# taz.de -- Berliner Musikszene in der Corona-Krise: Eine Branche vor dem Abgru… | |
> Kleine und große Konzertveranstalter leiden stark unter der Pandemie. | |
> Existenzen sind bedroht. Was bleibt, ist die Hoffnung auf bessere Zeiten. | |
Bild: So schön war’s noch vor ein paar Monaten in Huxleys Neuer Welt, einem … | |
BERLIN taz | Neben ein paar hundert weiteren Zuschauern eine tolle Band bei | |
einem Clubkonzert erleben, eine HipHop-Show beklatschen, in einem | |
Neuköllner Mini-Jazz-Club abhängen, pogen, stagediven – das alles gab es | |
lange nicht, und das wird es in Berlin auch noch lange nicht wieder geben. | |
„500 betrunkene Leute bei einem Konzert, die grölen und schwitzen: Vor | |
nächstem Jahr im Sommer wird man das nicht erleben, denke ich“, ist sich | |
Nanette Fleig vom Kreuzberger Club SO 36 sicher. | |
Egal, mit wem man spricht aus der Berliner Konzertbranche: Vor März, April | |
nächsten Jahres rechnet niemand ernsthaft damit, dass es wieder Shows in | |
Live-Venues gibt. Die zweite Welle scheint anzurollen, keiner weiß genau, | |
wie sich die Coronalage im Herbst entwickelt, ob vielleicht doch noch ein | |
weiterer Lockdown kommt. Daher die ernüchternden Prognosen. | |
In den Konzertagenturen der Hauptstadt waren sie in den letzten Monaten mit | |
kaum etwas anderem beschäftigt, als Konzerte abzusagen. Oder, so es | |
irgendwie möglich war, diese zu verschieben, immer wieder neu ins Ungewisse | |
hinein. | |
„Die letzte Zeit habe ich so viel gearbeitet wie seit Jahren nicht“, sagt | |
der Konzertveranstalter Berthold Seliger. „Die Tour der Band Van der Graaf | |
Generator habe ich gerade zum dritten Mal verschoben. Von April 2020 auf | |
September. Dann von September auf März. Ich gehe aber nicht davon aus, dass | |
in der nächsten ersten Jahreshälfte schon wieder Tourneen stattfinden | |
werden. Deswegen habe ich erneut verschoben, auf September 2021.“ In Berlin | |
soll die englische Prog-Rockband dann ebenfalls auftreten. | |
## Verlegte Shows ohne Ende | |
Auch bei Trinity, Berlins lokalem Veranstalter, der mit mehr als 900 | |
Konzerten im Jahr so viele Live-Shows wie kein anderer in der Stadt | |
organisiert, herrscht auf der Homepage reges Treiben. Abgesagte, | |
verschobene, in andere Locations verlegte Shows ohne Ende. Und zu den | |
bereits verlegten Terminen kommen ständig neue Konzertankündigungen hinzu. | |
Allein für den September kann man, nach aktuellem Stand, für 38 Events | |
Karten für Trinity-Veranstaltungen erstehen, für den Oktober gar für 41. | |
Auch wenn kaum jemand wirklich glaubt, dass von diesen irgendeine auch | |
wirklich stattfindet. „Wir müssen eben für den Fall gerüstet sein, dass wir | |
plötzlich doch wieder Konzerte veranstalten können“, sagt Nanette Fleig vom | |
SO36, das für September auch wieder Live-Events ankündigt: „Sonst stehen | |
wir im Fall der Fälle auch weiterhin ohne Einnahmen da.“ | |
Existenziell bedroht ist die Clubkultur genauso wie die Konzertbranche. | |
Doch wäre morgen Corona vorbei und die Dance-Clubs hätten sich genau wie | |
die Konzertveranstalter und -venues nicht auf diesen Moment vorbereitet, | |
könnte es schon am Wochenende drauf in den Clubs wieder hoch hergehen. | |
Während in den Berliner Konzerthallen für die nächsten Monate erst einmal | |
weiter die Lichter ausblieben. In Berlin gäbe es genügend DJs, die in den | |
ersten Wochen nach der Pandemie relativ spontan auf Partys auflegen würden. | |
Zur Not würde es auch reichen, den Hausmeister hinters DJ-Pult zu stellen. | |
Auch er könnte kaum etwas falsch machen, so gierig sind die Leute nach | |
Partys. | |
## Ein global vernetzter Betrieb | |
Für die Veranstaltung eines Live-Konzerts jedoch braucht es eine | |
monatelange Vorlaufzeit, um die sechs Monate bis zu einem Jahr. Die meisten | |
