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# taz.de -- Digitaler Schulunterricht in Barcelona: Lernen ohne Google
> Digitaler Schulunterricht funktioniert auch ohne die Programme der großen
> Unternehmen. Barcelona setzt mit Erfolg auf offen zugängliche Software.
Bild: Ein Schüler beim Online-Unterricht in Spanien während der Pandemie im M…
Madrid taz | Sobald Mireia Gómez ihren Computer einschaltet, erscheint ein
Bildschirm voller Anwendungen. Es sieht fast so aus, als wäre es das
Software-Paket für Schulen von Google – ist es aber nicht. Was da zu sehen
ist, heißt „Demokratische Digitalisierung“, kurz „DD“. „Alles basier…
offener Software“, erklärt die Lehrerin an der Montseny-Schule, einer
Grundschule in Barcelona. Gómez gehört zu einer Gruppe von Eltern und
Lehrern, auf deren Initiative DD zurückgeht.
Alles begann vor zweieinhalb Jahren. Das Bildungsministerium der Region
Katalonien führte noch vor [1][der Coronapandemie] großflächig die
Lernplattform von Google an den Schulen ein. Einige Eltern und Lehrer
machten sich Sorgen um die Datensicherheit und Privatsphäre der Kinder.
Denn auf einer Lernplattformen werden nicht nur Übungen und Hausaufgaben
verwaltet, sondern auch die Noten, Gutachten über einzelne Schüler bis hin
zu Gesundheitsdaten. „Wir wollten all das einfach nicht kommerziellen
Diensten überlassen. Wer kostenlos anbietet, verdient sein Geld auf andere
Art“, ist sich Goméz sicher.
Die Eltern- und Lehrerinitiative wandte sich an Xnet, eine Gruppe in
Barcelona, die sich seit 2008 in verschiedenen Bereichen für digitale
Rechte, Onlinedemokratie und Meinungs- und Informationsfreiheit einsetzt.
„Die Frage, die sich stellte, war ganz einfach: Wollen wir weiterhin ein
Modell akzeptieren, das auf rein kommerziellen Interessen beruht, oder
stellen wir die Rechte der Nutzer und der Bürger in den Vordergrund?“,
erinnert sich Simona Levi, Vorsitzende von Xnet.
Levi suchte finanzielle Unterstützung und fand sie bei [2][der
linksalternativen Stadtverwaltung von Barcelona] unter der Bürgermeisterin
Ada Colau. Mit den 150.000 Euro, die das Rathaus bereitstellte, machte Xnet
eine Ausschreibung für Programmierer und nahm anschließend den Pilotbetrieb
auf.
## Google hat sich festgesetzt
Die Vorgaben waren klar: „Die Lernplattform sollte sich auf weit
verbreitete und damit erprobte freie Software mit offenem Quellcode stützen
und auf kontrollierbaren Servern laufen“, sagt Levi. Das ist gelungen.
Mittlerweile nehmen drei Schulen am Pilotprojekt teil. Sie prüfen DD auf
Herz und Nieren, bevor die Plattform im nächsten Schuljahr in weiteren
Schulen installiert werden soll.
Im Zentrum von DD steht Moodle, ein freies Kursmanagementsystem, das
weltweit von über 200.000 Einrichtungen benutzt wird. „Doch DD ist
wesentlich mehr. DD integriert andere Open-Source-Anwendungen“, sagt Levi.
Einige Beispiele: BigBlueButton ersetzt die in Zeiten des Homeoffice
überall bekannt gewordenen Dienste für Videokonferenzen kommerzieller
Anbieter. Geschrieben und kalkuliert wird mit OnlyOffice, Nextcloud hilft
beim Speichern von Daten und bietet die Möglichkeit, gemeinsam an
Dokumenten zu arbeiten. Nur bei Videos greift auch DD mit Youtube auf
Google zurück. Die meisten Filme für den Unterricht lassen sich nur dort
finden.
Das größte Problem war und ist die Akzeptanz bei den Anwendern. „Google mit
seiner Logik und seinem Design hat sich in den Köpfen festgesetzt“, sagt
Arnau Monterde, Chef der Abteilung für Demokratische Innovation im Rathaus
von Barcelona, die DD finanziert. Um das neue Produkt wirklich
wettbewerbsfähig zu machen, sollte die Umstellung von den gewohnten
kommerziellen Anwendungen so einfach wie möglich sein. „Flache Lernkurve“,
nennt Monterde das.
## Interesse über Barcelona hinaus
Die Kinder gingen nach wenigen Sitzungen mit den Anwendungen um, als hätten
sie nie etwas anderes gesehen. Bei den Lehrern dauerte es etwas länger.
„Die Pilotschulen liefern uns wertvolle Rückmeldung, um DD weiter zu
verbessern, bevor es in anderen Schulen und an öffentlichen Einrichtungen
zum Einsatz kommt“, sagt Monterde.
Im kommenden Schuljahr stellt das Rathaus weitere 200.000 Euro zur
Verfügung. 15 Schulen sowie städtische Bildungseinrichtungen und mehrere
Bürgerzentren sollen dann DD bekommen. „Wir rechnen damit, dass wir dann
15.000 Schüler aufnehmen können“, sagt Monterde. Das Limit stecken die
Server. DD mietet diese bei kleinen Anbietern, die die ethischen Vorgaben
des Projekts akzeptieren. „Letztendlich ist DD ein Projekt gegen die
Privatisierung der digitalen Welt an den öffentlichen Schulen, wie sie an
den Universitäten längst stattgefunden hat“, resümiert Monterde.
Bei Xnet und beim Rathaus gehen immer mehr Anfragen zu DD von außerhalb
Barcelonas ein. Über 50 Schulen haben bereits ihr Interesse bekundet. Hier
ist die katalanische Autonomieregierung gefragt. War diese vor der Pandemie
noch sehr auf einfache Lösungen – wie Google – fokussiert, hat sich dies
mittlerweile geändert.
„Wir beobachten die Erfahrungen in Barcelona sehr genau“, sagt Joan Cuevas,
Generaldirektor für Innovation am Bildungsministerium der katalanischen
Regierung. „Denn wir wollen auf allen Ebenen eine freie und offene
Alternative anbieten“, versichert er, fügt aber hinzu: „Allerdings muss die
Plattform dann so gut sein, dass sie jeder benutzen kann und will und nicht
nur die, die aus politischer Überzeugung auf freie Software zurückgreifen.“
Cuevas weiß, dass das nicht immer leicht ist. Das katalanische
Bildungsministerium stellt den 4.500 Schulen der Region drei Alternativen
zur Wahl. Chromebook von Google, Computer mit Windows und solche mit
Linkat, einer Version von Linux. Knapp drei Viertel der Schulen haben sich
für Windows entschieden, etwa 23 Prozent für Google und gerade einmal gut 3
Prozent für die Open-Source-Alternative Linux.
7 Apr 2022
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Coronavirus/!t5660746
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## AUTOREN
Reiner Wandler
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