| # taz.de -- Klimaschutz im Kapitalismus: „Grünes Wachstum ist nicht möglich… | |
| > Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden. Aber geht das in unserem | |
| > Wirtschaftssystem überhaupt? Ein Streitgespräch. | |
| Bild: taz-Finanzexpertin Ulrike Herrmann (l.) und Energieexperte Patrick Graich… | |
| Patrick Graichen ist Direktor des Thinktanks Agora Energiewende, der | |
| umfassende Studien vorgelegt hat, wie Wege zu einem „klimaneutralen | |
| Deutschland“ aussehen könnten. Sie lesen sich wie Blaupausen für eine | |
| schwarz-grüne Regierung, die den Klimaschutz ernst nimmt. Er trifft an | |
| einem langen Abend auf Ulrike Herrmann, Finanzexpertin der taz und | |
| Bestsellerautorin von Büchern wie „Der Sieg des Kapitals“. Sie stellt | |
| infrage, ob die Versöhnung von Ökonomie und Ökologie so gelingen kann. Es | |
| wird ein intensives Gespräch. Für die Dauer einer Fußballpartie mit | |
| Nachspielzeit spielen die beiden sich die Bälle zu. Die taz fungiert als | |
| Schiedsrichter, aber der Austausch bleibt fair. Es wird ernsthaft geredet, | |
| aber auch viel gelacht. Der Wein wird kaum angerührt, Konzentration ist | |
| gefragt. Schließlich geht es um eine komplexe Materie und entscheidende | |
| Zukunftsfragen. | |
| taz: Frau Herrmann, die Agora von Patrick Graichen hat Studien unter dem | |
| Titel „Klimaneutrales Deutschland“ vorgelegt, die auf Ihren Widerspruch | |
| treffen. Was stört Sie daran? | |
| Ulrike Herrmann: Das Problem daran ist, dass sie behaupten, auch eine | |
| klimaneutrale Wirtschaft könnte stetig wachsen – ohne dass dies irgendwo | |
| genau modelliert wäre. Diese Lücke ist kein Zufall, glaube ich. Grünes | |
| Wachstum ist nicht möglich. | |
| Warum nicht? | |
| Wenn wir bis 2045 oder gar 2035 klimaneutral sein wollen, bleibt sehr wenig | |
| Zeit. Heute liegt der Anteil der Erneuerbaren am gesamten Energieverbrauch | |
| bei etwa 17 Prozent. Es ist völlig unklar, wie das in 30 Jahren auf 100 | |
| Prozent steigen soll. | |
| Die Szenarien sehen vor, dass man den Energieeinsatz bis 2050 halbiert. | |
| Herrmann: Ja, und gleichzeitig nimmt die Studie ein Wirtschaftswachstum von | |
| 1,3 Prozent pro Jahr an. Das heißt, wir müssten eine Steigerung der | |
| Energieeffizienz um etwa 75 Prozent bis 2050 erleben. Wenn sich dafür zum | |
| Beispiel der Autoverkehr halbieren muss, was ich als Radfahrerin ja sehr | |
| begrüßen würde, dann frage ich mich: Wo soll das beschworene Wachstum | |
| herkommen? | |
| Patrick Graichen: Die Halbierung des Gesamtenergieverbrauchs ist machbar, | |
| weil schon der Ersatz von Öl, Gas und Kohle durch Wind- und Solarstrom | |
| unglaubliche Effizienzgewinne bringt. Bisher verschwenden wir da ja 60 | |
| Prozent der Energie als Wärme und CO2 an die Luft. Allein diese | |
| Elektrifizierung der Volkswirtschaft spart schon massiv Primärenergie ein. | |
| Ein Beispiel ist der Umstieg auf Elektroautos, die um zwei Drittel | |
| effizienter sind als Verbrenner. Die eigentliche Herausforderung ist der | |
| Gebäudesektor, denn da muss der Energiebedarf wirklich halbiert werden. Und | |
| bisher ist noch nicht geklärt, wo all die Handwerker dafür herkommen | |
| sollen. | |
| Herrmann: Man würde damit nur die jetzige Produktion energieeffizienter | |
| angehen, das ist noch kein grünes Wachstum. Erneuerbare Energien sind | |
| außerdem teurer als die jetzige fossile Energie. Und der Kapitalismus | |
| braucht dringend billige Energie für sein Wirtschaftswachstum. | |
| Graichen: Ich stimme zu, dass das jetzige fossile System billiger ist als | |
| Erneuerbare. Aber wir erreichen einen Gleichstand bei einem CO2-Preis von | |
