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# taz.de -- Die Linke und der Ukrainekrieg: Chance auf Glaubwürdigkeit
> Die Linkspartei sollte ihren Russland-Kitsch endgültig ablegen. So würde
> auch ihre Kritik am Westen überzeugender.
Bild: Demonstrierende der Linken mit Friedenstaube-Fahnen in Berlin
Die Partei Die Linke ist wieder auf Kurssuche. Die Partei- und
Fraktionsspitze hat den Angriff Russlands auf die Ukraine klar verurteilt
und damit die „Russia-Today-Fraktion“ in der Partei verprellt. Vor
blau-gelben Solidaritätsbekundungen aber, erst recht vor der Unterstützung
durch Waffenlieferungen, scheut die Partei weiter zurück. Sie zieht das
[1][neutrale Weiß der Friedenstaube] vor. „Die Waffen nieder“ statt „Waf…
für die Ukraine“ scheint die Losung zu sein.
Warum tut sich Die Linke so schwer damit, sich in der Ukraine-Krise auf die
Seite der Angegriffenen und der westlichen Welt zu schlagen? Und wie sieht
linke Sicherheitspolitik aus, die sich von alten Vorstellungen befreit? Wer
die Haltung der Linken zu Russland und zum Westen verstehen will, muss auf
die Geschichte blicken. Schon die Oktoberrevolution 1917 ließ in Teilen der
deutschen Linken ein Russlandbild entstehen, das von tiefer Bewunderung
geprägt war: In Moskau war der Fortschritt beheimatet – im Westen der
Versuch, ihn aufzuhalten.
Ein Bild, das mit dem Zweiten Weltkrieg zur offiziellen Weltdeutung des
europäischen Kommunismus wurde. Die SED und ihre Freunde in Westdeutschland
sahen in der Nato ein Herrschaftsinstrument der USA zur „Versklavung der
Völker Europas“. Die Sowjetunion dagegen war großer Bruder und Befreier vom
Faschismus. Der Feind stand im Westen – im Osten wohnten Freunde. Auch nach
1990 wurden diese [2][konträren Nato- und Russlandbilder] in der
„SED-Nachfolgepartei“ PDS wachgehalten – und dienten als Folie der
Weltdeutung.
Nach dem Angriff des Irak auf Kuwait im Golfkrieg 1991 prangerten
sozialistische Abgeordnete den „Bombenterror“ des Westens an. Das
Eingreifen der Nato in den Kosovokrieg 1999 verurteilten sie als
Angriffskrieg. Und nach den Terrorattacken vom 11. September 2001 gaben
einige in der Partei den Amerikanern selbst die Schuld. Dass prominente
Linke heute wieder lautstark auf die Provokationen des Westens verweisen,
um die russische Aggression zu erklären, kommt daher nicht überraschend.
## Von Russland-Freundschaft und Nato-Bashing
So offensichtlich die historischen Kontinuitäten sind – sie verdecken
zugleich, dass die Partei auf ihrem Weg von der SED zur heutigen Partei Die
Linke sicherheitspolitische Positionen entwickelt hat, die über
Russland-Freundschaft und [3][Nato-Bashing] hinausgehen. Maßgebliche
Vokabeln sind Verständigung, Multilateralismus und nicht zuletzt das
Völkerrecht. Entsprechend begründete die PDS ihre Ablehnung des
Nato-Einsatzes im Kosovo 1999 offiziell mit seinem völkerrechtswidrigen
Charakter.
Die Allianz habe das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen untergraben und
einen problematischen Präzedenzfall geschaffen. Ein Vorwurf, den ähnlich
auch Liberale wie Burkhard Hirsch erhoben. Dass Die Linke den Westen bis
heute für unehrlich hält, wenn es um das Völkerrecht geht, ist also nicht
nur ideologischer Ballast des Kalten Kriegs.
