# taz.de -- Linkspartei in der Existenzkrise: Die Linke und Putins Krieg | |
> Vielen in der Linkspartei galt Russland lange als Friedensmacht – trotz | |
> aller Widersprüche. Nun droht sie an der Frage zu zerbrechen. | |
Bild: Am Tag nach Putins Attacke: Mahnwache der Linken gegen den Ukrainekrieg i… | |
Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow schauen gequält. Es gibt schönere | |
Termine, als am Tag nach einem heftigen Wahldebakel in Berlin vor die | |
Bundespressekonferenz zu treten. Sie müssen an diesem Montag [1][die | |
2,6-Prozent-Katastrophe an der Saar erklären]. Und dazu: Wie hält es die | |
Linkspartei mit dem Krieg Russlands in der Ukraine? | |
Es sei keine Frage, „dass es sich bei dem Krieg in der Ukraine um einen | |
verbrecherischen Angriffskrieg handelt und dass die russischen Truppen dort | |
sofort zurückgezogen werden müssen“, antwortet Wissler. „Das ist ganz klar | |
die Position der Partei und die Position der Fraktion“, versichert sie und | |
verweist auf entsprechende Erklärungen und Beschlüsse. „Wir haben uns sehr, | |
sehr deutlich dazu geäußert, und das ist mir wichtig, das klarzustellen.“ | |
Wenn es denn so einfach wäre. | |
Seit der Bundestagswahl Ende September, bei der die Linkspartei die | |
Fünfprozenthürde nicht mehr überwinden konnte und nur dank dreier | |
Direktmandate den Wiedereinzug in den Bundestag schaffte, sind Wissler und | |
Hennig-Wellsow im Krisenmodus. Mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine | |
befinden sie sich im Ausnahmezustand. Jetzt geht es ums Eingemachte und | |
damit ums Ganze. | |
Nach dem Saar-Desaster kommen in diesem Jahr noch die Wahlen in | |
Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Viel spricht | |
dafür, dass auch in diesen Bundesländern die Linkspartei zurückkehrt in | |
jene überwunden geglaubten Zeiten, als die PDS im Westen Splitterpartei | |
war. Gibt es überhaupt noch eine bundesweite Perspektive für die | |
Linkspartei? | |
Bürgerhaus Wilhelmsburg am vergangenen Freitag, Landesparteitag der | |
Hamburger Linkspartei. Auch hier ist der Ukrainekrieg, wie könnte es anders | |
sein, das zentrale Thema der rund 100 Delegierten. Und schnell zeigt sich, | |
dass es nicht so einfach ist. | |
Ja, es gibt etliche, die sich betroffen von der Invasion Russlands zeigen. | |
„Aktuell gilt unsere ganze Solidarität den Menschen in der Ukraine, die um | |
ihr Leben bangen“, sagt die Altonaerin Marlit Klaus. Dass Russland die | |
Ukraine überfallen würde, das habe sie sich nicht vorstellen können. „Ich | |
habe es nicht gedacht“, sagt Klaus mit bitterer und trauriger Stimme. „Ich | |
habe mich geirrt.“ Gerald Kemski von der Landesarbeitsgemeinschaft | |
Senor:innenpolitik erinnert an den 96-jährigen Boris Romantschenko. „Er | |
hat vier deutsche Konzentrationslager überlebt und ist jetzt durch eine | |
russische Bombe getötet worden“, sagt Kemski mit tränenerstickter Stimme. | |
Alleine das zeige, wie verlogen die Begründung Putins sei, die Ukraine | |
„entnazifizieren“ zu wollen. Für dessen Vorgehen gebe es „keine | |
Rechtfertigung und keine Entschuldigung“. | |
Aber es gibt auch zahlreiche andere Stimmen. Sicher, auch sie sprechen von | |
einem völkerrechtswidrigen Krieg. Aber das wirkt eher wie eine lästige | |
Pflichtübung. Den weitaus größeren Teil ihrer Redezeit verwenden sie darauf | |
