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# taz.de -- Studie zu Sachverständigengremien: Selten um Rat gefragt
> Der Bundestag und die Bundesregierung holen sich Expertise oft aus der
> Wirtschaft und der Wissenschaft. Die Zivilgesellschaft bleibt häufig
> außen vor.
Bild: Besucher:innen in der Reichstagskuppel
Berlin taz | Die Zivilgesellschaft ist in bundespolitischen
Expert:innengremien unterrepräsentiert. Das geht aus einer
[1][Studie der Otto-Brenner-Stiftung] hervor, die der taz vorliegt. Demnach
lassen sich nur 14 Prozent der Gremienmitglieder
zivilgesellschaftlichen Organisationen zuordnen. Deutlich stärker vertreten
sind dagegen Wissenschaftler:innen und
Wirtschaftsvertreter:innen mit 33 beziehungsweise 29 Prozent der
Sitze.
Sogenannte Sachverständigengremien beraten etwa die Ausschüsse des
Bundestags und die Bundesministerien. Sie werden laut der Studie immer
wichtiger, was man zum Beispiel an der zentralen Rolle des [2][Deutschen
Ethikrats während der Coronapandemie] gesehen habe.
Ihre Aufgabe ist es, im Gesetzgebungsprozess neutralen Rat zu geben. Das
grenze sie, zumindest in der Theorie, vom Lobbyismus als
„interessengeleitete Beratung“ ab, schreiben die Studienautorinnen.
Praktisch finde aber auch in Gremien häufig eine Aushandlung verschiedener
Interessen zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft statt.
Daher sei es überraschend, dass Vertreter:innen aus der
Zivilgesellschaft einen derart geringen Anteil ausmachen,
Wirtschaftsvertreter:innen aber „fast so häufig geladen werden wie
WissenschaftlerInnen“, sagt Laura Pfirter, Ko-Autorin der Studie.
Besonders niedrig ist die Quote von Akteur:innen aus der
Zivilgesellschaft demnach in Gremien des Finanz-, Wirtschafts-, Verkehrs-
und Bildungsministeriums sowie des Bundeskanzleramts. Hier stellen sie
jeweils weniger als 10 Prozent der Fachleute. Im Justizministerium, das
auch für Verbraucherschutz zuständig ist, sind es sogar nur 4,7 Prozent.
Doch auch der Anteil von 8,9 Prozent im Verkehrsministerium wirkt gering
vor dem Hintergrund, dass das Ressort die Rahmenbedingungen alltäglicher,
privater Mobilität festlegt.
## Forderung nach mehr Transparenz
Hinzu kommt, dass es dann oft große Organisationen sind, die
Vertreter:innen in die Gremien entsenden: etwa die Kirchen, Wohlfahrts-
und Naturschutzverbände oder Gewerkschaften. Ihre Beteiligung sei in Form
von Anhörungsrechten in Gesetzgebungsverfahren festgeschrieben; sie
leisteten dabei wichtige politische Arbeit, heißt es in der Studie.
Allerdings seien dadurch immer die gleichen etablierten Organisationen in
den Gremien vertreten, da nicht alle gesellschaftlichen Gruppen in
Verbänden organisiert seien.
Die Autorinnen kritisieren nicht nur die Nebenrolle der Zivilgesellschaft
in den Gremien. Insgesamt beklagen sie, dass die Arbeit der Gremien
intransparent sei. Für die Studie haben sie nur 223 der 302 ihnen bekannten
Fachgruppen ausgewertet. Über die restlichen 79 seien jedoch nicht genug
Informationen zugänglich gewesen. Es liege keine Liste aller Gremien auf
Bundesebene vor. Zudem sei weder bekannt, in welchen Verfahren und unter
welchen Kriterien sie besetzt werden, noch wer dafür zuständig sei.
Auf dieser Basis formulieren die Autorinnen eine Reihe an Empfehlungen: Die
Informationen über Beratungsgremien sollten übersichtlicher,
Berufungsverfahren transparenter, Prozesse verrechtlicht und Repräsentation
gesellschaftlicher Vielfalt in den Gremien noch deutlicher werden. Zudem
solle der Verbandsbegriff geschärft werden; derzeit sei nicht eindeutig
geregelt, was als Verband gelte und welchen Gruppierungen die erwähnten
Anhörungsrechte zuständen.
## Ampelregierung wird in die Pflicht genommen
Diese Empfehlungen richteten sie an die derzeitige und kommende
Regierungen. Obwohl die Autorinnen Vorhaben aus dem Ampel-Koalitionsvertrag
zur verbesserten Transparenz, Teilhabe und Kooperation zwischen
Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Staat als wichtige Ziele loben, sehen sie
diese noch nicht umgesetzt.
Auch Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto-Brenner-Stiftung, fordert mehr:
„Der begrüßungswerte Anspruch der Ampelkoalition, ein transparenteres
Regierungshandeln zu praktizieren, wird sich auch daran messen lassen
müssen, ob diese austernähnliche Verschlossenheit aufgebrochen wird und die
gepflegte Intransparenz überwunden werden kann.“
22 Feb 2023
## LINKS
[1] https://www.otto-brenner-stiftung.de/wissenschaftsportal/publikationen/tite…
[2] /Trauern-waehrend-Corona/!5743666
## AUTOREN
Dariusch Rimkus
## TAGS
Bundesregierung
Zivilgesellschaft
Politikberatung
Wirtschaftspolitik
Koalitionsverhandlungen
Ampel-Koalition
Sommercamp 2022
Schwerpunkt Coronavirus
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