# taz.de -- Sozial-ökologische Transformation: Von Yuppies, Ökos, Egos und de… | |
> Wie Geld, Bildung und Umweltbewusstsein zusammenhängen, untersuchen | |
> Forscher:innen in Jena. Sie verraten, welche Klischees stimmen und welche | |
> nicht. | |
Bild: Haben die Lastenrad-Fans nun wirklich einen kleineren Fußabdruck als and… | |
taz: Frau Holz, Herr Fritz, dass sich Deutschland extrem verändern muss, um | |
klimaneutral zu werden, ist offensichtlich. [1][Warum passiert trotzdem so | |
wenig]? | |
Jana Holz: Genau diese Frage treibt mich als Wissenschaftlerin an. Ich | |
möchte wissen, warum das eigentlich so schwierig ist mit der | |
sozial-ökologischen Transformation. Also: Wo hakt es da ganz konkret? Warum | |
reden zwar einerseits alle darüber, dass sich etwas ändern muss, aber es | |
passiert trotzdem nicht das Notwendige. Ich denke, das ist es, worum es bei | |
unserem Forschungsprojekt geht, ganz heruntergebrochen formuliert. Martin, | |
vielleicht kannst du ja unser Projekt noch in etwas akademischeren Worten | |
beschreiben. | |
Martin Fritz: Wir wollen herausfinden, wie sich durch den ökologischen | |
Wandel die Mentalitäten, die Sozialstrukturen und die Erwerbsstrukturen der | |
verschiedenen Bevölkerungsgruppen verändern, wie sie sich auch wandeln | |
müssen, um angepasst zu sein an ein nachhaltigeres Wirtschaften. Und | |
umgekehrt auch, wie sich verschiedene Mentalitäten auf die Transformation | |
auswirken, wie sich das gegenseitig beeinflusst. | |
Um mit dem Positiven zu beginnen: Wer sind denn die Menschen, die die | |
Transformation politisch und persönlich vorantreiben? | |
Martin Fritz: Wir konnten durch unsere Forschung neun verschiedene | |
Mentalitätstypen in Bezug auf die Transformation identifizieren. Den Typen, | |
der den Wandel am stärksten vorantreibt, nennen wir die | |
ökosozial-aktivbürgerliche Mentalität. Das sind Menschen mit einem sehr | |
hohen Umweltbewusstsein, ihnen ist soziale Gerechtigkeit wichtig, sie | |
engagieren sich politisch und gesellschaftlich. Sie verfügen über | |
überdurchschnittliche Bildung und Einkommen und wohnen häufiger in Städten. | |
Menschen mit dieser Mentalität handeln erkennbar ökologischer als andere. | |
Klingt nach taz-Leser:innen. Was heißt das konkret? | |
Jana Holz: Diese Menschen fahren viel Fahrrad und besitzen im Schnitt | |
weniger Autos pro Haushalt als Personen anderer Mentalitätstypen. Sie essen | |
wenig Fleisch, kaufen Bio-Lebensmittel, beziehen Ökostrom und relativ | |
häufig gärtnern sie. Sie haben einen unterdurchschnittlichen | |
CO2-Fußabdruck. | |
Das Bildungsbürgertum ist also doch zu Verzicht bereit? | |
Fritz: Es geht da nicht nur um Verzicht, Ökostrom muss man sich ja auch | |
leisten können. Aber es stimmt schon, dass diese Menschen weniger | |
konsumieren, als man es angesichts ihrer finanziellen Mittel vermuten | |
könnte. Es gibt allerdings im ökosozialen Spektrum, zu dem diese Mentalität | |
gehört, auch große Unterschiede im Konsumverhalten. | |
Inwiefern? | |
Holz: Zu diesem Spektrum gehört auch der | |
progressiv-selbstverwirklichungsorientierte Typ. Diese Menschen haben | |
ebenfalls [2][eher kein Auto] und beziehen Ökostrom – aber sie fliegen | |
häufiger in den Urlaub und lassen sich öfter Essen liefern. Sie sind eher | |