zu sagen, was sie schon immer gesagt haben. Ein Beispiel ist Elias Gläsner | |
von der Uni-Liste LINKS. Es sei doch „völlig klar“ gewesen, „dass es rote | |
Linien gibt, die Putin in allen Verhandlungen auch genannt hat, die nicht | |
zu überschreiten sind“, sagt er. Die Nato habe jedoch „einen Scheißdreck | |
darauf gegeben“ und ihre Ostexpansion aggressiv weitergetrieben. „Jetzt so | |
zu tun, als dürften wir nicht davon sprechen, welche Rolle die Nato in | |
dieser Konflikteskalation hat, trägt überhaupt gar nichts dazu bei, real zu | |
Frieden in dieser Region und in Europa zu kommen“, sagt Gläsner unter | |
Beifall. Schließlich erinnert er noch an Karl Liebknechts Parole aus dem | |
Jahr 1915: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“ Das sei „unser | |
internationalistischer Auftrag: Wir müssen gegen die Kriegstreiber | |
hierzulande vorgehen“. Gläsner ist nicht der Einzige, der den armen | |
Liebknecht an diesem Abend bemüht. | |
## Täter- und Opferrollen fallen munter durcheinander | |
„Die Linke und die Friedensbewegung haben in der Geschichte immer recht | |
gehabt“, sagt Jürgen Olschok aus Hamburg-Mitte. Schließlich habe man doch | |
immer davor gewarnt, sich Russland nicht zum Feind zu machen. Doch das sei | |
nicht ernst genommen worden. „Und wenn man sich dann jemanden so zum Feind | |
macht, dass dann eine Reaktion irgendwann kommt, dann ist es so, dann kann | |
man sich darüber hinterher nicht beschweren.“ Da fallen Täter- und | |
Opferrollen munter durcheinander. So viel Verständnis für Putin findet man | |
sonst nur noch in der AfD. | |
Für die Linkspartei geht es derzeit um alles. Immer dringender stellt sich | |
die Frage nach ihrer Bedeutung: Wird sie eigentlich noch gebraucht, und | |
wenn ja, wofür? Es geht um ihre Existenz. Die Frage nach Krieg und Frieden | |
glaubte sie für sich längst beantwortet zu haben: Sie ist die konsequente | |
Friedenspartei in Deutschland. | |
Dieses Selbstverständnis war ein zentrales Bindeglied, das die ansonsten so | |
heftig zerstrittenen Flügel und Strömungen in der Linkspartei bislang | |
zusammengehalten hat. Da konnten sie noch gemeinsam marschieren, selbst mit | |
Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine, mit denen sonst in der Partei viele | |
schon längst nicht mehr viel verbunden hat. Möglich war diese große | |
Gemeinsamkeit, weil sie auf einer fatalen Fehlannahme beruhte. Denn über | |
all die Jahre hinweg war es Konsens, von wem auf keinen Fall eine | |
Kriegsgefahr ausgeht: von Russland. | |
Es ist erstaunlich, dass nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Teile der | |
Linken sowohl in Ost als auch West ihr – schon zu Sowjetzeiten falsches – | |
Bild Russlands als vermeintlicher Friedensmacht beibehalten haben. Und zwar | |
nicht nur jene, die dem „realen Sozialismus“ nachtrauern wie beispielsweise | |
die DKP, die Junge Welt oder der Deutsche Freidenker-Verband, die auch | |
jetzt noch Wladimir Putin unverbrüchlich die Treue halten. Rational ist die | |
allzu lange vorherrschende unkritische Einstellung zu einem rechten | |
Autokraten wie Putin nur schwer erklärbar, der nicht erst seit gestern | |
einer aggressiven, großrussisch-zaristischen Ideologie anhängt. | |
Noch am 7. Februar gehörten zahlreiche führende Linksparteiler:innen | |
