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# taz.de -- Kolumne Brüssel verstehen: Gegen die Monster an den Märkten
> Am 25. Mai wird das neue Parlament gewählt. Aber was haben die
> Europaabgeordneten eigentlich bisher für die Bürger getan?
Bild: Denken immer nur an ihren eigenen Vorteil, diese Monster
Jetzt werden die Klischees vom Europaparlament wieder aus der
Klamottenkiste geholt: Wanderzirkus, Quasselbude, Lobbyistenclub. Diesmal
kommt noch das fatale Urteil des Bundesverfassungsgerichts hinzu, das die
Straßburger Kammer zu einem Parlament zweiter Klasse abgestempelt hat. Das
EP sei nicht so wichtig, deshalb brauche man keine Dreiprozenthürde,
urteilten die roten Roben zuletzt.
Klar, da ist der ewige Streit über die teure Pendelei zwischen Brüssel und
Straßburg und die Macht der Lobbyisten. Und mehr als 15.000
Interessenvertreter sorgen dafür, dass die EU wirtschaftsnah bleibt –
derzeit sind sie vor allem beim geplanten Freihandelsabkommen TTIP aktiv.
All das macht nicht gerade Lust, am 25. Mai seine Stimme abzugeben.
Was haben die Europaabgeordneten überhaupt für mich getan, werden viele
fragen. Für Daimler und BMW haben sie – auf Druck aus Berlin – die
CO2-Grenzwerte nach oben korrigiert. Das ging durch alle Medien. Aber für
die Bürger?
Wer nicht auf Tuchfühlung mit seinem Europaabgeordneten geht, wird kaum von
Erfolgen hören. Denn die heftet sich sofort die Bundesregierung an ihre
Brust. Was Straßburg damit zu tun hat, geht unter.
## Ordentliche Bilanz
Dabei kann sich die Bilanz der siebten Legislaturperiode durchaus sehen
lassen. Die 766 Abgeordneten (darunter 99 Deutsche) konnten zwar nicht die
Finanz- und Eurokrise verhindern. Bei den meisten umstrittenen Maßnahmen
der Euroretter blieben sie sogar völlig außen vor, weil die deutsche
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die übrigen Euroretter das so
wollten. Doch in anderen wichtigen Fragen haben die Europaparlamentarier
erfolgreich Politik zugunsten der Bürger gemacht.
Selbst in Großbritannien, das der EU nicht gerade wohlgesinnt ist, räumt
man dies öffentlich ein. In einer Erfolgsbilanz lobt die BBC unter anderem
die Anti-Tabak-Gesetze und die Abschaffung der Roaming-Gebühren. Das ist
okay, aber überraschenderweise rühmt sie auch die Regulierung des
Finanzmarkts, mit der es längst nicht so weit her ist. Hat doch gerade die
britische Regierung immer wieder versucht, schärfere Regeln für Hedgefonds
oder Banker-Boni zu torpedieren. Viele EU-Gesetze wurden auf Druck der City
of London aufgeweicht.
Für den trotzdem zumindest in Teilen erfolgreichen Kampf des
Europaparlaments gegen die „Monster“ an den Märkten stehen vor allem drei
deutsche Parlamentarier: Udo Bullmann (SPD), Sven Giegold (Grüne) und
Jürgen Klute (Linke). Der frühere Attac-Aktivist Giegold räumt aber auch
eine Niederlage ein: Die geplante neue Finanztransaktionssteuer sei gar
keine. London und Paris hätten sie verhindert, und auch Deutschlands
Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) betreibe „Etikettenschwindel“.
Giegolds Begründung: Die wichtigsten Akteure und etliche Finanzprodukte
seien ausgenommen, Steuerumgehung bleibe einfach.
Besser lief es bei der Privatisierung des Wassers. Sie verhindert zu haben,
heften sich sowohl die Linke als auch die CSU an ihre Fahnen. Den Kampf
begonnen hatte zwar zunächst außerparlamentarisch die Bürgerinitiative
Right2Water, doch dann griffen vor allem deutsche Abgeordnete das Thema auf
und setzten die EU-Kommission unter Druck.
## Lost Generation im Süden
Ein weiteres Beispiel guter Parlamentsarbeit ist die sogenannte
Jugendgarantie. Schon 2010 verabschiedeten die Abgeordneten auf Drängen der
Grünen einen Bericht, der Initiativen gegen die Jugendarbeitslosigkeit
forderte. Brüssel und Berlin stellten sich taub. Das änderte sich erst, als
in Paris eine Linksregierung an die Macht kam und die Sozialdemokraten
Druck machten. Ende 2012 legte EU-Sozialkommissar László Andor schließlich
einen Vorschlag vor. Plötzlich war auch Merkel dafür – schließlich stand
die Bundestagswahl ins Haus.
Allerdings gaben die EU-Chefs nur bescheidene 6 Milliarden Euro für das
Programm frei. Außerdem lässt die Umsetzung auf sich warten. Es wäre also
kein Wunder, wenn sich die Lost Generation im Süden Europas von der EU
abwenden würde. Das neu gewählte Parlament muss Druck machen, um Merkel &
Co. an ihre Versprechen zu erinnern.
Gefordert bleibt das Europaparlament auch bei der Frage Ungarn. Zwar hatten
die Abgeordneten den Machtmissbrauch des ungarischen Regierungschefs Viktor
Orbán angeprangert – gegen hinhaltenden Widerstand von CDU/CSU, die ihn
wegen seiner „christlichen Werte“ lobten. Doch Orbán wurde wiedergewählt.
Ähnlich die Eurokrise: Die EU-Abgeordneten wollen die umstrittene Troika
der Geberländer abschaffen und eine andere, sozialere Antikrisenpolitik
installieren. Doch ausgerechnet der Deutsche Schäuble lehnt beides ab. Auch
der Bundestag hält unbeirrt an der Troika fest. Hier zeichnet sich also ein
Kampf zwischen zwei Parlamenten ab. Die Straßburger „Quasselbude“ fordert
Berlin heraus, wer hätte das gedacht?
8 May 2014
## AUTOREN
Eric Bonse
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Wasserprivatisierung
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