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# taz.de -- Chancengleichheit in der Bildung: Wider die föderale Bildung
> Von Chancengleichheit im Bildungssystem ist Deutschland weit entfernt.
> Höchste Zeit, dass die Ampel den Ländern stärkere Vorgaben macht.
Bild: Auf der Suche nach dem Plan? Bildungsministerin Stark-Watzinger am Tag de…
Einmal im Jahr, zum heutigen [1][Tag der Bildung], veröffentlicht die
gleichnamige Stiftung eine interessante repräsentative Umfrage. Interessant
deshalb, weil dort ausnahmsweise mal nicht Eltern oder Lehrkräfte zum
deutschen Bildungssystem befragt werden – sondern junge Leute zwischen 14
und 21. Die Peergroup sozusagen. Und was die zum Zustand unseres
Schulsystems denkt, sollte ernsthaft nachdenklich stimmen.
Nicht einmal jede:r Dritte ist der Ansicht, dass alle Kinder in
Deutschland die gleichen Chancen auf eine gute Bildung haben. So skeptisch
wie in diesem Jahr ist die Umfrage noch nie ausgefallen. Auffällig dabei
ist: Je älter die Befragten sind, desto weniger glauben sie an die
Bildungsgerechtigkeit. Vermutlich, weil sie selbst miterleben, wie sehr sie
in den weiterführenden Schulen unter ihresgleichen bleiben. Die
Privilegierten im Gymnasium, der Rest in den Resteschulen.
Das Aufstiegsversprechen passt nicht zur Lebenserfahrung junger Menschen.
Ganz neu ist die Erkenntnis natürlich nicht. Manche:r Politiker:in
aber hielt die Chancenungleichheit, die die erste [2][Pisa-Studie] vor gut
20 Jahren offenlegte, schon für überwunden. Oder so gut wie. Anzeichen
dafür gab es durchaus: Mehr und mehr Kinder aus Arbeiter- und
[3][Zuwandererfamilien] schafften es bis an die Uni. Die Schranken für den
zweiten Bildungsweg wurden immer weiter abgebaut.
Und auch Eltern aus bildungsbenachteiligten Schichten gaben ihre Kinder
zunehmend in Kita- und Ganztagsbetreuung. Von gleichen Chancen konnte und
kann trotzdem noch lange keine Rede sein. Im Gegenteil. Wie die jüngste
[4][IQB-Studie] zeigt, nimmt der Einfluss des Elternhauses auf den
Bildungserfolg sogar zu. Spätestens jetzt müsste den Schönfärber:innen
klar geworden sein, dass Deutschland hier auf der Stelle tritt. Oder anders
formuliert: Alle Versuche der zuständigen Länder, gleiche Bildungschancen
herzustellen, sind mehr oder weniger gescheitert.
## Günstige Zeit für Reformen
Keine Frage, die Bildungsminister:innen sind ordentlich unter
Zugzwang. An diesem Freitag wollen sie ein wissenschaftliches Gutachten
vorstellen, wie die Bildungschancen der weniger privilegierten Kinder nicht
schon in der Grundschule flöten gehen. Nach dem Pisa-Schock 2.0 zeigen sich
die Länder entschlossen, das Problem endlich anzugehen.
Die Frage ist nur: Reicht der gute Wille, oder muss der Bund dem föderalen,
sechzehnfachen Vor-sich-hin-Gemurkse nicht langsam ein Ende machen und
stärker in der Bildungspolitik mitmischen? Etwa in der Definition von
bundesweiten Standards – von verpflichtenden Sprachtests im Vorschulalter
bis hin zu den Kriterien, nach denen bedürftige Schulen zusätzliches
Personal erhalten.
Schaden würde es bestimmt nicht. Vielmehr machte es die Bildungsbemühungen
der Länder vergleichbarer und damit das System gerechter. Der Zeitpunkt für
eine neuerliche Föderalismusreform scheint jedenfalls günstig zu sein. Zum
einen lässt die Kritik von Bildungsforscher:innen an bisherigen
Bund-Länder-Programmen keinen Spielraum für Interpretationen.