jung und wohnen häufig in Großstädten, besonders in Berlin. Digitalisierung | |
ist ihnen wichtig, ebenso wie technische Lösungen, staatliche Regulierungen | |
befürworten sie weniger stark als die ökosozial-aktivbürgerliche | |
Mentalität. | |
Ist das die Mentalität mit dem größten Ressourcenverbrauch? | |
Fritz: Nein, das ist eindeutig die liberal-wachstumsoptimistische | |
Mentalität, ein Typus aus dem konservativ-steigerungsorientierten Spektrum. | |
Die Menschen haben ebenfalls einen hohen sozialen Status, der fußt aber | |
weniger auf Bildung und mehr auf Besitz. Diese Menschen wählen vorwiegend | |
FDP und CDU, sie sind sehr gegen Regulierungen und Umverteilung, und sie | |
haben großes Vertrauen in den Markt. Viele nutzen täglich ein Auto, sie | |
leben auf überdurchschnittlichen Wohnflächen, und ein Großteil fliegt | |
mehrmals pro Jahr. | |
Sieht dieser Mentalitätstyp im Klimawandel überhaupt ein Problem? | |
Fritz: Probleme sind in dieser Mentalität da, um gelöst zu werden. Dieser | |
Typ setzt sehr stark auf technologische Lösungen, Innovationen und | |
wirtschaftliche Freiheiten. Diese Menschen befürworten weiteres Wachstum, | |
persönliche Einschränkungen der eigenen Lebensweise lehnen sie eher ab. | |
Stattdessen wird lieber in grüne Technologien investiert, die ein Weiter-so | |
ermöglichen. Moderne Biotechnologie und Gentechnik, um die Ernährungskrise | |
zu lösen, sind da zum Beispiel beliebt. | |
Sind sie es, die in Bezug auf die sozial-ökologische Transformation am | |
stärksten auf der Bremse stehen? | |
Fritz: Ja, aus unserer Sicht ist diese Mentalität das größte Hindernis für | |
den Wandel. Weil in ihr der Fortschrittsglaube so eng mit der Vorstellung | |
verknüpft ist, dass Wirtschaftswachstum für unseren Wohlstand alternativlos | |
ist. | |
Wie lassen sich diese Menschen für den Wandel gewinnen? | |
Holz: In jeder der Mentalitäten gibt es auch Elemente, an die man für die | |
sozial-ökologische Transformation anknüpfen könnte. Hier ist es der | |
technologische Fortschritt, der Menschen mit dieser Mentalität sehr wichtig | |
ist – und ohne den der Wandel ja auch nicht funktionieren wird. | |
Die Typen, über die wir bisher sprachen, haben eher überdurchschnittlich | |
hohe Einkommen. Wie sieht es in den unteren Einkommensgruppen aus? | |
Fritz: Dort haben wir eher eine ablehnende Haltung gegenüber der | |
Transformation gefunden, am stärksten bei der | |
wachstumsindividualistisch-instrumentellen Mentalität. Diese Menschen sind | |
aufstiegsorientiert und wollen Dinge, die sie sich erarbeitet haben oder | |
einmal erarbeiten werden, nutzen können, ohne Rücksicht nehmen zu müssen. | |
Da wurden viele Menschen so sozialisiert, dass sie sich durchsetzen müssen | |
im Konkurrenzkampf gegen andere, dass sie auf den eigenen Vorteil bedacht | |
sein müssen. | |
Holz: Der regressiv-veränderungsaverse Mentalitätstyp lehnt | |
gesellschaftliche Veränderung ebenfalls ab, genauso wie technologische | |
Innovationen, Migration und Umweltschutz. Der Anknüpfungspunkt für | |
progressive Veränderung könnte hier sein, dass diesem Typ Gleichheit und | |
soziale Sicherheit relativ wichtig sind. Sie lehnen, anders als die | |
Menschen mit wachstumsindividualistischer Mentalität, Konkurrenz und | |
