| # taz.de -- Drei gegen die Ampel: Ein unglückliches Trio | |
| > Union, AfD und Linke bilden die neue Opposition im Bundestag – und können | |
| > so gar nichts miteinander anfangen. Oder doch? | |
| Bild: Gräben ziehen sich durch den Bundestag | |
| Rein rechnerisch wird sich am Verhältnis zwischen Opposition und Regierung | |
| wenig ändern: 56,5 Prozent der Sitze im Bundestag entfallen auf die | |
| Regierungsparteien in spe, der Rest auf die Opposition. In der vergangenen | |
| Legislatur war es ähnlich, da nahm die Opposition 44 Prozent der blauen | |
| Sessel ein. Und doch ist nun alles anders. | |
| Nur noch drei statt vier Fraktionen bilden zusammen die Opposition: | |
| CDU/CSU, AfD und Linke. Und die haben nicht nur wenig miteinander gemein – | |
| sie reden zum Teil nicht mal miteinander. Kann sich eine mögliche | |
| Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP also auf fröhliches Durchregieren | |
| einstellen? Nach dem Motto: Wenn drei sich streiten, freuen sich die | |
| anderen drei? Oder werden die drei von der Oppositionsbank doch versuchen, | |
| miteinander klarzukommen oder gar Allianzen schmieden? | |
| ## Noch etwas von der Rolle in der neuen Rolle: die Union | |
| Die Union muss ihre neue Rolle im Bundestag erst noch finden. 16 Jahre war | |
| sie an der Macht, jetzt sitzt sie plötzlich auf der Oppositionsbank. Wie | |
| schwer es mit der Orientierung ist, zeigte am Dienstag [1][bei der | |
| konstituierenden Sitzung des Parlaments] der CDU-Abgeordnete Michael | |
| Grosse-Brömer, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion. Er | |
| sollte zu einem Geschäftsordnungsantrag der AfD Stellung nehmen, machte | |
| dann aber einen Schlenker zur Ampel: Weil diese die Sitzordnung im | |
| Parlament ändern wolle, spüre er „einen Hauch der Arroganz der Macht“. | |
| Tatsächlich trifft der Vorstoß der designierten Ampelkoalition zur | |
| Sitzordnung die Union ins Mark. Die FDP, die vier Jahre lang neben der AfD | |
| sitzen und sich dabei viele miese Sprüche anhören musste, will weg von den | |
| extrem Rechten. Die Liberalen möchten künftig in der Mitte des Plenarsaals | |
| logieren, wo traditionell die Union ihre Plätze hat. Diese würde sie damit | |
| nicht nur verlieren – sie würde auch im buchstäblichen Sinne nach rechts | |
| rücken, mit der AfD als neuer Nachbarin. Und weil ja ohnehin die Frage ist, | |
| welchen Kurs die Union nun in der Opposition einschlägt, ist dies an | |
| Symbolik kaum zu überbieten. | |
| Für die Union ist das alles andere als profan. Denn [2][kommt es zur | |
| Ampel], steht sie einer Koalition unter Olaf Scholz gegenüber, die FDP ist | |
| an der Regierung beteiligt. Die bürgerliche Mitte ist dann an der Macht – | |
| nur ist die Union nicht dabei. Wie soll sie sich dazu positionieren? Und | |
| wie soll sie in dieser Konstellation ihr Profil schärfen, was besonders in | |
| der CDU allerorten gefordert wird? | |
| Zudem ist die Union mit zwei Parteien in der Opposition, die sie – wenn | |
| auch mit Unterschieden – für radikal und nicht satisfaktionsfähig hält. | |
| Immerhin: Um einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, die schärfste | |
| Maßnahme der Opposition, braucht die Union die beiden anderen nicht. Ein | |
