Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Historiker Rödder über die Union: „Das Drama der CDU ist komple…
> Der Historiker Andreas Rödder ist Kenner der CDU und selbst Mitglied. Ein
> Gespräch über die Merkel-Nachfolge und die Chance auf Erneuerung in der
> Opposition.
Bild: Nach 16 Jahren verlässt Angela Merkel die Regierung – was bleibt?
taz: Herr Rödder, warum hat die CDU die Wahl verloren?
Andreas Rödder: Die Methode Merkel ist an ihr Ende gekommen. Merkel hatte
die CDU nach links gerückt, den Grünen und der SPD damit die Luft zum Atmen
genommen und Stimmen abspenstig gemacht hat. Das hat nicht mehr
funktioniert.
Klar. Merkel ist ja nicht mehr angetreten.
Ja, aber Armin Laschet hat versucht, diesen Kurs von Konsens,
Konfliktvermeidung und Vertrauen zu kopieren. Ich habe am Anfang sogar
gedacht, das könnte funktionieren, weil es ein Sicherheitsbedürfnis nach
der Pandemie bedient. Aber als das Vertrauen erschüttert wurde, war klar:
Dahinter ist nichts. Die Union hat im Wahlkampf keine eigenen Themen
gesetzt.
Nehmen wir mal an, es stimmt, dass Angela Merkel die CDU dem linksliberalen
Zeitgeist angepasst und programmatisch entkernt hat. Aber sie war damit
doch erfolgreich …
Na ja, was heißt erfolgreich? Die Union hat die Regierung gebildet. Das
sollte man nicht geringschätzen. Aber das hatte seinen Preis: Auf der
rechten Seite hat sich die AfD etabliert und die Union hat zwischen 2002
und 2017 ein Sechstel der Stimmen verloren. Und jetzt hat sie keinen
Koalitionspartner mehr.
Ohne die Anpassung an die gesellschaftliche Realität wäre die CDU noch
früher abgestürzt, so wie konservative Parteien in anderen europäischen
Ländern.
Das sagen die Verteidiger von Merkel, wie der Wahlforscher Matthias Jung.
Aber das ist schwer zu bemessen. Was man sagen kann: Die derzeitige
inhaltliche Orientierungslosigkeit ist der Preis für die letzten sechzehn
Jahre.
Aber waren diese Modernisierungen – Stichworte: Wehrpflicht, Atomausstieg
und Ehe für alle – nicht typisch konservative, nämlich situative,
unideologische Entscheidungen? Ist das Bild von Angela Merkel als Agentin
des Linksliberalismus in der CDU nicht doch etwas krude?
Richtig, sie hat situativ regiert. Man kann für die Aufhebung der
Wehrpflicht oder den Ausstieg aus der Atomkraft ja gute Argumente
vorbringen. Ich würde auch nicht sagen, dass Merkel die Agentin des
Linksliberalismus in der CDU war. Aber wofür sie nie einen Sinn gehabt hat,
ist der soziale, kulturelle Unterbau der CDU. Generationen von
Christdemokraten haben in Brokdorf, Gorleben und an der Startbahn West auf
der anderen Seite als die Friedens- oder die Umweltbewegung gestanden. Das
sind für die CDU Identitätsthemen, so wie sie es für die Grünen auf der
anderen Seite sind.
Welche Lehren muss die CDU jetzt ziehen?
Die Union erlebt mit der Ära Merkel manches spiegelbildlich, was die SPD
mit Gerhard Schröder und der Agenda 2010 erlebt hat. Und die SPD hat lange
daran laboriert, sich wieder mit sich selbst zu versöhnen. Das ist für die
Union mittelfristig das Wichtigste. Sie muss die Hälfte, die gegen
Kramp-Karrenbauer und Laschet und damit gegen Merkel gestimmt haben, wieder
einbeziehen. Aber sie darf auch kein Scherbengericht über die Ära Merkel
halten. Diese Hälfte muss sie auch mitnehmen.
Können das die [1][drei Kandidaten] für den CDU-Vorsitz?
Das Drama der CDU ist komplex. Interessanterweise hat Helge Braun
signalisiert, dass Friedrich Merz eine wichtige Rolle in der CDU spielen
sollte. Und Merz hat mit der Nominierung von Mario Czaja als
Generalsekretär zu Verstehen gegeben, dass er die CDU in ihrer Breite
adressieren wird.
Heißt das, Braun und Merz könnten das?
Ich könnte hinzufügen, dass Norbert Röttgen dies mit der Auswahl seiner
Generalsekretärin ja auch gemacht hat. Sie nennt sich konservativ. Ich
glaube schon, dass alle drei die Notwendigkeit erkannt haben.
Aber können sie es auch?
Das ist, bevor es losgeht, immer schwer zu sagen.