Wettkampf eher ab. | |
Welche Mentalitäten gibt es am untersten Ende der sozialen Leiter? | |
Holz: Hier finden wir die prekär-notwendigkeitsorientierte Mentalität. Sie | |
ist geprägt von Gefühlen der Machtlosigkeit und Unsicherheit, was mit einem | |
gesellschaftlichen Rückzug einhergeht. | |
Warum lehnen diese Menschen die Transformation ab? | |
Fritz: Veränderung wird dort als etwas empfunden, das immer von oben herab | |
passiert. Die letzte große Transformation, die Menschen in diesem Typ | |
erlebt haben, war die neoliberale Deregulierung, die für sie vor allem mehr | |
Arbeit und schlechtere Arbeitsverhältnisse bedeutet hat. Die neuen Manager | |
haben ihnen gesagt, ihr müsst flexibler sein, mehr schaffen in derselben | |
Zeit und euch euer Leben lang weiterbilden. Trotzdem haben sie die | |
Erfahrung gemacht, dass viele entlassen wurden und ihr Wohlstand | |
vergleichsweise bescheiden blieb. Wenn es jetzt heißt, die Zeiten ändern | |
sich wieder, wir müssen unsere Haltungen und Lebensweisen verändern, dann | |
ist das für diese Mentalität nicht nur eine reale Bedrohung ihres | |
bescheidenen Wohlstands, sondern auch erneut etwas von oben Aufgezwungenes. | |
Holz: Wir finden hier oft Menschen, die viel damit zu tun haben, überhaupt | |
ihren Alltag hinzubekommen, das eigene Leben zu sichern. Da gibt es wenig | |
Ressourcen, um sich noch zusätzlicher Veränderung zu stellen. Jede | |
Veränderung braucht ja auch Zeit und Kraft, um sich damit | |
auseinanderzusetzen. | |
Trotzdem sehen Sie die Wachstumsoptimistischen als größtes Hindernis für | |
die Transformation, und nicht die Gruppen mit niedrigem sozialen Status. | |
Warum? | |
Holz: Die Gruppen mit niedrigem Status lehnen den Wandel zwar tendenziell | |
ab, weil sie vermuten, dass ihnen dadurch zusätzliche Kosten entstehen, | |
vermutlich sogar zu Recht. Letztlich verfügen sie aber auch über weniger | |
Mittel, um zu beeinflussen, ob solche Maßnahmen beschlossen und umgesetzt | |
werden oder nicht. | |
Fritz: Dazu kommt, dass sich in Deutschland nach 1945 auch die unteren | |
Einkommensschichten einen bescheidenen Wohlstand aufbauen konnten, der | |
heute durch die neoliberale Politik seit den 1990er Jahren gefährdet ist. | |
Wenn es jetzt heißt, es soll wegen des Klimawandels kein Wachstum mehr | |
geben, dann fühlen sich diese Menschen verunsichert und betrogen. Deswegen | |
sind sie in Teilen auch empfänglich für die Versuche des | |
liberal-wachstumsoptimistischen Lagers, das Recht auf Wirtschaftswachstum | |
zu verteidigen. | |
Wer die sozial-ökologische Transformation will, steht vor der Frage, wie | |
sich in Deutschland dafür Mehrheiten organisieren lassen. Ihre Forschung | |
zeigt, dass das keine einfache Aufgabe ist, oder? | |
Fritz: Keiner der Mentalitätstypen, über die wir hier sprechen, hat alleine | |
die Mehrheit. Das heißt, für Mehrheiten müssen immer Allianzen gebildet | |
werden, Koalitionen. Zwischen diesen Typen gibt es aber eben auch deutliche | |
Widersprüche, und die müssen dann irgendwie überbrückt werden, um diese | |
Allianzen zu schmieden. | |
Holz: Welche Allianzen sich bilden lassen, hängt auch sehr stark davon ab, | |
um welche Form des Wandels es genau geht. Ein Green New Deal, der auf | |