Wer vermeiden möchte, dass die nächsten Bundesmilliarden wieder genauso
ziellos und unwirksam ausgegeben werden wie letzthin für die Bekämpfung
pandemiebedingter Lernlücken, kommt um einheitliche Standards und klare
Zielvorgaben nicht herum. Die Länder müssen sich bewegen, wenn sie wie im
Sommer lautstark eine Verlängerung des [5][Corona-Aufholprogramms] und
weitere 500 Millionen Euro vom Bund verlangen.
## Hohe Summen für die Chancengleichheit
Völlig zu Recht fordern Bildungspolitiker:innen der Ampelparteien,
dass mit dem Prinzip Gießkanne – das den Ländern so gut in den Kram passt,
weil es sie zu nichts verpflichtet – nun bald Schluss ist. Und dass die
Bundesregierung den Ländern künftig im Gegenzug zur locker sitzenden
Brieftasche mehr Zugeständnisse abverlangt. Immerhin ist die Ampel mit dem
Ziel angetreten, die Rolle des Bundes in der Bildung zu stärken. Seit 2006
darf der Bund laut Grundgesetz nicht mehr in Bildung investieren.
Später haben Bundestag und Bundesrat das „Kooperationsverbot“ auf Drängen
der SPD gelockert. Die Ampel will nun auch inhaltlich ein Wörtchen mitreden
dürfen. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) träumt von
einer „neuen Kooperation zwischen Bund und Ländern“. Die spannende Frage
bleibt, ob die Länder da mitmachen. Kurze Antwort: Schwer vorstellbar.
Zumindest bei einer erneuten Änderung des Grundgesetzes, also einer
dauerhaften Regelung, dürfte sich der Bundesrat querstellen.
Dabei wären die Länder gut beraten, sich auf den Handel Geld gegen
Mitsprache einzulassen. Das lässt sich gut am Startchancenprogramm der
Ampel erklären. Kommt es wie geplant, ist es das wohl ambitionierteste
deutsche Bildungsvorhaben zur Bekämpfung der Chancenungleichheit. 4.000
Schulen mit besonders benachteiligten Schüler:innen sollen davon
profitieren. Das ist jede zehnte.
Momentan ist ein jährliches Budget pro Schule im sechsstelligen Bereich im
Gespräch. Mindestens zehn Jahre soll die Förderung andauern und im Herbst
2024 anlaufen. Aktuell verhandeln Bund und Länder über die Details. Sicher
ist aber eins: Vom Umfang her übersteigt das Startchancenprogramm alles,
was die Länder in Sachen Bildungsgerechtigkeit jemals aufbringen könnten.
Es könnte also wirklich etwas ausrichten, wenn das Geld auch wirklich dort
ankommt, wo es am dringendsten benötigt wird.
Ist den Ländern also an der Bildungsgerechtigkeit gelegen, stimmen sie
sinnvollen Kriterien für die Auswahl der Schulen sowie verbindlichen
Zielvorgaben zu. Mit einem Wort: Sie gewähren dem Bund Mitsprache. Aktuell
zeichnet sich ab, dass die Länder zumindest in der Auswahl der Schulen zu
Kompromissen bereit sind. Das wäre ein erster Schritt in die richtige
Richtung, um die Bildungsmisere in deutschen Landen anzugehen.
8 Dec 2022
## LINKS
[1] https://www.tag-der-bildung.de/
[2] /Pisa-Studie/!t5017798
[3] /Foerderung-von-Zuwanderern/!5133931
[4] https://www.iqb.hu-berlin.de/bt
[5] /Corona-Aufholpaket-der-Bundesregierung/!5765808
## AUTOREN
Ralf Pauli
## TAGS
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Astrid-Sabine Busse
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