| 50 oder 60 Euro. Und bei 100 Euro wird das erneuerbare System billiger. | |
| Also spätestens in zehn Jahren. Da kommt die Politik ins Spiel, die den | |
| CO2-Preis festlegt. Dafür muss man nicht den Kapitalismus abschaffen. Dafür | |
| brauchen wir Preise und Ordnungsrecht, dann läuft das System in die | |
| richtige Richtung. | |
| Herrmann: Daran sieht man, dass Sie Volkswirtschaft zu einer Zeit studiert | |
| haben, als Energie in der neoklassischen Theorie keine Rolle spielte. Sonst | |
| würden Sie gar nicht darauf kommen, dass Wachstum ohne Energie möglich ist. | |
| Graichen: Wachstum braucht Energie. Aber teurere Energie ändert nichts an | |
| den Grundlagen des Systems, sondern am Verhältnis von eingesetzter Arbeit, | |
| Energie und Kapital. | |
| Herrmann: Das sehe ich eben ganz anders. Aus meiner Sicht ist Energie | |
| alles. Ohne billige Energie hätte es den Kapitalismus nicht gegeben. Und | |
| Wachstum ohne billige Energie ist nicht möglich. | |
| Graichen: Selbst wenn man Ihnen recht gäbe, haben wir immer noch kein | |
| Problem, weil Strom aus Erneuerbaren immer billiger wird. Die Kosten sinken | |
| weiter, in den sonnenreichen Gegenden kommt Öl gar nicht mehr an | |
| Solarenergie heran. In Portugal gab es letztens eine Solarstromauktion für | |
| 1,1 Cent die Kilowattstunde. Das ist fast umsonst und schlägt Kohle, Öl und | |
| Gas bei Weitem. Es gibt keinen Grund, dass die Kosten nicht noch weiter | |
| nach unten gehen. | |
| Herrmann: Das Problem ist die Speicherung der Ökoenergie. Die | |
| Industriegesellschaft kann nicht stillstehen, sobald kein Wind weht und die | |
| Sonne nicht scheint. Mindestens zweimal im Jahr produzieren Wind- und | |
| Solarenergie mindestens zwei Tage lang fast gar nichts. | |
| Graichen: Es können in Europa sogar mal bis zu zwei Wochen im Winter geben, | |
| in denen wir kaum Windstrom haben … | |
| Herrmann: Das ist ja noch schlimmer! Also für diese zwei Wochen braucht man | |
| dann Batterien oder andere Speichersysteme. Die sind aber teuer. | |
| Graichen: … und ich will das Problem der sogenannten Dunkelflaute nicht | |
| wegdiskutieren. Alle paar Jahre kann das über einen Zeitraum von einer | |
| Woche vorkommen, das letzte Mal 2012. | |
| Herrmann: Auch in diesem Januar hatten wir zweimal jeweils zwei Tage lang | |
| kaum Wind. | |
| Graichen: Das ist völlig normal und kein Grund zur Beunruhigung. Es hängt | |
| eben nicht alles an den Speichern. Wir werden die Gaskraftwerke einfach | |
| behalten, als Versicherung gegen solche Zeiten. Und für 100 Prozent | |
| Klimaneutralität stellen wir sie auf Wasserstoff um. | |
| Herrmann: Aber es geht ja nicht um einen kleinen Rest. Wenn die | |
| Dunkelflaute kommt, muss man sofort den gesamten Strombedarf der | |
| Volkswirtschaft ersetzen können – und der wird viel größer sein als jetzt, | |
| sobald wir alles auf Strom umstellen. Man muss also zusätzliche | |
| Gaskraftwerke als Reserve bauen. | |
| Graichen: Das ist das Standardargument der Kohlelobby: Ohne fossile Energie | |
| gehen bei uns die Lichter aus. Seit sieben Jahren ist das eine der | |
| zentralen Aufgaben der Agora, dafür die sauberen Lösungen zu kalkulieren. | |
| Und wir haben das bis ins Detail durchgerechnet. Ergebnis: kein Problem. | |
| Diese Diskussion ist auf der technischen Ebene nun wirklich gelöst. | |
| Herrmann: Mein Punkt ist nicht, dass es keine technischen Lösungen gäbe. | |
| Mir geht es darum, dass Ökoenergie nur mit Speichern funktioniert. | |
| Dunkelflauten sind ja nur ein Problem. Auch im normalen Alltag muss man den | |
| Ökostrom zwischenspeichern, damit er in der ganzen Volkswirtschaft | |