Acts aus dem Pop- und Rockbereich kommen aus den USA oder Großbritannien. | |
Im Normalfall geben sie im Rahmen von Tourneen ihre Konzerte in Europa. | |
Diese Tourneen und damit Auftritt für Auftritt in verschiedenen Städten | |
müssen von langer Hand geplant werden. Genügend Zeit für Werbung und | |
Ticketvorverkauf muss außerdem eingeplant werden. | |
Ein riesiger, global vernetzter Betrieb hinter den Kulissen wird deswegen | |
in der Livebranche am Laufen gehalten, der allein auf Eventualitäten | |
abzielt – und dessen Triebfeder vor allem reine Hoffnung ist. | |
Die Frage ist, wie lange die Branche der Konzertveranstalter durchhält, | |
wenn sie immer nur vorbereitet und vorbereitet – darauf aber nichts folgt. | |
Die von Monika Grütters, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und | |
Medien, initiierte und von der Bundesregierung verabschiedete | |
Gutscheinlösung ist auf den ersten Blick eine gute Hilfe für | |
Konzertveranstalter. Denn die dürfen Käufern von Tickets für Konzerte, die | |
wegen Corona ausfallen oder verschoben werden, Gutscheine ausgeben. Diese | |
können dann beim Nachholtermin des Konzerts oder bei einem anderen Angebot | |
des Veranstalters eingelöst werden. | |
## Die Firmen bleiben liquide – aber | |
Die Veranstalter generieren also weiterhin Einnahmen, allerdings für | |
Events, bei denen man sich nicht hundertprozentig sicher ist, wann sie | |
genau – und ob überhaupt – stattfinden. Die Firmen bleiben liquide, jedoch | |
dank Geld, das ihnen eigentlich noch gar nicht gehört. Darin liegt auch | |
eine große Gefahr. Lösen die Ticketkäufer im Laufe des nächsten Jahres ihre | |
Gutscheine nicht ein, weil Corona weiterhin den Konzertbetrieb lähmt, | |
bekommen sie ihr Geld zurück. Diese Situation würde wohl so einige | |
Konzertveranstalter finanziell überfordern. | |
Eigentlich dürfen ja wieder Live-Shows in Konzerthallen stattfinden. | |
Aktuell für 500 Besucher, ab September dann für 750, ab Oktober für | |
immerhin schon 1.000 Besucher. Doch Nanette Fleig vom SO36 sagt, bei | |
Einhaltung der Abstandsregeln könnten in ihren Club nicht mehr als 60 | |
Besucher gelassen werden. „Und wenn man bedenkt, dass 60 Leute auch weniger | |
an der Bar konsumieren als 600, müssten die Tickets für so ein Konzert ja | |
600 Euro kosten“ rechnet sie vor. | |
Auch André Krüger, Geschäftsführer von Channel Music, einer mit Trinity | |
verbandelten Firma, die mehrere Konzertvenues in Berlin betreibt, sagt: | |
„Konzerte unter Einhaltung der Infektionsschutzverordnung zu veranstalten | |
ist für die ganze Branche nicht darstellbar. Wir können Hygienemaßnahmen | |
umsetzen. Auch eine lückenlose Kontaktdatenerhebung über personalisierte | |
Tickets ist möglich. | |
Aber Mindestabstände einzuhalten heißt: in einem Achtel der ursprünglichen | |
Kapazitäten zu spielen. Dann braucht man eine rund 3.000 Quadratmeter große | |
Grundfläche, um 700 Leute in eine Halle lassen zu dürfen. Das ist | |
kostentechnisch weder für die Konzertveranstalter noch für die Venues | |
umsetzbar.“ | |
## Es gibt Konzerte: Open Air! | |
Freilich gibt es sie auch, die Corona-Vorschriften-gemäßen Konzerte. Meist | |
jedoch als Open-Air-Veranstaltungen und dank finanzieller Unterstützung. In | |
München treten noch bis Mitte September zig Bands auf einer kleinen | |
Sommerbühne im Olympiastadion auf. Die Konzerte kosten nichts, 400 | |
Zuschauer sind erlaubt. Der Verband der Münchener Kulturveranstalter gönnt | |
sich das. Im Rahmen ihres eben begonnenen Sommerfests gibt es auch im | |
Veranstaltungsort Kampnagel in Hamburg mehrere Open-Air-Konzerte. Die | |
Berliner Sängerin Christiane Rösinger etwa wird dort auftreten – vor nicht | |
mehr als den erlaubten 99 Zuschauern. Und auf der Sommerterrasse im Haus | |