von Wagenknecht bis Gregor Gysi zu den Erstunterzeichner:innen eines | |
mittlerweile nur noch absurd wirkenden Aufrufs unter der Überschrift | |
„Friedenspolitik statt Kriegshysterie“, in dem es wörtlich heißt: „Trotz | |
der Militärmanöver in der Nähe zur Ukraine hat Russland kein Interesse an | |
einem Krieg.“ Forderungen werden in dem Appell ausschließlich an die Nato | |
gestellt, die „mit Kriegsrhetorik, Konfrontationspolitik und Sanktionen | |
gegen Russland“ Schluss machen müsse. Dann begann am 24. Februar 2022 die | |
Invasion. Die russischen Bomben zerstörten nicht nur alte Gewissheiten. | |
Offenkundig ist nicht, wie die Linkspartei glaubte, allein die Nato das | |
Problem. Während bei den einen der Schock tief sitzt, begannen die anderen, | |
die neuen Realitäten in ihr altes Weltbild zu pressen. | |
Sichtbar wurde dieser Bruch Anfang März durch einen offenen Brief Gysis an | |
sieben Abgeordnete, in dem er ihnen eine „völlige Emotionslosigkeit | |
hinsichtlich des Angriffskrieges, der Toten, der Verletzten und dem Leid“ | |
vorwarf. Sie seien nur daran interessiert, ihre „alte Ideologie in jeder | |
Hinsicht zu retten“. Anlass für Gysis Empörung war eine Erklärung von Sahra | |
Wagenknecht und ihren Bundestags-Fraktionskolleg:innen Sevim Dağdelen, | |
Andrej Hunko und anderen, in der sie SPD, Union, Grünen und FDP vorwarfen, | |
ein von ihnen gemeinsam beschlossener Bundestagsantrag zum Ukrainekrieg | |
bedeute „die kritiklose Übernahme der vor allem von den USA in den letzten | |
Jahren betriebenen Politik, die für die entstandene Situation maßgeblich | |
Verantwortung trägt“. | |
## Die Schockstarre hielt bei manchen nicht lange an | |
Unterschrieben hat diese Erklärung auch Klaus Ernst. Er ist Vorsitzender | |
des Ausschusses für Klimaschutz und Energie und bekleidet den einzigen | |
Ausschussvorsitz, den die Linksfraktion stellen darf – ein wichtiges und | |
nach außen sichtbares Amt. Ernst steht zu der Erklärung: Der Westen trage | |
eine Mitverantwortung, Sanktionen und Waffenlieferungen seien keine Lösung. | |
„Sanktionen bringen nichts und helfen auch der Ukraine nicht“, sagt Ernst | |
der taz. Die russischen Panzer würden ja trotzdem rollen, Putins | |
Kriegskasse sei gut gefüllt. Auf den Einwand, die ukrainische Regierung | |
würde ja deshalb auf noch härtere Sanktionen drängen und Deutschland zum | |
Verzicht auf Gas, Öl und Kohle aus Russland auffordern, entgegnet er: „Es | |
hilft den Ukrainern nicht, wenn wir die Wirtschaft Deutschlands und Europas | |
ruinieren und Leute in die Arbeitslosigkeit treiben.“ | |
Ernst meint, man müsse gemäß der eigenen Wirtschafts- und | |
Sicherheitsinteressen abwägen, welche Hilfe man der Ukraine zuteil werden | |
lasse. Welche Hilfsmaßnahmen er dann konkret fordere? „Notwendig sind | |
umfangreiche europäische Hilfen für Flüchtende und eine funktionierende | |
eigene Volkswirtschaft, die die Ukraine beim Wiederaufbau des Landes | |
unterstützen kann“, antwortet Ernst. | |
Flüchtende versorgen und nach dem Krieg das Land mitaufbauen – für die | |
kämpfenden Ukrainer, die gerade versuchen Putins Truppen daran zu hindern, | |
es komplett zu zerbomben und besetzen, müssen solche Hilfsangebote wie Hohn | |
klingen. Ernst liegt damit aber auf einer Linie mit seinen | |
