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# taz.de -- Interview mit Karin Prien: „Schulen sind relativ sichere Orte“
> Die neue Vorsitzende der Kultusministerkonferenz (CDU) über
> Kinderinfektionen, Bildungsversprechen der Ampel und
> Chancengerechtigkeit.
Bild: Karin Prien, Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Schleswi…
taz am wochenende: Frau Prien, zum Jahreswechsel haben Sie den Vorsitz der
Kultusministerkonferenz (KMK) übernommen. Das Motto Ihrer Präsidentschaft
lautet „Lernen aus der Pandemie“. Was haben Sie bisher aus der Pandemie
gelernt?
Karin Prien: Sehr viel! Zum Beispiel, wie wenig man in einer
Pandemiesituation belastbar vorhersagen kann. Oder wie unterschiedlich
Wissenschaft und Politik funktionieren. Für die Wissenschaft ist es
selbstverständlich, dass sie ihre Aussagen ständig überprüft und
korrigiert. Wenn Politiker das tun, stößt dies auf wenig Akzeptanz in der
Bevölkerung – auch wenn das in einer Pandemie notwendig ist. Das erfordert
wichtige Lernprozesse für unsere Kommunikation.
Und bei den Schulen? Welche Fehler werden Sie nicht wiederholen?
Beim Thema Schulen habe ich natürlich viel über die diversen Facetten der
Digitalisierung gelernt. Rückblickend war es sicher ein Fehler, in
Deutschland mit der Digitalisierung der Schulen so spät zu beginnen. Und da
gibt es immer noch jede Menge zu tun. Vor allem aber war es ein Fehler, die
Schulen so früh und so lange zu schließen. Deshalb sollen Schulen nun
möglichst offen bleiben, das hat die KMK vergangene Woche in einem
Beschluss noch einmal bekräftigt.
Die Beschlüsse der KMK sind aber nicht bindend. Thüringen und
Mecklenburg-Vorpommern etwa lassen nun die Schulen selbst entscheiden, ob
sie Präsenz-, Wechsel- oder Distanzunterricht anbieten. Beim Thema
einheitliche Regeln scheint die KMK nicht dazulernen zu wollen.
Es ist ein bisschen wohlfeil, der [1][KMK] das vorzuwerfen. Schließlich hat
sie in einem verfassungsgemäß vorgegebenen föderalen System nur eine
koordinierende Funktion. Es ist deshalb schwierig, zu verbindlichen Regeln
in der Schulpolitik zu kommen, an die sich alle halten müssen. Das geht nur
über Ländervereinbarungen oder Staatsverträge, die einen hohen formalen
Aufwand haben. Das Problem hat aber nicht nur die Kultusministerkonferenz.
Auch die Entscheidungen, die die Ministerpräsidenten zusammen mit dem
Kanzleramt treffen, legen die Länder teils sehr unterschiedlich aus.
Das macht es nicht besser. Finden Sie es nicht ungerecht, wenn der Wohnort
über die Anzahl der wöchentlichen Schnelltests an Schulen entscheidet?
Wir müssen uns in diesen Fragen immer wieder um mehr Einheitlichkeit
bemühen, aber auch den unterschiedlichen Ausgangslagen gerecht werden. Aber
über Hygienemaßnahmen an Schulen entscheiden die Kultusministerien nicht
allein. Ob dreimal oder fünfmal in der Woche getestet wird, wird in den
Gesundheitsministerien und den Landeskabinetten abgestimmt und entschieden.
Da geht es dann auch um finanzielle Aspekte. Viele Entscheidungen, bei
denen man vielleicht denkt, dass sie die Kultusminister allein zu
verantworten haben, liegen bei den Landesregierungen.
Ihr Ministerpräsident Daniel Günther fordert, die epidemische Notlage
wieder einzuführen. Sie auch?
Ich teile die Auffassung meines Ministerpräsidenten. Wir sind darauf
angewiesen, schnell und flexibel auf eine neue Situation wie auf Omikron
reagieren zu können. Dass wir zum jetzigen Zeitraum keine epidemische
Notlage nationaler Tragweite haben, ist insgesamt ein politischer Fehler
gewesen. Als Schulpolitikerin bin ich aber ehrlich gesagt nicht ganz unfroh
darüber. Denn flächendeckende Schulschließungen sind rechtlich aktuell
ausgeschlossen. Den politischen Konsens, Schulen möglichst nicht zu
schließen, kann ich so leichter durchsetzen.
Sie wollen Schulen erst schließen, wenn alle anderen Möglichkeiten
ausgeschöpft sind. Reichen 2G+ in der Gastro und verkürzte Quarantäne aus,
um die Schulen offen zu halten?
Ich fürchte, das müssen wir Woche für Woche neu bewerten. Wir müssen
öffentlich auch noch schärfen, was eigentlich die Ziele unserer
Pandemiebekämpfung sind. Wenn es darum geht, die Überlastung des
Gesundheitssystems, namentlich der Krankenhäuser zu verhindern, dann können
diese Maßnahmen ausreichend sein. Wir haben in Schleswig-Holstein im
Augenblick leider sehr hohe Inzidenzwerte. Die Hospitalisierungsrate ist
aber dennoch niedrig, und auch die Intensivstationen sind nicht überlastet.
Gut möglich, dass wir mit den derzeitigen Einschränkungen durchkommen.
Der Krankheitsverlauf soll bei Omikron generell milder verlaufen, bei
Kindern gibt es aber auch Berichte über mehr Krankenhausaufenthalte.
