# taz.de -- Wahl des CDU-Vorsitzenden: Eins, zwei, drei | |
> Friedrich Merz wird beim dritten Versuch Parteichef der CDU. Doch welcher | |
> Merz eigentlich? Jüngst hat er sich als Vorsitzender für alle neu | |
> erfunden. | |
Bild: Helge Braun, Friedrich Merz, Norbert Röttgen (v.l.n.r.): Der in der Mitt… | |
Um kurz nach zwei am Freitagnachmittag stehen CDU-Generalsekretär Paul | |
Ziemiak und Yvonne Magwas, die Bundestagsvizepräsidentin, die auch Mitglied | |
der Wahlzählkommission ihrer Partei ist, auf der kleinen Bühne im | |
Konrad-Adenauer-Haus und machen es spannend. Ziemiak lobt die Mitglieder, | |
Magwas berichtet, wie viele von diesen online und wie viele per Briefwahl | |
votiert haben. | |
Bis Donnerstag um 15 Uhr konnten die Parteimitglieder über den künftigen | |
CDU-Vorsitzenden, den Nachfolger von Armin Laschet, abstimmen, erstmals in | |
der Geschichte der Partei. Sechsundsechzig Prozent der knapp 400.000 | |
CDU-Mitglieder haben mitgemacht, eine überraschend hohe Beteiligung. Dann | |
wurde ausgezählt, nun soll die Entscheidung verkündet werden: Wer also soll | |
nach Willen der Basis die Partei künftig führen? Der wirtschaftliberale und | |
konservative Friedrich Merz? Der Außenpolitiker Norbert Röttgen? Oder Helge | |
Braun, der bis zuletzt unter Angela Merkel das Kanzleramt geleitet hat? | |
Alle drei Kandidaten stehen rechts von Ziemiak und Magwas an einem schmalen | |
Tisch, links Braun, rechts Röttgen, Merz steht in der Mitte. Dann kündigt | |
Ziemiak das Ergebnis an. Hinter ihm auf dem Videoscreen schieben sich drei | |
Balken nach oben. Bei Braun (schwarzer Balken) ist schnell Schluss, er hat | |
nur 12,1 Prozent der Stimmen geholt. Bei Röttgen (gelb) stoppt es bei 25,8 | |
Prozent. Der rote Balken von Merz aber wächst immer weiter. 62,1 Prozent | |
der Stimmen gehen an ihn. Das ist die absolute Mehrheit. Merz grinst, aber | |
er versucht, das Grinsen nicht zu breit werden zu lassen. Dann bedankt er | |
sich bei den Mitgliedern und sagt: „Auf gute Zusammenarbeit mit wirklich | |
allen.“ | |
## Aller guten Dinge sind drei | |
Merz war als Favorit in die Mitgliederbefragung gegangen, aber dass er | |
gleich im ersten Wahlgang gewinnt, ist dann doch überraschend. Beim dritten | |
Versuch hat er es also geschafft. Durch ein Votum der Mitglieder. Sollten | |
die Delegierten beim Parteitag Mitte Januar zustimmen, wovon auszugehen | |
ist, wird Merz, 66, der nächste Vorsitzende der CDU. | |
Die Frage ist nur: Welcher Friedrich Merz? | |
Nach zwei Niederlagen, an denen er weniger sich selbst und mehr dem | |
„Parteiestablishment“ die Schuld gab, hat sich der 1,98-Meter-Hüne aus dem | |
Sauerland anscheinend neu erfunden. Von dem Millionär und Ex-Black-Rocker, | |
der zu Terminen gerne im [1][Privatflugzeug] einfliegt, war nicht mehr viel | |
zu sehen. Der Anti-Merkel, der Jahrzehnte lang gegen den Kurs der Kanzlerin | |
stänkerte? Verschwunden. Konservativ, kantig, klar? Das war einmal. In den | |
vergangenen Wochen vermied Merz kontroverse Aussagen, selbst sein Ton | |
schien weniger scharf. Als beim CDU-Townhallmeeting die drei Kandidaten | |
nach ihrem Kurs gefragt wurden, sagte Merz: „Die CDU muss modern werden.“ | |
Von der Sehnsuchtsfigur der Wertkonservativen und Neoliberalen, die lieber | |
heute als morgen vom Modernisierungskurs der Kanzlerin abbiegen, wenn nicht | |