Fraktionskolleginnen Wagenknecht und Dağdelen, deren unablässige | |
Wortmeldungen in ihrer Konsequenz stets wie Kapitulationsaufforderungen | |
klingen. | |
[2][Die Schockstarre, die nach der russischen Invasion zunächst in der | |
Linkspartei herrschte] und die die Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali | |
im Bundestag zu dem Eingeständnis brachte, man habe das Verhalten Russlands | |
falsch eingeschätzt, hielt bei manchen nicht lange an. Stattdessen rüstet | |
man sich zur Verteidigung der eigenen Glaubenssätze. | |
Ernst findet: „Die Linke hat nur dann eine Chance, wenn sie auf ihrem | |
friedenspolitischen Kurs bleibt. Sonst geht sie unter.“ Er hört sich an wie | |
der Kapitän der „Titanic“. Ohne jegliche Kurskorrektur weiter unbeirrt auf | |
den Eisberg zu? Es ist der Sound Oskar Lafontaines, der Mitte März in | |
seiner Austrittserklärung – kurz vor der Wahl im Saarland – schrieb, nach | |
dem sozialen Profil sollten „jetzt auch noch die friedenspolitischen | |
Grundsätze der Linken abgeräumt werden“. | |
In dieses Horn bläst auch Sevim Dağdelen, Wagenknecht-Vertraute und | |
Abgeordnete aus Bochum. „Die Axt an die Friedenspolitik der Linken zu | |
legen, ist der Weg in den Abgrund, kein Aufbruch“, hat sie nach der | |
Saarland-Wahl auf Facebook verkündet. „Wer mit Blick auf den Erfurter | |
Parteitag im Sommer meint, jetzt alle Kraft in das Schleifen außen- und | |
friedenspolitischer Maximen stecken zu müssen, unter dem Vorwand ‚Antworten | |
für diese Zeit‘ geben zu wollen, und dafür verdiente Genossen wie Hans | |
Modrow politisch kaltstellt, gibt auch bereits die Wahlen in NRW, | |
Schleswig-Holstein und Niedersachsen für DIE LINKE verloren“, schrieb sie. | |
## Keine Nerven mehr | |
Was Dağdelen, die Obfrau der Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss ist, | |
unerwähnt ließ: Warum der Parteivorstand am vergangenen Samstag beschlossen | |
hat, den Ältestenrat der Linkspartei neu zu besetzen, also Modrow als | |
Vorsitzenden dieses Berater:innengremiums abzulösen. Der 94-jährige | |
frühere DDR-Ministerpräsident Modrow hatte eine von ihm selbst verfasste | |
und mit den anderen nicht abgestimmte „Mitteilung über die Beratung des | |
Ältestenrates“ verschickt, in der zu lesen war: „Die Frage, wie weit der | |
Krieg in der Ukraine nun ein Einmarsch russischer Truppen ist oder sich als | |
ein innerer Bürgerkrieg der Kräfte in den neuen Ost-Staaten und | |
faschistischen Elementen im Westen der Ukraine darstellt, steht im Raum.“ | |
Simone Barrientos hat keine Nerven mehr, sich mit solchem | |
Steinzeit-Antiimperialismus auseinanderzusetzen. Bis zur Bundestagswahl | |
war die 58-Jährige kulturpolitische Sprecherin der Linksfraktion. | |
Inzwischen ist sie aus der Partei ausgetreten. Ihre Kritik: Dağdelen, | |
Wagenknecht & Co bestimmten das Bild, obwohl die Basis manches anders sehe. | |
„Die außenpolitischen Dogmatiker konnten in der Fraktion machen, was sie | |
wollten“, sagt Barrientos. Was sie ebenfalls unmöglich findet: dass nach | |
der Wahlniederlage im Herbst die Fraktionsspitze aus Dietmar Bartsch und | |
Amira Mohammed Ali einfach weitermachte, als wäre nichts geschehen. | |
Am Ende trat die im sachsen-anhaltinischen Eisleben geborene Barrientos, in | |
deren Stasiakte „Sympathisant Pazifismus“ vermerkt war, wegen zweier | |
