# taz.de -- Erderwärmung und Wachstum: Beim Konsum ansetzen | |
> Grünes Wachstum bleibt eine Illusion – zumindest solange die dafür | |
> notwendige Technologie fehlt. Trotzdem ist Handeln auch jetzt schon | |
> möglich. | |
Bild: Verantwortliches Konsumieren und Müllvermeidung sind angesagt | |
Zeit, Gerechtigkeit und Demokratie kommen bei der Debatte um die Rolle von | |
Energieeffizienz in der Transformation zu kurz. Schon jetzt sterben | |
Menschen bei Naturkatastrophen, die mit dem Klimawandel verbunden sind, und | |
wir sind gefährlichen Kipppunkten in unseren globalen ökologischen Systemen | |
unglaublich nahe. Natürlich kann und muss technologischer Fortschritt einen | |
wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der [1][Erderwärmung] und auch anderer | |
Nachhaltigkeitsherausforderungen leisten. | |
Wir haben ihn aber jetzt, wo wir dringend handeln müssen, noch nicht | |
ausreichend verfügbar, und ob er in Zukunft wirklich grünes Wachstum | |
erlauben wird, ist hoch umstritten. Welche Maßnahmen stehen uns daher zur | |
Verfügung, außer vorsorgend einen anderen Weg zu beschreiten? Wenn die | |
Möglichkeit grünen Wachstums dann doch kommen sollte, können wir immer noch | |
und erst recht die Korken knallen lassen. | |
Ein vorsorgendes Handeln ist umso notwendiger, als es Milliarden von | |
Menschen in anderen Teilen der Welt gibt, die zunehmend in der Lage sind, | |
unseren westlichen Konsummustern nachzueifern, und das auch nicht erst | |
übermorgen. Umso größer und schneller muss die Wende in den Ländern mit den | |
höchsten Pro-Kopf-Emissionen erfolgen. Wenn es auch einfach ist, mit dem | |
Finger auf ein paar Länder zu zeigen, die da noch vor Deutschland liegen, | |
so sind wir doch nicht weit von der Spitze entfernt. | |
Die Frage der Gerechtigkeit kommt aber nicht nur ins Spiel, wenn wir über | |
Menschen in anderen Teilen der Welt nachdenken. Sie betrifft natürlich auch | |
das Wohl [2][unserer Kinder und Kindeskinder]. Gerechtigkeit ist zudem für | |
alle, die sich nur auf das Hier und Jetzt konzentrieren wollen, im Kontext | |
von Klimakrise und -politik relevant. Der Nutzen von energieintensiven | |
Aktivitäten und Infrastrukturen und die Kosten des Klimawandels sind extrem | |
ungleich verteilt. | |
## Arme trifft es härter | |
Die meisten Deutschen sind keine Vielflieger und beheizen oder kühlen auch | |
nicht riesige Häuser. Die Folgen der Klimakatastrophe betreffen alle, nur | |
Reiche können sich besser schützen. Hier findet eine kontinuierliche | |
Umverteilung von unten nach oben statt. Solche sozialen Auswirkungen | |
gefährden die Nachhaltigkeitstransformation. | |
Und sie gefährden unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt und damit unsere | |
Demokratie. Probleme, die aus der wachsenden Einkommensschere resultieren, | |
den kommunikativen Blasen, in denen wir uns zunehmend bewegen, wie auch aus | |
der [3][mangelnden Responsivität der Politik] den einkommensschwächeren | |
Bevölkerungsgruppen gegenüber, werden durch die ungleiche Verteilung von | |
Kosten und Nutzen weiter verschärft. | |
Hier muss der Demokratie-erhaltende Aspekt von Nachhaltigkeit und | |
Nachhaltigkeitspolitik zwingend mitgedacht werden. Wenn man nun die | |
Notwendigkeit vorsorgenden Handelns und die Dimensionen von Gerechtigkeit | |
und Demokratie zusammenbringt, dann muss die Frage nach einem gerechten | |
