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# taz.de -- Indigene in Chile: In schlechter Verfassung
> Chile stimmt im Dezember über eine neue Verfassung ab. Die Rechte der
> indigenen Mapuche bleiben im Entwurf außen vor. Ein Besuch.
Bild: Die Bewegung der Mapuche kämpft um mehr Recht – und ist gleichzeitig g…
Temuco taz | Sergio Catrilaf will, dass der chilenische Staat ihm sein Land
zurückgibt. Das Land, das ein deutscher Ingenieur im 19. Jahrhundert seinem
Großvater wegnahm. Catrilaf blickt von einem Hang aus in ein Tal, durch das
ein Fluss fließt und in dem einst seine Vorfahren lebten. Heute versperren
Hochspannungsmasten den Blick auf den Horizont, der Lärm einer Autobahn
übertönt das Rauschen des Flusses.
Catrilaf lebt in der Nähe von Temuco im Süden Chiles in der Gemeinde Juan
Catrilaf II, die den Namen seines Großvaters trägt. Der deutsche Ingenieur,
der seinen Vorfahr enteignete, hieß Theodor Schmidt, er kam 1858 nach
Chile. Der gebürtige Darmstädter wurde vom chilenischen Staat damit
beauftragt, die Ländereien rund um Temuco zu vermessen und zwischen der
indigenen Bevölkerung, den Mapuche, und den Siedlern zu verteilen. Dabei
schrieb Schmidt sich auch selbst Landtitel zu – unter anderem von dem
Grundstück, auf dem der Urgroßvater von Sergio Catrilaf lebte. Nach Schmidt
ist ein Platz in Temuco benannt, der Hauptstadt der Araucanía-Region. Es
ist die ärmste Region Chiles.
Sergio Catrilaf ist Mapuche, so heißt das größte der zehn indigenen Völker,
die in dem schmalen Land an der Pazifikküste leben. Mehr als 1,7 Millionen
Menschen in Chile identifizieren sich als Mapuche, das entspricht etwa zehn
Prozent der Gesamtbevölkerung. Als Indigene werden diejenigen bezeichnet,
die vor der Invasion der Spanier im 15. Jahrhundert auf dem amerikanischen
Kontinent lebten. Die Mapuche verfügen heute nur noch über [1][etwa fünf
Prozent ihres ursprünglichen Territoriums].
Gabriel Boric, der Anfang 2022 mit der linken Koalition Frente Amplio die
Regierung übernahm, hatte den Mapuche im Wahlkampf versprochen, ihnen ihr
Land zurückzugeben. „Wir suchen nach der Wurzel des Problems und ich hoffe,
dass wir zum 200. Jahrestag des Vertrags von Tapihue dem chilenischen Volk
und dem Volk der Mapuche eine Versöhnung und eine Wiedervereinigung
anbieten können“, sagte er in einer Rede im Juni.
Die Mapuche sind das einzige indigene Volk, das die spanischen
Konquistadoren nicht besiegen konnten. 1641 erkannte die spanische Krone
mit dem Vertrag von Quilín den Fluss Bío Bío als Grenze von Wallmapu an,
wie die Mapuche ihr Land nennen. 1825 bestätigte der chilenische Staat das
mit dem Vertrag von Tapihue. Später brach er das Abkommen: Das Militär
besetzte das Gebiet der Mapuche von 1851 bis 1883, tötete und vertrieb
Tausende.
Einen Lösungsvorschlag für den seit Jahrhunderten andauernden Landkonflikt
soll eine „Kommission für den Frieden und das Verständnis“ erarbeiten, die
am 21. Juni ihre Arbeit aufnahm. 18 Monate lang, also bis Ende 2024, hat
sie dafür Zeit. Zu den acht Mitgliedern der Kommission gehören
Vertreter*innen der Mapuche wie Adolfo Millabur, aber auch Alfredo
Moreno, ein ehemaliger Minister unter dem rechten Ex-Präsidenten Sebastián
Piñera. Auch Carmen Gloria Aravena ist dabei, eine Senatorin der
rechtsextremen Republikanischen Partei.
Der Mann, der die Kommission leiten soll, macht einen etwas erschöpften
Eindruck. Víctor Ramos, 42 Jahre alt, von Beruf Psychologe, sitzt in seinem
Büro im zweiten Stock im Regierungspalast La Moneda im Zentrum von Chiles
Hauptstadt Santiago. „Das Ziel der Kommission ist es, eine Lösung für einen
historischen Konflikt zu finden, den der Staat verursacht hat“, sagt Ramos.