gleich ganz umkehren wollten, schien plötzlich nicht mehr viel übrig zu | |
sein. | |
Die Verwandlung begann spätestens an jenem Dienstagnachmittag Mitte | |
November, als Merz seine dritte Kandidatur ankündigt. Er steht in einem | |
Saal im Hotel Estrel in [2][Berlin-Neukölln] und sagt, dass es mit ihm | |
keinen Rechtsruck in der Partei geben wird, „keine Achsenverschiebung“. Die | |
Hoffnung, mit „mehr CDU pur“ Wähler:innen in nennenswerter Zahl von der | |
AfD zurückzugewinnen, hat Merz aufgegeben. Stattdessen spricht er von einem | |
Thema, das in den Augen vieler Menschen in Deutschland das wichtigste | |
schlechthin sei. „Und das heißt soziale Gerechtigkeit.“ Da sei die CDU | |
nicht gut genug aufgestellt. Richtig viel allerdings fällt Merz zur | |
sozialen Frage nicht ein, nur die Finanzierung der sozialen | |
Sicherungssysteme in einer sich rasant wandelnden Arbeitswelt. | |
Aber für die soziale Wärme hat Merz Mario Czaja mitgebracht, der nun | |
Generalsekretär werden soll. Czaja, 46, der Mitglied der CDA ist, dem | |
Arbeitnehmerflügel der Partei, war in Berlin Sozialsenator. Während andere | |
Christdemokrat:innen bei der Bundestagswahl ihre Wahlkreise verloren, | |
hat Czaja in Ostberlin Petra Pau von den Linken ihr Direktmandat | |
abgenommen. Czaja könne Kampagne, sagt Merz. Vor allem aber hat sich der | |
künftige Generalsekretär als Kümmerer präsentiert und so den Wahlkreis für | |
sich eingenommen. Ob er das Format hat, das Adenauer-Haus umzukrempeln, | |
muss er erst noch zeigen. | |
Doch eine kluge Wahl ist Czaja für Merz allemal. Mit dem Sozialpolitiker | |
aus Ostberlin hat er sich jemandem vom anderen Ende der Partei an seine | |
Seite geholt. Das soll zeigen: Er will nicht nur ein Parteichef für seine | |
Anhänger:innen werden, sondern für alle Christdemokrat:innen. | |
Möglicherweise hat Merz tatsächlich verstanden, dass er allein für einen | |
Sieg nicht reicht. Mit einer Ego-Nummer ist er immerhin zweimal | |
gescheitert. | |
An diesem Dienstagnachmittag hat Merz auch eine Frau dabei: Christina | |
Stumpp, neugewählte Bundestagsabgeordnete aus Baden-Württemberg, soll | |
stellvertretende Generalsekretärin werden. Der Haken daran: Diesen Posten | |
gibt es noch nicht – und so bald wird es ihn auch nicht geben. Merz will | |
ihn einführen, braucht für die notwendige Satzungsänderung aber einen | |
Präsenzparteitag. Und der ist coronabedingt nicht in Sicht. | |
Und so wirkt die Präsentation Stumpps ein bisschen so, als sei Merz klar | |
geworden, dass er mit einem rein männlichen Team nicht mehr ankommen kann, | |
auch weil er bei den Frauen in der Partei ohnehin nicht gut gelitten ist. | |
Aber wie eine Herzensangelegenheit sieht diese Frauenbeteiligung eben auch | |
nicht aus. | |
Was zur tiefer liegenden Frage führt: Hat der Mann sich wirklich verändert? | |
Oder hat er sich dieses Mal nur besser verkauft? | |
Merz hat früher immer auffällig häufig „ich“ gesagt, seit jenem Nachmitt… | |
im November spricht er oft vom „Team“. Die CDU müsse sich auch personell | |
breiter aufstellen, sagt er. Carsten Linnemann, bis vor wenigen Tagen noch | |
Chef der Mittelstandsvereinigung und seit langem Merz’ Buddy, soll | |
Vorsitzender der Grundsatz- und Programmkommission werden. Immer wieder | |
lässt Merz weitere Namen fallen, darunter auch jenen von Karin Prien, | |
