Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Elektrizität aus Pflanzen: Lebendes Licht
> Energie kann man auch auch mit einem grünen Daumen gewinnen. Das zeigen
> eine Scheibe aus Biokunststoff und eine Lampe, die dank Mikroben
> leuchtet.
Bild: Funktioniert nur, wenn man mit ihm interagiert: das Living Light
Eine Zitrone und eine Glühbirne. Beide gelb. Letztere steckt mit einem
einfachen Stecker in der saftigen, südländischen Frucht. Ob das Licht geben
wird? Ob man die Sonnenenergie, die die Zitrone zum Wachsen aufgenommen
hat, übertragen und die Glühbirne anschalten kann?
Das Werk „Capri-Batterie“ des Künstlers Joseph Beuys spielte 1985 mit dem
Gedanken, aus einer Zitrusfrucht, also indirekt aus Sonnenenergie, Strom zu
erzeugen. Auf schlichte und zugleich markante Art gelang es Beuys, eine
Vision, die Natur, Technologie und Nachhaltigkeit verbindet, mit sehr
einfachen Mitteln, man könnte sagen Zutaten, in einem Kunstwerk zu
verwirklichen.
Die „Capri-Batterie“ wurde als Multiple konzipiert, das heißt, das gleiche
Objekt wurde mehrfach hergestellt, in diesem Fall 200-mal. Auf der Seite
der kleinen Holzkiste, die zum Werk gehört, steht: „Nach 1.000 Stunden
Batterie auswechseln“. Man könnte hinzufügen: Solange der Vorrat reicht.
Ressourcen, die wir uns aus der Natur holen, sind nicht unendlich,
irgendwann ist Schluss. Es gibt dann keine Batterien mehr zum Auswechseln.
Also was tun?
Wie eine Art Gegenentwurf zu fatalistischen Tendenzen, die die
ökologische Apokalypse voraussagen, machen sich seit einigen Jahren auf dem
Feld der sogenannten Off-grid-Technologien neue Fortschritte zum Thema
Stromerzeugung bemerkbar. „Off-grid“ bedeutet wörtlich aus dem Englischen
„abgeschaltet vom Versorgungsnetz“, also ein autarkes, unabhängiges System.
Wenn man von den gewöhnlichen Netzen und Stromleitungen abgeschnitten ist,
stellt sich die Frage: Woher kommt dann die nötige Versorgung?
## Aus lebenden Pflanzen und aus toten
Die Antwort, die zwei junge Menschen aus ganz unterschiedlichen Regionen
der Welt – Ermi van Oers aus Holland und Carvey Ehren Maigue von den
Philippinen – geben, mag banal klingen: aus der Natur selbst. Das Besondere
an ihren Antworten ist aber, dass der Strom nicht aus den bekannten
erneuerbaren Quellen wie Sonne oder Wind, die einem normalerweise in diesem
Zusammenhang einfallen würden, kommen soll, sondern aus Pflanzen. Im einen
Fall aus lebenden Pflanzen, in dem anderen aus toten.
Carvey Ehren Maigue ist ein Ingenieur aus Rizal, einer Provinz der
Philippinen. 2020 gewann der damals 27-Jährige mit seiner Erfindung
[1][Aureus den James-Dyson-Nachhaltigkeitspreis], der jährlich an
Studierende und Absolventen der Fachbereiche Ingenieurwesen und Design
vergeben wird. Die Voraussetzung: Sie haben ein Problem gelöst, am besten
ein großes. Etwa die Stromversorgung nach einer Naturkatastrophe.
Als Maigue sehr jung war – das erzählt er per Video aus Manila zugeschaltet
– spielte er gerne im Garten seiner Großmutter. Das war bis ungefähr 12 Uhr
mittags möglich, danach wurde es zu warm. Als sieben Jahre später seine
Schwester geboren wurde, war es schon morgens so heiß, dass es undenkbar
war, sich im Garten aufzuhalten. Das empfand Maigue als große
Ungerechtigkeit: „Wenn das so weitergeht, was passiert mit meinen Kindern,
mit meinen Enkelkindern?“ Seitdem hat ihn der Gedanke an die Erderwärmung
nicht mehr losgelassen. Auf den Philippinen ist der Klimawandel besonders
spürbar, „die Stürme werden von Jahr zu Jahr verheerender“, sagt Maigue.
