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# taz.de -- Gaza-Demo in Berlin: Das Ende des lauten Schweigens
> In Berlin haben Zehntausende gegen die Kriegsverbrechen in Gaza
> demonstriert. Der Protest gegen die israelische Politik ist
> mehrheitsfähig, sagt Michael Barenboim.
Bild: Demonstration für Gaza in Berlin, 27.09.2025
Berlin taz | Faruk K. (30) steht am Samstagnachmittag mit einer
Palästina-Fahne auf dem Alexanderplatz. Und sagt: „Ich bin enttäuscht, dass
die Menschenrechte für die Bundesregierung nicht universell gelten“. Denn
dann müsste Deutschland Israel wegen der Verbrechen in Gaza doch
sanktionieren. „So wie Russland“.
Rund 20.000 machen sich auf zum Großen Stern, eine Stunde Fußmarsch
entfernt. Am Abend werden es bei der „all eyes on gaza“-Kundgebung weit
mehr als 50.000 sein. Vielleicht 100.000.
Faruk K. ist in Berlin geboren, arbeitet als Angestellter und hat
palästinensische Vorfahren. Es ist gut, sagt er, dass die Demo „friedlich
ist und dass verschiedene Leute da sind“.
Wenn man sich durch die Massen schiebt, hört man deutsch, arabisch,
englisch, spanisch. Es ist ein Metropolenevent, multikulturell, eher
jünger, mit vielen Expats und AktivistInnen mit Palästinensertüchern.
Schwarz-weiß-grün-roten Fahnen dominieren. Auch rote Linkspartei-Fahnen
leuchten, die unvermeidliche DKP- und MLPD-Flaggen gehen fahnenmäßig unter.
## Die Deutschen wollen mehr Druck auf Israel
Die Radikalen haben sich auf dem Moritzplatz in Kreuzberg schon gegen
Mittag zu einer Art Gegendemonstration versammelt. Vertreter von Gruppen
wie „Kommunistischer Aufbau“ und „Young Struggle“ sind dabei. Ein Sprec…
sagt, man sei gegen eine „Normalisierung“ der zionistischen Entität. Es
könne keinen Frieden geben mit einem Apartheid-System, das einen Genozid
begeht. Jede Form des Widerstands dagegen sei legitim. Die Menge ruft „Free
Palestine“, „Yalla Intifada“ und den Klassiker: „Deutsche Waffen, deuts…
Geld, morden mit in aller Welt.“ Auf rund 500 Demonstranten kommen 250
Polizisten. Insgesamt sind in der Stadt an diesem Tag 1 800 Beamte im
Einsatz, so eine Polizeisprecherin.
Der jüdische Deutsche Michael Barenboim steht um 14:30 Uhr vor Beginn der
Reden neben der ziemlich bescheidenen Bühne am Alexanderplatz, auf der
gleich Linkspartei-Chefin Ines Schwerdtner reden wird. „Der Protest gegen
die deutsche Politik ist schon mehrheitsfähig. Wir machen das hier
sichtbar“, so Barenboim zur taz. „Stoppt den Völkermord“ sei ein Slogan,
hinter dem sich viele versammeln können.
Die Umfragen geben Barenboim recht. [1][Mehr als die Hälfte der Deutschen
hält das, was in Gaza geschieht, für einen Völkermord.] [2][Zweidrittel der
Deutschen wollen, dass Deutschland mehr Druck auf Israel ausübt.]
Vor Beginn der Reden werden auf Arabisch und Deutsch die Auflagen verlesen.
Verboten ist das Verbrennen von Fahnen, die Vernichtung Israels zu
propagieren, verboten sind Hassbotschaften gegen ethnische Gruppen,
Symbole, Fahnen, Sticker der Hisbollah, der PFLP und islamistischer
Organisationen. Aber nichts davon ist zu sehen.