Merz und Röttgen gelten als Solisten, als Männer, die sich selbst extrem
wichtig nehmen und keine Teamspieler sind.
Dass sie dieses Image haben, steht außer Frage. Aber sie wissen, dass
Teamfähigkeit jetzt absolut notwendig ist. Die Frage ist, wer diese
Einsicht auch in konkretes Handeln übersetzen kann. Merz hat realisiert,
dass er beim dritten Versuch mit einem anderen Rollenmodell antreten muss.
Ihre Stimme geht also an Friedrich Merz?
Die Frage ist, ob ich jetzt als CDU-Mitglied rede oder als Beobachter der
Situation. Als Beobachter würde ich sagen, es gibt die Notwendigkeit zu
realisieren, dass er diesen Neuaufbruch der CDU moderieren muss. Als
CDU-Mitglied würde ich sagen, dass ich die Hoffnung habe, dass er das kann.
Die FDP kann sich in der Ampel künftig als die Kraft der bürgerlichen Mitte
etablieren. Ist das gefährlich für die Union?
Die Gefahr ist da. Wie gut eine solche Inszenierung funktioniert, kann man
ja in Rheinland-Pfalz beobachten, wo die CDU keinen Fuß auf den Boden
bekommt. Hinzu kommt, dass das Verhältnis zwischen FDP und CDU seit 2013
belastet ist. Diese alte Gewissheit, dass man wechselseitig der natürliche
Koalitionspartner ist, die gibt es nicht mehr.
Die Union ist jetzt [2][mit der AfD in der Opposition]. Sehen Sie Gefahr,
dass sie in dieser Konkurrenz zu schrill wird?
Die Union muss sich von der AfD unabhängig machen. Sie hat schon verloren,
wenn sie wie das Kaninchen vor der Schlange sitzt. Wenn sie meint, sie
müsse sich Positionen der AfD anverwandeln. Aber auch, wenn sie meint,
dieses oder jenes nicht sagen zu dürfen, weil das auch von der AfD kommen
könnte. Das einzige, was der Union hilft, ist selbstbewusst aus eigenen
Prinzipien und Grundwerten heraus politisch unterscheidbare Positionen zu
entwickeln und zu vertreten.
Sie haben jüngst mit der ehemaligen Familienministerin Kristina Schröder
ihre neue [3][Denkfabrik R21] vorgestellt, die helfen soll, den
Konservatismus zu erneuern. Susanne Schröter hat dabei das Thema Migration
präsentiert und in einem relativ kurzen Statement viele Begrifflichkeiten
untergebracht, die mit der AfD kompatibel sind: abgeschottete Milieus,
Rassismus gegen Weiße, Zuwanderung bringt uns an die Grenze der politischen
Handlungsfähigkeit …
Der Oberbegriff unserer Initiative ist „Einwanderungsgesellschaft mit
weltoffenen Patriotismus“. Natürlich sind wir eine
Einwanderungsgesellschaft geworden, und diese Einwanderungsgesellschaft
muss man realistisch analysieren und konstruktiv adressieren. Dabei
Begriffe zu verwenden, die auch AfD-Leute verwenden würden, gehört nach
meinem Dafürhalten zu einer souveränen intellektuellen Analyse der
Situation. Aber wenn man konstruktive Perspektiven bezieht, entsteht keine
Verwechselbarkeit mit dem schlecht gelaunten Ressentiment der AfD.
Machen Sie damit nicht den Diskurs der AfD salonfähig?
In dem Moment, wo man sich immer die Frage stellt, was die AfD daraus
machen könnte, werden Sie politisch unfrei und können Probleme nicht mehr
konstruktiv adressieren. Da haben sie schon begonnen, das politische Feld
zu räumen und ein Vakuum zu erzeugen, in das dann die AfD erst recht
einströmen kann.
Mit welchen Themen jenseits von Migration sollte sich die Union in der
Opposition profilieren?
Die Union muss zu sozialer Gerechtigkeit, einer marktwirtschaftlichen,
global denkenden Klimapolitik und zur Einwanderungspolitik eigene
Positionen entwickeln. Aber zuletzt hat der Partei Intellektualität und
Wille gefehlt. Deshalb wird sie auch als langweilig und uninspiriert
angesehen – und von jungen Wählern als uninteressant abgelehnt. Deswegen
muss die CDU mit dem Mantra der Geschlossenheit aufhören. Das ist ein
Synonym für Friedhofsruhe.
Also mehr Diskurs und Streit?
Ja, und damit das Image entwickeln, dass in der Partei intellektuell was
los ist.
Die Union ist nun das dritte Mal nach einer sehr langen Regierungszeit in
der Opposition. In den 1970ern ist sie unter Kohl zu einer modernen
Massenpartei geworden. Braucht es eine vergleichbare Reform?