der Kulturen der Welt in Berlin finden gerade ebenfalls kleine Live-Shows | |
statt. | |
„Vor allem in geförderten Einrichtungen mit einem Budget für Konzerte kann | |
man solche Events veranstalten“, so Wieland Krämer von Powerline, dessen in | |
Berlin ansässige Agentur auch für Rösingers Auftritt in Hamburg zuständig | |
ist. Und er fügt hinzu: „In einem Club vor 30 bis 50 Zuschauern auf Kasse | |
zu spielen macht keinen Sinn.“ | |
Unterhält man sich mit Vertretern der Live-Branche, ist angesichts der | |
dramatischen Lage kaum Zuversicht zu spüren. „2020 war ein Totalausfall für | |
das Live-Entertainment, 2021 wird ein Reparationsjahr“, so André Krüger von | |
Channel Music. Das klingt noch ein bisschen nach Hoffnung. | |
Hört man dagegen Norbert Jackschenties vom Kreuzberger Privatclub zu, einem | |
eher kleinen, aber sehr beliebten Konzertveranstaltungsort, möchte man | |
diesen am liebsten in den Arm nehmen, so deprimiert hört er sich an. | |
„Beschissen“ gehe es ihm, sagt er, „sowohl emotional als auch geschäftli… | |
Seit vier Monaten habe ich Magenschmerzen.“ | |
## „Nicht mehr lange durchhalten“ | |
Das Schlimmste sei: „Es gibt keine Perspektive. Nicht die Idee einer | |
Perspektive, wann kleine bis mittlere Clubs wieder ihren Betrieb aufnehmen | |
können“, sagt Jackschenties. „Das wird schiefgehen. Ich werde auch nicht | |
mehr lange durchhalten können.“ | |
Die Hilfen des Staates seien bislang einfach nicht ausreichend, zumindest | |
nicht für ihn. „Ich habe Soforthilfen von 15.000 Euro für die ersten drei | |
Monate nach Corona bekommen. Aber meine Kosten in diesem Zeitraum betrugen | |
über 25.000 Euro.“ Im Rahmen der „Soforthilfe IV“, einem Rettungsschirm … | |
Berliner Clubs, der vom Senat verabschiedet wurde und der 30 Millionen Euro | |
umfasst, wurde Jackschenties bislang auch noch nicht bedacht. Die | |
bisherigen Zahlungen gingen erst einmal an Betriebe mit mehr als zehn | |
Angestellten. Jackschenties aber hat nur drei feste Mitarbeiter. | |
Immerhin: Ab September sollen auch kleine Läden wie der Privatclub mit | |
wenigen Festangestellten von der „Soforthilfe IV“ profitieren können. | |
Am Live-Geschäft partizipieren viele Akteure, nicht nur Konzertveranstalter | |
und Clubbetreiber, sondern auch Catering-Services, Security-Unternehmen, | |
Tontechniker, Roadies, Beleuchter bis hin zu Busfahrern. Und Konzertkassen | |
wie Koka 36 mit Sitz in der Oranienstraße in Kreuzberg, die es bereits seit | |
25 Jahren gibt. „Wir verdienen gerade nur einen Bruchteil von dem, was wir | |
vor Corona verdient haben. Der reale Umsatz ist um 95 Prozent | |
zurückgegangen“, so deren Geschäftsführer Christian Raschke. Er wisse von | |
sechs kleinen Theater- und Konzertkassen in Berlin, die bereits aufgeben | |
mussten. | |
## „Alle 20 Mitarbeiter in Kurzarbeit“ | |
Ähnlich hört sich das bei Mihai Danzke von der Firma Kulturplakatierung an, | |
die unter anderem für Trinity die Konzertplakatwerbung verantwortet: „Uns | |
gibt es seit dreißig Jahren. Wir haben nie Verluste gemacht. Aber aktuell | |
haben wir null Umsatz. Alle 20 Mitarbeiter sind in Kurzarbeit.“ | |
Bei Trinity und Channel Music spielt sich das Elend noch einmal in ganz | |
anderen Dimensionen ab. Trinity beschäftigt 35 Mitarbeiter, alle sind in | |
Kurzarbeit, außer dem Ticketing und den Konzertbookern, die in Teilzeit | |
weiter fleißig Events verlegen und organisieren. | |
Channel Music beschäftigt 86 feste Angestellte, außerdem 150 | |
Gastroaushilfen und 50 Soloselbstständige. Alle sind in Kurzarbeit oder | |
haben Grundsicherung beantragt. Für die Läden, die die Firma betreibt, das | |
Quasimodo, Musik & Frieden, Huxley's Neue Welt, das Metropol, die | |
Freiluftbühne an der Zitadelle in Spandau und einen ganz neuen Laden in | |
