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# taz.de -- Klimaschutz und Kapitalismus: Scheitern? Muss nicht sein
> Es macht sich die Stimmung breit, dass die Energiewende zu langsam ist,
> um die Klimakatastrophe aufzuhalten. Dabei gibt es Anlass für Optimismus.
Bild: Durch den Umstieg auf Ökostrom sinkt der Endenergiebedarf im Verkehr und…
Dass Klima-Aktivist*innen eher pessimistisch sind, wenn es darum geht, ob
die Klimakrise noch gestoppt werden kann, liegt auf der Hand. Ihre Rolle
ist es, die Politik mit Kritik vor sich herzutreiben. Und so mehren sich
rund um die Klimakonferenz, die derzeit im ägyptischen Scharm al-Scheich
stattfindet, die düsteren Szenarien. Doch der Pessimismus ist nicht auf die
Klima- und Umweltbewegung beschränkt.
Auch aus der Wissenschaft kommen laute Warnungen. So erklärte der
Expertenrat für Klimafragen letzte Woche in einem Gutachten für die
Bundesregierung: „Die bisherigen Emissions-Reduktionsraten reichen bei
weitem nicht aus, um die Klimaschutzziele für 2030 zu erreichen – weder in
der Summe noch in den einzelnen Sektoren.“
Und taz-Kollegin [1][Ulrike Herrmann vertritt – in ihrem neuen Buch „Das
Ende des Kapitalismus“] – die These, dass es ausgeschlossen sei, jemals
genug Ökostrom zu erzeugen, um die Treibhausgasemissionen auf null zu
senken und gleichzeitig die Wirtschaftsleistung weiter zu steigern. Weil
der Kapitalismus ohne Wachstum nicht funktioniere, lasse sich die
Klimakrise darum nicht lösen, ohne ihn abzuschaffen.
Eine zentrale Grundlage für diesen Pessimismus ist die Aussage, dass Wind
und Sonne – jene erneuerbaren Energien, die im Gegensatz zu Biomasse oder
Wasserkraft praktisch unbegrenzt ausgebaut werden können und die darum in
Zukunft den Großteil des Ökostroms liefern müssen – im Jahr 2020 gerade mal
7,7 Prozent des deutschen Endenergieaufkommens geliefert haben. Da scheint
der Weg zu 100 Prozent Erneuerbaren bis zum Jahr 2045 tatsächlich kaum zu
schaffen.
## Ökostrom senkt Stromverbrauch
Doch diese Zahl führt in die Irre. Denn für den Fortschritt der
Energiewende ist der Endenergieverbrauch der falsche Maßstab. Er lässt den
Bedarf größer erscheinen, als er in der Zukunft tatsächlich sein wird. Denn
durch den Umstieg von fossilen Kraftstoffen auf Ökostrom sinkt der
Endenergiebedarf im Verkehr und beim Heizen: Ein Liter Diesel hat einen
Energiegehalt von etwa 10 Kilowattstunden. Damit kommt ein Wagen der
Golf-Klasse etwa 17 Kilometer weit. Ein vergleichbar großes E-Auto fährt
mit 10 Kilowattstunden Strom über 50 Kilometer. Durch den Umstieg auf
Elektroautos, die mit Ökostrom angetrieben werden, sinkt der Bedarf an
Endenergie um 70 Prozent.
Ähnlich sieht es beim Heizen aus: Bei Gas- und Ölheizungen geht ein Teil
der Energie verloren; aus einer Kilowattstunde Energie im Brennstoff
entsteht also immer weniger als eine Kilowattstunde Wärme in der Wohnung.
Bei einer Wärmepumpe ist es umgekehrt: Sie entzieht der Umgebung Wärme und
erzeugt dadurch aus einer Kilowattstunde Strom 3 bis 5 Kilowattstunden
Wärme. Beim Umstieg von einer fossilen Heizung auf eine Wärmepumpe, die mit
Ökostrom angetrieben wird, sinkt der Endenergiebedarf also auf ein Drittel
bis ein Fünftel – ohne dass es in den Wohnungen kälter wird.
