| # taz.de -- Propalästinensische Szene: Solidarität sucht Anschluss | |
| > Eine Mehrheit der Deutschen sieht Israels Kriegsführung in Gaza kritisch. | |
| > Doch eine breite Demo-Bewegung gibt es nicht. Warum ist das so? | |
| Bild: Im Schnitt mehr als eine Demo pro Tag in der Hauptstadt: Propalästinensi… | |
| Shams Al-Sumud lässt sich einen Moment Zeit, ehe er die Frage beantwortet, | |
| wie er sich als Palästinenser in Deutschland fühlt. Dann sagt er: | |
| „Traurig.“ Er schaut auf das Tempelhofer Feld in Berlin-Neukölln, einen | |
| stillgelegten Flughafen, der heute ein Park ist. Es ist wahrscheinlich der | |
| einzige Ort der Stadt, an dem man wirklich in die Weite sehen kann. „Ich | |
| fühle mich ganz oft, als wäre ich im falschen Film. Der Genozid an unseren | |
| Verwandten wird live gestreamt und in Deutschland“, sagt er, werde „nur | |
| darüber diskutiert, welche Wörter man noch verwenden darf.“ | |
| Al-Sumud trägt eine schwarz-weiße Kufija um seinen Hals gewickelt, ein | |
| Symbol des palästinensischen Widerstands, dem er sich verbunden fühlt. Er | |
| ist Mitglied bei Palästina Spricht, einer der großen palästinensischen | |
| Gruppen, die in Berlin den Protest auf die Straße trägt und so versucht, | |
| Familie und Freunde in Palästina zu unterstützen. Al-Sumud will nicht mit | |
| Klarnamen in der Zeitung genannt werden. | |
| Seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 trommelt die | |
| Palästinabewegung unermüdlich gegen Israels Krieg in Gaza auf die Straße, | |
| den kürzlich eine Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrats als | |
| Völkermord bezeichnet hat. Allein in Berlin zählt die Berliner Polizei 865 | |
| Demonstrationen in den 683 Tagen zwischen dem 7. Oktober und dem 19. August | |
| 2025, das ist mehr als ein Protest pro Tag. Plätze und Universitäten werden | |
| besetzt, Protestcamps errichtet, Flashmobs und Großdemos veranstaltet. | |
| Regelmäßig gehen Szenen brutaler Polizeigewalt in den sozialen Medien | |
| viral. | |
| Die Bewegung ist gesellschaftlich isoliert geblieben – und es ist die | |
| Frage, welche Rolle die Bewegung selbst dabei spielt. Auf die Straße zog es | |
| bisher vor allem migrantische, studentische und antiimperialistische | |
| Milieus. Schon am kommenden Wochenende könnte sich das allerdings ändern: | |
| Für Samstag rufen NGOs wie Medico und Amnesty mit der Palästinensischen | |
| Gemeinde und der Gruppe eye4palestine zu einer [1][Großkundgebung am Großen | |
| Stern] auf. Auch die Linkspartei organisiert, nach einigem Zögern [2][und | |
| parteiinternen Diskussionen], eine Zubringerdemo. Für die Kundgebung am | |
| Großen Stern erwarten die Veranstalter:innen 50.000 | |
| Teilnehmer:innen. | |
| Es könnte die größte palästinasolidarische Demonstration bisher bundesweit | |
| werden. Auch, dass mit den Linken eine im Parlament vertretene Partei für | |
| Gaza auf die Straße mobilisiert, ist in Deutschland neu – im Gegensatz zu | |
| Ländern wie Spanien, Großbritannien oder Frankreich, in denen die großen | |
| linken Gewerkschaften und Parteien schon kurz nach Beginn der israelischen | |
| Bombardierung von Gaza anfingen, für Palästina zu mobilisieren. Der DGB | |
| dagegen äußerte sich bisher nur sehr vorsichtig und auch die Linken | |
| positionieren sich längst nicht so klar wie andere Linksparteien Europas. | |
| Tatsächlich gibt es auch in der Linken mit Blick auf den kommenden Samstag | |
| vereinzelten Unmut darüber, dass sich die Partei dem Aufruf des | |