| Viertel der Bundestagsabgeordneten, die dazu notwendig sind, haben die | |
| Schwesterparteien trotz des desaströsen Wahlergebnisses von 24,1 Prozent in | |
| den eigenen Reihen. | |
| Mit AfD und Linken, hat Fraktionschef Ralph Brinkhaus am Dienstag im | |
| Interview mit der ARD betont, werde es keine inhaltliche Abstimmung geben. | |
| Die Union bleibe, wo sie sei, „in der Mitte der Gesellschaft“. Auch wenn | |
| viele in der Fraktion das so sehen: Es bleibt eine Restgefahr, dass sich | |
| die Union in der Opposition auf einen Überbietungswettkampf mit der AfD | |
| einlässt und sich radikalisiert. Die schrillen Töne des Kulturkampfs, die | |
| gibt es ja in der Fraktion. Und noch ist offen, wer Partei und Fraktion | |
| künftig führen wird – und welcher Ton dort angeschlagen werden wird. | |
| Unklar ist auch, wie CDU und CSU ihr Verhältnis austarieren und ob beide | |
| noch wissen, wie Opposition überhaupt geht. Von den 196 Unions-Abgeordnten | |
| haben nicht mal 40 Erfahrung damit. Sie waren bereits vor 2005, als Merkel | |
| Kanzlerin wurde, im Bundestag. Die AfD gab es seinerzeit noch nicht, die | |
| Linke hieß PDS und hatte zwei Sitze. | |
| ## Immer noch streitlustig und einsam am Rand: die Linke | |
| In der Oppositionsrolle hat sich die Linke in den vergangenen Jahren | |
| eigentlich gut eingerichtet. Die Fraktion, die traditionell ganz links im | |
| Plenum sitzt, hat zusammen mit FDP und Grünen zwei der drei | |
| Untersuchungsausschüsse auf den Weg gebracht und die Regierung mit kleinen | |
| Anfragen auf Trab gehalten. Aber nun ist doch einiges neu. Nicht die | |
| Grünen, die Linken sind nun kleinste Fraktion im Bundestag. Und einstige | |
| Verbündete sind wohl künftig Teil der Regierung. Einsamkeit droht. | |
| Auf der konstituierenden Sitzung erinnerte der Parlamentarische | |
| Geschäftsführer Jan Korte die einstigen Buddies gleich mal an vergangene | |
| Zeiten. Zwischen ihm und den Kollegen von Grünen, FDP und SPD klappte die | |
| Zusammenarbeit bei Sachthemen ziemlich reibungslos. Bei den Vorschlägen zur | |
| Generalüberholung der Geschäftsordnung greife man auf deren „sehr gute“ | |
| Vorschläge zurück: öffentliche Anhörungen, mehr Transparenz. „Carsten“, | |
| wandte sich Korte direkt an den SPD-Kollegen Carsten Schneider, „das | |
| scheiterte ja immer an der CDU/CSU, das können wir ja jetzt gemeinsam | |
| ändern.“ Von wegen. | |
| Die Linke hätte es mit 4,9 Prozent fast aus dem Bundestag gekegelt, wären | |
| da nicht die drei Direktmandate. Die Linken werden künftig als letzte reden | |
| und vermutlich nur einen Ausschuss leiten. Die 39 Abgeordneten [3][müssen | |
| also ziemlich ackern, um überhaupt wahrgenommen zu werden]. „Bei den 69 | |
| Abgeordneten hieß es immer, das ist alles gar nicht zu schaffen, wir sind | |
| ja nur zu viert im Ausschuss. Jetzt werden wir nur zu zweit sein“, | |
| prophezeit der Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch am Donnerstag zum | |
| Abschluss einer Klausurtagung. | |
| Die Linksfraktion muss sich fokussieren. [4][Nach Vorstellung von Dietmar | |
| Bartsch und seiner Co-Vorsitzenden Amira Mohamed Ali] auf ihren | |
| „Markenkern“ nämlich: Soziale Gerechtigkeit und Vertretung ostdeutscher | |
| Interessen. Es gibt Abgeordnete, denen ist das zu wenig: Wo bleiben Themen | |
