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# taz.de -- Interview zu Homosexualität in Georgien: „Wir bekamen Morddrohun…
> Levan Gelbakhiani ist Hauptdarsteller des schwulen georgischen Films „Als
> wir tanzten“. Er erzählt von Homophobie und powackelnden Kellnern.
Bild: Intime Müdigkeit: Levan Gelbakhiani (Mitte) in einer Szene des Films „…
taz: Herr Gelbakhiani, Sie haben zunächst gezögert, die Rolle des schwulen
Tanzschülers Merab im Film „Als wir tanzten“ anzunehmen.
Levan Gelbakhiani: Der Hauptgrund war die Gesellschaft. Die Furcht.
Eigentlich die Angst vor genau dem, was dann tatsächlich bei unserer
Filmpremiere in Georgien passiert ist: Leute standen vor dem Kino und haben
gewettert. Ich hatte Angst davor, dass es so eklig werden würde wie 2013
bei den Gegenprotesten zur ersten [1][Pride-Parade in Georgien.] Wenn du
als junger Georgier in so einem Film mitspielst, denkst du an viele Leute:
deine Mutter, deinen Vater, deine Freunde. Du bist ja nicht allein in
deiner Welt. Es war klar, dass von außen Fragen kommen würden. Die Menschen
um mich herum mussten gefasst sein auf diese Fragen – und bereit dafür.
Worauf mussten sie sich einstellen?
Ein negativer Vibe aus der Gesellschaft. Anfeindungen, Bedrohungen.
Und warum haben Sie sich letztlich dann doch entschlossen mitzuspielen?
Ich hatte diese Diskussion mit meiner Familie, vor allem mit meiner Mutter.
Am Ende meinte sie: „Mach es einfach, wenn es sich für dich richtig anfühlt
und das etwas ist, dass du tun musst.“ In Georgien hat man ja nicht so
viele Mittel, etwas zu sagen, etwas zu verändern – durch den Druck der
Regierung. Mir wurde klar, dass dieser Film das Medium sein würde, durch
das ich Dinge sagen kann, die mir wichtig sind. Minderheiten zu schützen.
Mit diesem Film schien es realistisch, ein so wichtiges Thema auf die Seite
1 zu bringen.
Auf die Titelseite einer Zeitung?
Allgemein oben auf die Agenda der georgischen Gesellschaft. Es muss darüber
gesprochen werden. Natürlich gab es schon immer schwule Menschen in
Georgien. Aber jetzt kann man nicht mehr so tun, als wäre es nicht so.
Homosexualität ist ja legal in Georgien.
Theoretisch seit dem Jahr 2000. Aber in der Praxis tut die Regierung nicht
viel, um Minderheiten zu schützen. Dieser Film schien mir das beste Mittel,
um den Leuten zu zeigen: Homosexualität ist nichts, wovor man sich fürchten
müsste. Wir können doch zusammenleben, kein Problem! Es gibt Menschen in
Georgien, die sich Homosexualität ernsthaft wie eine Krankheit vorstellen,
die sich ausbreitet: Du fasst einen Schwulen an und wirst dann selber
schwul. So läuft es ja nicht, und darüber müssen wir reden, das müssen wir
zeigen.
Es gab ja Probleme beim Dreh: Sie hatten Bodyguards. Und einige
Tanz-Ensembles haben sich geweigert, bei den Dreharbeiten mitzumachen.
Wir bekamen Morddrohungen während der Dreharbeiten. Uns wurden spontan
Drehgenehmigungen entzogen, einen Tag vorher. Viele Tänzer:innen wollten
nicht mit dem Film in Verbindung gebracht werden. Um die Dreharbeiten zu
erleichtern, hatten wir eine Alibi-Storyline, um nicht immer erklären zu
müssen, worum es wirklich geht. Wir haben dann gesagt: „Ein französischer
Tourist kommt nach Georgien und verliebt sich in die georgische Kultur.“
Wie war das mit den Ausschreitungen bei der Premiere in Georgien für Sie?
Ich selbst war nicht da. Wir saßen im Flieger nach Los Angeles, um die
Oscar-Kampagne für den Film voranzutreiben. Wir hatten eine andere Premiere
zuvor. Die Premiere mit den Ausschreitungen war quasi die öffentliche
Premiere, für die jeder Tickets kaufen konnte. 6.000 Tickets wurden an
einem Tag verkauft. Ich hab gehört, manche wurden auf dem Schwarzmarkt
gehandelt. Letztlich waren die Reaktionen wirklich positiv: Die Leute
mochten den Film. Sie haben verstanden, worum es uns ging.
Aber es gab sie ja, die Proteste von Rechtsextremen und von der orthodoxen
Kirche gegen den Film.
Ich habe Mitleid mit denen.
Mit den Demonstranten gegen Ihren Film?
Ja, denn das sind Menschen, die nicht verstehen, was sie da eigentlich tun.
Die Regierung zieht die Fäden. Die Kirche. Russland. Die rechtsextremen
Gruppen benutzen ahnungslose Menschen, die dann am Ende eine blinde
ignorante Wut auf die Straße tragen.
Wie ist denn die Einstellung der georgischen Gesellschaft zur
Homosexualität?