| Demobündnisses angeschlossen hat. Dieser grenzt sich zwar von den | |
| Kriegsverbrechen aller Seiten ab und fordert auch die Freilassung der | |
| israelischen Geiseln. Aber er erwähnt eben nicht explizit den Überfall der | |
| Hamas auf Israel am 7. Oktober, bei der über 1.200 Israelis getötet und | |
| mehr als 200 Menschen als Geiseln verschleppt wurden. Im Aufruf schreiben | |
| die Veranstalter:innen, man wolle sich angesichts der „Massentötungen“ und | |
| der „systematischen Zerstörung“ in Gaza auf Kritik an der israelischen | |
| Regierung und ihren Unterstützer:innen fokussieren. | |
| Für die Linken ist die Verwendung des Genozidbegriffs ein Bruch mit der | |
| bisherigen Linie. Denn eigentlich will man eine Entscheidung des | |
| Internationalen Gerichtshofs in Den Haag abwarten. Die niedersächsische | |
| Arbeitsgemeinschaft „Gegen jeden Antisemitismus“ wirft der Linken-Spitze | |
| deshalb vor, antisemitische Narrative zu bedienen, „die Israel | |
| dämonisieren“. Auch die Thüringer Abgeordnete Sabine Berninger, Mitglied im | |
| Parteivorstand, hat sich abgegrenzt. Der Parteivorstand argumentiert in | |
| einem Beschluss von Ende August, der Aufruf sei richtig, da nun keine Zeit | |
| für einen „Kampf um Begrifflichkeiten“ sei: „Die vielen Völkerrechts- u… | |
| Menschenrechtsverbrechen in Gaza sind offensichtlich.“ | |
| In der deutschen Bevölkerung mangelt es tatsächlich nicht an | |
| Palästinasolidarität. Im August hielten etwa l[3][aut ZDF-Politbaromete]r | |
| 76 Prozent der Wahlberechtigten Israels Vorgehen in Gaza für nicht | |
| gerechtfertigt, 74 Prozent sprachen sich in einer [4][Forsa-Umfrage] aus | |
| dem Juli für mehr politischen Druck auf Israel aus. Laut | |
| [5][ARD-Deutschlandtrend] sind 73 Prozent der Deutschen für eine Begrenzung | |
| oder vollständige Aussetzung der Waffenlieferungen an Israel, [6][62 | |
| Prozent sehen laut YouGov] in Gaza einen Genozid durch Israels | |
| Kriegsführung. | |
| Warum bleibt die propalästinensische Bewegung bisher dennoch isoliert? „Das | |
| hat zum einen natürlich mit der deutschen Geschichte zu tun“, sagt Peter | |
| Ullrich, Protestsoziologe und Antisemitismusforscher an der TU Berlin. Seit | |
| Jahren beschäftigt sich Ullrich mit dem Nahostkonflikt und bezieht dabei | |
| immer wieder Positionen, mit denen er sich auf allen Seiten unbeliebt | |
| macht. Sich gegen den Staat Israel zu stellen, dessen Gründung eine Folge | |
| des Holocausts war, bereite vielen Deutschen Unbehagen, sagt er. Und es | |
| gebe die Angst, sich auf Protesten mit Hamas-Sympathisanten gemein zu | |
| machen. | |
| Insgesamt dürften die Leute, die auf Palästinademos tatsächlich mit der | |
| Hamas sympathisieren, zwar eine klare Minderheit bilden. Das Publikum, das | |
| es auf die Berliner Straßen zieht, ist jedenfalls sehr divers: Junge | |
| Studierende und queere Expats laufen hier gemeinsam mit älteren | |
| palästinensischen Männern und Frauen und den Kadern kommunistischer | |
| Kleingruppen. Viele internationale Communitys gehen zu den Protesten, | |
| teilweise sind sie in antikolonialen Gruppen organisiert. Der Tenor ist | |
| antiisraelisch, aber ansonsten sind die ideologischen Bezüge kaum | |
| einheitlich. | |
| Unbegründet ist der Vorwurf der fehlenden Abgrenzung zur Hamas allerdings | |
| nicht. Immer wieder dokumentieren antisemitismuskritische Recherchestellen | |
| terrorverherrlichende Aussagen auf den Protesten. Palästina-Aktivist:innen | |