Nach und nach gelangte er zu der Überzeugung, dass zwei Dinge zu einer
möglichen Lösung beitragen könnten: der Wechsel zu erneuerbaren Energien
und das Streben nach einer – so weit wie möglich – abfallfreien Welt. Aus
der Kombination dieser beiden Gedanken entwickelte er ein neues Material,
das aus unbrauchbaren Pflanzen, zum Beispiel verwüsteten Ernten,
hergestellt wird und UV-Licht in Strom umwandeln kann: Aureus.
## Viel effizienter als gängige Solaranlagen
Optisch erinnert seine Erfindung an eine bunte Plexiglasscheibe. Das liegt
an den farbigen Partikeln der Pflanzen sowie von Obst und Gemüse, aus denen
die zur Herstellung von Aureus verwendeten Biokunststoffe synthetisiert
werden. Von den drei Komponenten der Sonnenstrahlung – infrarotes,
sichtbares und ultraviolettes Licht – absorbiert Aureus UV-Licht und
verwandelt es zunächst in sichtbares Licht. Durch eine Solarzellschicht
wird daraus dann Strom erzeugt.
Aureus ist daher viel effizienter als die gängigen Solaranlagen, die nur
funktionieren, wenn die Sonne scheint. UV-Strahlung ist immer vorhanden,
auch wenn es bewölkt ist. Auf diese Erkenntnis stieß Maigue, als er merkte,
dass die photochromen Gläser seiner Sonnenbrille auch bei schlechtem Wetter
auf UV-Licht reagieren.
Die Anwendungen dieses neuen Materials sind vielfältig: Es kann auf
bestehende Fenster installiert werden, aber auch als eigenständige Scheibe
funktionieren, an einer farblosen Version wird gearbeitet. Für Regionen, in
denen durch Unwetter die Verbindung zum Stromnetz unterbrochen wird, bietet
das neue Zukunftsperspektiven. Eine zerstörte Ernte könnte, statt in der
ihrerseits energieaufwendigen Entsorgung zu landen, nach der Verarbeitung
dazu dienen, die vom Verlust betroffenen Bauern mit Strom zu versorgen.
Auch für abgelegene Gebiete, wo es gar kein Stromnetz gibt, könnten sich
neue Aussichten öffnen.
Eine Aureus-Scheibe in DIN-A4-Größe kann ein Tablet aufladen, ein Viertel
dieser Größe reicht für ein Handy. Wird das Material auf allen Fenstern
eines Hauses oder auf dem Dach angebracht, wächst entsprechend die Menge an
erzeugtem Strom, „die Fensterfläche von 500 Quadratmeter eines
Wolkenkratzers wäre groß genug, um mehrere Etagen mit Strom zu versorgen“,
so Maigue.
## Möglicher Einsatzort: Elektroautodach
Seine Vision ist ambitioniert, aber nicht unrealistisch: Was, wenn man
Aureus auf Autodächern installiert? Anders als bei Solarzellen ist das
Material flexibel, es lässt sich gut dehnen und würde sogar bei schlechtem
Wetter und im Stau weiter Strom generieren. Im Moment erzeugt es noch nicht
genug Energie, um den Bedarf eines Elektroautos komplett zu decken, aber
daran arbeitet Maigue mit seinem Team in Manila. Wenn Aureus einmal auf dem
Markt ist, wird es vermutlich nur 5 bis 10 Prozent teurer sein als
gewöhnliche Solarkollektoren. „Wir wollen nicht, dass der Preis eine Hürde
ist“, sagt Maigue.
