# taz.de -- Ergebnisse aus dem Klimakabinett: Zwei Welten im Regierungsviertel | |
> Draußen fordern Hunderttausende ambitionierten Klimaschutz. Drinnen | |
> stellt die Regierung ihre Ideen dazu vor. Die Diskrepanz könnte nicht | |
> größer sein. | |
Bild: Für viele, wie für Umweltökonom Ottmar Edenhofer, ist es ein „Dokume… | |
BERLIN taz | Was am [1][Freitag auf den Straßen in ganz Deutschland] los | |
war, das haben die Spitzen von Union und SPD durchaus mitbekommen. Die | |
„vielen jungen Leute“ forderten „mit Recht ein, dass wir etwas dafür tun, | |
dass auch sie gute Lebenschancen haben“, sagte [2][Bundeskanzlerin Angela | |
Merkel] gleich zu Beginn der Pressekonferenz, bei der sie die Ergebnisse | |
der 18-stündigen nächtlichen Verhandlungsrunde zum Klimaschutzplan der | |
Regierung vorstellte. | |
Auch Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) betonte: „Fridays for Future hat uns | |
alle aufgerüttelt.“ Und CSU-Chef Markus Söder war voll des Lobes: „Wir | |
müssen allen, die in den letzten Monaten demonstriert haben, danke sagen.“ | |
Die Schüler*innen, die unter dem Motto „Fridays for Future“ seit Monaten | |
für mehr Klimaschutz demonstrieren und die am Freitag in über 500 deutschen | |
Orten zum Klimastreik aufgerufen hatten, wiesen diese Komplimente brüsk | |
zurück – und erhoben harte Vorwürfe. „Wenn man jahrelang nichts für den | |
Klimaschutz tut und dann nach massivem monatelangem Druck aus der | |
Bevölkerung Maßnahmen diskutiert, die mit 1,5 Grad rein gar nichts zu tun | |
haben, ist das kein ‚Durchbruch‘, sondern ein Eklat“, schrieb der | |
bundesweite Koordinierungskreis auf Twitter. | |
Tatsächlich lag das, was die Regierungsparteien erarbeitet hatten, | |
meilenweit weg von dem, was auf der Straße gefordert wurde. Das | |
klimaschädliche CO2 bekommt im Verkehrs- und Gebäudebereich zwar einen | |
Preis – umgesetzt in Form eines neuen, nationalen Emissionshandels. Damit | |
hat sich die Union gegen die Sozialdemokraten durchgesetzt, die stattdessen | |
eine CO2-Steuer gefordert hatten. | |
## 10 Euro – statt 180 | |
Gestartet werden soll im Jahr 2021 alles nur mit einem Festpreis von nur 10 | |
Euro pro Tonne, was eine Steigerung des Benzin- und Dieselpreises von etwa | |
3 Cent pro Liter bedeutet. Bis 2025 soll dieser auf 35 Euro ansteigen, ab | |
2026 soll er dann in einem Korridor von 35 bis 60 Euro liegen. Für die Zeit | |
danach gibt es noch keine Pläne. | |
Damit bleibt die Bundesregierung nicht nur meilenweit hinter den | |
Forderungen von Fridays for Future zurück, die einen Preis von 180 Euro pro | |
Tonne fordern. Auch der Umweltökonom Ottmar Edenhofer vom Thinktank MCC, | |
der die Regierung in dieser Frage beraten hat, hat einen kurzfristigen | |
Einstiegspreis von 50 Euro pro Tonne gefordert, der bis 2030 auf 130 Euro | |
steigen soll. | |
Entsprechend enttäuscht zeigte er sich und nannte das Papier ein „Dokument | |
der politischen Mutlosigkeit“. Mit dieser Entscheidung werde die | |
Bundesregierung die selbstgesteckten Klimaziele für 2030 nicht erreichen. | |
Auch Patrick Graichen, Chef des Instituts Agora Energiewende, reagierte | |
entsetzt. „Die CO2-Bepreisung ist ein schlechter Scherz: Die 10 Euro pro | |
Tonne CO2 entfalten keinerlei Lenkungswirkung, und die jährliche Anhebung | |
ist so homöopathisch, dass das kaum mehr als die Inflationsentwicklung | |
ist“, sagte er. | |
Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) erklärte, auch sie hätte sich | |
einen höheren CO2-Preis gewünscht. Merkel verteidigte die Pläne dagegen. | |
„Wir fangen niedrig an, um Menschen mitzunehmen“, sagte sie. Der Preis sei | |
„ein Kompromiss – aber einer, der trotzdem seine Lenkungswirkung entfalten | |
kann“. | |
## Schlechtere Bedingungen für Windkraft | |
Kritik gab es auch an den Plänen zum Ausbau der erneuerbaren Energien. Hier | |
wird zwar der Deckel für neue Solarkraftwerke abgeschafft und das | |