Als ersten Schritt soll die Kommission nun Daten erheben, um
herauszufinden, wie viel Land die Mapuche eigentlich überhaupt
zurückfordern – bisher verfügt der Staat nicht über diese Daten.
Klar ist: Es geht um viel Land. „Es ist möglich, dass eine so gigantische
Landforderung entsteht, dass der chilenische Staat unter den gegenwärtigen
politischen Umständen und mit dem Budget, das er hat, sagen muss: Dem kann
ich nicht gerecht werden“, sagt Ramos. Die Kommission müsse ein
Gleichgewicht finden zwischen der Wiedergutmachung für die Mapuche und den
Eigentumsrechten der aktuellen Landbesitzer.
Der einzige Mechanismus, den es derzeit in Chile gibt, um Indigenen Land
zurückzugeben, ist dieser: Der Staat kauft das Land von seinen aktuellen
Eigentümer*innen zum Marktpreis und übergibt es anschließend an die
indigenen Gemeinden. Das ist nur möglich für Gemeinden, die sogenannte
Títulos de merced besitzen: Landtitel, die der chilenische Staat Ende des
19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausstellte. Derzeit gibt es 720
indigene Gemeinden, die nach der aktuellen Gesetzgebung das Recht hätten,
Land auf diese Weise zurückzubekommen.
Zu ihnen gehört auch die Gemeinde von Sergio Catrilaf, der den Landtitel
von seinem Urgroßvater erhalten hat. „Der Staat trägt die
Hauptverantwortung“, sagt Catrilaf. Es sei schließlich der chilenische
Staat gewesen, der den Vertrag von Tapihue brach, mit dem das Militär in
das Gebiet der Mapuche einmarschierte und sie von ihrem Land vertrieb.
Anschließend übergab der Staat das Land an europäische Siedler, viele von
ihnen kamen aus Deutschland und der Schweiz.
Viele Grundstücke, sogenannte Fundos, befinden sich bis heute im Besitz von
Familien mit europäischen Nachnamen: Luchsinger, Taladriz, Cooper. Der
sozialistische Präsident Salvador Allende gab den Mapuche Anfang der 1970er
Jahre mehr als 130.000 Hektar Land zurück. Aber Diktator Augusto Pinochet
enteignete die Indigenen anschließend wieder und ging mit Gewalt gegen die
Mapuche vor. Mindestens 136 Mapuche sollen während der Diktatur getötet
worden sein oder verschwanden. [2][Nur 16 Prozent der zuvor
zurückerstatteten Gebiete] blieb im Besitz der Mapuche.
1989 ging Pinochets Ära zu Ende, ein Referendum läutete Wahlen noch im
selben Jahr ein. Mehrere indigene Vertreter*innen verhandelten einen
Vertrag mit dem Präsidentschaftskandidaten der demokratischen Opposition,
Patricio Aylwin. Nach seinem Wahlsieg gründete die neue Regierung die
Corporación Nacional de Desarrollo Indígena (Conadi), eine staatliche
Institution, die sich für indigene Belange einsetzt, und verabschiedete das
Ley Indígena(Indigenen-Gesetz).
Aber nicht alle [3][Versprechen des Vertrags] wurden eingehalten. Die
Indigenen und ihre Rechte sind bis heute nicht in der Verfassung Chiles
anerkannt. Der Handlungsspielraum der Conadi ist begrenzt. Luis Penchuleo
leitet seit dem Amtsantritt von Boric die Conadi. Der 38-Jährige war in der
Studierendenbewegung aktiv und war lange Mitglied verschiedener
Mapuche-Organisationen, die sich für Landrückgaben einsetzen. Er gründete
sogar eine Mapuche-Partei, Wallmapuwen, sie wurde aber 2017 aufgelöst.
Die Conadi verfüge zwar über mehr Budget als unter den Vorgängerregierungen
– aber trotzdem reiche es nicht aus, um allen Landforderungen gerecht zu
werden, sagt Penchuelo. Und nicht nur das Budget sei unzureichend, sondern
auch die rechtlichen Rahmenbedingungen, die das Indigenen-Gesetz für die
Landrückgaben vorsieht. So sind zum Beispiel keine Enteignungen mit einer
verhandelten Entschädigung für den Landbesitzer möglich – sondern nur der
Kauf zu Marktpreisen, was für den Staat sehr teuer ist.