| permanent zur Verfügung stehen kann. Aber genau diese Speicherkapazitäten | |
| machen Ökostrom vergleichsweise aufwendig und ineffizient. | |
| Graichen: Im normalen Alltag werden wir Batterien nehmen zur | |
| Zwischenspeicherung, und da erleben wir gerade genau die gleiche sagenhafte | |
| Kostenreduktion wie bei der Solarenergie. Was dann noch als Herausforderung | |
| bleibt, ist der grüne Wasserstoff, den wir als saisonalen Speicher brauchen | |
| werden, um im Winter in der Dunkelflaute Strom zu erzeugen. Da sagen Sie, | |
| das ist sündhaft teuer, zu teuer, als dass sich der Kapitalismus da seine | |
| billige Energie holen könnte. Aber da würde ich den Kapitalismus mal nicht | |
| unterschätzen: Wir fangen ja gerade erst an, den Wasserstoff im großen Stil | |
| auszubauen. Wir haben die Kosten bei Wind und Solar unglaublich schnell und | |
| weit heruntergebracht, sie gehen bei Batteriespeichern runter, wie ich es | |
| vor fünf Jahren nicht für möglich gehalten habe. Und jetzt fängt das | |
| Gleiche beim Wasserstoff an. | |
| Herrmann: Das ist eine Wette auf die Zukunft. Wenn man aus Ökostrom | |
| Wasserstoff macht und daraus wieder Strom, hat man insgesamt einen | |
| Wirkungsgrad von nur etwa 30 Prozent – ein modernes Braunkohlekraftwerk hat | |
| bis zu 45 Prozent. Wie soll die Ökoenergie reichen, damit es zu grünem | |
| Wachstum kommt? | |
| Tatsächlich geht das Gutachten von einem Jahreswachstum von 1,3 Prozent | |
| aus. Über 30 Jahre kumuliert, ist das auch nicht gerade öko. | |
| Graichen: Damit sind wir bei der Kernfrage: Sind Wachstum und Klimaschutz | |
| vereinbar? | |
| Und? Können wir die Wirtschaft wachsen lassen, ohne die Welt zu ruinieren? | |
| Graichen: Die Debatte wird mir zu holzschnittartig geführt. Eigentlich ist | |
| die Frage doch: Was darf aus ökologischer Sicht noch wachsen, was nicht | |
| mehr? Wind und Solar sind so verfügbar, dass sie unbegrenzt wachsen können. | |
| Wir haben kein Problem beim Energieangebot. Wir haben vielleicht ein | |
| Materialproblem bei der Herstellung der Anlagen. Aber Stahl ist nicht knapp | |
| und außerdem gut recycelbar, Erze und Silizium sind nicht knapp. Bei den | |
| Speichern könnten Lithium oder Kobalt irgendwann mal ein Problem werden, | |
| aber man arbeitet bereits an Ersatz und Lösungen auf Basis von Schwefel. Wo | |
| wir echte, harte globale Grenzen haben, das sind die Knappheiten bei | |
| Flächen und beim Süßwasser – deswegen muss man unbedingt an die | |
| industrielle Landwirtschaft ran – und natürlich bei der | |
| CO2-Aufnahmekapazität der Atmosphäre. Deswegen sitzen wir ja hier. Aber ein | |
| Erneuerbare-Energien-System ist weltweit gut skalierbar, ohne planetare | |
| Grenzen zu überschreiten. | |
| Es kann also grünes Wachstum geben, wenn man dem Kapitalismus die Grenzen | |
| setzt, die er nicht überschreiten darf? | |
| Herrmann: Aus meiner Sicht nicht. Bisher lief der Kapitalismus so: Wir sind | |
| gewachsen, indem wir alles zerstört haben; wir haben zwar punktuelle | |
| Probleme behoben, etwa das Ozonloch. Aber jetzt geraten wir an die Grenzen | |
| des gesamten Planeten. Das war noch nie so. | |
| Graichen: Ist Kapitalismus denkbar in diesen Grenzen? Ich sage, ja. Manche | |
| Vertreter der Postwachstumstheorie sagen mir: Der Kapitalismus ist in sich | |
| unersättlich und akzeptiert keine Grenzen. Daher sei meine Position naiv. | |
| Ich sage: Das ist die Bewährungsprobe für die Demokratie, ob wir es | |
| schaffen, diese Grenzen zu setzen und durchzusetzen. Und die wichtigsten | |
| Hebel hinsichtlich der planetaren Klimagrenze sind Ordnungsrecht und der | |
