspartner wird das naturgemäß anders gesehen. „Die Menschen | |
| erwarten politische Taten in der Sache“, sagt CDU-Innenpolitiker Burkard | |
| Dregger zur taz. Die ganze Diskussion über ein AfD-Verbot halte er für eine | |
| „Kapitulation beim Kampf um die Köpfe und Herzen der Menschen“ und | |
| „spießbürgerliche Bequemlichkeit“. Sie sei schon deshalb „völlig falsc… | |
| weil sie das Narrativ der AfD bedient, man wolle einen lästigen | |
| Wettbewerber loswerden und nur dazu führt, dass die AfD gestärkt wird“. | |
| Initiativen wie „Hand in Hand“ diskutieren derzeit noch ihre Position zu | |
| einem AfD-Verbot. Die Haltung der etablierten Parteien aber stößt vielfach | |
| auf große Kritik. So sagen die Sprecherinnen von „Kein Raum der AfD“: „W… | |
| setzen nicht auf die Parteien, deren Strategie es bislang war, rassistische | |
| Forderungen der Rechten zu imitieren.“ So oder so bleibt die | |
| Zivilgesellschaft gefragt. An Aufrufen und Anlässen für Proteste in der | |
| nächsten Zeit mangelt es nicht. | |
| 15 Jan 2024 | |
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