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# taz.de -- Politischer Diskurs: Bremsklotz Grünenhass
> Der Blick nach vorn setzt den Abschied vom Gestern voraus, von überholten
> Strukturen und Klischees. Fortschritt ermöglichen vorbehaltlose
> Bündnisse.
Bild: Die Grünen: eine Art dauertagender evangelischer Kirchentag, hier 2022 i…
Grünenhass scheint mir eine Generationenfrage zu sein. Ich beobachte das
Phänomen vor allem bei Männern über 50, sehr oft Männer mit einem nach
außen hin großen Ego. Ein paar davon sind journalistische Kollegen – bei
denen ist es schade, weil der Grünenhass dazu führt, dass man mit ihnen
schlecht argumentieren kann, sie werden ungenau und bequem in ihrem Denken
und heizen ein eh schon überhitztes Diskursklima für billigen Applaus nur
weiter an.
Ein paar davon sind auch alte Freunde – bei denen ist es auch schade, weil
sie ihre Gedanken immer wieder in die gleichen Spuren gleiten lassen. Ihr
Grünenhass lässt sich meistens auf anscheinend traumatische Ereignisse mit
aggressiv duzenden Sozialkundelehrern irgendwann in den 1980er Jahren
zurückführen, manche davon trugen auch Parka und lange Haare; und es ist
etwas traurig zu sehen, wie sehr sich diese Grünenhasser hinter Klischees
verschanzen, weil es immer traurig ist, wenn Menschen Barrikaden errichten
zwischen sich und der Wirklichkeit.
Aber was genau ist Grünenhass? Er ist auf jeden Fall zu unterscheiden von
der [1][Grünenskepsis oder Grünenwut], die von links kommt und gerade
wieder durch die [2][Proteste in Lützerath] neue Dynamik bekommen hat:
Hier sind die Grünen ein Partner im Kampf gegen den Klimawandel, der durch
Realpolitik, Regierungslogik oder Machtinteressen enttäuscht, was dann als
Verrat empfunden wird – wobei dieser Pragmatismus das Gegenteil ist des
Grünenhasser-Klischees, dass die Grünen eine Partei sind, die sich in
Dogmatismus versteift, eine Art dauertagender evangelischer Kirchentag.
Dieses Motiv bildet, jedenfalls im journalistischen Grünenhass, ein
tragikomisch wiederkehrendes Motiv – und zeigt, dass Grünenhass oft auch
Selbsthass ist: Es ist in vielem die eigene Prägung durch den starken
kulturellen deutschen Protestantismus, die als verstörend erlebt wird. Die
Grünen werden als Projektionsfläche genutzt, um öffentlich Therapie zu
zelebrieren – was politisch zu der lustigen Volte führt, dass es
Antideutsche von rechts gibt, die ihren Hass auf das eigene Milieu
publikumsfreundlich pflegen, jedenfalls dann, wenn es jemanden zu
beleidigen gilt.
## Neujustierung politischer Positionen
Diese publizistischen Grünenhasser, einzelne Chefredakteure oder
Kolumnisten, die so schreiben, als seien sie im Nebenberuf Pressesprecher
der FDP, gehen dabei extra illiberal vor, denn Druck, Einschüchterung,
persönliche Angriffe sind keine Elemente einer genuin demokratischen Praxis
– und sie sehen durch ihren Grünenhass gar nicht, dass sie dabei die
attackieren, die doch nur eine andere Spielart des Liberalismus verkörpern,
durch ein anderes Staatsverständnis als etwa CDU und SPD, durch eine stark
bürgerliche Ausrichtung, durch eine Vergangenheit als Bürgerbewegung.
Eine Partei, die eher ein Partner wäre für eine unideologische FDP und ihre
Verfechter. Womit auch deutlich ist, was ein strategischer Zweck des
autoaggressiv grundierten Grünenhasses ist. Es geht darum, die politischen
Lager, die sich längst auflösen, künstlich getrennt zu halten. Es geht
darum, die ideologischen Prägungen des 20. auf das 21. Jahrhundert zu
übertragen; es geht darum, [3][das Neue in der Politik] zu verhindern, was
ja auch eine Neujustierung der politischen Positionen und Perspektiven
bedeuten würde:
Was etwa ist Fortschritt, was ist Zukunft? Und warum sind hier FDP und
Grüne nicht verbündet darin, für ein elektrifiziertes Land zu streiten? Wer
aber immer wieder vom angeblichen Moralismus oder vom mangelnden
Realitätssinn der Grünen spricht, sieht natürlich gar nicht, dass sich
durch grünes Unternehmertum und grünen Individualismus echte Veränderung
formen lässt, dass diese Veränderung schon längst im Gange ist.
Hier könnte man nun anfangen zu argumentieren und zu streiten – über die
grundsätzlichen Fragen der Zukunft, über das Verhältnis von Markt, Staat
und Freiheit, über [4][Nachhaltigkeit, Wachstum und das gute Leben, über
Technologie], Solidarität und Verzicht. Aber dazu müsste man offen sein und
nicht ideologisch. Es ist also eigentlich eine Zukunftsdiskussion, die sich
im Grünenhass verkleidet – und das ist es auch, was einen alten Freund von
mir so anstachelt, ein intelligenter Mensch, auch wenn er denkt, dass der
Markt die Lösung für alles ist. Aber darüber kann man ja reden.
Er ist auch der Meinung, dass [5][Atomkraftwerke] ein gutes Mittel sind
gegen den Klimawandel und dass die Klimabewegung, die Klimaaktivist*innen,
dass vor allem die Grünen als Partei hoffnungslos zukunftsverschlossen und
verbohrt sind. Auch darüber kann man ja reden. Schwierig wird es, wenn sich
die Grünenhasser weigern, andere Argumente anzuerkennen als die eigenen;
schwierig wird es, wenn der Widerstand gegen erneuerbare Energie wie Wind
und Sonne so dogmatisch wird, dass genau die Zukunftsfähigkeit des Landes
gefährdet wird, die die Grünenhasser doch einklagen.
Hier ist der Widerspruch einer Diskursposition zu sehen, die es sich in
vielem im Post-Faktischen eingerichtet hat. Die Gefahr des Grünenhasses
ist, dass es aus dieser Sackgasse kaum einen Ausweg gibt. Mir scheint, dass
der Grünenhass ein weiteres Regressionsmoment ist in einer Zeit, in der das
Neue eher als Drohung denn als Versprechen gesehen wird. Die Grünenhasser
würden das natürlich genau andersherum sehen.
Es ist aber ein Problem für eine Gesellschaft, die vor radikalen
Veränderungen steht, wenn das Repertoire an Zukunftsoptionen künstlich
verkleinert wird. Grünenhasser, die die unterschiedlichsten Motive haben
können, aber tun genau das. Damit vereint sie in ihrer Wirkung eine
Zukunftsverweigerung, Spaß hin, Spaß her, die wir uns nicht leisten können.
18 Jan 2023
## LINKS
[1] /Antwort-auf-Kritik-des-gruenen-Ministers/!5899825
[2] /Verteidigung-der-Raeumung-Luetzeraths/!5905273
[3] /Transformation/!t5016994
[4] /Klimaschutz-und-Kapitalismus/!5889299
[5] /Debattenreihe-Atomkraft/!t5832255
## AUTOREN
Georg Diez
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