Die 70er Jahre waren intellektuell die besten Jahre der Union. Der junge
Kohl war wirklich ein dynamischer Parteireformer, der intellektuell gute
Leute an sich gezogen hat: Kurt Biedenkopf, Heiner Geißler, Warnfried
Dettling. Nach 1998 hatte Wolfgang Schäuble einen solchen
Erneuerungsprozess im Grunde auch wieder angestoßen. Dass dieser
abgebrochen wurde, ist das eigentliche Drama der Parteispendenaffäre.
Angela Merkel hatte dann als Parteivorsitzende alles andere zu tun, als
einen ergebnisoffenen Selbstbesinnungsprozess in Gang zu setzen. Der ist
für die Union dafür jetzt dringend notwendig.
Herbert Wehner hat der SPD 1982 gesagt, die Opposition könne fünfzehn Jahre
dauern. Wie lange wird sie für die Union?
Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Union bei der nächsten Wahl eine
realistische Chance hat. Es ist aber ebenso wenig ausgeschlossen, dass sie
länger in der Opposition ist. Deshalb ist es klug, den Neuaufbau der Union
als langfristige Investition in die Zukunft zu begreifen.
Anmerkung der Redaktion: In einer früherer Version dieses Interviews war zu
lesen, dass Norbert Röttgen Serap Güler als Generalsekretärin vorgeschlagen
hat. Das ist falsch. Dieser Fehler wurde von der Redaktion
bedauerlicherweise Andreas Rödder in einer Antwort hinein redigiert. Wir
entschuldigen uns bei Professor Rödder für dieses Versehen.
4 Dec 2021
## LINKS
[1] /Kampf-um-den-CDU-Vorsitz/!5812399
[2] /Drei-gegen-die-Ampel/!5808553
[3] https://denkfabrik-r21.de/
## AUTOREN
Stefan Reinecke
Sabine am Orde
## TAGS
CDU
Schwerpunkt Angela Merkel
Friedrich Merz
Merkel-Nachfolge
Ampel-Koalition
Wolfgang Schäuble
CDU
Friedrich Merz
Friedrich Merz
Friedrich Merz
Schwerpunkt Angela Merkel
CDU
Schwerpunkt Angela Merkel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Treffen des konservativen Thinktanks R21: Früher war mehr Atomkraft
Die konservative Denkfabrik R21 fragt nach dem Erbe von Angela Merkel. Die
Bilanz fällt eher düster aus. Das Ende deutscher AKWs betrauert man.
Wolfgang Schäuble über 50 Jahre Bundestag: „Die seriöse Mitte bröckelt“
Ein halbes Jahrhundert sitzt Wolfgang Schäuble als CDU-Abgeordneter im
Bundestag. Ein Gespräch über Höhen und Tiefen, Fake News, Fußball – und d…
Unvermeidlichkeit des Alterns.
Vor dem Bundesparteitag der CDU: Quotierung? Erneut vertagt
Erstmals kandidieren mehr Frauen als Männer für den CDU-Bundesvorstand.
Trotzdem könnten die Männer nach dem Parteitag in der Überzahl sein.
Friedrich Merz und die CDU: Vorwärts in die Vergangenheit
Die CDU-Basis gibt Friedrich Merz ein eindeutiges Ja. Dass damit die
Machtkämpfe in der Union enden, ist allerdings unwahrscheinlich.
Wahl des CDU-Vorsitzenden: Eins, zwei, drei
Friedrich Merz wird beim dritten Versuch Parteichef der CDU. Doch welcher
Merz eigentlich? Jüngst hat er sich als Vorsitzender für alle neu erfunden.
Dennis Radtke über Flügelstreit in der CDU: „Es gibt da einen herben Dissen…
Dennis Radtke, Vizechef des CDU-Arbeitnehmerflügels, kritisiert die
Bundestagsfraktion scharf. Er fordert, das sozialpolitische Profil zu
schärfen.
Angela Merkel tritt ab: Die heimliche Revolutionärin
Die schafft das nie, meinten manche, als Merkel 2005 Kanzlerin wurde. Aber
sie hat mehr bewirkt, als viele glauben – besonders in der Frauenpolitik.
Kampf um den CDU-Vorsitz: Die Joker der Macht
Die CDU wählt einen neuen Chef. Wichtig ist auch, wer
Generalsekretär:in wird. Drei Portraits über die Frauen und Männer
hinter den Kandidaten.
Bundeswehr-Dirigent über Zapfenstreich: „Da spielt Tuba statt E-Bass“
Reinhard Kiauka dirigiert beim Abschied von Angela Merkel das
Blasorchester. Mit ihren Musikwünschen hat ihm die Kanzlerin Probleme
bereitet.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.