# taz.de -- Linkspartei zur Russland-Ukraine-Krise: Im Schockzustand | |
> Einhellig verurteilt die Linkspartei das Agieren Putins als | |
> völkerrechtswidrig. Bei der Frage, wie man darauf reagieren soll, | |
> herrscht Uneinigkeit. | |
Bild: In der Linkspartei ist die Empörung über das aggressive Vorgehen Putins… | |
BERLIN taz | In der Linkspartei hat die Rede Wladimir Putins vom Montag | |
einen Schock ausgelöst. Hatte es in den vergangenen Wochen immer wieder | |
Unklarheiten über die Haltung zur Ukraine-Krise gegeben, wird Putins | |
Agieren nun geschlossen als Bruch des Völkerrechts verurteilt. Was jenseits | |
einer Verstärkung diplomatischer Bemühungen für Konsequenzen daraus gezogen | |
werden sollen, darauf gibt es jedoch keine einheitliche Antwort. | |
In einer gemeinsamen Erklärung warfen die Partei- und | |
Bundestagsfraktionsvorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow, Janine Wissler, | |
Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch dem russischen Präsidenten vor, seine | |
Anerkennung der „Volksrepubliken“ Lugansk und Donezk mit dem damit | |
verbundenen Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine sei | |
„völkerrechtswidrig, verletzt die Souveränität und territoriale Integrität | |
der Ukraine und befördert die Gefahr eines großen Krieges in Europa“. Die | |
Partei- und Fraktionsvorsitzenden fordern den Rückzug der russischen | |
Truppen. | |
„Um einen großen Konflikt in Europa zu vermeiden, muss Putin die russischen | |
Truppen sofort zurückziehen“, sagte die Parteivorsitzende Janine Wissler | |
der taz. „Konfliktentschärfung und Deeskalation sind dringender denn je.“ | |
Russland und die Ukraine müssten zum Minsker Abkommen zurückkehren und | |
dessen Umsetzung einhalten. | |
„Putin eskaliert mit der Anerkennung der ‚Volksrepubliken‘ und dem | |
Einmarsch russischer Truppen den Konflikt“, sagte Jan Korte, Erster | |
Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion, der taz. Das sei „klar | |
völkerrechtswidrig“. Auch er forderte, die russischen Truppen müssten | |
„sofort aus der Ukraine abgezogen werden“. Die einzige Lösung bleibe eine | |
Verhandlungslösung, so Korte. | |
## Gegen oder für Sanktionen? | |
Auch die Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen, die bislang Kritik an der | |
Politik Putins stets vermieden hatte, sagte der taz, sie verurteile die | |
einseitige Anerkennung der „Volksrepubliken“ als völkerrechtswidrig. Die | |
Entsendung russischer Truppen bedeute „einen Bruch der Minsker | |
Vereinbarungen und ist nicht zu rechtfertigen, auch wenn deren Umsetzung | |
etwa in Bezug auf den Sonderstatus für Donezk und Luhansk seitens der | |
Ukraine immer wieder vereitelt wurde“. | |
Ziel müsse es jetzt sein, „dass alle Seiten zu Diplomatie und Völkerrecht | |
zurückkehren, um den Konflikt zu entschärfen und den Frieden in Europa zu | |
sichern“, sagte die Sprecherin für Internationale Politik und Abrüstung der | |
Linksfraktion. Sanktionen gegen Russland lehnte sie ab. „Sanktionen werden | |
erfahrungsgemäß zu keiner Änderung der russischen Politik führen, sondern | |
auch uns in Deutschland wirtschaftlich schaden und der US-Frackingindustrie | |
nutzen“, sagte Dağdelen. Auch Linksfraktionschef Bartsch äußerte sich | |
skeptisch gegenüber Sanktionen. | |
In [1][einer gemeinsamen Erklärung] von Dağdelen mit [2][Gregor Gysi, dem | |
außenpolitischen Sprecher der Linksfraktion], fordern die beiden „alle | |
Seiten auf, nicht weiter zu eskalieren“. Alles müsse jetzt darauf gerichtet | |
sein, einen Krieg zwischen der Nato und Russland zu verhindern. „Es darf | |
jetzt nicht weiteres Öl ins Feuer gegossen werden“, schreiben Dağdelen und | |
Gysi. | |
Schon in der Nacht zum Dienstag hatten zahlreiche | |