Erlebnissen aus: Auf Facebook diskutierte sie mit Linksparteimitgliedern, | |
die der Ansicht waren, dass die Ukraine es nicht wert sei, dass ihr | |
geholfen wird. Und bei einer Friedensdemo in Würzburg spuckten | |
Demonstrant:innen einem jungen Linksparteiaktivisten ins Gesicht. „So | |
verhasst sind wir“, so Barrientos. Dass Dağdelen noch immer die | |
Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss vertreten darf und die Linkspartei | |
stählern von sich behauptet, sie sei „die einzige Antikriegspartei“, bringt | |
sie in Rage. Sie könne sich „nicht mehr weiter schützend vor die Partei | |
stellen“, schrieb Barrientos in ihrer Austrittserklärung. | |
Ist es nicht Gratismut, auszutreten, nachdem sie es wegen des bescheidenen | |
Wahlergebnisses der Linkspartei nicht mehr in die Fraktion geschafft hatte? | |
„Man kann mir keinen Opportunismus vorwerfen“, sagt Barrientos. Sie sei die | |
erste Nachrückerin in Bayern, falls einer der vier Linkspartei-Abgeordneten | |
das Handtuch werfe. Sie hat auch ihren Sitz im Kreistag in Würzburg zur | |
Verfügung gestellt. Die Linkspartei habe, wenn sie so weitermache, keine | |
Zukunft. Auf „Fundamentalopposition gegen SPD und Grüne zu setzen“, sei der | |
falsche Weg. | |
## Aber reicht das? | |
Jules El-Khatib will im Mai in den Düsseldorfer Landtag einziehen. Der | |
30-jährige ist Landessprecher der Linkspartei in Nordrhein-Westfalen und | |
Co-Spitzenkandidat für die Landtagswahl. Allerdings sind die Aussichten | |
düster. In der jüngsten Umfrage rangierte die Linkspartei bei gerade mal 3 | |
Prozent. Was sie jetzt brauche, sei Geschlossenheit, ist El-Khatib | |
überzeugt. Deshalb hat er vor der Landtagswahl kein Interesse an einer | |
Grundsatzdiskussion über die friedenspolitischen Positionen der | |
Linkspartei. „Das ist gerade nicht der richtige Zeitpunkt für solche | |
Debatten, zumal unsere Debattenkultur in der Vergangenheit nicht gerade ein | |
Traum war“, sagt El-Khatib. Lieber spricht er von der großen Einigkeit in | |
der Ablehnung des 100-Milliarden-Euro schweren „Sondervermögens“ für die | |
Aufrüstung der Bundeswehr. Das ist tatsächlich noch etwas, auf das sich | |
alle verständigen können. | |
Aber reicht das? Im Wahl-O-Mat enthält sich die Linke NRW bei der Frage | |
nach Sanktionen gegen Russland. Es gab dazu keine Einigkeit. Einige | |
befürworten die nun verhängten Sanktionen gegen die russische Wirtschaft, | |
andere, wie El-Khatib, lehnen sie ab. „Die Sanktionen im Irak waren die | |
härtesten, die es je gab, und sie haben eine Million Menschen das Leben | |
gekostet“, begründet der gebürtige Kölner seine Ablehnung. | |
Selbstverständlich lehnt er auch Waffenlieferungen an die Ukraine ab. „Ich | |
habe selbst Familie im Libanon und in Palästina, ich habe Krieg erlebt: | |
Waffen verbessern nichts.“ | |
Nein, El-Khatib, der bei der Bewegungslinken aktiv und Mitglied im | |
trotzkistischen Netzwerk marx21 ist, ist kein „Putinversteher“. Er gehöre | |
„auch nicht zu jenen in der Partei, die finden, die Krim gehöre zu | |
Russland“, sagt der studierte Soziologe. Er fordert, den Widerstand in | |
Russland gegen den Krieg zu stärken und zum Beispiel allen Deserteuren der | |
russischen Armee Asyl anzubieten. Biografisch kann El-Khatib seine | |
pazifistischen Positionen durchaus überzeugend vertreten. Doch überzeugen | |