Nach allem, was wir bisher wissen, führt Omikron insgesamt zu milderen
Symptomen und Verläufen. Das gilt auch für Kinder, vor allem im
schulpflichtigen Alter. Bei den frühen Studien aus Südafrika waren zum
Beispiel vor allem sehr kleine Kinder bis vier Jahre betroffen. Von Studien
aus New York oder aus Großbritannien wissen wir mittlerweile, dass unter
Omikron nicht mehr Kinder ins Krankenhaus kommen als unter Delta. Entgegen
ersten Berichten führt Omikron bei Kindern also nicht zu schwereren
Verläufen.
Was sagen Sie zu dem Vorwurf, die Politik würde die Kinder „durchseuchen“?
Das Wort „Durchseuchung“ ist ein politischer Kampfbegriff. Im Grunde geht
es um die Frage, in welchem Umfang wir als Gesellschaft bereit sind, eine
Infektion bei Kindern und Jugendlichen in Kauf zu nehmen. Die Gefahr einer
Infektion besteht natürlich trotz aller Hygienemaßnahmen auch in der
Schule. Gleichzeitig halten wir ein umfangreiches Maßnahmenpaket vor, um
das möglichst zu verhindern: das enge Testregime, die Maskenpflicht für
alle Jahrgangsstufen. In Schleswig-Holstein bilden wir aktuell an den
Grundschulen wieder Kohorten. Und beim Sport- und Musikunterricht lassen
wir alles sein, was das Infektionsrisiko erhöht. Dennoch sage ich nicht:
Schulen sind sichere Orte. Ich sage: Schulen sind relativ sichere Orte,
weil so viele Maßnahmen ergriffen werden. Insgesamt nehmen wir eine
verantwortungsvolle Abwägung vor.
Themenwechsel: Was steht noch auf Ihrer KMK-Agenda?
Es ist eine Herausforderung, das Schulsystem neben dem Krisenmanagement
weiterzuentwickeln. Während meiner Amtszeit als KMK-Präsidentin will ich
beides zusammenbringen und Impulse dazu erarbeiten, wie die Schule der
Zukunft aussehen kann. Aber unabhängig von meiner Präsidentschaft arbeitet
die Kultusministerkonferenz ständig an einer Vielzahl von Themen. Zum
Beispiel die Angleichung der Rahmenbedingungen zum Abitur, neue
Empfehlungen für Quer- und Seiteneinsteiger oder die Aus- und Weiterbildung
von Lehrkräften im Bereich Digitalisierung. Im Zentrum steht aber die
Frage: Was haben die Schulen in dieser Pandemie gelernt und was nehmen wir
mit in die Zeit danach? Und das gilt vor allem mit Blick auf die Frage,
welche Rolle die Digitalität spielt. Deshalb wollen wir dieses Jahr auch
besprechen, wie wir zukünftig beim Digitalpakt die Aufgaben zwischen Land,
Kommune und Bund besser verteilen können.
Die neue Bundesregierung möchte sich künftig noch stärker in der
Bildungspolitik engagieren, auch bei Ganztag- oder der Förderung von
„Brennpunktschulen“. Wie finden Sie das?
Wenn der Bund bereit ist, in diese Bereiche mehr zu investieren, begrüße
ich das. Natürlich wird man sehen müssen, was aus den ehrgeizigen
Ankündigungen der Ampelkoalition umgesetzt wird. Wenn sie es ernst meint,
wären das erhebliche Milliardenbeträge jährlich, die der Bund investieren
würde.
Die Ampelpläne klingen jedenfalls ambitionierter als das, was SPD und Ihre
Partei in den vergangenen Jahren aufgelegt haben. Hat die CDU das Thema
Chancengerechtigkeit vernachlässigt?
Da würde ich massiv widersprechen. Zum einen hat das Thema
Chancengerechtigkeit auch in der letzten Legislatur eine große Rolle
gespielt. Der Digitalpakt gehört in die letzte Legislatur. Genauso wie das
Startchancenpaket. Es war ein erster wichtiger Schritt, um Schülerinnen und
Schüler, die es schwer haben, besser zu unterstützen. Während der Pandemie
sind zusätzliche Programme für Kinder und Jugendliche, die besondere
Bedarfe haben, dazugekommen. Zum Beispiel die Versorgung mit digitalen
Endgeräten und die Aufholprogramme. Auch der Rechtsanspruch auf Ganztag und
die entsprechende Finanzierung wurden auf den Weg gebracht.
Sie haben auch mit der SPD regiert.
Vieles davon stand auch im Wahlprogramm der Union. Als Vorsitzende des
Bundesfachausschusses Bildung der CDU kann ich sagen: Meine Partei hat in
den vergangenen Jahren umfangreiche Vorschläge unterbreitet, wie man die
Chancengerechtigkeit in unserem Land verbessern kann. Eines aber stimmt:
Wir haben das Thema Bildung in den Ländern über viele Jahre gern dem
Koalitionspartner überlassen. Das war ein Fehler.
Kommendes Wochenende könnte Sie Ihre Partei zur stellvertretenden
Parteivorsitzenden wählen. Was würde das für die künftige Bildungspolitik
der Union bedeuten?
Die Union muss wieder stärker die Bildungspolitik für sich reklamieren. Für
die soziale Frage ist die Chancengerechtigkeit zentral. Sie muss daher auch
für uns ein zentrales Thema sein. Jedes Kind muss unabhängig von seiner
Herkunft gerechte Bildungschancen bekommen. Das ist Grundvoraussetzung für
die Entfaltung der Persönlichkeit des Einzelnen, für die Stabilität des
demokratischen Systems, und auch um das Aufstiegsversprechen der
Marktwirtschaft einzulösen. Das möchte ich stärken. Wo die Union regiert,
muss sie das Bildungsministerium für sich beanspruchen.
16 Jan 2022
## LINKS
[1] https://www.kmk.org/
## AUTOREN
Ralf Pauli
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