Neukölln, das ehemalige Galaxy, jetzt Hole 44 – das eigentlich diesen | |
Sommer eröffnen sollte, was aber auf unbestimmte Zeit verschoben ist –, | |
fallen monatlich um die 70.000 bis 100.000 Euro laufende Kosten an, so | |
André Krüger. | |
Vom „Soforthilfeprogramm IV“ habe noch nicht einer seiner Clubs profitieren | |
können, da man sich momentan ja vermeintlich noch über Kredite | |
refinanzieren könne. Verständnis hat Krüger für die Ablehnung der Berliner | |
Soforthilfeanträge nicht. Um die 1.000 Konzerte mit über 360.000 Besuchern | |
haben 2019 in den Channel Venues stattgefunden. „Ja, wir sind | |
kulturrelevant“, findet Krüger, „und wir brauchen eine klare Perspektive, | |
wann und wie wir wieder öffnen dürfen.“ | |
## Offener Brief der Veranstaltungs- und Eventbranche | |
Langsam die Kapazitäten wieder hochfahren, das ist dabei der Weg, den | |
Krüger sich vorstellt. Erst 30 Prozent, dann vielleicht 50 oder 60 Prozent. | |
„Aktuell würden wir Geld dafür bekommen, dass wir unsere Clubs geschlossen | |
halten. Aber eigentlich bräuchten wir Subventionen oder einen finanziellen | |
Ausgleich, um auch mit reduzierten Kapazitäten wieder geordnet und | |
kostendeckend beginnen zu können“, sagt er. „Wenigstens würden dann auch | |
wieder ein paar unserer Mitarbeiter und die unserer beteiligten | |
Dienstleister etwas Arbeit bekommen.“ | |
In einem offenen Brief der Berliner Veranstaltungs- und Eventbranche, den | |
Krüger mit unterschrieben hat, wird sogar ein noch rascherer Restart in | |
Raten gefordert. 60 Prozent der Kapazitäten würde man gern wieder ab 25. | |
Oktober und 80 Prozent ab 1. Dezember bespielen. Zu Beginn des nächsten | |
Jahres soll mit maximaler Kapazität der Betrieb hochgefahren werden dürfen. | |
André Krüger findet, Konzerte in Livespielstätten müssten bei den | |
Planspielen um einen Restart auch anders bewertet werden als Clubs im | |
Allgemeinen. „Im Moment gibt es pauschale Personenobergrenzen für | |
Indoor-Veranstaltungen. Dabei werden die strukturellen Voraussetzungen des | |
Veranstaltungsorts, was die Grundfläche, Zugangsmöglichkeiten und Belüftung | |
angeht, gar nicht berücksichtigt. Im Huxley's etwa haben wir eine | |
Deckenhöhe von fast 12 Metern und eine Belüftung, die innerhalb von 25 | |
Minuten die ganze Luft austauscht“, sagt Krüger. | |
Man könne außerdem für geordneten Einlass sorgen, über personalisierte | |
Tickets eine lückenlose Kontaktdatenerhebung gewährleisten, die allgemeinen | |
Hygienemaßnahmen umsetzen, mit Security die Besucher darauf hinweisen, sich | |
einigermaßen coronagerecht zu verhalten und eine Maskenpflicht bei den | |
Besuchern durchsetzen. Nach etwa eineinhalb Stunden Show sei ja auch schon | |
wieder alles vorbei. | |
## Ein sehr schwieriges nächstes Jahr | |
Aber auch wenn bald der Konzertbetrieb langsam wieder hochgefahren werden | |
würde, dürfte es für einen lokal relativ großen Vielveranstalter wie | |
Trinity ein sehr schwieriges nächstes Jahr werden. Die Firma organisiert | |
große Open Airs in der Zitadelle oder Waldbühne genauso wie Auftritte von | |
Indiebands in kleineren Clubs. „Am Ende des Tages wird jedoch bei uns nur | |
mit den größeren Shows wirklich Geld verdient“, so André Krüger. | |
Konzerte in den kleineren Läden mit bis zu 800 Zuschauern, das, was Berlin | |
so ausmache, das seien meist Minusgeschäfte. Die man halt so mitnehme, weil | |
das gute Möglichkeiten seien für Bands, die in der Zukunft vielleicht | |
erfolgreich sein werden und deren Durchführung entsprechend essentiell ist. | |
„In dem Moment, in dem uns Corona jedoch die Möglichkeit nimmt, größere | |
Konzerte zu veranstalten, haben wir das Problem, dass wir die kleinen | |
Sachen eigentlich gar nicht mitfinanzieren können“, sagt er. | |
