# taz.de -- Treffen des konservativen Thinktanks R21: Früher war mehr Atomkraft | |
> Die konservative Denkfabrik R21 fragt nach dem Erbe von Angela Merkel. | |
> Die Bilanz fällt eher düster aus. Das Ende deutscher AKWs betrauert man. | |
Bild: Der konservative Thinktank R21 hat sich am Dienstag in Berlin mit „Deut… | |
BERLIN taz | Die Konservativen in der Union hatten immer ein zwiespältiges | |
Verhältnis zu Angela Merkel. Zu liberal, zu zeitgeistig, zu wendig, so die | |
Vorbehalte. Der konservative Thinktank R21, dessen Spiritus Rector der | |
Mainzer Politikprofessor Andreas Rödder ist, hat sich am Dienstag in Berlin | |
mit „Deutschland nach der Ära Merkel“ befasst. | |
Die Denkfabrik, 2022 gegründet und schon reichlich mit Spenden bedacht, | |
will laut [1][Selbstbeschreibung „eine neue bürgerliche Politik in | |
Deutschland und Europa begründen“]. Im Vorstand sitzt neben Rödder auch die | |
ehemalige CDU-Familienministerin Kristina Schröder. Ende vergangenen Jahres | |
lud man bereits [2][zum Anti-Wokeness-Kongress ein.] Nun also geht's um das | |
konservative Erbe. | |
Ein Ergebnis der Merkel-Ära sei, so der Journalist Robin Alexander, die | |
AfD, die in dem oppositionslosen Beschweigen von Merkels Flüchtlingspolitik | |
und Merkels Fixierung auf die Anschlussfähigkeit zur linken Mitte einen | |
brauchbaren Humus fand. Der Union stünde, so Alexander, eine Debatte darum | |
gut an. | |
Das aber will R21 nur zum Teil. Man wolle, so die Ansage, auf keinen Fall | |
„Merkel-Bashing“ betreiben, sondern in einem Dreischritt von Bilanz, | |
Erkenntnis und Aussicht lieber in die Zukunft schauen. Vielleicht ist die | |
Fixierung auf das Morgen auch eine Distanzgeste gegenüber streng | |
Rechtskonservativen, die oft eine verklärte Vergangenheit idealisieren. | |
Das Wording bei R21 ähnelt mitunter trotzdem rechten Diskursen. | |
Vorstandsmitglied Harald Mosler sieht sich von „einer Armada von Gegnern“ | |
umzingelt. Der Sinn von R21 sei es, „die Diskurshoheit vom linksgrünen | |
Milieu zurückzuerobern“, das allen vorschreiben wolle, was sagbar sei. Das | |
klingt bei der AfD auch nicht viel anders. | |
## Merkel habe Schröder perfektioniert | |
Der Historiker Dominik Geppert skizziert ein erfreulich facettenreiches | |
Bild der Merkel-Ära, fern der Affekte, die Merkel lange bei Konservativen | |
mobilisierte. In ihrer Amtszeit sei Deutschland wirtschaftlich gut durch | |
die Finanzkrise gekommen. Allerdings als Krisengewinnler. Die | |
Exportwirtschaft brummte – weil die USA und China mit Finanzbazookas die | |
Krise nach 2008 bekämpften. | |
Dass sich die deutsche Exportweltmeisterschaft den Schulden anderswo | |
verdankte, ist für einen Liberal-Konservativen wie Geppert eine | |
bemerkenswerte Erkenntnis. Merkel habe zudem perfektioniert, was schon | |
Gerhard Schröder tat. Schröder setzte mit dem Kosovokrieg und der Agenda | |
2010 konservative Projekte um, Merkel mit dem Atomausstieg und Management | |
der Flüchtlingskrise spiegelsymmetrisch rot-grüne Projekte. | |
Beides sei ein Ergebnis des Versuchs, die innere Blockade des | |
bundesdeutschen Systems zu überwinden. Allerdings, so Geppert, sei der jähe | |
Sturz der allseits beliebten Kanzlerin zur eher unbeliebten Ex-Kanzlerin | |
auch kein Zufall. Merkels Defizite fielen nach dem 24. Februar 2022 vielen | |
ins Auge: nur Pragmatismus, keine Planung für den Ernstfall. | |
## Deutschland soll „groß denken“ | |
Zackiger formuliert Rödder die neue Post-Merkel-Außenpolitik. Der deutsche | |