| CO2-Preis. Außerdem braucht es klare Grenzen beim Megathema Fläche und | |
| Natur, um Artenvielfalt und die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen | |
| zu sichern. Weltweit gesehen ist das tatsächlich auch eine Kulturfrage: | |
| Schaffen wir es, Grenzen für den Kapitalismus global durchzusetzen, sowohl | |
| gegen die starke Lobby im Norden als auch im gesetzlosen Regenwald am | |
| Amazonas? Da gebe ich Frau Herrmann insofern recht, dass wir bisher keinen | |
| politischen Willen erkennen können, der diese Grenzen durchsetzen würde. | |
| Herrmann: Noch mal zum CO2-Preis. Theoretisch gäbe es zwei Varianten. | |
| Erstens: Man erhöht den Preis pro Tonne CO2 sofort auf jene 195 Euro, die | |
| das Umweltbundesamt als die Umweltkosten einer Tonne berechnet hat. Dann | |
| würden aber viele Unternehmen zusammenbrechen, weil sie die Energiepreise | |
| nicht mehr stemmen könnten. Man hätte Massenarbeitslosigkeit und als | |
| Nächstes einen rechtsradikalen Diktator. Oder, zweite Variante: Die Abgaben | |
| und Steuern, die der Staat dann in Klimaschutz investieren kann, steigen | |
| langsam und stetig. | |
| So machen wir das ja, etwa beim Emissionshandel oder den Energiesteuern. | |
| Herrmann: Genau. Sozial gerecht ist das aber nur, wenn nicht vor allem die | |
| Armen belastet werden. Daher gibt es die Idee, die CO2-Steuern als | |
| Energiegeld an die Bürger wieder auszuzahlen. Das wäre zwar gerecht, aber | |
| durch das Energiegeld hätten die Leute wieder die Mittel, um nach Mallorca | |
| zu fliegen. Für das Klima wäre nichts gewonnen. | |
| Graichen: Nein, das ist ein Irrtum. Die relativen Preise des Mallorcaflugs | |
| sind ja durch die hohen CO2-Preise gestiegen. Ich bekomme nicht so viel vom | |
| Staat zurück, dass umweltschädliches Verhalten ausgeglichen wird. Die Frage | |
| ist dann, wie viel mir der Flug wert ist. Nutze ich das Geld dafür, oder | |
| mache ich damit Urlaub in der Uckermark und habe noch etwas übrig? | |
| Herrmann: Niemand sitzt in der Uckermark, wenn er nach Mallorca kann. Wenn | |
| man aber kein Energiegeld zahlt, können ärmere Leute nicht mehr fliegen – | |
| während es sich Reiche mühelos leisten können. Diese Ungerechtigkeit wäre | |
| in einer Demokratie nicht durchzuhalten: Wer nicht mehr fliegen darf, ist | |
| morgen bei der AfD. Bleibt also nur die Rationierung. Jeder bekommt einen | |
| Flug zugeteilt. Auch andere knappe Güter wird man rationieren müssen. So | |
| wird sich die Frage stellen, wer noch Auto fahren darf. | |
| Graichen: Ich glaube nicht, dass die Preise so hochgehen. Da bin ich eher | |
| Technikoptimist. Elektroautos werden in zwei, drei Jahren billiger sein als | |
| Verbrenner, dafür werden der technische Fortschritt und kluge Politik | |
| sorgen. Dann ist das keine Frage mehr, dass man den Armen das Auto | |
| wegnimmt. Der Innovationspfad lautet ja: Ich investiere viel Geld in die | |
| richtigen Lösungen und mache sie damit erschwinglich. | |
| Die Frage mal andersherum: Wir brauchen für den Umbau zur Klimaneutralität | |
| jedes Jahr Investitionen von etwa 70 Milliarden Euro zusätzlich. Wo kommen | |
| die denn her ohne Kapitalismus? | |
| Herrmann: Aus dem Nichts. Geld ist kein Problem, das kann der Staat aus dem | |
| Nichts schaffen und tut das auch. Bei Corona sieht man es ja: Da pumpt der | |
| Staat 400 Milliarden aus dem Nichts in die Wirtschaft. | |
| Teile der Umweltbewegung fordern, die Wirtschaft müsse schrumpfen. Wäre das | |
| eine Lösung für die Klimakrise? | |
| Graichen: Das Problem mit diesen Degrowth-Szenarien ist: Bisher hat niemand | |
| realistisch skizzieren können, wie eine solche Wirtschaft aussehen und | |