| sprühen rote Dreiecke an Häuserwände, eine Symbolik, die die Hamas benutzt. | |
| Und einige der Berliner Gruppen, die Proteste organisieren, darunter auch | |
| Palästina Spricht, haben unmittelbar nach dem 7. Oktober gar von einem | |
| [7][„revolutionären Tag zum Feiern“] gesprochen. | |
| Al-Sumud will sich davon dann auch nicht distanzieren. „Man kann den | |
| Unterdrückten nicht vorschreiben, wie sie ihren Widerstand auszuführen | |
| haben“, sagt er. Alle, die am 7. Oktober Verbrechen begangen haben, sollten | |
| dafür belangt werden. Aber: „Wenn eine Person bei einem Gefängnisausbruch | |
| Unrecht tut, sollte es vor Gericht eine Rolle spielen, dass sie zuvor über | |
| Jahre misshandelt und unschuldig eingesperrt wurde.“ | |
| Es ist ein Blick auf die Geschichte, in dem die „systematische ethnische | |
| Säuberung“, wie Al-Sumud sagt, nicht erst am 7. Oktober, sondern schon mit | |
| der Staatsgründung Israels beginnt. Seither gebe es in Palästina | |
| „Besatzung, Vertreibung, Landraub, Apartheid, militärische Angriffe und | |
| Plünderungen“, seit 17 Jahren werde der Gazastreifen „mit einer | |
| unerbittlichen Blockade belegt“, sagt er. Da sei es „grundfalsch, einseitig | |
| und unzureichend“, sich auf die Taten der Unterdrückten zu fokussieren, | |
| statt das Ende der Unterdrückung zu fordern. | |
| Der Soziologe Ullrich kennt solche Argumente. „Der Nahostkonflikt ist in | |
| seiner Grundstruktur ein nationalistischer Konflikt“, sagt er. Diese | |
| nationalistische Logik würde von der Solidaritätsbewegung reproduziert und | |
| entfalte einen Sog, in dem die Vergehen der eigenen Seite verschwinden. Auf | |
| propalästinensischer Seite würde dann der Terror der Hamas legitimiert – | |
| und im proisraelischen Diskurs noch die Kritik am israelischen Aushungern | |
| von Gaza als Hamas-Inszenierung abgetan. „Alle Ambivalenzen drohen in | |
| dieser binären Logik zu verschwinden“, so Ullrich. Die eigene Seite | |
| erscheine dann als bedingungslos gut, die andere als schlecht. | |
| Trotz dieser Dynamik hält Ullrich den pauschalen Antisemitismusvorwurf für | |
| falsch. „Die allermeisten gehen wohl auf die Straße, um gegen die laufenden | |
| Kriegsverbrechen zu protestieren“, sagt er. Dass es auf den Demos auch zu | |
| Antisemitismus komme, sei beim Thema Israel sogar zu erwarten: „In jeder | |
| größeren Bewegung gibt es Ränder“, sagt Ullrich. Deshalb könne man nicht | |
| der Gesamtbewegung absprechen, dass es ihr um die deutsche Beteiligung an | |
| einem möglichen Völkermord geht. | |
| Julia Kopp, Projektleiterin der Berliner Recherche- und Informationsstelle | |
| Antisemitismus (Rias Berlin), sagt: In der Vergangenheit hätten die | |
| Versammlungen „eine öffentlichkeitswirksame Plattform“ für Antisemitismus | |
| geboten. Sie betont, grundsätzlich seien Proteste gegen das Vorgehen der | |
| israelischen Regierung in Gaza und gegen die Gewalt in der Westbank | |
| legitim. Doch allein 2024 habe Rias Berlin nach eigenen Angaben auf 177 | |
| Berliner Demos mit Bezügen zum Nahostkonflikt antisemitische Äußerungen | |
| dokumentiert. | |
| Was als antisemitisch gilt, ist allerdings umstritten. Eine Studie hat | |
| kürzlich den Vorwurf erhoben, Rias arbeite mit einem [8][stark überdehnten | |
| Antisemitismusbegriff], der Israelkritik und Antisemitismus vermenge. Und | |
| tatsächlich können viele Protestslogans unterschiedlich bewertet werden. | |
| Ein Beispiel ist der Spruch „From the river to the sea“: Vom | |