Traum, Zivilmacht sein zu können, sei mit dem Überfall auf Kiew geplatzt. | |
Laut Rödder befinden wir uns in einer Lage „wie 1938“. Merkel wäre gut | |
darin gewesen, Desaster wie den Ausbruch des Weltkriegs 1914 zu verhindern, | |
aber unfähig, Putin, den wir uns als Wiedergänger Hitlers vorstellen | |
sollen, zu stoppen. | |
Wenn man gegen Hitler kämpft, dann ist keine Maßnahme groß genug. So | |
fordert Rödder ein selbstbewusstes, normales Deutschland, das mit den USA | |
„think big lernen muss“. Im globalen Kampf gegen China und Russland gehe es | |
um „die Selbstbehauptung des Westens“. Deutschland soll fortan gemäß Georg | |
Bushs Formel von „partnership in leadership“ an der Seite der USA agieren | |
und sei überhaupt „der entscheidende Player in Europa“. Das klingt ziemlich | |
breitbeinig. | |
Auf dem Podium ist man sich indes einig. Kein Streit, nirgends. Auch Rolf | |
Nikel, Ex-Botschafter in Warschau, ist einverstanden. Die | |
Politikwissenschaftlerin Gerlinde Groitl plädiert gegen die Bedrohung aus | |
dem Osten für eine „neue Eindämmungspolitik“ – eine Vokabel, die an die | |
US-Strategie gegen die UdSSR anknüpft. | |
Transatlantisch plus deutsche Stärke – das ist das komplette Gegenteil des | |
russlandfreundlichen AfD-Diskurses. Das Wort Führung fällt alle zwei | |
Minuten. Und obwohl mitunter vermerkt wird, dies sei kein neuer Kalter | |
Krieg, klingt die Debatte genau so: Eindämmung und Aufrüstung. Sounds like | |
80er Jahre. | |
## Wo sind all die AKWs nur hin? | |
Erstaunlich ist die Nähe der Konservativen zu lustvoll ausgebreiteten | |
Untergangsszenarien. Der Ökonom Daniel Stelter malt ein rabenschwarzes | |
Bild. Deutschland ist ein kaputter failed state, bankrott und überaltert, | |
in dem das Geld für Überflüssiges wie die Energiewende ausgegeben wird. | |
Deutschland sei auch nicht reich, sondern ein Land verarmte Mieter und mit | |
unfinanzierbarer Rente. Die Deindustrialisierung sei auch nicht mehr zu | |
stoppen. „Wir reißen Europa mit in den Abgrund“, so Stelter. Und, | |
besonderer Skandal, der Kanzler weigere sich, all das zur Kenntnis zu | |
nehmen. Das Publikum applaudiert. Die Neigung zu apokalyptischen Szenen war | |
mal ein Kennzeichen der Linken – sie scheint die Seite gewechselt zu haben. | |
Und das Klima? Folgt man Anna Veronika Wendland, so wäre vieles besser, | |
wenn nur die AKWs weiterlaufen könnten. Der deutschen Kerntechnik, auf dem | |
Podium einhellig als „die beste der Welt“ gelobt, sei aus ideologischen | |
Gründen der Garaus gemacht worden. Sie sei, so Wendland, als „autoritär, | |
männlich und gefährlich“ charakterisiert worden, obwohl sie doch eine prima | |
Energie sei, viel klimafreundlicher als die Photovoltaik. Joachim Weimann | |
befindet, man hätte die 400 Milliarden für Erneuerbare besser in neue | |
Generationen von AKWs investiert. | |
Irgendwie riecht das stark nach Retro und 80er Jahre, als überzeugte | |
Unionsanhänger die Idee, Atomkraft durch Sonne und Wind zu ersetzen, | |
schenkelklopfend zu lachhafter grüner Spinnerei erklärten. | |
Ganz ernst scheint es R21 mit der Zukunft nicht zu meinen. Man begleicht | |
lieber sehr, sehr alte Rechnungen. | |
22 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://denkfabrik-r21.de/mission/ | |
[2] /Anti-Wokeness-Kongress-in-Berlin/!5890581 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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