Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Janis Ehling über die Linkspartei: „Wir haben einen großen Umbr…
> Die Linkspartei habe „kein Recht, sich selbst aufzugeben“, sagt Janis
> Ehling. Der 36-jährige Ostberliner will ihr neuer Bundesgeschäftsführer
> werden.
Bild: Janis Ehling: „Der Wille zum gemeinsamen Handeln muss wieder erkennbar …
taz: Herr Ehling, die Linkspartei befindet sich [1][in einer
Existenzkrise]. Was motiviert Sie dazu, ausgerechnet in einer solchen
Situation deren Bundesgeschäftsführer werden zu wollen?
Janis Ehling: Es klingt vielleicht verwegen, aber ich habe wahnsinnige
Lust, den Laden wieder auf Vordermann zu bringen. Ja, die Situation ist
beschissen, aber [2][alles andere als ausweglos]. Denn der derzeitige
Zustand birgt auch eine Chance. Eine so große Organisation wie eine Partei
ist wahnsinnig schwerfällig. Das erschwert notwendige Veränderungsprozesse.
Doch so eine tiefe Krise, wie die derzeitige, lässt das Bewusstsein für die
Notwendigkeit für Veränderungen, die längst überfällig sind, wachsen und
das Beharrungsvermögen schwinden. Das will ich nutzen.
Vielleicht passen ja auch die eher behäbigen Ostlinken aus der PDS und die
streitlustigeren Wessis aus der WASG einfach nicht zueinander und jetzt
geht es eben nicht mehr.
Das ist mir zu klischeehaft. Richtig ist, dass es unterschiedliche
Erfahrungshorizonte gibt. Ich bin 1985 in Rostock geboren worden, kurz
darauf sind meine Eltern in die Hauptstadt der DDR gezogen, wo ich dann
aufgewachsen bin. Bis heute definiere ich mich ganz identitär als
Ostberliner. Das hängt mit den Umbrucherfahrungen nach dem Mauerfall
zusammen.
In den 1990er Jahren, also in meiner Kindheit und Jugend, war die ehemalige
DDR das Versuchslabor des Neoliberalismus in Deutschland. Und das hatte
ganz konkrete Auswirkungen auf die Lebensbiographien. In meiner
Verwandtschaft sind ganz viele erstmal arbeitslos geworden, einige haben
sich nie wieder gefangen. Wenn plötzlich deine engsten Verwandten
Existenzängste haben, dann prägt dich das.
Was haben Ihre Eltern beruflich gemacht?
Sie sind beide Geolog:innen. Das bedeutet, dass ich in meiner Kindheit sehr
viel Zeit in Steinbrüchen und in alten Gebäuden verbracht habe. Alte
Gebäude mag ich immer noch, Steinbrüche weniger.
Sie selbst haben in Marburg studiert, also in Westdeutschland.
Ich habe zuerst an der FU Berlin studiert, aber das habe ich abgebrochen
und stattdessen ein halbes Jahr auf dem Bau gearbeitet. Das war ein
Knochenjob, der mich sehr motiviert hat, es doch noch mal mit dem Studium
zu probieren. Respekt für alle, die das ihr Leben lang machen. 2008 bin ich
nach Marburg gegangen.
Da hatte ich zwei für mich erstaunliche Erlebnisse: Zum einen wurde da
ausführlich die Geschichte der BRD behandelt, die der DDR kam jedoch nicht
vor. Als hätte es sie nicht gegeben. Ich habe jetzt nicht gerade einen
positiven Bezug zur DDR, aber das hat mich schon stutzig gemacht. Zum
anderen war für meine Kommiliton:innen 1989 überhaupt keine wichtige
Kategorie. Das hat mir veranschaulicht, wie unterschiedlich
Lebensrealitäten sein können. Erst in Marburg ist mir so richtig klar
geworden, wie sehr ich eigentlich Ossi bin.
Sie bezeichnen sich selbst als „Ossi“?
Heute würde ich mich manchmal eher als „Wossi“ bezeichnen. In Marburg hatte
ich das Glück, bei den damals noch vorhandenen Resten der 68er-Generation
studieren zu können, den Schülern des linkssozialistischen Politologen
Wolfgang Abendroth wie Frank Deppe oder Georg Fülberth. Das war sehr
lehrreich.