Bei dem Land, das der chilenische Staat als Eigentum der Mapuche anerkennt,
weil sie die entsprechenden Landtitel besitzen, handelt es sich laut
Penchuelo ohnehin nur um zehn Prozent des Landes, das die Mapuche insgesamt
zurückfordern. „Unter den gegenwärtigen Voraussetzungen würde es 80 bis 90
Jahre dauern, nur um das Land zurückzugeben, das der Staat aktuell
anerkennt“, sagt Penchuleo.
Er hofft deshalb, dass die Kommission für den Frieden und das Verständnis
einen neuen rechtlichen Rahmen für die Landrückgaben schaffen wird. „Wir
müssen eine politische Lösung finden, die über die aktuelle Regierung
hinausgeht.“ Dafür sei ein politischer Kompromiss aller im Parlament
vertretenen Parteien notwendig. „Das ist vielleicht die letzte Chance, die
wir haben, um eine politische Lösung für diesen Konflikt zu finden“, sagt
Penchuleo. Denn viele Mapuche finden, dass die Regierung zu langsam ist –
also nimmt der Konflikt vor Ort an Aggressivität zu.
„Wir hatten große Hoffnung in die Regierung“, sagt Javier Meliman. Er ist
werkén, eine Art Sprecher, der Mapuche-Gemeinde Trapilhue in Padre las
Casas. Er trägt eine Wollmütze und eine dicke Jacke, ein kalter Wind weht
nach dem Regen. Kühen grasen auf einer Wiese nebenan, ein paar Meter weiter
erntet jemand Gemüse, ein Hahn kräht. Die Gemeinde pflanzt rote Beete,
Salat, Weizen und Hafer an. Ein Teil davon sei für die Selbstversorgung,
einen anderen Teil verkaufen sie auf dem lokalen Markt und einen weiteren
Teil geben sie anderen Mapuche-Gemeinden, die nicht genug Land haben, um
ihre eigenen Lebensmittel anzupflanzen. „Wir unterstützen uns gegenseitig“,
sagt Meliman.
Das Land brauchen sie als Lebensgrundlage. Mapuche heißt übersetzt
„Menschen der Erde“.
Etwa 300 Familien leben in der Gemeinde Trapilhue. Die meisten haben bei
den Präsidentschaftswahlen 2022 für Boric gestimmt. „Aber wir sind
enttäuscht, weil es bisher keine konkreten Fortschritte gegeben hat“, sagt
Meliman. Die Gemeinde Trapilhue hat zwar einen Teil ihres Landes in den
1990er Jahren von der Conadi zurückerstattet bekommen, aber mehr als die
Hälfte fehlt noch.
Seit über zehn Jahren seien sie in Verhandlungen mit der Conadi wegen des
restlichen Landes. Weil die Landrückgaben nur langsam vorangehen, besetzt
die Gemeinde immer wieder das Grundstück und wurde schon mehrfach von der
Polizei unter Gewaltanwendung vertrieben. „Es muss schneller gehen“, sagt
Meliman.
Andere Mapuche haben vollkommen das Vertrauen in den chilenischen Staat
verloren und wenden andere politische Strategien an. Organisationen wie die
Coordinadora Arauco Malleco (CAM) und Weichan Auka Mapu nennen ihre
Strategie „territoriale Kontrolle“. Das heißt, sie besetzen Gebiete, die
sie als ihre ansehen, und verteidigen sie – zur Not auch mit Gewalt. Die
CAM hat den Forstunternehmen den „Krieg erklärt“ und zündet immer wieder
Maschinen und Lastwagen der Unternehmen an. Die Organisation bezeichnet
sich selbst als „antikolonial, antikapitalistisch und revolutionär“.
Als Borics ehemalige Innenministerin Izkia Siches im März 2022 wenige Tage
nach Regierungsantritt in den Süden Chiles reiste, um sich mit
Vertreter*innen der Mapuche zu treffen, verwehrte die Gemeinde
Temucuicui ihr den Zutritt, es wurden Schüsse in die Luft abgefeuert. Der
gescheiterte Annäherungsversuch belastete die Beziehung zwischen den
Mapuche und der neuen Regierung.
Das chilenische Parlament erklärte die CAM und weitere
Mapuche-Organisationen im Juni 2022 zu [4][„rechtswidrigen Vereinigungen
mit terroristischem Hintergrund“]. Zwei Monate später wurde [5][Héctor
Llaitul festgenommen], einer der Anführer der CAM. Er befindet sich seitdem
in Untersuchungshaft. Angeklagt ist er auf Grundlage des Nationalen
Sicherheitsgesetzes.
