| # taz.de -- Digitalisierung in Schulen: Von Bienen und Rechnern | |
| > Computer sind nur Werkzeuge: Die Grundschule im schleswig-holsteinischen | |
| > Hennstedt begleitet Kinder auf dem sicheren Weg ins Netz. | |
| Bild: Macht die Roboterbiene, was Grundschülerin Mouna zuvor programmiert hat? | |
| Hennstedt taz | Mouna tippt auf die Starttaste, und der rundliche „Bee-Bot“ | |
| surrt los: Zwei Felder vor, eine Drehung, ein Feld zur Seite. Die | |
| Zweitklässlerin beugt sich tief über die Plastikmatte, auf der der | |
| gelb-schwarze Spielzeugroboter mit den runden Glubschaugen seine Kreise | |
| dreht. Den Kurs haben Mouna, Jette und Hendrik vorher programmiert, aber | |
| wird die mechanische Biene auch tun, was sie soll? | |
| Für die Sieben- und Achtjährigen sind digitale Geräte normal, sie werden | |
| ihr ganzes Leben mit ihnen verbringen. Wie gut sie die Technik, ihre | |
| Chancen und Gefahren aber verstehen, wird auch davon abhängen, welchen | |
| Zugang die Schule ihnen bietet. Über den [1][Digitalpakt hat der Bund] | |
| Millionenbeträge für die Digitalisierung ausgeschüttet. Die Grundschule in | |
| Hennstedt, einem Dorf mit rund 600 Einwohner*innen im Kreis Steinburg | |
| in Schleswig-Holstein, hat von ihrem Anteil das WLAN ausgebaut, Tablets und | |
| Bee-Bots angeschafft. Doch damit die Kinder das Internet-ABC lernen können, | |
| braucht es Lehrkräfte mit Ideen und eine Schulsekretärin, die eigentlich | |
| IT-Fachkraft ist. | |
| Dem Bee-Bot klarzumachen, wohin er gehen soll, sei „puppenleicht“, | |
| behauptet Mouna. Trotzdem lässt sie kein Auge von dem mechanischen | |
| Krabbler, bis er sein Ziel erreicht hat. Doris Schlotfeldt beobachtet ihre | |
| Schüler*innen. Ihr geht es um Zusammenarbeit, um Absprache im Team – und um | |
| Adjektive. Denn in einer folgenden Deutschstunde werde sie die Klasse | |
| beschreiben lassen, welche Stationen die Bots ablaufen sollten, erklärt die | |
| Lehrerin. | |
| „Die Geräte machen immer das Gleiche, die Programmierung ist simpel.“ Die | |
| Herausforderung bestehe darin, sie sinnvoll in den Unterricht einzubauen: | |
| „Da bin ich als Lehrerin gefordert, mir Aufgaben auszudenken.“ Ganz leicht | |
| sei ihr das anfangs nicht gefallen, schließlich sei sie keine Digital | |
| Native, sagt die 62-Jährige und lacht. | |
| Seit 28 Jahren unterrichtet Schlotfeldt an der Schule, die 77 Kinder aus | |
| Dörfern wie Poyenberg, Silzen und Wiedenborstel besuchen. Das Kollegium | |
| besteht aus fünf Lehrerinnen, einem Lehrer, einer Sozialpädagogin und dem | |
| wuscheligen Schulhund. Vor den Fenstern liegen weite, derzeit noch kahle | |
| Äcker. Der Ortskern von Hennstedt besteht aus wenigen Straßen, drumherum | |
| liegen Felder, Wiesen und Waldstreifen. | |
| Aber die scheinbare Idylle täusche, sagt Schulleiterin Heike Reese: „Auf | |
| dem platten Land passieren Veränderungen etwas später als in der Stadt, | |
| aber die Entwicklungen sind dieselben.“ Als sie im Jahr 2004 in Hennstedt | |
| anfing, stammten fast alle Kinder aus Mama-Papa-Kinder-Haushalten, heute | |
| seien es zur Hälfte Patchwork-Familien. Die Sprache und die Fähigkeiten, | |
| mit denen Kinder in die erste Klasse kämen, hätten sich verändert: „Viele | |
| sind agrammatisch, sie bekommen keinen geraden Satz heraus, können keine | |
| Geschichte erzählen – und wir reden nicht von Familien mit | |
| Migrationshintergrund.“ | |
| ## „Schule soll immer mehr leisten“ | |
| Vor allem habe sich die Haltung geändert: „Kinder sind daran gewöhnt, dass | |
| ihre Bedürfnisse sofort erfüllt werden.“ Die Schule müsste Werte vermitteln | |
| und Grenzen zeigen. Schwierig, findet die Rektorin: „Schule soll immer mehr | |
| leisten.“ Auch deshalb habe sie sich beim Thema Digitalisierung „erst mal | |
| stur gestellt“. Nicht, weil sie technikfeindlich sei oder es nicht für | |
| sinnvoll hielte, Grundschüler*innen beim Weg ins Netz zu begleiten, | |
| sondern „um meine Leute nicht zu belasten“. | |
| Denn so sehr sich die Länder über die Bundesmillionen für die | |
| Digitalisierung gefreut haben: Es gab [2][auch Bedenken], wer die Geräte | |
| warten solle. Thomas Losse-Müller, [3][SPD-Spitzenkandidat in | |