| funktionieren soll. | |
| Herrmann: Wie die Degrowth-Bewegung glaube ich auch, dass die Wirtschaft | |
| schrumpfen muss, wenn sie klimaneutral sein soll. Man darf aber nicht den | |
| Fehler machen, die Vision schon für den Weg zu halten. Es reicht nicht aus, | |
| nur zu sagen, dass wir alle als Selbstversorger in Schrebergärten leben | |
| werden. Man braucht eine Idee, wie man aus einem dynamisch wachsenden | |
| Kapitalismus in eine ökologische Kreislaufwirtschaft kommen soll. Es ist | |
| sehr populär, Konsumverzicht zu postulieren. Denn es gibt schöne Studien, | |
| die zeigen, dass wir nur die Hälfte der Sachen nutzen, die wir kaufen. Aber | |
| was würde passieren, wenn plötzlich viele Leute nur noch halb so viel | |
| konsumieren? Dann gingen die Einzelhändler pleite, es käme zu | |
| Massenentlassungen, die Krise würde sich durch die ganze Wirtschaft | |
| fressen. | |
| Der Konsumverzicht muss ja nicht von heute auf morgen kommen. Und das Geld | |
| könnte auch für immaterielle Dinge ausgegeben werden: nicht für neue Hosen, | |
| sondern einen Tanzkurs. | |
| Herrmann: Das würde nicht weiterhelfen. Der Kapitalismus muss wachsen, um | |
| stabil zu bleiben. Er kann nicht auf Dauer stagnieren. Nein, wenn der | |
| Konsum sinken soll, dann muss man das staatlich planen und steuern, damit | |
| es nicht zu einer chaotischen Krise kommt. Außerdem braucht man eine | |
| Rationierung der knappen Güter, die viel zu viel Ökoenergie verbrauchen und | |
| die alle haben wollen, also der Flüge zum Beispiel. | |
| Warum soll das funktionieren und auch noch demokratisch akzeptiert werden? | |
| Herrmann: Der wichtigste Punkt ist die Rationierung. Das sorgt für absolute | |
| Gerechtigkeit – alle bekommen gleich viel. Die Agora meint, grünes Wachstum | |
| sei möglich. Durch technischen Fortschritt ließe sich die Umwelt schonen. | |
| Wenn wir aber hart an die Grenzen des Planeten stoßen und schrumpfen | |
| müssen, dann gibt es von allem weniger. In einer Demokratie, wo jeder eine | |
| Stimme hat, ist es schlicht nicht denkbar, dass nur die Reichen Zugriff auf | |
| die begehrten Güter haben. | |
| Wann wird es erste Rationierungen geben? | |
| Herrmann: Alle gucken erstaunt, wenn von Rationierung die Rede ist, aber | |
| das wird schnell kommen. Zum Beispiel beim Wasser. Hier in Berlin und in | |
| Ostdeutschland fällt seit Jahren deutlich zu wenig Regen. Wer bekommt also | |
| das knappe Wasser? Die Landwirtschaft? Die Industrie? Tesla? Die Bürger? | |
| Ganz schnell werden alle beim Staat anklopfen, nicht beim Markt, um diese | |
| Verteilungsfrage zu lösen. Darüber hinaus glaube ich, dass man so schnell | |
| wie möglich die Landwirtschaft reformieren sollte. Wenn wir die Insekten- | |
| und Vogelpopulationen retten wollen, muss der Verbrauch an Pestiziden | |
| deutlich sinken. Zudem verursacht die Landwirtschaft etwa 14 Prozent der | |
| Treibhausgase. | |
| Graichen: Volle Zustimmung beim Thema Landwirtschaft. Und beim Wasser kann | |
| auch ich mir die Rationierung vorstellen. Das heißt aber nicht, dass das | |
| auch für die Energie gilt. Wasser ist eine lokal begrenzte Ressource, | |
| anders als Energie. | |
| Herrmann: Für mich ist alles knapp. Für Sie nicht, das ist im Kern der | |
| Unterschied zwischen uns. Und ich glaube nicht so sehr an den technischen | |
| Fortschritt wie Sie. Aber ich hoffe natürlich, dass ich mich irre. Es ist | |
| ja nicht so, dass ich gern in einer Wirtschaft leben würde, in der vieles | |
| rationiert ist. | |
| 30 Jul 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernhard Pötter | |
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