Bildungsministerin in Schleswig-Holstein. Prien ist eine liberale | |
Christdemokratin, die stellvertretende Parteichefin werden will. Aber ins | |
Team Merz gehört sie nicht. Sie kandidiere unabhängig davon, wer Parteichef | |
wird, hat sie in einem Interview betont. Und dass Frauen doch keine | |
„Garnitur“ seien. Doch Merz klingt manchmal so, als gemeinde er Prien in | |
sein Lager ein. | |
Offen dagegen lässt er die künftige Rolle von Fraktionschef Ralph | |
Brinkhaus. Auf die Frage, ob er selbst nach dem Fraktionsvorsitz greifen | |
werde, weicht Merz auch am Freitag in der CDU-Zentrale aus. Die meisten | |
aber rechnen damit. Dass Merz nur klatscht, während Brinkhaus wie am | |
Mittwoch als Oppositionsführer im Bundestag schneidige Reden hält, scheint | |
schwer vorstellbar. Auch hat er stets klar gemacht, dass er es | |
grundsätzlich für richtig erachtet, wenn Partei- und Fraktionsvorsitz in | |
einer Hand liegen. | |
Fragt man in der Partei offen herum, was von Merz’ Wandlung zu halten sei, | |
bekommt man ausweichende Antworten. Im Hintergrund ist sehr | |
Unterschiedliches zu hören. Da gibt es die Zweifler:innen, manche kann man | |
wohl auch Merz-Gegner:innen nennen, die meinen, dass es sich eher um PR als | |
eine wirkliche Wandlung handle. Sie führen an, dass Merz nach seiner ersten | |
Niederlage 2018 es ablehnte, sich in ein Parteigremium wählen zu lassen. | |
Und dass er nach der zweiten Niederlage gleich mal das | |
Wirtschaftsministerium forderte, obwohl dort der Christdemokrat Peter | |
Altmaier saß. Merz denke zuerst an sich, heißt es dann. Und dass man ihm | |
nicht wirklich abnehme, dass es ihm nun um die Partei gehe. | |
Die Wohlwollenderen meinen, dass Merz schließlich zweimal gescheitert sei | |
und aus den Niederlagen gelernt habe. Sie führen zu seinen Gunsten an, dass | |
sich der Sauerländer dem Kanzlerkandidaten Laschet gegenüber im Wahlkampf | |
loyal verhalten habe, obwohl es desaströs lief. Sie meinen auch, dass Merz | |
für die Opposition gegen die Ampel der richtige sei. Und manche räumen | |
resigniert ein, dass Merz nach zwei Niederlagen nun einmal gewinnen müsse, | |
damit Ruhe in der Partei einkehren kann. | |
Denn da sind ja auch noch jene, die Merz seit Langem unterstützen. Die ihn | |
stets darin bestärkten, dass Merkel ihm vor 20 Jahren übel mitgespielt und | |
ihm der Fraktionsvorsitz damals zugestanden habe. Dass die Partei ihn | |
brauche und er diese auf den richtigen Pfad zurückführen müsse – weit weg | |
von jenem der ehemaligen Kanzlerin. Selbst wenn Merz es ernst mit seiner | |
Wandlung meint, bleibt deshalb die Frage: Werden seine | |
Unterstützer:innen diese zulassen? | |
Neben der inhaltlichen Erneuerung der CDU wird Merz’ große Aufgabe sein, | |
die zerrissene Partei zusammenzuführen und sie mit der CSU zu versöhnen. | |
Man kann Zweifel daran haben, dass er dafür der richtige ist. Armin Laschet | |
und Annegret Kramp-Karrenbauer, seine beiden Vorgänger:innen aus dem | |
Merkel-Lager, sind an dieser Aufgabe gescheitert. Jetzt kann Merz beweisen, | |
ob er es wirklich besser kann. Es dürfte ein interessanter Realitätscheck | |
werden. | |
17 Dec 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/sauerland-flugplatz-arnsberg-men… | |
[2] /Kampf-um-den-CDU-Vorsitz/!5812399 | |
## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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