| # taz.de -- Niedergang der Linkspartei: Linksjugend auf der Suche | |
| > Die Debatten junger Leute waren in letzter Zeit oft linksliberal: #MeToo, | |
| > #blacklivesmatter, #climatejustice. Warum profitiert die Linkspartei | |
| > nicht? | |
| Bild: Beim Pfingstcamp in Essen finden sich eher Debatten über Urkommunismus a… | |
| Berlin und Essen taz | Eigentlich sollte es an diesem Abend eine | |
| Podiumsdiskussion geben: „Die Linke am Abgrund – wie weiter?“ Es ist gera… | |
| [1][eine der drängendsten Fragen für die Linkspartei], und als solche | |
| gehört sie hierher, auf das Pfingstcamp der Linksjugend Nordrhein-Westfalen | |
| und Rheinland-Pfalz. Aber die Diskussion fällt aus. Es habe sich einfach | |
| kein Parteimitglied gefunden, das auf der Bühne mit den jungen Linken | |
| diskutieren wollte, erklärt ein Teilnehmer. | |
| Die Linke ist in der Krise. Bei den Landtagswahlen im Saarland, in | |
| Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen hat sie es nicht mal in die | |
| Parlamente geschafft. In den Bundestag kam sie nur knapp. Dazu kamen ein | |
| MeToo-Skandal, der Rücktritt einer ihrer Vorsitzenden, [2][Streit über | |
| Putin, die Nato und den Krieg in der Ukraine]. Auf dem Parteitag in Erfurt | |
| am kommenden Wochenende will sich die Partei neu aufstellen. | |
| Dabei könnten die Zeiten für eine linke Partei eigentlich kaum besser sein: | |
| Inflation, [3][Wohnungsnot] und Klimakrise verlangen nach Antworten. Auch | |
| das Wählerpotenzial ist da: Laut einer Studie der Linke-nahen | |
| Rosa-Luxemburg-Stiftung könnten sich 18 Prozent vorstellen, die Linke zu | |
| wählen. Warum strauchelt die Partei trotzdem? | |
| Auf dem Pfingstcamp in Essen führen die Teilnehmer*innen die Diskussion | |
| über ihre Zukunft einfach selbst. Etwa 60 junge Menschen sitzen im Kreis | |
| und puzzeln zusammen, was in der Partei falsch läuft: [4][Sie trete | |
| schlecht auf], sei intern nicht zu Diskussionen in der Lage, und wenn sie | |
| in Regierungsverantwortung komme, schaffe sie es nicht, ihre Positionen | |
| durchzusetzen. | |
| In der Runde sprechen überwiegend Männer, es wird viel genickt und | |
| applaudiert. Neben der Diskussion stehen in Essen auch politische Vorträge | |
| auf dem Programm: „Marxistische Analysen zum Krieg in der Ukraine“, „Füh… | |
| Lenin zu Stalin?“ oder „Die Menschen im Urkommunismus“. Die Themen, die in | |
| letzter Zeit junge Menschen auf der ganzen Welt mobilisiert haben – #MeToo, | |
| [5][#blacklivesmatter], #climatejustice – muss man dagegen lange suchen. | |
| Die Linksjugend in NRW ist keine, die sich an Hashtagdebatten abarbeitet. | |
| Dabei war es ein Hashtag, der der Linksjugend gerade Öffentlichkeit | |
| verschafft hat: [6][#linkemetoo]. Seit Monaten hatten junge linke Frauen in | |
| den sozialen Medien über Sexismus im hessischen Landesverband geschrieben. | |
| Der Spiegel hat die Vorwürfe schließlich recherchiert und eine Debatte in | |
| der Partei losgetreten. Vorangetrieben hat die auch Sarah Dubiel, | |
| Bundessprecherin der Linksjugend. Auf Twitter teilt sie heftig aus, hat der | |
| Parteiführung vorgeworfen, die Betroffenen nicht ernst zu nehmen. „Der | |
| momentane Umgang mit den Sexismusvorwürfen ist krass, weil es nicht mit dem | |
| übereinstimmt, was ich am Anfang wahrgenommen habe“, sagt Dubiel der taz. | |
| ## Gegen Rassismus und Sozialabbau | |
| Dubiel, 27 Jahre alt, alleinerziehend, kommt aus Rheinland-Pfalz, beim | |
| Pfingstcamp ist sie nicht dabei. Für Sahra Wagenknecht wären [7][Leute wie | |
| sie vermutlich „Lifestylelinke“], also Leute, die lieber über Sexismus und | |
| Rassismus redeten als über Sozialabbau. Aber für Dubiel lässt sich das | |
| eine nicht vom anderen trennen: „Wer sind denn die Personen, die am meisten | |
| ausgebeutet werden? Das ist nicht unbedingt Klaus-Dieter, Mitte 40. Das | |
| sind Migrant:innen, die für 4 Euro Spargel stechen.“ Die Linke müsse sich | |
| für all jene einsetzen, die es in der Gesellschaft am schlechtesten haben: | |
| „arme Menschen, behinderte Menschen und vor allem Migrant:innen.“ | |
| Elias Hildebrandt sieht weitere Ursachen, weshalb die Linke keine Wahlen | |