Die junge Generation ist da, Gott sei Dank, sehr offen. [2][Es hat sich da
so viel verändert in den letzten zehn Jahren.] Davor war das wirklich ein
Tabu. Niemand hätte öffentlich darüber gesprochen oder sich solidarisiert.
Aber inzwischen ist die junge Generation in Georgien aufgeschlossen und
hilfsbereit, was das Thema angeht. Aber wenn man sich die ältere Generation
anschaut: Das ist manchmal gruselig.
Im Film sieht man allerdings auch Queerphobie von jungen Tänzern.
Man hört auch kleine Kinder, die sich homophob äußern. Da muss man
verstehen, dass sie wohl in einem [3][homophoben Umfeld aufgewachsen sind
mit homophoben Eltern]. Es kann eben verdammt schwer sein, tolerant zu sein
inmitten eines intoleranten Umfelds. Ich würde auch nicht sagen, dass da
alle aufgeschlossen wären. Aber doch die Mehrheit. Viele junge Menschen
fühlen sich auch der Europäischen Union verbunden.
Zu Beginn des Films sagt der Tanzlehrer Ihrer Figur, dass sie zu feminin
sei. Sie sind ja selber Tänzer. Inwiefern geht es beim georgischen Tanz
darum, mit Maskulinität zu posen?
Georgischer Tanz zeigt Hetero-Paare: Mann und Frau. Die Frauen müssen
sexuell unschuldig scheinen. Jungfräulich. Der georgische Tanz basiert auf
Männlichkeit, sagt man oft. Wobei sich das seit einer Weile ändert. Leute
merken, dass die Geschichte des georgisches Tanzes queere Ursprünge hat,
angestoßen durch die damals noch heimliche LGBT-Community vor etwa hundert
Jahren. Das sind im Grunde queere Tanzfiguren, die Einzug in den
traditionellen georgischen Tanz fanden. Was wir jetzt als „normalen
georgischen Tanz“ ansehen, war ursprünglich queerer Tanz. Die Inspiration
kam ursprünglich, platt gesagt, von Kellnern im Restaurant, die sexy ihren
sexy Hintern geschwungen haben.
Ist das den Leuten in Georgien bewusst?
Das ist kein Geheimnis. Aber es gibt diese Gehirnwäsche, dass alles super
maskulin wäre. Humbug! Da fehlt den Leuten Information. Georgien ist
allerdings auch stark regional geprägt. Jede Region hat ihre eigenen Tänze
und Lieder. Manche sind durchaus im konventionellen Sinne machohaft, aber
andere auch eher sozusagen feminin.
Im Film sieht man auch traditionelle Tänze mit Männerpaaren.
Das gibt’s auch. Manche davon beruhen allerdings auf Figuren aus dem Krieg.
Kampfszenen.
Der Tanzlehrer zu Beginn des Films sagt: „Georgischer Tanz kennt keine
Sexualität. Wir sind hier nicht beim Lambada!“
Das ist richtig. Man hält eine gewisse Distanz zum Partner. Als Mann führt
man seine Frau. Verschiedene Gesellschaften haben unterschiedliche Ideen
davon, was es heißen kann, ein Mann zu sein. Aber in Georgien ist das klar:
Der Mann arbeitet, die Frau sitzt zu Hause und erzieht die Kinder.
Sie waren mit dem Film in Cannes und beim Sundance Film Festival. Berichten
die georgischen Medien darüber?
All die Medien, Zeitungen wie Fernsehen, unterstützen unseren Film sehr.
Alle. Sogar die regierungsnahen Medien. Das ist die gute Seite der
Medaille, was georgische Medien angeht.
Warum sind die Medien da so aufgeschlossen?
Ich denke, die Journalist:innen sind gut informiert und deshalb offener.
Der Hollywood Reporter und die BBC haben den Film gelobt. Da würde man sich
als georgisches Medium etwas lächerlich machen, wenn man sagen würde, dass
der Film scheiße wäre.
Und die Kirche und die Rechtsextremen? Geben die nun Ruhe?
Die tippen immer noch ihre Kommentare, meist auf Facebook, weil das eine
große Sache in Georgien ist. Sprüche wie, dass der Film der georgischen
Gesellschaft schadet und so. Eins fand ich witzig bei einer Onlinegruppe
Rechtsextremer: Da hatte jemand geschrieben „Vorsicht: Wenn du dir diesen
Film ansiehst, wirst du schwul!“ Ach je, Leute glauben diese Scheiße auch
noch!
Der CSD letztes Jahr in Georgien wurde offiziell abgesagt. Wird es dort
bald wieder einen CSD geben?
Das hoffe ich doch. Die Dinge ändern sich zum Besseren. Vor ein paar Tagen
war ich in Tiflis in einem Kiosk, um Kippen zu kaufen. Eine alte Frau dort
hat mir gesagt, sie hat den Film gesehen und sich in ihn verliebt. Auf
Social Media hab ich von einer anderen alten Frau gehört, die 92 Jahre alt
ist. Sie hat von dem Tumult rund um den Film mitbekommen und wollte sich
ein eigenes Bild machen. Später hat sie ein Video gepostet, in dem sie
sagt: „Leute, was ist los? Ich kann nichts Schlechtes in diesem Film
finden!“ Wenn das eine Frau von 92 Jahren sagt, dann hab ich Hoffnung.
23 Jul 2020
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## AUTOREN
Stefan Hochgesand
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