Noch befindet sich das Projekt in der Pilotphase, eine Kommerzialisierung
steht im nächsten Schritt an. Und diese könnte sich auch in unerwartete
Richtungen entwickeln: Ein Künstler hat Maigue einen Vorschlag geschickt,
einen Garten aus Aureus-Blumen zu konzipieren. „Ein Zusammentreffen von
Kunst, Wissenschaft und Technologie, das finde ich toll: Etwas zu schaffen,
das nützlich ist und zugleich schön anzuschauen.“
Genau an dieser Schnittstelle treffen sich Maigue und die holländische
Designerin Ermi van Oers. Van Oers kommt aus Lierop, einem kleinen Dorf in
der Provinz Noord-Brabant. Sie studierte Produktdesign an der Willem de
Kooning Akademie in Rotterdam. Während des Studiums entdeckte sie
„Biodesign“: Die Verbindung von natürlichen Prozessen einerseits und
artifiziellen Entwürfen und Systemen andererseits. „Ich wollte schauen, was
ich als Designerin erreichen kann, wenn ich versuche, Natur, Wissenschaft
und Design zu verbinden“, erzählt sie bei einem Treffen in Rotterdam. „In
der Natur ist alles ein Kreislauf. Was für den einen Abfall ist, ist für
den anderen Nahrung.“
Van Oers begann sich intensiv mit Abfallströmen zu beschäftigen, suchte
nach Energiequellen – insbesondere Strom – dort, wo man sonst nicht
hinschaut. Zum Beispiel in Abwässern. Ein Prototyp, den sie während des
Studiums konzipierte, war eine schwebende Lampe, die das Wasser des Hafens
von Rotterdam als Stromquelle nutzt. Wie das geht?
Der Schlüssel dazu ist die mikrobielle Brennstoffzelle, an sich keine neue
Erfindung. Bereits im frühen 20. Jahrhundert gab es in England und später
in den USA die ersten Versuche, natürliche Abbauprozesse von organischen
Stoffen für Stromerzeugung zu nutzen. Und bis heute wird in Laboren
weltweit damit experimentiert.
## „Es dreht sich alles um die Mikroben“
„Einfach formuliert: Es dreht sich alles um die Mikroben“, sagt van Oers.
Denn diese nehmen, genau wie wir Menschen, Nahrung auf und verdauen sie.
Bei diesem Prozess scheiden die Mikroben eine gewisse Menge an Elektronen
aus und wollen sich dann ganz schnell davon befreien. „Wir können, ohne das
Ökosystem zu stören, einen Teil der überschüssigen Elektronen ernten“, so
van Oers.
2016 machte die damals 25-Jährige ihren Abschluss mit einem Prototyp, der
ihre erste Idee der schwebenden Lampe noch einen Schritt voranbrachte:
[2][Die „Living Light“], eine Lampe, die den natürlichen Prozess der
Photosynthese der Pflanzen nutzt, um zu leuchten. Die überschüssigen
Zucker, die die Pflanze zum Wachsen nicht mehr braucht, lässt sie über die
Wurzeln in den Boden frei, und dort werden sie von den Mikroben verzehrt,
die sie wiederum – als Elektronen – ausscheiden.
Unter einer schlichten Glaskuppel mit einer schrägen, runden Öffnung im
oberen Bereich steht eine blattreiche Pflanze in einem Topf, auf dessen
Bambusrand kleine LED-Leuchten eingebaut sind. An der Seite der Glaskuppel
ist auf halber Höhe eine zweite Öffnung, um die „Living Light“ zu gießen,
im Boden ist das Wasserreservoir.
Die von der holländischen Firma Plant-e entwickelte mikrobielle
Brennstoffzelle, die mit der Pflanze „zusammenarbeitet“ und wie jede
Batterie eine Anode und eine Kathode hat, ist in separaten Schichten
aufgebaut: Im untersten Bereich liegt die Kathode, die Sauerstoff braucht,
darüber die Anode, die eine anaerobe Umgebung benötigt. Dort versammeln
sich dann auch die von den Mikroben ausgeschiedenen Elektronen. Zwei Drähte
verbinden die Kathode und die Anode mit der kunstvoll blattförmigen Platine
– das „Gehirn“ der „Living Light“ –, die gut sichtbar zwischen den …
der Pflanze steckt und alles steuert.