Llaitul hatte vor seiner Festnahme zum „bewaffneten Widerstand“ aufgerufen,
nachdem die Regierung den Ausnahmezustand über die Mapuche-Regionen
verhängt hatte. Der Ausnahmezustand schränkt demokratische Grundrechte der
Bevölkerung wie die Versammlungs- und Bewegungsfreiheit ein und erlaubt den
Einsatz des Militärs, um „die öffentliche Ordnung zu beschützen“.
Die Maßnahme geht auf den ehemaligen rechten Präsidenten Sebastián Piñera
zurück. Der aktuelle Regierungschef Boric hatte im Wahlkampf versprochen,
das Militär aus dem Gebiet der Mapuche abzuziehen – aber er gab dem Druck
von Rechten und Unternehmern nach und brach das Versprechen im Mai 2022,
nur wenige Wochen nach Regierungsantritt. Anfang August kündigte die
Regierung zudem einen neuen Militärstützpunkt in Traiguén in der
Araucanía-Region an.
Viele Mapuche leben deshalb seit fast zwei Jahren im Ausnahmezustand und
mit eingeschränkten demokratischen Grundrechten, während Militärfahrzeuge
auf den Straßen patrouillieren. Das verschärft den Konflikt.
Im Süden Chiles gibt es viele wirtschaftliche Interessen: Forstplantagen,
Landwirtschaft, Energieprojekte. Naturwälder sind Monokulturen von Kiefern
und Eukalyptusbäumen gewichen. Sie eignen sich besonders gut für die
Herstellung von Zellstoff als Grundlage für die Papierproduktion. Chile
exportiert Zellstoff – nach China und auch nach Deutschland. Außerdem
werden immer mehr Windparks in der Region gebaut – ohne dass die Mapuche
beteiligt würden.
„Die Militärs beschützen die Interessen der Unternehmen, nicht die der
Bevölkerung“, sagt Sergio Catrilaf. „In einer Demokratie sollten wir keine
Militärs auf den Straßen haben.“ Es gebe eine politische Verfolgung der
Mapuche durch den chilenischen Staat, sagt er. Catrilaf war selbst schon
mehrfach im Gefängnis, wurde aber jedes Mal freigesprochen. In einem
Gefängnis in der Stadt Angol in Araucanía sind derzeit 23 Mapuche
inhaftiert.
Und es sind Justizverfahren wie diese, die den Konflikt ebenfalls
eskalieren lassen: Im November 2018 tötete ein chilenischer Polizist den
24-jährigen Mapuche-Aktivisten Camilo Catrillanca mit einem Kopfschusses,
als der in seiner Gemeinde auf einem Traktor bei der Feldarbeit unterwegs
war. Der Auslöser des Polizeieinsatzes war ein vermeintlicher Autodiebstahl
gewesen. Der Polizist wurde zu 16 Jahren Gefängnisstrafe verurteilt. Als
ein Cousin des Aktivisten Catrillanca im Juli 2023 wegen Diebstahls und
versuchten Mordes an einem Polizisten vor Gericht stand, fiel die Strafe
mit 47 Jahren Haft im Vergleich weitaus höher aus.
Bei den landesweiten Protesten 2019 und 2020 wehten in ganz Chile Flaggen
der Mapuche, und das Gesicht von Camilo Catrillanca ist bis heute auf
vielen Mauern zu sehen. Für viele Chilen*innen sind die Mapuche ein
Symbol des Widerstands. Die Protestierenden forderten eine neue Verfassung
für Chile, um die aktuelle zu ersetzen, die noch aus der Pinochet-Diktatur
stammt. Die Mapuche Elisa Loncon wurde im Juli 2021 zur Präsidentin des
Konvents gewählt, der eine solche Verfassung erarbeiten sollte – es war ein
historischer Moment für Chile.
Zum ersten Mal in der Geschichte waren alle zehn indigenen Völker an einem
verfassunggebenden Prozess beteiligt, 17 der 155 Sitze waren für sie
reserviert. Der Entwurf für eine neue Verfassung, den die Versammlung
ausarbeitete, enthielt [6][über 20 verschiedene Normen], um die Rechte der
Indigenen zu beschützen. Chile sollte ein plurinationaler Staat werden nach
dem Vorbild von Ecuador und Bolivien – also ein Staat, in dem viele
Nationen gemeinsam und gleichwertig leben.