Dazu kommt noch, dass jedes Jahr weitere 2 Prozent der Häuser gedämmt
werden sollen, wodurch der Heizenergiebedarf sich meist mindestens
halbiert. Auch wenn gleichzeitig der Wohnraum pro Person weiter steigen
sollte, wird der Energiebedarf zum Heizen also stark sinken und die
Umstellung auf Ökostrom damit viel einfacher, als viele Rechnungen von
Energiewende-Skeptiker*innen nahelegen – auch wenn man den gewaltigen
Bedarf berücksichtigt, der etwa mit der Umstellung der Stahl- oder
[2][Chemiebranche auf klimaneutrale Produktion] einhergeht.
Trotzdem kann man aber natürlich zu Recht die Frage stellen, ob die
Energiewende schnell genug gelingen kann. Schließlich haben ja viele Medien
gerade berichtet, dass der Expertenrat warnt, Deutschland werde seine
selbst gesteckten Klimaziele für 2030 verfehlen. Was in der
Berichterstattung ein wenig unterging, war aber die Bedingung, an die diese
Aussage geknüpft war: wenn die Emissionen weiterhin im gleichen Tempo
sinken wie in den Jahren 2000 bis 2021.
## Kipppunkt bei Solar und Windkraft
Doch dass die frühere Klimapolitik nicht ausreichend war, um Deutschland
zumindest auf den 2-Grad-Pfad zu bringen, ist lange bekannt. Und genau aus
diesem Grund hat die Ampelregierung ja nun vor, in den nächsten Jahren das
[3][Ausbautempo bei den Erneuerbaren zu vervierfachen], die Sanierungsrate
bei Wohnhäusern zu verdoppeln, den Kohleausstieg vorzuziehen und ein
schnelleres Ende des Verbrennungsmotors zu ermöglichen.
Dass diese Ankündigungen umgesetzt werden, kann man natürlich ebenfalls
bezweifeln. Schließlich sind in der Vergangenheit schon oft klimapolitische
Ziele formuliert worden, die niemals erreicht wurden. Doch es gibt durchaus
Anzeichen, dass das diesmal anders sein könnte. Denn nicht nur beim
Weltklima selbst gibt es sogenannte Kipppunkte – Ereignisse, die, wenn sie
einmal eintreten, unaufhaltsame und sich weiter beschleunigende Reaktionen
auslösen.
Auch aufseiten des Klimaschutzes gibt es solche Kipppunkte, und es sieht so
aus, als ob einige gerade erreicht wurden: Strom aus Solarzellen und
Windrädern ist jetzt so billig, dass sich ihr Ausbau in vielen Fällen ohne
jede Subvention rechnet. Und auch bei Elektroautos, Wärmepumpen und
Batteriespeichern hat der plötzliche Preisanstieg bei den fossilen Energien
den Sprung in Richtung [4][Wirtschaftlichkeit dramatisch beschleunigt].
Der Effekt ist jetzt schon zu sehen: Ob bei Erneuerbaren, Speichern,
Wärmepumpen oder [5][Elektroautos: Die Zahlen steigen zuletzt
exponentiell.] Und auch wenn sie am Anfang noch klein sind – das zumindest
sollte ja von Corona hängen geblieben sein –, wachsen sie dann plötzlich
sehr schnell. Einfach wird der Umstieg trotzdem nicht werden. Und ob er am
Ende schnell genug kommt, hängt von vielen Faktoren ab – etwa ob es
gelingt, Genehmigungsverfahren zu vereinfachen oder genug Fachkräfte aus
anderen Branchen für diese Aufgaben zu qualifizieren. Politischer Druck
wird darum nötig bleiben. Doch der verbreitete Eindruck, dass man ohnehin
nur scheitern kann, ist dabei weder hilfreich noch gerechtfertigt.
11 Nov 2022
## LINKS
[1] /Kapitalismus-und-Klimaschutz/!5879301
[2] https://www.vci.de/vci/downloads-vci/publikation/2019-10-09-studie-roadmap-…
[3] https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/U/ueberblickspapier-beschleunigu…
[4] https://www.waermepumpe.de/fileadmin/user_upload/waermepumpe/05_Presse/01_P…
[5] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/244000/umfrage/neuzulassunge…
## AUTOREN
Malte Kreutzfeldt
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