Ich habe dort die Traditionen der westdeutschen Linken aufgesogen, die mich
fasziniert haben, weil sie ein anderes Linkssein verkörperten –
widerständiger, politisch einmischender und selbsttätiger. Ich glaube, dass
wir aus beiden linken Geschichten in Ost und West viel lernen können, im
Guten wie im Schlechten.
Waren Sie schon Mitglied der Linkspartei, als Sie nach Marburg gekommen
sind?
Nein. Kurz nachdem ich in Marburg angekommen bin, bin ich erstmal über
einen Marx-Lesekreis zu deren Studierendenverband Die Linke.SDS gestoßen,
dessen Bundesgeschäftsführer ich später auch war. In die Partei bin ich
2009 eingetreten.
Sie waren nicht in der PDS?
Das war für mich keine Option, weil die PDS in der damaligen rot-roten
Regierung in Berlin die Wohnungen mitprivatisiert hat. Damit konnte ich
überhaupt nichts anfangen. Aber den Vereinigungsprozess von PDS und WASG ab
2005 habe ich dann als einen Aufbruch erlebt, an dem ich mich beteiligen
wollte. Das treibt mich auch jetzt an: Unser Kampf für soziale
Gerechtigkeit, für höhere Löhne, gegen steigende Mieten, für Abrüstung und
auch gegen den menschengemachten Klimawandel muss weitergehen.
Die Linke wird gebraucht und hat deswegen kein Recht, sich einfach selbst
aufzugeben. Das darf es nicht gewesen sein – und das ist es meiner
Überzeugung nach auch nicht gewesen.
Gregor Gysi fordert, die Linkspartei müsse wieder zu ihrer Ostidentität
zurückfinden. Sehen Sie darin einen Ausweg aus der Krise?
Ich halte das explizit für falsch. Denn es greift zu kurz. Es gibt ein
krasses Auseinanderdriften sowohl zwischen Arm und Reich, als auch zwischen
Aufstiegs- und Abstiegsregionen. Da müssen wir einen gesamtdeutschen Blick
haben. Abgehängte Regionen gibt es nicht nur im Osten, schauen Sie nur mal
ins Ruhrgebiet. Auch hier gilt, dass sich die Linke nicht auf bestimmte
Milieus verengen darf.
Außerdem erscheint mir eine Rückbesinnung auf alte PDS-Zeiten nicht
zukunftstauglich. Wir haben ja einen wirklich großen Umbruch in der Partei.
In den letzten acht Jahren hat sich die Hälfte der Mitgliedschaft
ausgewechselt, also rund 30.000 sind neu. Viele Ältere haben die Partei
verlassen oder sind gestorben, die Jüngeren, die hinzugekommen sind, denken
und handeln in der Regel nicht in Ost-West-Kategorien. Die haben übrigens
auch vielfach andere Vorstellungen von Politik, was selbstverständlich
Konflikte mit sich bringt.
Wie äußern sich die?
Ob im Osten oder Westen haben wir vor allem in den großen Städten Zuwachs
von jungen Leuten bekommen, die natürlich ihre eigenen Themen und Formen
einbringen. Die sind ganz selbstverständlich bei [3][Fridays for Future],
in der Antifa, in Flüchtlingsinitiativen oder sind gewerkschaftlich
organisiert. Die haben also häufig einen bewegungsorientierteren Ansatz und
einen Anspruch, auch innerparteilich Bestehendes zu verändern. Nicht selten
treffen sie auf Ältere, die sagen: Aber wie wir das machen, haben wir das
schon immer gemacht – und wir wollen, dass das so bleibt. Da geht das
Gemeinsame oft flöten.
Was wäre die Lösung?
Notwendig ist gegenseitige Akzeptanz und ein Aufeinanderzugehen. Einer
meiner liebsten Genossen in meiner Basisgruppe in Berlin-Friedrichshain ist
81 Jahre alt, der war lange VVN-BDA-Vorsitzender im Bezirk und steht immer
noch jede zweite Woche am Infostand. Und ein- bis zweimal im Jahr macht er
einen antifaschistischen Stadtrundgang bei uns im Bezirk.