| Schleswig-Holstein], will die Digitalisierung der rund 800 Schulen im | |
| Flächenland künftig zentral steuern, damit „Schulleitungen sich nicht damit | |
| beschäftigen müssen, welche Videokonferenzplattform sie nutzen, welche | |
| Laptops sie anschaffen sollen und wie sie vielleicht auch noch Lehrkräfte | |
| anzuleiten haben“. Für diese Aufgaben werde eine „Infrastruktur benötigt, | |
| die das managt“. „Die SPD hat keine Ahnung von Digitalisierung in Schulen | |
| und macht sich lächerlich“, konterte grob der bildungspolitische Sprecher | |
| der CDU-Landtagsfraktion, Tobias von der Heide – schließlich laufen sich | |
| die Parteien derzeit warm für die [4][Landtagswahl im Mai]. Es gebe die | |
| Hilfen bereits, die Losse-Müller fordere: „Die SPD versucht, Probleme zu | |
| lösen, die keine sind“, ätzt der Christdemokrat. | |
| Aus Sicht der Schulen sieht das etwas anders aus: Ja, es gibt Hilfsangebote | |
| – aber die praktischen Fragen bleiben am Ende doch an der Schule hängen. | |
| Oft kümmert sich eine Lehrkraft darum, dass Rechner oder Tablets regelmäßig | |
| neue Software bekommen und das Netz wackelfrei läuft. | |
| Reese schüttelt dazu den Kopf: Es sei schwer genug, Lehrkräfte für eine | |
| kleine Dorfschule zu finden, auch ohne ihnen weitgehend unbezahlte | |
| Sonderaufgaben aufzudrücken. Ihr kam ein glücklicher Zufall zu Hilfe: | |
| Schulsekretärin Dorit Eggert ist gelernte IT-Expertin. „Ehrlich gesagt, sie | |
| ist überqualifiziert“, sagt Reese. Dennoch profitieren beide Seiten: Eggert | |
| suchte eine Stelle in der Nähe ihres Wohnorts, Reese eine Fachfrau für die | |
| Aufgabe. Die Schulsekretärin hat den WLAN-Ausbau betreut, kümmert sich um | |
| Updates und Datensicherheit. Einige Stunden pro Woche kommen immer | |
| zusammen, sagt die 42-Jährige. Inzwischen ist sie mit der Ausstattung der | |
| Schule und des benachbarten Dorfgemeinschaftshauses zufrieden: „Ein paar | |
| Accesspoints fehlen noch, dann haben wir überall gutes Netz.“ | |
| Während die Zweitklässler*innen sich mit den Bee-Bots der digitalen | |
| Welt spielerisch nähern, bewegen sich die Acht- bis Zehnjährigen aus der | |
| dritten Klasse schon im Internet. Ihr Klassenlehrer Matthias Hauenstein ist | |
| mit 34 Jahren einer der Jüngeren im Kollegium, er unterrichtet seit | |
| sechseinhalb Jahren in Hennstedt und hat die digitalen Konzepte der Schule | |
| mitentwickelt. Dass der Ort klein ist, stört ihn nicht, er schätzt das | |
| familiäre Umfeld: „Ich bin selbst Dorfkind.“ | |
| Wenn Hauenstein die Tablets verteilt, seien die „Kinder immer sehr | |
| motiviert – für sie bedeutet es spielen“. Dass das nicht so ist, will der | |
| Lehrer seiner Klasse deutlich machen. „Digitalgeräte machen die Arbeit | |
| nicht, sie sind nur ein Werkzeug.“ Entsprechend setzt er sie auch im | |
| Unterricht ein: „Am Ende geht es darum zu recherchieren, zu lesen und | |
| Informationen herauszufiltern.“ Diese Lektion sei wichtig, gerade in dieser | |
| Klassenstufe. „Auch wenn die Wenigsten schon ein eigenes Smartphone haben, | |
| zu Hause gibt es Medienkonsum“, sagt Hauenstein. Er legt deshalb Wert | |
| darauf, den Grundschüler*innen in den zwei Schulstunden pro Woche, die | |
| die Tablets in der Klasse eingesetzt werden, einen kritischen Umgang zu | |
| vermitteln: „Sie müssen wissen, dass sie immer Spuren hinterlassen.“ | |
| Johanna recherchiert zu Kaninchen, die sie zu Hause selbst hält. Dass das | |
| Internet auch gefährlich sein kann, weiß sie bereits: „Da können Menschen | |
| sein, die was Böses von einem wollen.“ Ein eigenes Smartphone hat die | |
| Achtjährige noch nicht. Banknachbar Leon, sein Lieblingstier ist der Löwe, | |
| dagegen schon – er und sein Zwillingsbruder Levin hätten ihre Eltern | |
| genervt, bis die nachgaben. Aber zu oft nutze er es nicht, glaubt Leon: | |
| „Nach der Schule gucke ich kurz rein, dann gehe ich raus, Rad fahren und | |
| so.“ Sein Bruder und er sind auch in der Jugendfeuerwehr aktiv. Und einen | |
| Freundeskreis bei Tiktok hat der Zehnjährige obendrein. | |
| 13 Feb 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Esther Geißlinger | |
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