Wachstum setzt, ist für andere Mentalitätstypen attraktiv als eine | |
sozialökologische Transformation, die auch mehr soziale Gerechtigkeit zum | |
Ziel hat. | |
Lässt sich die Zusammenarbeit zwischen Grünen und FDP in der Ampelregierung | |
als Versuch deuten, die Widersprüche zwischen den Mentalitäten in den | |
oberen Einkommensklassen zu überwinden? | |
Holz: Ich denke schon. Und gerade sieht man, dass das nicht besonders gut | |
funktioniert. Man hat sich zwar einen gemeinsamen Fortschrittsbegriff auf | |
die Fahnen geschrieben, aber in Wirklichkeit ist das Verständnis von | |
Fortschritt der ökosozialen Mentalitätstypen so verschieden von dem der | |
liberal-wachstumsoptimistischen Typen, dass das sehr stark bröckelt, sobald | |
es konkret wird. Schon alleine, weil die Einstellungen zu Wachstum sich | |
stark unterscheiden. | |
Welche gesellschaftlichen Allianzen wären stattdessen noch möglich? | |
Holz: Es wäre einen Versuch wert, quer über die Einkommensklassen hinweg | |
eine Allianz derer zu bilden, die für Wachstumskritik eher offen sind. | |
Personen mit niedrigerem sozioökonomischen Status müsste man dafür aber ein | |
Angebot der Umverteilung machen – also sowohl mehr Gerechtigkeit insgesamt, | |
als auch eine Verbesserung der eigenen Situation. Das wiederum ginge nur, | |
wenn man irgendwem etwas wegnimmt. Und da wird man es dann mit gewaltigem | |
Gegenwind aus dem konservativ-steigerungsorientierten Spektrum zu tun | |
bekommen. | |
Fritz: Die Mentalitäten im unteren sozioökonomischen Bereich lehnen die | |
Transformation ja nicht nur aufgrund der damit verbundenen Kosten ab. Sie | |
haben eine Abwehr gegen jegliche Veränderung, die von oben aufgestülpt | |
wird. Deshalb müssten Vorschläge für eine sozial gerechte Transformation so | |
erarbeitet werden, dass diese Bevölkerungsgruppen dabei repräsentiert | |
werden, zum Beispiel indem Gewerkschaften und Sozialverbände mit einbezogen | |
werden. | |
Wenn es darum geht, Menschen mit wenig Geld und Bildung für die | |
Transformation zu gewinnen, ist viel von Beteiligung die Rede. Wie wichtig | |
ist das wirklich? | |
Holz: Auf Basis unserer Daten würde ich sagen, dass das nicht die alleinige | |
Lösung sein kann. Wirkliche Partizipation braucht viel Zeit und Nerven auf | |
allen Seiten und ist auch oft echt frustrierend, weil es dann doch gar | |
nicht so viel mitzuentscheiden gibt. Ich denke, mindestens genauso wichtig | |
ist es, glaubhaft zu vermitteln, dass die Kosten der Transformation gerecht | |
verteilt werden. Dass alle ihren Anteil leisten müssen. So war es ja auch | |
bei der Corona-Pandemie. Da gab es ja relativ hohe Zustimmung zu den | |
Maßnahmen, eben weil die Leute gesehen haben: Alle müssen Maske tragen, es | |
gibt keine Ausnahmen. | |
Das ist bei Klimapolitik anders? | |
Holz: Bei den aktuellen ökologischen Maßnahmen, zum Beispiel beim | |
Heizungstausch, ist die Wahrnehmung eher, dass die [3][Kosten auf die | |
kleinen Leute abgewälzt werden]. Wenn man diese gesellschaftlichen Gruppen | |
nicht verschrecken, sondern für sozial-ökologische Allianzen gewinnen will, | |
dann müsste sich an den politischen Maßnahmen etwas ändern. Zumindest an | |
der Kommunikation dazu. | |
13 May 2023 | |
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