Davor habe ich unglaublichen Respekt. Wir haben ein Verständnis füreinander
entwickelt. Wir teilen die unbedingte Überzeugung, dass linke Politik ohne
Basisarbeit nicht geht, und haben zum Beispiel gemeinsam Unterschriften für
das Volksbegehren „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ gesammelt.
Klingt etwas idealisierend. So einfach lässt sich der Generationenkonflikt
auflösen?
Ich finde es wichtig, dass unterschiedliche Traditionen und Zugänge
zusammenfinden, wenn es auch nicht immer einfach ist. Wie groß unsere
Gemeinsamkeiten sind, hat sich beispielsweise in der „Flüchtlingskrise“
2015 gezeigt. Da war ich total überrascht von meiner älteren Genoss:innen,
die Unglaubliches auf die Beine gestellt haben, um den Menschen zu helfen.
Die haben mir gesagt: Wir haben als Kinder selbst Fluchterfahrung gemacht,
und das wünschen wir keinem, also müssen wir hier helfen.
Was muss sich aus Ihrer Sicht in der Linkspartei ändern?
Das ist ein ganzes Konglomerat. Nehmen Sie nur mal die vergangene Europa-
und die verlorene Bundestagswahl: Beide Male haben wir mit der Vorbereitung
des Wahlkampfs zu spät angefangen, hatten jeweils ein Wahlprogramm und eine
Wahlstrategie, die nicht von der gesamten Partei vertreten wurden.
Unsere Wahlkampagne hat nicht mal die eigenen Mitglieder abgeholt. Wie soll
sie dann potentielle Wähler:innen motivieren? Unsere Kampagnen müssen
mehr Wumms haben und unsere Mitglieder und unsere Anhänger:innen wieder
mit Stolz erfüllen. Ansonsten kann man sich gute Wahlergebnisse in die
Haare schmieren.
Hat die Linkspartei nur ein Performanceproblem?
Zumindest ist ganz offensichtlich, dass sich das öffentliche
Erscheinungsbild ändern muss. Wenn in allen großen gesellschaftlichen
Konflikten der letzten Jahre – von der Diskussion über Flucht und Migration
über die Auseinandersetzung mit dem menschengemachten Klimawandel bis hin
zum Umgang mit der Corona-Pandemie – zielsicher stets zwei gegensätzliche
Antworten aus der Partei zu vernehmen waren, dann hat uns das geschwächt.
Das heißt, wir müssen wieder geschlossener agieren. Der Wille zum
gemeinsamen Handeln muss wieder erkennbar werden. Das wird eine der
zentralen Aufgaben [4][der neuen Parteiführung] und damit auch des
Bundesgeschäftsführers sein.
Sie wünschen Sich eine Partei, die brav ihren Führer:innen folgt?
Keineswegs. Die Zeiten, in denen Linke so etwas für links hielten, sind
glücklicherweise lange vorbei. Es braucht eine starke linke
Mitgliederpartei mit einer breiten Verankerung sowohl in den Städten als
auch auf dem Land. Ohne das geht es nicht. Aber es braucht auch Personen,
die populär die Inhalte der Partei vertreten.
Sie werden also im Falle Ihrer Wahl Sahra Wagenknecht in jede Talkshow
begleiten und aufpassen, dass sie kein komisches Zeugs erzählt?
Nein, sicher nicht. Aber zum einen glaube ich schon, dass wir eine
gestärkte Parteiführung brauchen, die als Team agiert. Zum anderen sage ich
es mal so: Alle Teile der Partei, auch die vorderen und bekannten
Gesichter, müssen sich bewusst sein, dass auch sie gescheitert sind, wenn
das Projekt jetzt scheitert. Womit wirklich Schluss sein muss, das ist,
dass sich die eigene Partei in der Öffentlichkeit schlecht redet. Das muss
jetzt aufhören.
Wie soll das gelingen? In keiner anderen Partei [5][beschimpfen sich die
Mitglieder] untereinander so leidenschaftlich wie in der Linken.
