Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Queerer Pop von Perfume Genius: Hitze auf dem Dancefloor
> Mit seinen queeren Themen bietet er Identifikationspotential. Der
> US-Popstar Perfume Genius hat ein neues Album.
Bild: Perfume Genius versteht sich auch auf die Komposition schwuler Feel-good-…
„Queersein bestimmt meine Wahrnehmung der Welt“, sagt Mike Hadreas, „ob i…
will oder nicht.“ Dann stockt seine androgyne Stimme im Gespräch per Skype.
Der US-Künstler ist zugeschaltet aus Los Angeles, er wickelt sich eine
Decke um die Schultern. „Mein ganzes Leben lang sehne ich mich an den Punkt
zurück als Kind, bevor mir die Welt indoktriniert hat, dass es nicht okay
ist, ich selbst zu sein.“
Seit einem Jahrzehnt ist Perfume Genius, wie Hadreas auf der Bühne heißt,
eine der wichtigsten schwulen Stimmen im Indiepop. Nach seinem Debütalbum
„Learning“ (2010) wurde er rasch mit Antony Hegarty von [1][Antony and the
Johnsons] verglichen, heute gehört zu seinen Fans auch [2][der gefeierte
Bestsellerautor Ocean Vuong].
Perfume Genius bietet viel Identifikationspotenzial für Queers, er erzählt
Geschichten, die sonst im Pop kaum vorkommen. Die sind nicht immer lustig:
In der morbiden Klavierballade „17“ vom zweiten Album etwa rief Hadreas ein
Gegenüber dazu auf, ihm den Körper in eine Violine zu falten und dann an
einen Zaun zu binden und mit Sperma zu besudeln. Es liegt nahe, dabei an
den brutalen Mord an dem schwulen College-Studenten Matthew Sheppard zu
denken, der 1998 im Alter von 21 von zwei Gleichaltrigen mit einer Pistole
blutig geschlagen und an einen Zaun gebunden wurde.
Auf dem gleichen Album findet sich indes auch der utopische Song „All
Waters“, in dem sich der 38-jährige Künstler eine Welt herbeisehnt, in der
er auf offener Straße ohne Angst eine Hand, womöglich die seines
Lebenspartners Alan, halten kann: „When I can take your hand / On any
crowded street / And hold you close to me / With no hesitating.“
## Es singt ein Mann, der einen anderen Mann begehrt
Für Heteros vielleicht schwer verständlich, aber für viele Queers Alltag:
Dass sie sich aus Furcht vor zunehmenden Hassverbrechen nicht trauen,
Zuneigung an öffentlichen Orten zu zeigen. In den Songs von Perfume Genius
entwickelt das durchaus gesellschaftspolitische Wucht.
Auf seinem nun veröffentlichten fünften Album, „Set My Heart on Fire,
Immediately“, hat sich Perfume Genius weiter als je zuvor wegbewegt von den
reduziert arrangierten Songs der Anfangszeit, die hauptsächlich vom Klavier
und seiner klagenden Stimme lebten: Mittlerweile schichtet Perfume Genius
Synthies zu dramatischen Soundscapes – und versteht sich auch auf die
Komposition schwuler Feel-good-Gassenhauer, pardon, Tanzbodensmasher wie
„On the Floor“ inklusive funky Groove und Doo-Wop-Chor.
Ganz klar ist dabei: Es singt ein Mann, der einen anderen Mann begehrt.
Denn Perfume Genius verwendet immer die entsprechenden grammatischen
Pronomen. „Das scheint erst mal nur ein Detail zu sein“, sagt er im
Interview, „aber hat doch große Stoßkraft. So was hätte ich als Teenager
gut gebrauchen können.“
Im Video zu „On the Floor“ sieht man Wüstenstaub, Zigarren, Autoreifen. Und
dann kämpft Perfume Genius mit diesem anderen Typen oder macht Liebe, es
wird nicht klar. Das Styling wirkt jedenfalls konventionell-maskuliner als
beim frühen Perfume Genius. Der kontert: „Ich liebe seine Version eines
hypermaskulinen Urbildes im aktuellen Artwork. Die ist nämlich auf ihre
Weise auch sehr theatralisch, Camp, over-the-top.“
## „Popmusik hat sich immer an Queer-Kultur bedient“
Auch der übellaunige Song „Jason“ vom neuen Album erzählt klar vom Lieben
zweier junger Männer. Einer von beiden traut sich anfangs nicht, sich
auszuziehen. Es könnte sein erstes Mal mit einem Mann sein. Vielleicht ja
eine gar nicht so seltene Szenerie für eine Generation von
Thirtysomethings, die fluider denkt in ihren Identitäten als frühere
Jahrgänge.
