| # taz.de -- Bildung am Tumo Zentrum Berlin: Digitale Nachhilfe aus Jerewan | |
| > Im Tumo-Zentrum in Berlin lernen Kinder kostenlos, zu programmieren oder | |
| > Filme zu animieren. Die Idee kommt aus Armenien. Kann das klappen? | |
| Bild: Edgar Maxim und Aysha basteln an ihren selbstfahrenden Mini-Traktoren | |
| Berlin taz | Maxim Parkhomenko versucht, einen Roboter in Gang zu bringen. | |
| Er tippt etwas in einen Computer. Nichts bewegt sich. Er wechselt die | |
| Anschlüsse zum Sensor, damit sein Roboter ein Signal bekommt. Es passiert | |
| wieder nichts. Der Lernroboter aus Legoteilen, der wie ein kleiner | |
| Spielzeugtraktor auf Rädern aussieht, will sich einfach nicht rühren. | |
| Betrübt ist Maxim aber nicht – im Gegenteil. Dem 14-jährigen Schüler macht | |
| es Spaß, Probleme zu finden und sie zu lösen. | |
| Seit gut einem Jahr besucht Maxim das Bildungszentrum Tumo im Berliner | |
| Stadtteil Charlottenburg. In einem fünfgeschossigen Gebäude in der | |
| Einkaufsmeile der Wilmersdorfer Straße lernen Jugendliche im Alter zwischen | |
| 12 und 18 Jahren digitale Techniken von Animation und Spieleentwicklung bis | |
| hin zu Robotics, Film und Grafikdesign. Nach dem regulären Unterricht in | |
| ihren jeweiligen Schulen gehen sie zwei Mal pro Woche für je zwei Stunden | |
| dorthin. | |
| Aktuell besuchen 650 Schüler*innen das „kostenlose Lernzentrum für | |
| Jugendliche“, wie Tumo sich selbst bezeichnet. Bis zu 1.000 kann Tumo nach | |
| eigener Aussage aufnehmen. Initiiert wurde das Angebot von der KfW | |
| Bankengruppe – die KfW ist eine Förderbank des Bundes. Für die kommenden | |
| fünf Jahre finanziert sie das Tumo-Zentrum in Berlin. Wie hoch die | |
| Fördersumme ist, lässt die KfW auf taz-Anfrage offen. | |
| Klar ist, woher die Idee stammt: aus [1][Armenien]. Das erste Tumo-Zentrum | |
| liegt in einem Park in der armenischen Hauptstadt Jerewan, der nach dem | |
| armenischen Dichter Hovhannes Tumanyan benannt ist. Armenier*innen | |
| nennen den Park „Tumo“. So entstand der Name des Konzepts für Technologie | |
| und digitale Bildung, das in Armenien einer Revolution im Bildungsbereich | |
| gleichkommt. Mehr als 15.000 Jugendliche haben an Tumo-Programmen | |
| teilgenommen – für ein Land mit nur drei Millionen Einwohner*innen ist | |
| das beachtlich. | |
| ## Merkel war begeistert | |
| In den Provinzen des Landes wurden zudem Tumo-Box-Werkstätten eingerichtet, | |
| damit auch die Kinder dort eine Chance bekommen – und das alles kostenlos. | |
| Möglich macht das das armenisch-amerikanische Unternehmerpaar Sam und Silva | |
| Simonian, die das Projekt seit 2011 unterstützen. | |
| Tumo hat inzwischen Zentren in Paris, Beirut, Moskau und Tirana eröffnet. | |
| Die Filiale in Berlin hat im November 2020 eröffnet. Dafür hat auch die | |
| damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel geworben. Während ihres Besuchs 2018 | |
| in Armenien hatte Merkel das Tumo Center for Creative Technologies in | |
| Jerewan besucht und war begeistert. „Ich wollte, dass so etwas auch | |
| irgendwo in Deutschland entsteht“, erinnerte sich Merkel drei Jahre später | |
| an ihre Eindrücke in Jerewan, als sie das Tumo-Zentrum in Berlin besuchte. | |
| An dem Tag, als die taz zu Besuch ist, herrscht dort Ruhe. Die Stille soll | |
| Lernkonzentration fördern. In den verglasten Räumen mit den modernen | |
| Bildschirmen leiten Grafikdesigner*innen und | |
| Softwareentwickler*innen ihre Workshops. Auf den langen und breiten | |
| Treppen liegen große rote Sitzkissen. Darauf haben es sich weitere | |
| Schüler*innen gemütlich gemacht. Jede*r hat dabei einen Laptop auf dem | |
| Schoß: Selbstlernphase heißt das. Ein paar Werkstudent*innen in | |
| Informatik und BWL bieten den Lernenden Unterstützung an. Sie sind die | |
| Coachs bei Tumo. | |
| Auch Maxim Parkhomenko gibt sich Mühe. Der Gymnasiast will seinen | |
| Lernroboter endlich zum Fahren bringen. Auf dem Monitor vor sich prüft er, | |
| ob alles stimmt, was er programmiert hat. Sein Roboter soll auf einem | |
| bunten Feld fahren und dabei nur den schwarzen Linien folgen. Dann endlich | |
| hat er den Fehler entdeckt. Kurz darauf macht der Motor Geräusche und der | |
| Roboter fährt genau so, wie Maxim es ihm befohlen hat. Seine Geduld hat | |
| sich ausgezahlt. „Programmieren hilft, das Leben leichter und einfacher zu | |