sie auch potenzielle Wähler:innen? | |
Die Linkspartei droht zu einer Art PDS light zu werden – stark geschrumpft | |
im Osten, bis auf die Stadtstaaten unbedeutend im Westen. Jetzt rächt sich, | |
dass schon Katja Kipping und Bernd Riexinger, die Vorgänger:innen von | |
Wissler und Hennig-Wellsow, nicht den notwendigen, auch personellen | |
Klärungsprozess innerhalb der Linkspartei gewagt haben. In allen zentralen | |
gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre hat sie es | |
nicht mehr geschafft zu vermitteln, wofür sie eigentlich steht – egal ob es | |
um Flucht und Migration, die Klimapolitik, Minderheitsschutzrechte, Corona | |
oder nun den Ukrainekrieg geht. Angeführt von Sahra Wagenknecht gab und | |
gibt es stets einen höchst öffentlichkeitswirksamen Flügel, der | |
Parteibeschlüsse konterkariert und damit de facto belanglos gemacht hat. | |
Die alte und die neue Parteiführung haben es zugelassen, dass | |
Kronzeug:innen aus den eigenen Reihen fälschlich, aber systematisch | |
behauptet haben, die Linkspartei sei eine Ansammlung von | |
„Lifestyle-Linken“, die sich nicht mehr für die „einfachen Leute“, für | |
Arbeiter:innen und Rentner:innen, interessierten. Sie haben es | |
zugelassen, dass Wagenknecht & Co demagogisch die soziale gegen die | |
ökologische und die bürgerrechtliche Frage ausspielen. So verlor und | |
verliert die Linkspartei nach allen Seiten. Und jetzt kommt auch noch die | |
Friedensfrage dazu, auf die die alten Antworten nicht mehr gegeben werden | |
können. | |
Da hilft auch nicht der Verweis Hennig-Wellsows am Montag in der | |
Bundespressekonferenz, Wagenknecht sei ja nur ein „einfaches Mitglied der | |
Bundestagsfraktion“, das nur für sich selbst spräche. Es sei nun mal so, | |
dass innerhalb der Wählerschaft die einen sie mögen würden, die anderen | |
nicht so, sagt Hennig-Wellsow. „Das werden wir nicht auflösen können.“ Ab… | |
es wäre ja schon mal ein Anfang, wenn Wagenknecht weniger in Talkshows | |
eingeladen oder befragt würde. Als sei es die Aufgabe der Medien, die | |
Feigheit einer Parteiführung auszubügeln. Die Parteispitze wird es | |
„auflösen“ müssen. Oder die Partei wird untergehen. | |
Ihre Hoffnung setzen Wissler und Hennig-Wellsow auf den Bundesparteitag im | |
Juni in Erfurt, der Hauptstadt des Bundeslandes, in dem die Linkspartei den | |
Ministerpräsidenten stellt. Im Zentrum soll das Thema Krieg und Frieden | |
stehen. Sie würden „keine relativierende Haltung“ zum Angriffskrieg | |
Russlands „dulden oder zulassen“, verspricht Hennig-Wellsow, die lange | |
Landesvorsitzende in Thüringen war. Es werde eine klare Positionierung | |
geben. „Dann müssen diejenigen, die sich damit nicht abfinden können, | |
entscheiden, ob das noch ihre Partei ist oder nicht.“ | |
Um eine Grundsatzdiskussion über ihre Friedenspolitik wird die Linkspartei | |
nicht herumkommen können. In der Vergangenheit mündete der Zoff auf | |
Parteitagen allerdings stets in windigen Formelkompromissen. Und wenn gar | |
nichts mehr ging, wurden halt irgendwelche Sätze aus dem Erfurter | |
Grundsatzprogramm von 2011 recycelt. Das wird nach dem Überfall auf die | |
Ukraine nicht mehr reichen. Die Welt hat sich verändert. Die Linkspartei | |
muss es auch tun. | |
30 Mar 2022 | |
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