Linkspartei-Politiker:innen das Vorgehen Putins scharf kritisiert. „Die | |
Rede Putins war blanker Nationalismus, der Einmarsch der russischen Armee | |
in die Ukraine bedeutet Krieg“, [3][twitterte etwa die | |
Bundestagsabgeordnete Martina Renner]. „Nationalismus und Krieg erfährt | |
unsere Gegnerschaft als Linke.“ | |
## Teils sogar Forderung nach Sanktionen | |
Parteivorstandsmitglied Wulf Gallert, Vizepräsident des Landtags von | |
Sachsen-Anhalt, bezeichnete die Rede Putins als „Zäsur“. Es gebe „keine | |
Legitimation für seine großrussischen Ansprüche“, unabhängig von Fehlern | |
des Westens in der Vergangenheit und der Gegenwart. Die Anerkennung der | |
„Volksrepubliken“ sei das „brennende Streichholz am Benzinfass“, so | |
Gallert. | |
Auch der Vorsitzende der sächsischen Linksfraktion Rico Gebhardt warnte vor | |
einer Relativierung des Handelns Putins. „Klar darf man als Linker die USA | |
und die NATO kritisieren“, schrieb er. „Die Aggressionen Russlands eignen | |
sich dafür heute nicht.“ | |
Benjamin-Immanuel Hoff, Chef der Staatskanzlei und Europaminister in | |
Thüringen, [4][warf Putin vor, die europäische Friedensordnung zu | |
unterminieren]. Großmachtstreben, militärische Gewalt und die | |
Infragestellung der Souveränität und des Existenzrechts von freien Ländern | |
seien „in keinem Fall“ zu akzeptieren. „Die Sanktionen gegen Russland sind | |
nötig“, konstatierte Hoff. | |
Auch der frühere Bundestagsabgeordnete Matthias Höhn sprach sich für | |
Sanktionen aus. Außerdem forderte er, [5][den EU-Beitritt der Ukraine jetzt | |
konsequent anzugehen]. „Die Ukraine braucht eine realistische europäische | |
Perspektive“, schrieb er. | |
## Aufruf zur Protestkundgebung vor russischer Botschaft | |
Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler [6][rief zu einer für den späten | |
Dienstagnachmittag geplanten Protestkundgebung] vor der russischen | |
Botschaft in Berlin auf. „Frieden, Sicherheit und Abrüstung heißt | |
Völkerrecht achten“, schrieb er. „Und heißt: Keine russischen Soldaten in | |
der Ukraine.“ | |
Am Dienstagvormittag meldete sich auch Sahra Wagenknecht zu Wort – mit | |
einer weniger entschiedenen Tonlage. „Einseitige Anerkennung der | |
Separatistengebiete widerspricht Völkerrecht & erschwert | |
Verhandlungslösung“, twitterte die Ex-Bundestagsfraktionsvorsitzende. | |
Diplomatie, Deeskalation und die „Berücksichtigung aller | |
Sicherheitsinteressen durch beide Seiten“ seien „dennoch ohne Alternative, | |
um Frieden in Europa zu sichern“. Noch am Sonntag hatte Wagenknecht [7][in | |
der ARD-Sendung „Anne Will“] verkündet, Russland habe „faktisch kein | |
Interesse daran, in die Ukraine einzumarschieren.“ | |
Weitaus eindeutigere Worte als Wagenknecht fand die linksjugend ['solid], | |
der Jugendverband der Linkspartei. „Wir fordern die russische Regierung | |
auf, ihre Truppen sofort aus dem ukrainischen Staatsgebiet zurückzuziehen, | |
die Anerkennung der ‚Volksrepubliken‘ Donezk und Lugansk zurückzunehmen und | |
zu ziviler Konfliktlösung zurückzukehren“, sagte Bundessprecherin Isabella | |
Wolbart. | |
22 Feb 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.linksfraktion.de/presse/pressemitteilungen/detail/zurueck-zu-di… | |
[2] /Gregor-Gysi-zum-Belarus-Konflikt/!5815027 | |
[3] https://twitter.com/MartinaRenner/status/1496029786438868999?s=20&t=QUf… | |
[4] https://twitter.com/BenjaminHoff/status/1495886125826772995?s=20&t=QUfS… | |
[5] https://twitter.com/MatthiasHoehn/status/1496077130135969794?s=20&t=QUf… | |
[6] https://twitter.com/JoergSchindler/status/1496075672292413442?s=20&t=QU… | |
[7] https://daserste.ndr.de/annewill/Keine-Entspannung-im-Konflikt-mit-Putin-wi… | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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