Ausbauziel für Wind auf See erhöht. Für Windkraft an Land wird dagegen ein | |
Mindestabstand von 1.000 Metern zur Wohnbebauung neu eingeführt. „Die | |
Bedingungen für Windkraftanlagen werden verschlechtert.“ | |
Enthalten sind im Paket daneben viele finanzielle Anreize, über die | |
teilweise schon im Vorfeld Einigkeit erzielt worden war: So wird die | |
Mehrwertsteuer für Bahnfahrkarten im Fernverkehr von 19 auf 7 Prozent | |
gesenkt, was sie entsprechend billiger macht. Zur Finanzierung dieser | |
Maßnahme wird die Flugticketabgabe erhöht. | |
Bei der Kfz-Steuer soll die Klimafreundlichkeit der Fahrzeuge künftig | |
stärker berücksichtigt werden; Details dazu fehlen aber noch. Steigen soll | |
auch der finanzielle Zuschuss beim Kauf eines Elektroautos. Neu eingeführt | |
wird ein Bonus beim Ersatz einer Ölheizung. Ab 2026 soll der Einbau neuer | |
Ölheizungen komplett verboten werden. | |
## Keine neuen Schulden, kein politischer Mut | |
Das Gesamtvolumen des Vorhabens bezifferte Finanzminister Olaf Scholz bis | |
zum Jahr 2023 auf 54 Milliarden Euro. Finanziert werden soll es ohne neue | |
Schulden, vor allem aus den Einnahmen, die mit den Plänen generiert werden. | |
Im Gegenzug für die Einführung des CO2-Preises soll die EEG-Umlage beim | |
Strompreis minimal um 0,25 Cent pro Kilowattstunde gesenkt werden, was | |
einer Durchschnittsfamilie eine jährliche Ersparnis von 8 Euro bringt. Um | |
Pendler*innen zu entlasten, soll die Pendlerpauschale ab dem 21. Kilometer | |
um 5 Cent angehoben werden. | |
Positive Reaktionen auf das Vorhaben der Großen Koalition kommen etwa vom | |
Wirtschaftsrat der Union, dem Bund der Steuerzahler und der FDP – sie alle | |
loben den Emissionshandel für Verkehr und Gebäude. | |
Von den Umwelt- und Verbraucherverbänden dagegen kommt Ablehnung: Eine | |
„bittere Nachricht für die Klimaschützer, die heute demonstriert haben“, | |
sagte etwa BUND-Chef Hubert Weiger. Der Vorschlag bleibe „deutlich hinter | |
den Erwartungen“, moniert der Verbraucherverband vzbv. Auch der | |
Unternehmensverband Deneff für Energieeffizienz findet das Paket „bei | |
Weitem nicht ausreichend“, für Greenpeace fehlen der Regierung „die | |
moralische Verantwortung und der politische Mut“. | |
Für die Grünen kritisierte die Parteivorsitzende Annalena Baerbock: „Das | |
ist eine Abkehr von den Pariser Klimazielen und von unserer Zukunft.“ Der | |
klimapolitische Sprecher der Linken, Lorenz Gösta Beutin, empfindet das | |
geplante Klimaschutzgesetz als „leere Hülle, weil Anreize und | |
Emissionshandel nicht ausreichen, um die Dekarbonisierung schnell genug zu | |
schaffen“. | |
## Alles nur eine Kurzfassung | |
Tatsächlich sieht die Regelung zwar vor, dass das „Klimakabinett“ auch | |
weiter tagen soll, um die Fortschritte zu beurteilen. Dazu soll es auch | |
Hilfe eines Expertenrats geben. „Dieser Mechanismus ist eine Art Garantie | |
dafür, die Ziele zu erreichen“, sagte Kanzlerin Merkel. | |
Wichtige Fragen bleiben aber schwammig, denn verabschiedet wurde zunächst | |
nicht das komplette Klimaschutzprogramm, sondern nur eine 20-seitige | |
Kurzfassung. | |
Offen bleibt etwa, ob die Ressorts weiter eigenverantwortlich ihre | |
Emissionen senken müssen und was passiert, wenn sie daran scheitern. Ebenso | |
unklar ist, was passiert, wenn nach 2026 im Emissionshandel nicht genügend | |
Zertifikate vorhanden sind. Dem Papier zufolge sollen sie von anderen | |
Staaten zugekauft werden – das aber ist genau die „Strafzahlung“ an die E… | |
die durch das ganze Klimaschutzpaket eigentlich vermieden werden sollte. | |
20 Sep 2019 | |
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[1] /Aktionstag-gegen-die-Erderhitzung/!5627792 | |
[2] /Klima-Bilanz-der-Merkel-Aera/!5624314 | |
## AUTOREN | |
Malte Kreutzfeldt | |
Bernhard Pötter | |
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