| Innenministerium als Hamas-Parole eingestuft, wird er in der Praxis von | |
| unterschiedlichen Akteuren verwendet – wie auch ein Gutachten des Berliner | |
| Landeskriminalamts festhält, auf dessen Basis Gerichte bereits Freisprüche | |
| erteilt haben. [9][Dennoch nimmt die Berliner Polizei weiter Menschen wegen | |
| des Ausrufs fest.] | |
| Auch viele Medien würden in der Bewertung von Palästinaprotesten auf die | |
| schlechtestmögliche Interpretation zurückgreifen, kritisiert Soziologe | |
| Ullrich. Oft fehle ein berichtender Journalismus, der vor der Bewertung von | |
| Protesten erzähle, was die Demonstrierenden wollen. Stattdessen würde mit | |
| einer „Antisemitismuserwartung“ auf Proteste geblickt, für die anschließe… | |
| nur Belege gesucht würden. „Das verhindert sicherlich, dass viele, die das | |
| eigentlich wollen, für Gaza auf die Straße gehen“, vermutet Ullrich. | |
| Dass es einen Medienbias in der Berichterstattung zum Nahostkonflikt gibt, | |
| sagt auch der Kommunikationswissenschaftler Kai Hafez, der etwa | |
| argumentiert, palästinensische Perspektiven seien in deutschen Medien | |
| [10][„praktisch kaum vertreten“]. Eine Untersuchung des [11][linken | |
| Magazins Jacobin], das fast 5.000 Überschriften deutscher Leitmedien | |
| ausgewertet hat, kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass darin Positionen der | |
| israelischen Regierung und des Militärs massiv dominieren. Reporter ohne | |
| Grenzen spricht gar von einem [12][„Klima der Angst“] unter | |
| Journalist:innen, die über Gaza berichten. Dennoch: Es fehlen de facto | |
| belastbare Studien zur Berichterstattung über Palästinaproteste. | |
| Für Aktivist:innen wie Emily Rosenthal ist die Sache klar. Die | |
| Aktivistin von der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost sitzt | |
| auf einer Grasfläche neben dem Deutschen Dom in Berlin-Mitte. Auf der | |
| anderen Seite des barocken Kuppelturms jault ein Megafon auf und | |
| unterbricht das Gespräch. Dort bereitet die jüdisch-palästinensische Gruppe | |
| Shoresh gerade eine Protestkundgebung vor. | |
| „Wirklich Teil der palästinasolidarischen Bewegung bin ich erst nach dem 7. | |
| Oktober geworden“, sagt Rosenthal, die ebenfalls nicht mit echtem Namen in | |
| der Zeitung auftauchen will. Wie gerät man als Jüdin auf diese Seite der | |
| Barrikade? „Das hat sich lange angebahnt“, sagt sie und zuckt mit den | |
| Schultern. Seit Jahren schon stoße sie das Handeln der israelischen | |
| Regierung zunehmend ab. „Die Essenz der Tora ist doch: ‚Was dir verhasst | |
| ist, das tue deinem Nächsten nicht an.‘ Der Rest ist nur Kommentar. Wie | |
| passt das denn bitte mit dem zusammen, was Israel tut?“, sagt sie. | |
| Etwas später steht sie mit etwa 130 Menschen gegenüber dem israelischen | |
| Restaurant Gila & Nancy. Gemeinsam machen sie viel Krach, indem sie auf | |
| leeren Kochtöpfen hämmern, die den Hunger in Gaza darstellen sollen. Es sei | |
| ein explizit jüdischer Protest, das wollen die Redner:innen wiederholt | |
| betonen Viele Plakate sind auf Hebräisch, der bekannte Autor Tomer | |
| Dotan-Dreyfus hält eine Rede. Erst später gesellen sich auch | |
| palästinensische Aktivist:innen dazu. Die jüdischen Protestierenden | |
| begrüßen sie innig, man kennt sich. | |
| Der Grund für den Protest: Der Restaurantbesitzer, der israelische | |
| Unternehmer Shahar Segal, war [13][kurzzeitig Sprecher der Gaza | |
| Humanitarian Foundation (GHF)] – also der Organisation, die für die | |
