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# taz.de -- Klimapolitik und die soziale Frage: Die Armen dürfen zahlen
> Klimaschutz ist nötig, aber die Unterschichten werden am stärksten
> belastet. Dabei stoßen sie eher wenig CO2 aus – anders als viele
> Umweltbewusste.
Bild: Es gibt Grünenwähler, die SUV fahren – ihr Umweltbewusstsein ist oft …
Es gibt sie, die Grünenwähler, die einen SUV fahren. Immerhin 24 Prozent
der grünen Anhänger können sich grundsätzlich vorstellen, einen
Allradpanzer anzuschaffen, wie jüngst eine Umfrage für den Spiegel ergab.
Bei anderen Parteien sieht es allerdings noch deutlich düsterer aus: Bei
der Union liebäugeln 48 Prozent mit einem SUV, bei der FDP sind es 52
Prozent und bei der AfD sogar 54 Prozent. Doch auch für die grüne Basis
gilt, dass ihr Umweltbewusstsein oft eher politisch denn privat ist.
Der ökologische Fußabdruck wird nämlich nicht so sehr von den eigenen
Ansichten bestimmt – sondern schlicht vom Geld. Wer ein hohes Einkommen
hat, gibt es meist auch aus. Konsum ist aber nicht umsonst zu haben,
sondern verbraucht immer Energie und Rohstoffe.
Das Umweltbundesamt hat 2016 eine umfangreiche repräsentative Studie
veröffentlicht, um den ökologischen Fußabdruck der verschiedenen Milieus zu
untersuchen. Dabei kam heraus, dass die unterste Einkommensgruppe einen
Gesamtenergieverbrauch von nur 10.000 Kilowattstunden pro Jahr und Kopf
hatte – die Befragten mit hohem Einkommen aber mit knapp 20.000
Kilowattstunden auf fast das Doppelte kamen.
Gutverdiener sind zwar überdurchschnittlich umweltbewusst und achten auf
die Effizienz ihrer Geräte – aber sie unternehmen auch viele und weite
Reisen, gönnen sich mehr als einen Computer und wohnen meist üppig.
Jedenfalls zeigte sich, dass ausgerechnet jene Schichten, die die Umwelt am
meisten belasten, sich am stärksten für ökologische Zusammenhänge
interessieren. Oft ist den Gutverdienern und dem „kritisch-kreativen“
Milieu gar nicht bewusst, wie hoch ihr Umweltverbrauch ist. Stattdessen sei
„die Auffassung weit verbreitet, sparsam mit Ressourcen umzugehen“, wie das
Umweltbundesamt feststellte. Die Behörde vermutet, dass sich die
Umweltbewussten vor allem mit anderen Mitgliedern der eigenen Schicht
vergleichen – und völlig aus dem Blick verlieren, dass die ärmeren Milieus
deutlich weniger konsumieren können.
Dieser Tunnelblick hat reale Folgen: Umweltpolitik wird vor allem für die
Gutverdiener gemacht. Sie profitieren von den Ökosubventionen, während die
armen Schichten dafür zahlen dürfen. Diese Schieflage war schon bei
Rot-Grün festzustellen. Im Jahr 2000 wurde das Erneuerbare-Energien-Gesetz
(EEG) eingeführt, um den Ökostrom zu fördern. Die Idee war eigentlich
richtig, hatte aber absurde Konsequenzen, wie ein Blitzlicht aus dem Jahr
2015 zeigt: Beim ärmsten Zehntel machte die [1][EEG-Umlage] 1,5 Prozent
ihres Nettoeinkommens aus – beim reichsten Zehntel waren es nur 0,2
Prozent. Dafür waren es dann aber vor allem Wohlhabende, die Solaranlagen
auf ihren Eigenheimen installierten – und dafür staatliche Hilfen
kassierten.
Die [2][EEG-Umlage] ist eine Konsumsteuer, die beim Stromverbrauch anfällt,
und wie alle Verbrauchsteuern trifft sie die Ärmsten besonders hart, weil
diese ihr gesamtes Einkommen ausgeben müssen, um über die Runden zu
kommen. Wohlhabende hingegen werden von Konsumsteuern weit weniger
getroffen, da sie einen großen Teil ihrer Einkünfte sparen können.
Inzwischen wurden die Energiesteuern reformiert, aber an der sozialen
Schieflage hat sich nichts geändert – sie wurde sogar schlimmer. Die
EEG-Umlage beim Strom ist bisher kaum gesunken, und seit Anfang 2021 werden
auch noch Verkehr und Heizungen mit einer Steuer von 25 Euro pro Tonne CO2
belastet. Bis 2025 soll dieser Betrag auf 55 Euro steigen.
Natürlich ist es richtig, dass es Geld kosten soll, klimaschädliche
Treibhausgase zu emittieren. Aber wieder trifft diese Konsumsteuer am
stärksten die Armen, die jedoch im Gegenzug nicht entlastet wurden.
Stattdessen profitieren erneut die Gutverdiener, sofern sie weite Strecken
zur Arbeit zurücklegen. Um die CO2-Steuern abzufedern, wurde nämlich die
Pendlerpauschale erhöht: Ab dem 21. Kilometer gibt es jetzt 35 Cent, ab
2024 dann 38 Cent.
Die Pendlerpauschale ist gleich doppelt tückisch. Erstens: Arme pendeln
kaum, wie Sozialerhebungen gezeigt haben. In den fernen Vororten wohnen
vor allem die Wohlhabenden. Zweitens: Die Pendlerpauschale wird vom zu
versteuernden Einkommen abgezogen, was den Effekt hat, dass die
Steuerersparnis umso größer ist, je höher der eigene Steuersatz ist. Die
Reichen werden also automatisch begünstigt.
Die Armen werden jedoch nicht nur am stärksten durch die Umweltsteuern
belastet – gleichzeitig sind sie es, die am meisten unter der
Umweltverschmutzung leiden. Sie wohnen an den lauten und dreckigen
Durchgangsstraßen, die auch deswegen so voll sind, weil sich
Besserverdienende ins Grüne zurückziehen konnten und dann die
Pendlerpauschale kassieren.
So bitter es ist: Die deutsche Klimapolitik war bisher zutiefst ungerecht.
Zumindest auf dem Papier geloben die meisten Parteien auch Besserung, wie
den Wahlprogrammen zu entnehmen ist: Um die steigende CO2-Steuer zu
kompensieren, wollen die Grünen das sogenannte Energiegeld einführen, SPD
und CDU zunächst die EEG-Umlage abschaffen.
Umweltökonomen sind sich einig, dass das Energiegeld am gerechtesten wäre.
Die Einnahmen aus der CO2-Steuer würden an die Bürger zurückverteilt – und
zwar gleichmäßig pro Kopf. Da die Armen nur halb so viel Energie
verbrauchen wie die Reichen, würden sie also mehr Geld erhalten, als sie je
an Steuern gezahlt haben. Endlich einmal würden die [3][unteren Schichten]
vom Klimaschutz profitieren.
Die Nichtwähler sind längst die zweitgrößte Partei bei Bundestagswahlen,
unter anderem weil Geringverdiener weitaus seltener zur Urne gehen als die
Oberschicht. Die Armen fühlen sich von der Politik verraten, und dieser
Eindruck täuscht bisher leider nicht.
2 Jul 2021
## LINKS
[1] /Streit-ueber-Benzinpreis-Erhoehung/!5776408
[2] /!s=EEG-Umlage/
[3] /Klimaschutz-und-soziale-Gerechtigkeit/!5783176
## AUTOREN
Ulrike Herrmann
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