| mehr gewinnt. Hildebrandt, 19 Jahre alt und Mitglied der Linksjugend | |
| Köpenick-Treptow im Berliner Wahlkreis von Gregor Gysi, verteilt an einem | |
| Junimorgen Gratiskaffee und Parteiflyer an der S-Bahn in Köpenick. „Ihr | |
| könnt’s auch nicht besser machen als die anderen“, ruft ein Mann mit | |
| Sommerhut. „Geh arbeiten!“, ein anderer. | |
| Hildebrandt lässt sich davon nicht beeindrucken. Er kritisiert, wie die | |
| Parteimitglieder öffentlich miteinander umgehen: „[8][Dass Oskar Lafontaine | |
| kurz vor der Saarlandwahl aus der Linken ausgetreten ist], war ein | |
| Mittelfinger in Richtung all der jungen Genossinnen und Genossen, die dort | |
| Wahlkampf gemacht haben“, sagt er. Bei der anschließenden Landtagswahl | |
| verlor die Partei über 10 Prozentpunkte und flog aus dem Landtag. | |
| ## Ein Drittel der Mitglieder verloren | |
| Die Linkspartei hat in den letzten zehn Jahren ein Drittel ihrer Mitglieder | |
| verloren, 30.000 neue sind hinzugekommen. Viele der Neuen sind unter 30, | |
| weiblich, leben in großen Städten. Sie könnten die Partei erneuern, doch | |
| sind sie öffentlich kaum präsent. | |
| Aus den Jugendorganisationen der anderen Parteien gehen immer wieder | |
| prominente Politiker*innen hervor: Kevin Kühnert für die SPD, die | |
| Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang, und Paul Ziemiak war noch Vorsitzender der | |
| Jungen Union, als er Generalsekretär der CDU wurde. Im Bundestag sitzen | |
| viele Mitglieder der verschiedenen Jugendorganisationen von SPD, Grünen und | |
| CDU als Abgeordnete. Sie haben den Altersdurchschnitt im aktuellen | |
| Parlament deutlich nach unten gedrückt. Die Linke hingegen ist hinter der | |
| AfD mittlerweile die älteste Partei im Bundestag. | |
| ## Streit um Apartheidstaat | |
| Sie könnte durchaus Kraft entwickeln, die Linksjugend – wenn sie | |
| geschlossen auftreten würde. Auch die Landesgruppen der Linksjugend | |
| [9][streiten über ihre unterschiedlichen Vorstellungen] von linker Politik. | |
| Die Linksjugend in Köpenick, zu der Elias Hildebrandt gehört, verkündete | |
| gerade auf Twitter ihren Austritt aus dem Verband „solid Berlin“der | |
| Linksjugend. „Wir arbeiten relativ nah mit der Partei zusammen, das hat | |
| ‚solid Berlin‘ nicht gefallen“, sagt Hildebrandt dazu. Streit gab es | |
| zuletzt auch über Antisemitismusvorfälle. Die Berliner Linksjugend hatte im | |
| April beschlossen, Israel als Apartheidstaat zu bezeichnen. | |
| Wenige Tage später reihten sich Mitglieder der Berliner Linksjugend samt | |
| Fahne in eine propalästinensische Demonstration ein, auf der Parolen der | |
| Terrororganisation Hamas angestimmt wurden und ein Reporter von | |
| Demonstrierenden als „dreckiger Jude“ und „Scheißjude“ beleidigt wurde… | |
| Bundesverband der Linksjugend warf dem Berliner Landesverband eine | |
| „Dämonisierung Israels“ vor und verwies auf einen Beschluss, wonach die | |
| Linksjugend Antisemitismus entgegentrete. | |
| Politische Streitigkeiten gehören zu allen Parteien. Bei der Linken und | |
| ihrer Jugend sind sie zurzeit aber besonders laut und hässlich. Vielleicht | |
| braucht es gerade das, denken einige, um die Partei von Grund auf zu | |
| erneuern. Vielleicht, denken andere, zerbricht sie aber genau daran. Für | |
| Sarah Dubiel, die Linksjugend-Sprecherin, wäre das eine Katastrophe. „Wenn | |
| die Linke zerbricht, dann hat man keine wirklich linke Kraft mehr im | |
| Bundestag. Das wäre fatal.“ Elias Hildebrandt von der Linksjugend | |
| Treptow-Köpenick sieht das pragmatischer: „Dann treten wir alle in die SPD | |
| ein und stärken den linken Flügel“, sagt er. Es ist ein Scherz. | |
| 24 Jun 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Janis-Ehling-ueber-die-Linkspartei/!5860024 | |
| [2] /Klaus-Lederer-ueber-Linkenparteitag/!5859733 | |
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| [8] /Lafontaine-tritt-aus-Linkspartei-aus/!5842401 | |
| [9] /Grabenkaempfe-bei-der-Linkspartei/!5834229 | |
| ## AUTOREN | |
| Shoko Bethke | |
| David Muschenich | |
| Ruth Lang Fuentes | |
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