| Nahrungsmittelverteilung im Gazastreifen verantwortlich ist. Mindestens | |
| 2.500 Palästinenser:innen sind inzwischen [14][nach Angaben des | |
| Gesundheitsministeriums in Gaza] bei dem Versuch, Hilfe an | |
| GHF-Ausgabestellen zu finden, getötet worden. [15][Das | |
| UN-Menschenrechtsbüro wirft Israel auch deshalb vor, humanitäre Hilfe als | |
| Kriegswaffe zu nutzen.] | |
| Doch in der anschließenden Berichterstattung über den Protest vor dem | |
| Restaurant in Mitte ist davon wenig die Rede. Stattdessen war von einer | |
| [16][„Hass-Demo“] zu lesen, die sich gegen einen [17][„jüdischen | |
| Gastrounternehmer“] richtete. Was beim oberflächlichen Lesen hängen bleibt: | |
| Es handelte sich um einen Protest von Palästinenser:innen gegen | |
| jüdisches Leben in Berlin. | |
| Solche Berichterstattung ist kein Einzelfall. Ein weiteres Beispiel, das | |
| bundesweit Schlagzeilen machte, ist ein vermeintlicher Gewaltvorfall auf | |
| der [18][Gedenkdemonstration an die palästinensische Nakba] im vergangenen | |
| Mai. Als sich dort ein Polizist verletzte und ins Krankenhaus musste, | |
| teilte die Polizei mit, Demonstrant:innen hätten „gezielt einen | |
| Polizeibeamten angegriffen“, ihn „zu Boden gebracht“ und „massiv auf ihn | |
| eingetreten“. Von einem „Mordversuch“ redete der Bürgermeister des Bezir… | |
| Neukölln, Martin Hikel (SPD). | |
| Inzwischen haben [19][Recherchen unter anderem der taz] und der | |
| [20][Recherchegruppe Forensic Architecture] gezeigt: Wahrscheinlich hat | |
| nichts davon gestimmt. Videoaufnahmen zeigen, wie der fragliche Polizist | |
| sich prügelnd in die Menschenmenge begibt und dabei immer wieder mit der | |
| rechten Hand Protestierenden ins Gesicht schlägt. Etwas später hält er sich | |
| genau diese Hand und sackt dann zusammen. | |
| ## Die meisten Verfahren werden eingestellt | |
| Wird die Gefährlichkeit der Bewegung aufgebauscht? Auf taz-Nachfrage teilt | |
| die Berliner Staatsanwaltschaft mit, seit dem 7. Oktober seien im | |
| Zusammenhang mit den Protesten zum Nahostkonflikt an Berliner Gerichten bis | |
| zum 20. August insgesamt 2.102 Verfahren anhängig gewesen. Nur die | |
| wenigsten davon führten allerdings zur Verurteilung – lediglich 117 | |
| Verurteilungen gab es, davon 101 Geldstrafen. Die meisten Verfahren wurden | |
| eingestellt oder endeten mit Strafbefehlen, bei denen es gegen Zahlung | |
| einer kleineren Geldstrafe zu keiner Gerichtsverhandlung kommt. | |
| Auch die Berliner Polizei gibt sich gegenüber der taz überraschend milde in | |
| ihrer Einschätzung. „Der überwiegende Teil der Versammlungen verläuft | |
| friedlich und der Großteil der Versammlungsteilnehmenden zeigt keine | |
| Gewaltbereitschaft“, heißt es. Es gebe in der Szene nur „kleine Kreise“, | |
| die auf Protesten verbotene Parolen rufen oder Einsatzkräfte attackieren. | |
| Angriffe auf politisch Andersdenkende seien „sehr selten“. Zugenommen | |
| hätten lediglich Sachbeschädigungen „in Universitäten, gegen Vertretungen | |
| der Rüstungsindustrie oder Unternehmensfilialen, denen eine Unterstützung | |
| der israelischen Regierung vorgeworfen“ wird. | |
| Soziologe Ullrich sieht noch eine weitere Entwicklung am Wirken: eine | |
| autoritäre Tendenz, wie er es nennt, der Gesellschaft insgesamt. Er | |
| verweist darauf, dass etwa die Berliner CDU [21][die Einschränkung der | |
| Versammlungsfreiheit und die Ausweitung von Polizeibefugnissen] auch mit | |
| dem Verweis auf die angebliche Gefährlichkeit der Palästinaproteste | |