Aber der Entwurf wurde abgelehnt. Knapp 62 Prozent stimmten im ganzen Land
gegen den Text. Ausgerechnet in den Regionen, wo die Mapuche leben, waren
es noch mehr. In der Region Araucanía stimmten fast 74 Prozent gegen den
Verfassungsentwurf. Auch die Gemeinde Trapilhue von Javier Meliman lehnte
den Text ab. „Wir hatten nicht genug Informationen“, sagt der
Gemeindesprecher. Niemand sei zu ihnen gekommen, um ihnen den Inhalt des
Verfassungsentwurfs zu erklären. Von dem Konzept „Plurinationalität“ hatt…
viele noch nie etwas gehört.
Es gebe eine Kluft zwischen den Mapuche, die in der Politik und als
Akademiker*innen tätig sind, und dem Rest der Gesellschaft, sagt der
Historiker und Mapuche-Experte Fernando Pairican. „Die politische
Gemeinschaft der Mapuche verliert die Beziehung zum einfachen Volk.“ Die
meisten Mapuche seien zwar für Landrückgaben, aber abstrakte Konzepte wie
Plurinationalität seien nicht für alle verständlich.
„Die Ablehnung des Verfassungsentwurfs ist grundlegend, um die Wende der
Regierung zu verstehen“, sagt Pairican. „Aber die Regierung offenbart auch
ihre Prinzipien gegenüber den indigenen Völkern.“ Anstatt sich weiter für
die Rechte der Indigenen einzusetzen, würde die Linke unter Präsident Boric
sie im Stich lassen und sie für das Scheitern des verfassunggebenden
Prozesses verantwortlich machen.
Der Verfassungskonvent habe gesellschaftliche Fortschritte angestoßen, die
Dekolonialisierung vorangetrieben. Aber die Reaktion darauf sei „eine
rassistische und kolonialistische Offensive der konservativen Sektoren“
gewesen. „Die Indigenen werden bestraft und ihre politische Teilhabe wurde
auf ein Minimum reduziert“, sagt Pairican.
## Die Teilhabe der Mapuche minimiert
Im Mai dieses Jahres wurde ein neuer Verfassungskonvent gewählt – aber
dieses Mal nur mit 51 Mitgliedern und mit nur einem reservierten Sitz für
Indigene – ein Anteil von nur noch zwei Prozent im Vergleich zu den zehn
Prozent im ersten Verfassungskonvent. Den einen Sitz erhielt der Mapuche
Alihuen Antileo. Die rechtsextreme Republikanische Partei erhielt die
meisten Sitze und stimmte einstimmig dafür, die Indigenen nicht am
verfassunggebenden Prozess zu beteiligen.
„Wir erleben gerade eine politische Revanche der Elite gegen das Volk“,
sagt Antileo. Mit den Protesten 2019 und 2020 seien drei politische Akteure
erstarkt: Die Indigenen, die Feministinnen und die Parteiunabhängigen. „Für
die Eliten, die seit Jahrzehnten immer nur unter sich waren, war es
schlichtweg unerträglich, dass all diese Menschen eine neue Verfassung
schreiben würden.“
Anfang November beendete der Verfassungsrat seine Arbeit. Am 17. Dezember
soll die Bevölkerung abstimmen, ob sie den neuen Verfassungsentwurf
annimmt. Antileo ruft die Mapuche und die anderen indigenen Völker Chiles
dazu auf, gegen den Entwurf zu stimmen. „Wir fühlen uns nicht mit
einbezogen in diesen Text“, sagte er, nachdem der Verfassungsentwurf an
Präsident Boric übergeben wurde.
Die Anerkennung der indigenen Völker „als Teil der chilenischen Nation“
wird zwar in einem Artikel erwähnt, aber sie ist nicht mit spezifischen
Rechten verbunden. Das Thema Landrückgaben kommt überhaupt nicht vor.
Sergio Catrilaf und Javier Meliman haben sich mit anderen Gemeinden
zusammengeschlossen, um gemeinsam ihr Land zurückzugewinnen – mit oder ohne
die Unterstützung der Regierung.
14 Nov 2023
## LINKS
[1] https://www.scielo.cl/scielo.php?script=sci_arttext&pid=S0719-124320220…
[2] https://obtienearchivo.bcn.cl/obtienearchivo?id=repositorio/10221/22028/3/F…
[3] https://interferencia.cl/articulos/en-la-medida-de-lo-posible-las-promesas-…
[4] https://www.latercera.com/nacional/noticia/camara-de-diputados-declara-a-la…
[5] https://elpais.com/chile/2022-08-24/detenido-en-el-sur-de-chile-hector-llai…
[6] https://uchile.cl/noticias/189512/que-dice-la-propuesta-constitucional-sobr…
## AUTOREN
Sophia Boddenberg
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