Es stimmt leider, dass es um die politische Kultur in der Linken auf
Bundesebene schlecht bestellt ist. Das müssen wir dringend ändern, weil die
Form, wie wir all zu oft miteinander umgehen, destruktiv ist und zu Recht
als abschreckend empfunden wird. Ich halte es jedoch für eine absolute
Illusion und auch nicht für erstrebenswert, dass eine linke Partei aufhört,
miteinander zu streiten. Aber wir müssen wieder lernen, um die Sache zu
streiten – und zwar respektvoll, ohne gleich die Integrität des Gegenübers
infrage zu stellen.
Wäre es nicht vielleicht an der Zeit, einen Bruch zu machen, also zu sagen:
Okay, die Konstruktiven in den verschiedenen Flügeln versuchen gemeinsam
die Partei zu retten – und die Destruktiven, die nicht mitziehen wollen,
werden herausgedrängt?
Ich sehe, dass große Teile der Partei ein wirkliches Interesse haben, um
diese Partei zu ringen. Und ja: Alle, denen es wirklich ernst damit ist,
dass es weiter in Deutschland einer vernehmbaren Stimme für soziale
Gerechtigkeit, für Frieden und gegen die Klimakatastrophe bedarf, müssen
sich jetzt auf ihre Gemeinsamkeiten besinnen und eng zusammenarbeiten.
Aber das darf nichts daran ändern, dass die Linke eine pluralistische
Partei ist. Dass sie das ist, ist eine Lehre aus der nicht gerade immer
rühmlichen Geschichte der Linken. Zu dieser Geschichte gehören leider auch
das Fraktionsverbot in den kommunistischen Parteien und politische
Säuberungen. Damit haben wir konsequent gebrochen. Das heißt aber auch:
Wenn bei uns jemand geht, dann geht er freiwillig. Was ich will, ist eine
Erneuerung der Partei. Das ist mein Ziel – und daran will ich mich messen
lassen.
8 Jun 2022
## LINKS
[1] /Zukunft-der-Linkspartei/!5846591
[2] /Studie-zur-Linkspartei/!5853570
[3] /Schwerpunkt-Fridays-For-Future/!t5571786
[4] /Neuwahl-der-Linken-Parteispitze/!5853705
[5] /Vor-dem-Parteitag-der-Linken/!5855024
## AUTOREN
Pascal Beucker
## TAGS
Die Linke
GNS
Parteitag
Die Linke Berlin
Europäische Linke
Mietenwahnsinn
Die Linke
Lesestück Recherche und Reportage
Parteitag
## ARTIKEL ZUM THEMA
Vor dem Linkenparteitag in Erfurt: Ungewisse Hoffnung aufs Morgenrot
Die Linke trifft sich zum Parteitag in Erfurt. Auf dem dreitägigen Treffen
sucht sie nach einem Ausweg aus ihrer Existenzkrise.
Die Linkspartei wird 15 Jahre alt: Nicht in Feierlaune
Die Linkspartei begeht ihren 15. Geburtstag. Vom Krisenparteitag Ende Juni
in Erfurt erhofft man sich einen neuen Aufbruch.
Vor dem Parteitag der Linken: Schirdewan hofft auf das Morgenrot
Mit einem 7-Punkte-Plan kandidiert Martin Schirdewan für den Posten des
Co-Vorsitzenden der Linkspartei. Er fordert eine strukturelle Erneuerung.
„Socialism in our Times“-Konferenz: Friede den Hütten, Krieg den …
Stadtsoziologe Andrej Holm, die Linke Katalin Gennburg und Max Zirngast,
KPÖ-Gemeinderat aus Graz, diskutieren die Wohnungspolitik als soziale
Frage.
Vor dem Bundesparteitag: Wechsel im Linken-Maschinenraum
Auf dem Parteitag Ende Juni wird Jörg Schindler nicht wieder als
Bundesgeschäftsführer kandidieren. Janis Ehling möchte sein Nachfolger
werden.
Streit um das Erbe: Sie macht jetzt einfach
Seit Kurzem ist Katja Kipping Senatorin für Integration, Arbeit und
Soziales in Berlin. Die Ex-Linken-Chefin blüht auf. Ihrer Partei geht es
schlecht.
Vor dem Parteitag der Linken: Mit Floskeln zum Sozialismus
„Für eine populäre Linke“ heißt ein Aufruf, mit dem Sahra Wagenknecht f�…
den Parteitag mobilisiert. Reformer Hoff spricht von Legendenbildung.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.