| machen“, glaubt er. Seine berufliche Zukunft sehe er im Bereich | |
| Meeresbiologie oder Marketing. | |
| ## Berufsziel Programmierer statt Arzt | |
| Anders der 13-jährige Edgar Sahakyan. Auch er lernt im Tumo-Zentrum | |
| programmieren – und das will er später auch beruflich machen. „Ich mag | |
| einmal Spiele entwickeln.“ Bevor er ins Tumo kam, hatte er eine andere | |
| Vorstellung über moderne und coole Jobs. Er wollte Chefarzt werden. Er habe | |
| nun aber kein Interesse mehr, „Organe und Krankheiten zu studieren“. Edgar | |
| hat die digitale Welt für sich entdeckt – genau das, was das Angebot | |
| erreichen will. | |
| Die KfW versichert, dass sie mit der Förderung drei Kernbereiche von | |
| Bildungspolitik stärken möchte: Digitalisierung, Bildung und | |
| Chancengleichheit. Langfristig gelte es, die Wettbewerbsfähigkeit der | |
| deutschen Wirtschaft zu erhalten. Für die KfW sei es daher wichtig, einen | |
| Förderleuchtturm im Bereich der digitalen Bildung zu schaffen. Tumo ist | |
| nicht die einzige nichtstaatliche Initiative in Deutschland, die in dem | |
| Bereich Handlungsbedarf sieht und eigene Interessen verfolgt. | |
| Der Betreiber des Berliner Tumo-Zentrums ist die Accenture GmbH. Die Firma | |
| mit Sitz im irischen Dublin ist mit etwa 624.000 Mitarbeiter*innen | |
| eine der weltweit führende Dienstleister für Strategieberatung, Management | |
| Consulting sowie Digitalisierung und Technologie. Das Unternehmen betreut | |
| nach eigenen Angaben etwa 6.000 Kunden in mehr als 120 Ländern, unter | |
| anderem in Deutschland. | |
| In Einrichtungen wie dem Tumo-Lernzentrum versuchen Stiftungen und Firmen, | |
| junge Menschen für die MINT-Fächer Mathematik, Informatik, | |
| Naturwissenschaften und Technik zu begeistern. An deutschen Schulen gibt es | |
| Projekte zum Lernen mit Robotern, Informatik für Vor- und Grundschulkinder | |
| und ganze MINT-Schulen. Allein in diesem Bereich sind mindestens ein | |
| Dutzend Vereine und Stiftungen aktiv. | |
| ## Züchtet die Industrie hier ihren Nachwuchs? | |
| Durch [2][die angestrebte Digitalisierung der Schulen] durch Bund und | |
| Länder ist die Attraktivität für Digitalkonzerne noch weiter gestiegen: An | |
| Schulen rekrutieren sie nicht nur ihre Kunden und Mitarbeiter*innen | |
| von morgen – auch die Schulen selbst gehören zunehmend zu ihrer Kundschaft. | |
| Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) beobachtet die Präsenz | |
| der Digitalwirtschaft in Bildungseinrichtungen kritisch. „Die Aktivitäten | |
| der Konzerne sind insgesamt eindeutig als politisches Lobbying einzuordnen. | |
| Sie verfolgen dabei das Ziel, dass Bund, Länder und Kommunen mehr Geld für | |
| IT an Schulen bereitstellen und sich die jeweiligen Schulen in der | |
| konkreten Umsetzung für ihre Produkte entscheiden“, heißt es in einem | |
| GEW-Dossier zur Digitalindustrie im Bildungsbereich. | |
| Bei der KfW Bankengruppe sieht man in den Eigeninteressen der | |
| Digitalwirtschaft kein Problem und verweist auf die Chancen, auch Kinder | |
| aus ärmeren Familien zu erreichen. „Jugendliche sollen – unabhängig von | |
| ihrer sozialen Herkunft – die Skills des 21. Jahrhunderts erlernen und | |
| hierbei in den Austausch miteinander kommen“, sagt Sybille Bauernfeind, | |
| stellvertretende Pressesprecherin der KfW Bankengruppe, gegenüber der taz. | |
| Aber wie genau? Im Tumo-Zentrum erhält man darauf keine Antwort. Wie | |
| zugänglich ist die Einrichtung für die benachteiligen Kinder? Welche | |
| Anstrengungen unternimmt sie, diese Kinder zu erreichen? „Wir haben die | |
| Hoffnung, wer mitmachen will, kann mitmachen“, sagt der Leiter der Berliner | |
| Tumo-Zentrums, Pawel Mordel, kurz angebunden. Mehr will er zur Frage der | |
| Inklusion benachteiligter Jugendlicher nicht sagen. Bei dem Besuch drängt | |
| sich der Eindruck auf, dass hier vor allem solche Schüler*innen sind, | |
| die ohnehin überdurchschnittlich digital unterwegs sind – und zu Hause | |
| schon gut mit eigener Technik ausgestattet werden. | |
| Ist das Tumo-Zentrum in Berlin also auf dem Weg, ein Club für Privilegierte | |
| zu werden? In diesem Fall wäre es ein Gegenmodell zur ursprünglichen Idee | |
| aus Armenien. | |
| 17 Apr 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tigran Petrosyan | |
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