| # taz.de -- Ex-Kommissionsberater über Eurokrise: „Die Wut wird sich entlade… | |
| > Philippe Legrain beriet EU-Kommissionspräsident Barroso zum Beginn der | |
| > Krise. Die Kommission hatte keine Ahnung und folgte Merkel blind, sagt er | |
| > heute. | |
| Bild: Sie sagt, wo es in der EU lang geht: Merkel von oben. | |
| taz: Herr Legrain, bis Ende 2013 haben Sie als Wirtschaftsberater von | |
| EU-Kommissionspräsident Barroso gearbeitet. Nun greifen Sie die Kommission | |
| wegen der Austeritätspolitik an. Warum? | |
| Philippe Legrain: Lassen Sie mich festhalten, dass mich Barroso persönlich | |
| ausgesucht hat. Er war unzufrieden mit seinem letzten Wirtschaftsberater, | |
| der die Krise nicht hatte kommen sehen. Als ich Ende 2010 in der | |
| EU-Kommission ankam, hatte man dort keine Ahnung, wie man mit einer Finanz- | |
| und Schuldenkrise umgehen sollte. | |
| Was war Ihre erste Empfehlung? | |
| Ich habe der Kommission gesagt, dass es vor allem um eine Bankenkrise ging | |
| und dass die Lage in Griechenland eher die Ausnahme war. Meiner Meinung | |
| nach liegt der Schlüssel zur Lösung der Krise in einer Restrukturierung des | |
| europäischen Bankensystems. Was Griechenland betrifft, so empfahl ich eine | |
| Abschreibung der Schulden und ein Investitionsprogramm. | |
| Wie hat Barroso reagiert? Er ist Ihrem Rat nicht gefolgt. | |
| Ich möchte lieber über Politik als über Personen sprechen. | |
| Dann zurück zur Ausgangsfrage: Was haben Sie gegen Austeritätspolitik? | |
| Ich habe nichts gegen eine solide Finanzpolitik. Aber wenn das wahre | |
| Problem im Bankensektor liegt, muss man sich damit beschäftigen, nicht mit | |
| den Symptomen. Stattdessen haben die Politiker aus der griechischen Krise | |
| den falschen Schluss gezogen, dass die Eurozone als Ganzes ein | |
| Schuldenproblem hat. Während sie den Bankensektor außer Acht ließen, | |
| stürzten sie sich in eine kollektive Austerität. Das hat eine derart tiefe | |
| Rezession ausgelöst, dass die öffentlichen Finanzen noch schlechter | |
| dastanden. Und es hat Panik ausgelöst. Denn die Investoren fragten sich | |
| nun, wer das nächste Griechenland sein würde. Als die Panik die Eurozone zu | |
| zerreißen drohte, forderten die Politiker noch mehr Austerität. | |
| Mit welchen Folgen? | |
| In Griechenland ist das Nationaleinkommen um ein Viertel geschrumpft. | |
| Kinder durchwühlen Mülleimer auf der Suche nach Essen, den Krankenhäusern | |
| gehen die Medikamente aus. In Spanien ist mehr als jeder Vierte arbeitslos | |
| und Selbstmord inzwischen die erste Todesursache. Überrascht es da, dass | |
| junge Europäer seit Beginn der Krise noch weniger Kinder in die Welt setzen | |
| und dass alle vier Minuten jemand aus Portugal auswandert? | |
| Wer ist schuld? Die Kommission war ja nicht allein, auch Deutschland hat | |
| auf Austerität bestanden. | |
| Die Kommission sollte eigentlich das gemeinsame europäische Interesse | |
| vertreten. Doch während dieser Krise hat sie sich dafür entschieden, sich | |
| an Deutschland auszurichten. Damit verhinderte sie, dass sich Widerstand | |
| entwickelte. Deshalb dauerte es bis Juni 2012, bis die Staats- und | |
| Regierungschefs Italiens, Spaniens und Frankreichs – ein Liberaler, ein | |
| Konservativer und ein Sozialist – die Bankenunion auf den Weg brachten. | |
| Aber Bundesfinanzminister Schäuble würde Ihnen entgegnen, dass Deutschland | |
| mit dieser Linie auch ganz gut fährt. | |
| Ich glaube nicht, dass das stimmt. Die deutsche Wirtschaft leidet unter | |
| Mangel an Investitionen, die Infrastruktur zerfällt, die Universitäten sind | |
| unterfinanziert. Das Produktivitätswachstum ist noch niedriger als in | |
| Griechenland. Das ist nicht nachhaltig. Zusammen mit dem Schrumpfen der | |
| Bevölkerung wird es in die Stagnation führen. | |
| Statt zu sparen, sollte Deutschland Investitionen fördern? | |
| Ja, und das muss gar nicht zulasten der öffentlichen Haushalte gehen. Der | |
| Privatsektor könnte auch etwas tun, wenn der Dienstleistungssektor | |
| liberalisiert wird, oder durch höhere Löhne. Stattdessen verfolgt | |
| Deutschland das falsche Ziel: den Anteil der Löhne zu minimieren – und das | |
| auf europäischem Level, im Namen der Wettbewerbsfähigkeit! Das ist so | |
| falsch. Wir haben gerade außergewöhnlich niedrige Zinsen. Der Nutzen | |
| kreditfinanzierter Investitionen würde die Kosten weit übersteigen. | |
| Deutschland und die anderen Länder der Eurozone sollten jetzt investieren! | |
| Wenn sich die Kommission Deutschland unterordnet, heißt das dann auch, dass | |
| wir leben in einem „deutschen Europa“ leben? | |
| Wir leben mit Sicherheit in einer deutschen Eurozone. Deutschland wollte | |
| eine zentralisierte Kontrolle der nationalen Budgets – sie wurde | |
| geschaffen. Deutschland wollte keine echte Bankenunion – wir haben sie | |
| nicht bekommen. Als 2007 die Bankenkrise ausbrach, war das erste Opfer die | |
| deutsche IKB. Sie wurde von der Regierung herausgehauen. 2013 hatten wir | |
| immer noch Pleitebanken in der EU, während die USA die Bankenkrise längst | |
| hinter sich hatten. Nach sieben Jahren ist das Problem in Europa immer noch | |
| nicht gelöst, und das wird die Überwindung der Krise weiter behindern. | |
| Glauben Sie nicht an eine kräftige Erholung? | |
| Nein. Wir hatten eine unnötig lange und harte Rezession, die schlimmste | |
| seit den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts. Nun erleben wir den | |
| schwächsten Aufschwung aller Zeiten. Die Gefahr einer langen Stagnation | |
| nach dem Muster Japans ist real. | |
| Glauben Sie, dass die Europawahlen den dringend benötigten Wechsel bringen | |
| können? | |
| Ich befürchte, dass sich die Wut in einem Votum für die Extreme entladen | |
| wird. Dies kann von den Mainstreampolitikern jedoch ganz leicht | |
| zurückgewiesen und neutralisiert werden. Dabei müssten sie eigentlich | |
| Alternativen zur gescheiterten Politik anbieten. Um Europa zu retten, | |
| müssen wir es verändern. | |
| 17 May 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Eric Bonse | |
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