## Interaktion bringt sie zum Leuchten
Aber wie schaltet man die Lampe eigentlich an? Die „Living Light“
unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von anderen Projekten und
Produkten auf dem Feld der mikrobiellen Brennstoffzellen: Damit die Lampe
funktioniert, muss der Mensch auf besondere Weise mit ihr interagieren. Sie
hat keinen Schalter, sondern leuchtet nur, wenn man sie berührt. Durch die
Berührung wird der Kreis geschlossen und man bekommt Licht von der Pflanze
zurück.
Van Oers Vision ist, wie die von Maigue, ambitioniert: „Wenn der Regenwald
im Amazonas in Zukunft als ein Stromgenerator wahrgenommen wird, wird es
sich nicht mehr lohnen, [3][dort die Bäume zu fällen]“, sagt sie. „Das ist
die Sprache von heute: Was ist der Wert von etwas? Mein Ideal ist, dass wir
mit unseren Technologien zwar diese Sprache weiter sprechen, aber nicht
mehr an die Geschichte glauben, dass sich alles nur um finanzielles
Wachstum dreht.“ Unser Wert besteht für van Oers vielmehr darin, aktiver
Teil eines Ökosystems zu sein: „Nur so können wir überleben.“
Nach ihrem Studium gründete van Oers das Start-up Nova Innova und
kooperiert seitdem mit Plant-e. Im Juli 2020 wurden die ersten zehn „Living
Lights“ an Unterstützer des Projekts verkauft. Momentan ist die Lampe noch
nicht erschwinglich, 1.500 Euro kostet ein Exemplar.
Das soll sich aber ändern, sobald sie in Serie gefertigt wird. „Die Living
Light ist für mich nicht nur ein Objekt – sie erzählt eine Geschichte“,
sagt van Oers. „Wir Menschen sind die einzige Spezies, die an Geschichten
glaubt, und nur wenn wir das gemeinsam tun, können wir auch wirklich Dinge
verändern. Wie wir in Rotterdam sagen: Niet lullen maar poetsen – nicht
quatschen, putzen!“
2 Oct 2021
## LINKS
[1] https://www.jamesdysonaward.org/2020/project/aureus-aurora-renewable-energy…
[2] https://livinglight.info/
[3] /Studie-brasilianischer-Wissenschaftler/!5787010
## AUTOREN
Sara Piazza
## TAGS
IG
Ökostrom
Pflanzen
Technologie
Strom
Unwetter
Festival
CO2-Preis
Grünes Wachstum
Pendlerpauschale
## ARTIKEL ZUM THEMA
Sturmtief legt Bahn lahm: Fernverkehr abgeblasen
Die Bahn hat wegen eines Herbststurms den Zugverkehr in Teilen des Landes
eingestellt. Für die Nordsee gibt es Sturmflutwarnungen. Auch in Frankreich
gibt es Probleme.
3-D-Videoinstallationen in Berlin: „Küsten machen uns symbiotisch“
Feuchtgebiete sind ökologisch wichtig. Davon erzählen Sonia Mehra Chawla
und Miriam Walsh in 3-D-Videoinstallationen, vorgestellt in Berlin.
Ökostrom wird teurer: Grüner, aber nicht günstiger
Im Herbst wird die Stromrechnung vor allem durch die gestiegenen CO2-Preise
teurer werden. Das gilt auch für Ökostrom.
Klimaschutz im Kapitalismus: „Grünes Wachstum ist nicht möglich“
Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden. Aber geht das in unserem
Wirtschaftssystem überhaupt? Ein Streitgespräch.
Klimapolitik und die soziale Frage: Die Armen dürfen zahlen
Klimaschutz ist nötig, aber die Unterschichten werden am stärksten
belastet. Dabei stoßen sie eher wenig CO2 aus – anders als viele
Umweltbewusste.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.