| wie Migration, Antirassismus, Gleichstellung? Diese werden in einem | |
| Strategiepapier, welches die Fraktionsvorsitzenden diese Woche an ihre | |
| Fraktion verschickten, nicht mal erwähnt. Beschlossen wurde nichts. Wie die | |
| Linke ihre Oppositionsrolle ausfüllt, bleibt also blass. | |
| Will man lediglich Stachel im Fleisch von SPD und Grünen sein, zwei | |
| Parteien, mit denen man gerade noch gemeinsam regieren wollte und dies in | |
| zwei, demnächst wohl vier Bundesländern tatsächlich tut? | |
| „Wir werden sie an ihren eigenen Versprechen messen“, sagt die | |
| Ex-Parteivorsitzende Katja Kipping, Sozialpolitikerin, ebenfalls wieder im | |
| Bundestag. Auf Twitter veröffentlichte sie ein Foto ihrer Boxhandschuhe, | |
| mit denen sie künftig wieder Haken und Geraden austeilen wolle. Mit | |
| Unionspolitiker:innen sei zwar theoretisch eine Zusammenarbeit in | |
| der Opposition möglich, sagt Kipping, praktisch würde es aber wenige | |
| inhaltliche Berührungspunkte geben. Fest steht: Mit der AfD wird die Linke | |
| nie zusammenarbeiten. Da ist sich die streitlustige Fraktion einig. | |
| ## Niemand möchte neben ihr sitzen: die AfD | |
| Schon nach zwei Minuten bemühte die AfD in der [5][ersten Sitzung des | |
| Bundestags] den ersten NS-Vergleich. Zu diesem Auftakt passte, dass einige | |
| der neuen AfD-Fraktion wie beleidigte Clowns auf der Zuschauertribüne Platz | |
| nehmen mussten, weil sie sich nicht testen lassen wollten, wie es die | |
| Coronaregeln vorschrieben. Die AfD macht also nahtlos da weiter, wo sie | |
| aufgehört hat. Sie wird weiter auf ihre [6][üblichen Mittel setzen]: | |
| Provokationen, parlamentarische Taschenspielertricks und Diskursvergiftung. | |
| Neu ist für die Partei in ihrer zweiten Legislatur allerdings ihr | |
| Bedeutungsverlust. Sie hat den Status als stärkste Oppositionsfraktion an | |
| die CDU verloren und darf nicht mehr direkt auf die Bundesregierung | |
| antworten. Ebenso darf die AfD mit ihren Verlusten nun weniger Ausschüssen | |
| vorsitzen. | |
| Hinzu kommt, [7][dass niemand neben der AfD sitzen will]. Die AfD wird | |
| voraussichtlich doch versuchen, einen Schrillheitswettbewerb mit der | |
| CDU/CSU auszuloben und sich gelegentlich anbiedern – um langfristig den | |
| Vorschlaghammer an die sprichwörtliche Brandmauer zu schlagen. Der | |
| Fraktionschef und Bundesvorsitzende Tino Chrupalla hat bei seinem Antritt | |
| die Regierungsfähigkeit der AfD als oberstes Ziel ausgerufen – doch bereits | |
| die Eskapaden am ersten Sitzungstag zeigten, wie unrealistisch das in der | |
| aktuellen Situation ist. | |
| Angesichts dessen ist es natürlich umso besser, dass die AfD auch diesmal | |
| wieder keinen Vizepräsidenten stellen wird, weil die demokratischen | |
| Fraktionen und Abgeordneten von ihrem Recht der freien Wahl beziehungsweise | |
| Nichtwahl Gebrauch machen. Die AfD wird aber voraussichtlich zwei | |
| Ausschüsse leiten dürfen. Die Vorsitzenden werden in der Regel nicht | |
| gewählt, sondern von der Fraktion bestimmt. | |
| 30 Oct 2021 | |
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| [6] https://www.deutschlandfunk.de/folge-227-erste-sitzung-des-neuen-bundestags… | |
| [7] /Umgang-mit-AfD-im-Bundestag/ | |
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