Überhaupt ist es das große Verdienst von Perfume Genius, dass er schon in
den Zehnern, in etwa zeitgleich mit Künstlern wie dem schwulen
Avantgarde-Elektronik-Popper Patrick Wolf und der transgender Rock ’n’
Rollerin Ezra Furman mit queeren Themen im Indie-Terrain so vorangeprescht
ist, dass sich auch der Mainstream weniger fürchtete: Im Chartspop folgten
Sam Smith, Years & Years und Halsey. 2019 war ein schwarzer schwuler
Teenager so lange auf Platz eins der US-Charts wie niemals zuvor: Lil Nas
X.
„Pop-Musik hat sich immer an queerer Kultur bedient“, sagt Perfume Genius
der taz. „Als Spielzeug taugte das anscheinend gut. Aber früher war es nie
so queer, dass es zur Bedrohung geworden wäre. Nur so weit, dass es
interessant wirkt und Spaß macht.“ Das ändert sich gerade: Queere
Geschichten werden gehört, jüngst etwa auch bei der französischen
Disco-Chanteuse Christine and the Queens und der britischen
Elektronikproduzentin Sophie.
So wie Perfume Genius selbst als Teenager von den campy Filmen eines Gregg
Araki und vom theatralischen Songwriting des Kanadiers Rufus Wainwright
inspiriert wurde, ist er nunmehr selbst ein großer Inspirator für eine
Welt, in der queere Liebe kein bisschen besser oder wichtiger wäre als
Hetero-Liebe, aber eben auch kein bisschen unwichtiger oder schlechter.
22 May 2020
## LINKS
[1] /Archiv-Suche/!5399744
[2] /Gedichte-von-Ocean-Vuong/!5669516
## AUTOREN
Stefan Hochgesand
## TAGS
Queer
Pop
Indie
Musik
Musikerinnen
Queer
Schwerpunkt LGBTQIA
Musik
Musik
Schwerpunkt Coronavirus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ezra Furman spielte in München: Unstillbare Lust am Aufbegehren
Die US-Musikerin Ezra Furman hat mit ihrer Band in der Freiheitshalle in
München gespielt – und begeisterte mit neuen Hymnen der Zärtlichkeit.
Sängerin Martha Wainwright: „Ich gehöre auf die Bühne“
Die kanadische Singer-Songwriterin Martha Wainwright über Kinder,
schmerzvolle Trennungen, Familie, Musik und den Sinn des Lebens.
Queere Weihnachten bei Taylor Mac: Highheels und Bimbam
Taylor Mac, preisgekrönte:r Theatermacher:in und Sänger:in aus New York,
schmeißt eine queere Weihnachtssause.
Interview zu Homosexualität in Georgien: „Wir bekamen Morddrohungen“
Levan Gelbakhiani ist Hauptdarsteller des schwulen georgischen Films „Als
wir tanzten“. Er erzählt von Homophobie und powackelnden Kellnern.
Neues Album von Owen Pallett: Der Mensch ist keine Insel
In „Island“ geht es um Queerness und soziale Isolation. Mit seinen
Orchesterarrangements verbindet Pallett außerdem klassische Musik und Pop.
Erinnerung an Komponist Lord Kitchener: Die Calypsobräuche der Briten
In den 1950er Jahren brachte er die karibische Musik nach London: Aldwyn
Roberts alias Lord Kitchener. Ein neues Album erinnert an ihn.
Im Bett mit der Corona-Erkrankung: Die Verschwörung der Verlierer
Paul B. Preciado, europäischer Kultautor des Queer- und Transaktivismus,
erkrankte vor Kurzem an Covid-19. In seinem neuen Buch erzählt er davon.
Corona: Queere Community verunsichert: Die Krise meistern
Die Existenz der queeren Infrastruktur steht wegen Corona auf dem Spiel.
Wie wird queeres Leben nach der Krise aussehen? Eine erste
Bestandsaufnahme.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.