| vorantreibt. Dies vermische sich mit einem Antimigrationsdiskurs, in dem | |
| sich die CDU und die SPD von der AfD immer weiter treiben ließen. Beispiele | |
| seien Diskurse über „importierten Antisemitismus“ und Versuche, das | |
| Staatsbürgerrecht über ein Bekenntnis zum Existenzrecht Israels zu | |
| politisieren. | |
| Timo Dorsch von Medico International hofft, dass es der Großdemo am Samstag | |
| gelingen kann, breitere Akzeptanz für die Bewegung zu erreichen. „Die | |
| Veranstaltung ist eine Verbindung zweier Anstrengungen: die unzähligen | |
| Demonstrationen auf der Straße, die stets immenser Polizeigewalt ausgesetzt | |
| sind, sowie unserer Arbeit vor Ort in Gaza und das Aufzeigen von | |
| Menschenrechtsverletzungen durch die israelische Armee.“ In der Arbeit vor | |
| Ort habe sich Medico eine besondere Glaubwürdigkeit erarbeitet, sagt | |
| Dorsch. Die wolle die NGO nun nutzen, um auf eine „Wahrheit“ hinzuweisen: | |
| „Dass die israelische Armee einen Genozid verübt und dass wir aufgrund der | |
| Menschenrechte, denen sich auch Deutschland verpflichtet hat, dagegen | |
| einstehen müssen“, sagt er. | |
| Auf dem Tempelhofer Feld sagt Al-Sumud, in der palästinensischen Community | |
| seien viele Menschen ausgebrannt. Nicht nur wegen der Polizei, sondern auch | |
| wegen der Situation in Palästina. „Viele mit Familie in Gaza sind die ganze | |
| Zeit auf edge, hängen nur am Handy, um zu checken, wo die neusten Angriffe | |
| stattfinden“, sagt er. Seine Familie lebe zum Glück in einem anderen Land | |
| in der Region, aber er habe Freunde, die 20 Familienmitglieder | |
| verloren hätten. Ihn mache vor allem das Schweigen und das Wegsehen seiner | |
| deutschen Freunde zu schaffen. Er schaut auf sein Handy, wo eine neue | |
| Meldung aufploppt. | |
| 26 Sep 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://all-eyes-on-gaza.de/ | |
| [2] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/die-linke-mitglieder-kritisieren… | |
| [3] https://presseportal.zdf.de/pressemitteilung/zdf-politbarometer-august-2025… | |
| [4] https://www.trtdeutsch.com/article/35a094a86390 | |
| [5] https://presse.wdr.de/plounge/tv/das_erste/2025/06/20250604_deutschlandtren… | |
| [6] https://yougov.de/politics/articles/53032-44-prozent-der-deutschen-wahlbere… | |
| [7] /Freispruch-fuer-Palaestina-Aktivisten/!6106559 | |
| [8] /Streit-um-Antisemitismus-Definition/!6086987 | |
| [9] /Umgang-mit-Palaestina-Parole/!6104185 | |
| [10] https://journalistik.online/ausgabe-2024/der-gaza-krieg-die-deutschen-medi… | |
| [11] https://jacobin.de/artikel/israel-palaestina-nahost-berichterstattung-gaza… | |
| [12] /Umfrage-ueber-Berichterstattung-zu-Gaza/!6079413 | |
| [13] https://www.israelnationalnews.com/news/412233?utm_source=chatgpt.com | |
| [14] https://www.ochaopt.org/content/humanitarian-situation-update-323-gaza-str… | |
| [15] https://www.reuters.com/world/europe/weaponisation-food-gaza-constitutes-w… | |
| [16] https://www.bild.de/regional/berlin/wegen-hass-demo-israelisches-restauran… | |
| [17] https://www.morgenpost.de/bezirke/mitte/article409751558/juedischer-betrei… | |
| [18] /Nakba-Tag-in-Berlin/!6088163 | |
| [19] /Verletzter-Polizist-bei-Nakba-Demo/!6085836 | |
| [20] https://counter-investigations.org/investigation/police-violence-and-misin… | |
| [21] /Reform-des-Berliner-Polizeigesetzes/!6096087 | |
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| Timm Kühn | |
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