Ines Schwerdtner ruft: „Wir sind heute hier, weil in Gaza ein Völkermord
geschieht“. Es war mal Konsens in der Linkspartei, das Genozid-Wort zu
vermeiden, um die innerparteiliche Balance zu wahren und auch eine
Dauerdebatte um ein Wort zu umschiffen, das leicht den Blick auf das Grauen
verdrängt. Das scheint, wenn schon die Mehrheit der Deutschen das Wort
Völkermord akzeptiert, passé zu sein. Schwerdtner fordert „die Freilassung
der Geiseln und aller politischen Gefangenen“, vor allem aber das Ende der
Waffenexporte, das Ende des Krieges in Gaza.
Allerdings hört höchstens ein Zehntel der Demo-Teilnehmer, dass die
Linkspartei ein neues Wording hat. Die Boxen sind zu leise. Eigentlich war
Großdemos zu organisieren, mal eine Kernkompetenz der Linken. Noch ein
Vorurteil, das man abhaken kann.
## „Die Würde des Menschen ist unantastbar“
Ein Linkspartei-Mann, um die 30, Bart, Lederjacke, ist aus Köln angereist
und schwingt eine Parteifahne. Rund 50 GenossInnen sind aus Köln gekommen,
sagt er. Die Mobilisierung der Basis fand er erfreulich. Doch 50 ist eine
eher übersichtliche Zahl, angesichts von mittlerweile mehr als 3.000
GenossInnen in Köln.
Migrantische und linke Kleingruppen wie die israelische Friedensbewegung
„Standing Together“, die „Arbeiterpartei der Türkei“ oder die „VVN'�…
jeweils an ihren Bannern erkennbar. Auf einem großen Transparent steht „Die
Würde des Menschen ist unantastbar.“
Die Demonstration ist szenemäßig bunt gemischt, anders als die eher
grauhaarig biodeutsche Wagenknecht Gaza-Demo vor drei Wochen. Aber es fehlt
auch einiges. Die Kirchen, und außer ein paar verlorenen Verdi-Aktivisten
auch die Gewerkschaften.
Tsafrir Cohen, Chef von medico international, steht am Samstagnachmittag am
Rand der Demonstration vor der Marienkirche am Alex und sagt der taz: „Vor
ein paar Monaten war medico in Sachen Gaza noch allein“. Das ist jetzt
anders. Die Zögerlichkeit ist bei vielen NGOs verschwunden. Auch Terre des
Hommes, Medica Mondial, Care International und Oxfam engagieren sich.
## Eine Brücke zwischen Migranten und Mehrheitsgesellschaft
„All eyes on gaza“, von medico international mitveranstaltet, sei der
Versuch, eine Brücke zwischen „migrantischer Gesellschaft, Aktivistinnen
und deutscher Mehrheitsgesellschaft zu bauen.“ Auch wenn Akteure wie SPD,
Christdemokraten oder Grüne noch fehlen – die Zeit, dass „lautes Schweigen…
als Protest galt, so Cohen, sei vorbei.
Der Demo-Zug setzt sich um 16 Uhr sehr langsam in Bewegung. Den Anfang
bildet ein palästinensischer Block, von dessen Lautsprecherwagen eine Frau
die Menge zu Sprechchören wie „Viva Palästina“ und „Israel bombardiert,
Friedrich Merz finanziert“ anregt. Am meisten Resonanz findet jedoch der
alte Schlachtruf „Hoch die internationale Solidarität“ Auch beliebt ist:
„Das ist kein Krieg, das ist ein Genozid“.
Der Weg zum Großen Stern ist weit, rund eine Stunde Fußmarsch. Die beste
Stimmung ist im lateinamerikanischen Block, der sich mit einer Trommel bei
Laune hält. Am Lustgarten hat sich ein Grüppchen mit Israel-Fahnen und
Fotos von Geiseln der Hamas aufgestellt. Aus dem Demo-Zug schallt ihnen
„Shame on you“ und auch „Fuck Israel“ entgegen. Ansonsten verläuft der
Demo-Zug ohne größere Zwischenfälle.