Energiekonsum gestellt werden, der es erlaubt, auch in Krisenzeiten die | |
grundlegenden Bedarfe aller zu bedienen. Ein Fokus auf Effizienzgewinne | |
suggeriert, dass es Hauptaufgabe der Politik sei, technologische Innovation | |
zu fördern. | |
Kernaufgabe der Politik ist aber, ein gutes (Zusammen-)Leben Aller zu | |
fördern. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit Gerechtigkeits- und | |
Verteilungsfragen. Der Blick sollte sich auf das notwendige Mindestmaß an | |
Konsum wie auch auf Maximalgrenzen des Konsums richten. Ein Mindestmaß an | |
Konsum ist natürlich zur Bedürfnisbefriedigung und Möglichkeit, ein „gutes | |
Leben“ zu führen, notwendig. | |
## Nicht jeder Wunsch muss erfüllt werden | |
Maximalgrenzen des Konsums wiederum würden garantieren, dass Überkonsum | |
durch Einzelne oder Gruppen nicht die Möglichkeit eines guten Lebens für | |
andere zerstört. Die Perspektive auf Konsumkorridore stellt die Frage nach | |
„genug“, und zwar im doppelten Sinne: „genug für mich“ und „genug f�… | |
anderen“. Sie erlaubt damit den Fokus auf zweierlei: Was ist für | |
Lebensqualität wirklich wichtig? | |
Das ist, wenn man mal [4][all das Dekorum und Gedöns] weglässt, für den | |
allergrößten Teil von uns Menschen gar nicht so unterschiedlich. Hier gilt | |
es, zwischen Bedürfnissen und Wünschen zu unterscheiden, wie auch zwischen | |
Bedürfnissen und den Produkten oder Dienstleistungen, mit denen wir sie | |
befriedigen. Während die Befriedigung eines Bedürfnisses ermöglicht werden | |
sollte, muss nicht jeder Wunsch mit jedem Produkt befriedigt werden können. | |
Gleichzeitig ermöglicht die Perspektive der Konsumkorridore die | |
gesellschaftliche Diskussion über Grenzen des Konsums. Sie unterstreicht, | |
dass Konsum nicht nur eine private Entscheidung ist, sondern immer auch | |
eine gesellschaftliche Dimension hat. In Zeiten, in denen uns | |
Klimakatastrophen klarer denn je die Grenzen der Belastbarkeit unserer | |
Ökosysteme aufzeigen, müssen wir uns vergegenwärtigen, dass diese Grenzen | |
auch Konsequenzen dafür haben, wie(viel) wir konsumieren können. | |
Dabei gibt es Optionen, wie wir als Einzelne unsere Lebensstile verändern | |
können. Die Entscheidungen für die Nutzung des [5][ÖPNV] statt des Autos | |
oder [6][gegen das Fliegen] gehören dazu. Viel muss sich aber auch an den | |
wirtschaftlichen und politischen Strukturen ändern, die immer noch darauf | |
ausgerichtet sind, in erster Linie Konsum und Wachstum zu steigern. In der | |
liberalen Marktwirtschaft hat Konsum einen Heiligenschein aufgesetzt | |
bekommen und wird schnell als Inbegriff unserer Freiheit beschrieben. | |
Aber hört unsere Freiheit nicht da auf, wo sie die Freiheit anderer (und | |
die Zukunft unserer Zivilisation) einschränkt? Eine gemeinsame Anerkennung | |
und Umsetzung sozial und ökologisch verträglicher Grenzen von Konsum würde | |
uns erlauben, sowohl Gerechtigkeit und Demokratie zu fördern als auch Zeit | |
verschaffen. Sie würde uns ermöglichen, einen wirklich großen Schritt in | |
Richtung [7][Transformation] zu machen, unabhängig davon, ob die | |
Möglichkeit grünen Wachstums noch kommt oder nicht. | |
23 Feb 2023 | |
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## AUTOREN | |
Doris Fuchs | |
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