Auch die anhaltende Kritik der Partei an tödlichen Drohneneinsätzen der USA
passt zu ihrer Völkerrechtsdogmatik. Der Anspruch ist klar: Wo andere dazu
neigen, ein Auge zuzudrücken, wenn es um westliche Verstöße gegen Völker-
und Menschenrechte geht, schaut Die Linke genauer hin und hält ihnen den
Spiegel vor. Was aber ist daran falsch? Das Problem ist und war schon immer
die Glaubwürdigkeit. Beim russischen Imperialismus wurden linke Augen in
der Vergangenheit oft trüb.
Sei es im Fall Georgien oder nach der Annexion der Krim: Häufig flüchtete
sich Die Linke in Relativierungen, statt den Aggressor klar zu benennen und
Konsequenzen zu ziehen. Für die Partei- und Fraktionsführung ließ sich
dieser Kurs nach dem Angriff auf die Ukraine nicht mehr halten: Der
aggressive Völkerrechtsbruch geht eindeutig von Russland aus; die UNO ist
durch das russische Veto im Sicherheitsrat blockiert; und Putin selbst hat
bisherige Friedensinitiativen ins Leere laufen lassen.
Zwar gilt mehr denn je, dass ohne Russland kein Frieden in Europa zu machen
ist. Ob er aber mit Putin zu machen ist, daran zweifeln auch Mitglieder der
Linken. Was also tun, wenn die zentralen Maximen linker Sicherheitspolitik
– Russland-Freundschaft und völkerrechtsorientierte Friedenspolitik – so
offen im Konflikt miteinander stehen? Schon länger fragt sich ein zunehmend
sichtbarer Teil der Partei, warum Linke Verständnis für einen
autokratischen und imperialistischen Herrscher wie Putin aufbringen – für
einen Rechten also, wenn man so will.
## Angst vor Identitätsverlust
Sie fordern einen Kurs, der den innenpolitischen Emanzipationsanspruch der
Partei auch außenpolitisch einlöst. Allerdings herrscht in der Linken die
Sorge vor einem weiteren Identitätsverlust – nachdem sie schon ihren Status
als „Ost-Partei“ verloren hat. Auf keinen Fall soll Die Linke so werden wie
die heutigen Grünen, eine Partei des transatlantischen Konsenses, die
Militäreinsätze im Ausland mitträgt und die Aufrüstung der Bundeswehr
unterstützt.
Das aber ist nicht die Alternative. Dass Die Linke auf absehbare Zeit zum
Nato-Fanklub wird, ist nicht sehr wahrscheinlich, selbst wenn sich die
Parteispitze endlich dazu durchringen sollte, mit der Pro-Putin-Fraktion zu
brechen. Auch die kremlkritischen Teile der Linken fürchten einen neuen
deutschen Bellizismus und warnen den Westen vor einer „Eskalationsspirale“,
wie es die Parteiführung formuliert. Eine klare Positionierung gegen Putins
Russland wird daher auch kaum die prowestlichen Kritikerinnen und Kritiker
der Partei beschwichtigen.
Sie könnte der Partei aber helfen, ihren eigenen Ansprüchen gerecht zu
werden: Eine Linke, die nahelegt, dass sie Putin durchgehen lässt, was sie
am Westen kritisiert, ist unglaubwürdig. Wenn sie aber ihren
Russland-Kitsch ablegt und die Augen für den russischen Imperialismus
öffnet, kann man ihre Kritik am Westen ernster nehmen, genauso wie ihre
sicherheitspolitischen Konzeptionen. Ob man sie dann auch teilt, ist eine
andere Frage.
17 Mar 2022
## LINKS
[1] /Linke-und-der-Ukrainekrieg/!5834130
[2] /Evangelikale-bei-Montagsdemos-in-Verden/!5839321
[3] /Mehr-Soldaten-nach-Osteuropa/!5832487
## AUTOREN
Thorsten Holzhauser
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