Für die Kundgebung vor der Siegessäule haben Amnesty International und
medico international eine große Bühne aufgebaut. Der Sound ist besser als
bei der Linkspartei am Alexanderplatz. Der Rapper Ali Bumayé bedankt sich
unironisch bei den Deutschen ohne Migrationshintergrund für Ihr Kommen. Er
habe in der Kita gelernt, wie wichtig Nächstenliebe sei und freue sich,
dass diese Gesellschaft nun endlich zu ihren Werten stehe.
Die deutsch-palästinensische Chemie-Ingenieurin Iman Abu Qomsan erzählt von
ihren über 80 Angehörigen, die in Gaza getötet wurden. Das RAM Project aus
Köln spielt arabische Stücke. Als Überraschungsgast tritt um 19 Uhr der
Rapper Massiv auf, der schon zuvor zur Wagenknecht-Kundgebung vor dem
Brandenburger Tor aufgerufen hatte, und gibt einen melancholischen Song zum
Besten.
Verhaftungen in Kreuzberg
Um 19.45 Uhr spricht die 18-jährige israelische Kriegsdienstverweigernde
Ella Greenberg, die mehrfach in Haft war, weil sie sich dem Militärdienst
verweigerte. Unweit der Siegessäule haben Amnesty International und medico
international ihre Stände aufgebaut.
Die Kundgebung an der Siegessäule geht noch bis 21 Uhr, es ist längst
dunkel. Eine Sprecherin erklärt gegen 19 Uhr, dass die Polizei inzwischen
brutal gegen die Demonstration auf dem Moritzplatz vorgehe. „Es gibt
Verhaftungen und viele Festnahmen“, sagt sie. Man solidarisiere sich mit
allen, die heute demonstrieren. „Ganz Berlin hasst die Polizei“, ruft sie
in die Menge.
Der Pressesprecher der Linkspartei, Lars Peters, sitzt ebenfalls an der
Straße des 17. Juni und verschickt von dort um 19 Uhr eine Presseerklärung.
„Wir haben heute deutlich gemacht, was die Mehrheit in diesem Land längst
denkt“, erklärt Ines Schwerdtner darin. „Diese Demonstration war nicht nur
beeindruckend in ihrer Größe, sie war auch ein Versprechen: Wir schauen
nicht weg, wenn in Gaza täglich Menschen sterben.“ Die Bundesregierung
dürfe sich nicht länger vor der Verantwortung stehlen. Die Linkspartei
schätzt, dass mehr als 100.000 Menschen bei Demo und Kundgebung sind.
Wo sind die Grünen? Wo die Gewerkschaften?
Kassem Taher Saleh (32) steht am frühen Abend neben der Bühne der „all eyes
on gaza“ Kundgebung am Großen Stern und sagt: „Ich hätte mir gewünscht,
dass die grüne Fraktion und Partei zu dieser Kundgebung aufgerufen hätte“.
Taher Saleh ist im Irak geboren, mit zehn kam er nach Sachsen. Seit vier
Jahren ist er grüner Bundestagsabgeordneter.
Warum ist er hier? Seine Antwort klingt so wie die von Vielen auf der
Gaza-Kundgebung: „Die Bundesregierung muss Palästina anerkennen, alle
Waffenlieferungen an Israel stoppen und mehr humanitäre Unterstützung für
Gaza leisten“. Er verstehe, dass Deutsche, deren Großväter vor 1945 an der
Ostfront kämpften, ein anderes Verhältnis zu Israel haben.
Die Zurückhaltung der Grünen kränkt ihn trotzdem. „Der Schutz von
Menschenrechten und Minderheiten sind Teil unserer DNA.“ Nur in Palästina
und Gaza nicht.
27 Sep 2025
## LINKS
[1] https://epo.de/27719-80-der-deutschen-fuer-stopp-der-waffenlieferungen-an-i…
[2] https://www.zdfheute.de/politik/zdf-politbarometer-israel-gaza-kritik-waffe…
## AUTOREN
Stefan Reinecke
Daniel Bax
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