Aktuell reicht die Fantasie des Berliner Senats nicht über die erlaubten | |
1.000 Zuschauer hinaus, die ab Oktober bei Indoor-Veranstaltungen | |
zugelassen sein werden. Bliebe es bis auf Weiteres dabei, wären die für die | |
Querfinanzierung von Trinity nötigen größeren Konzerte mit zig Tausenden | |
Zuschauern auch weiterhin verboten. Dazu komme, so Krüger, dass die großen | |
Europatourneen der internationalen Künstler auch von den | |
Corona-Entwicklungen in den europäischen Ländern abhängig seien. | |
Blieben die etwas größeren nationalen Künstler. „Da ist aber das Problem�… | |
so der Channel-Music-Chef, „dass du keine Tournee für diese hinbekommen | |
wirst, wenn du aufgrund der von Bundesland zu Bundesland unterschiedlichen | |
Coronaregelungen in Nordrhein-Westfalen vor 2.000 Leuten oder mehr spielen | |
kannst, in Berlin aber nur vor 750. Auf Bundesebenen müssen erst einmal | |
klare Vorgaben für unsere Branche geschaffen werden.“ | |
## Eine tiefe Krise | |
Der Live-Entertainment-Sektor steckt in einer tiefen Krise, die anhalten | |
wird. Was aber, wenn er nicht bald wieder damit beginnen kann, sich langsam | |
aus der prekären Lage herauszuschaufeln? Wenn die Staatshilfen alle weiter | |
nicht eins zu eins helfen, wie Norbert Jackschenties vom Privatclub klagt? | |
Dann wird sich das Konzertgeschehen in Berlin massiv ändern. Auch so glaubt | |
Veranstalter Berthold Seliger schon jetzt, dass es „25 bis 30 Prozent der | |
kleineren Agenturen im nächstes Jahr nicht mehr geben wird. Das ist ein | |
Problem, da wir dann langsam nur noch die Gleichförmigkeit und den | |
Einheitsbrei haben, den die großen Firmen veranstalten.“ Er befürchtet gar | |
regelrecht einen Verdrängungswettbewerb. „Die Großen haben irrsinnige | |
Kriegskassen. Sie werden länger überleben, haben einen längeren Atem als | |
die kleinen Firmen. Natürlich werden die Großen versuchen, kleinere | |
Unternehmen aufzukaufen. Ich glaube, das wird nicht zum Wohl der | |
kulturellen Vielfalt sein.“ | |
Auch droht einigen der kleineren Konzertvenues der Kollaps, warnt Norbert | |
Jackschenties vom Privatclub. Kleineren Acts und Newcomern, die zu einer | |
lebendigen Konzertlandschaft einfach dazugehören, würden dann die passenden | |
Orte für Auftritte wegfallen. | |
Olaf Kretschmar könnte sich sogar gut vorstellen, dass sich das Erlebnis | |
Konzertbesuch wegen und nach Corona nachhaltig verändern werde. Kretschmar | |
ist Vorstandsvorsitzender der Berlin Music Commission, eines Lobbyverbands | |
der hiesigen Musikwirtschaft. Das Live-Entertainment werde nach Corona ganz | |
anders funktionieren als bisher, glaubt Kretschmar. Während des | |
Corona-Lockdowns boomten Onlinekonzerte. Kaum ein Musiker, der sich nicht | |
via Stream mit der Gitarre in der Hand aus seinem Wohnzimmer bei seinen | |
Fans meldete. Live-Konzerte via Plattformen wie Youtube boomen immer noch. | |
Techfirmen arbeiten nun zunehmend daran, diese Online-Auftritte immer | |
weiter zu verbessern. | |
## Konzerte mit digitalen Mitteln | |
Das alles wird nicht einfach wieder verschwinden, glaubt Kretschmar. Von | |
Hybridmodellen ist inzwischen schon die Rede, davon, das reale | |
Konzerterlebnis stärker mit technischen Innovationen zu verknüpfen. | |
Die Berlin Music Commission hat nun gemeinsam mit dem Musikrat Berlin die | |
Initiative „Transform-Music“ ins Leben gerufen. Deren Ziel ist es, | |
„zukunftsweisende und aktuelle Entwicklungen im digitalen Bereich, an der | |
Schnittstelle zwischen Musik und Technologie“, aufzuzeigen. In einem | |
Positionspapier der Initiative zum Thema virtuelle Konzerte ist dann viel | |
die Rede von Virtual- und Augmented-Reality, von komplexen, simulierten | |
3-D-Welten, von der Überlagerung der realen Welt mit digitalen Inhalten. | |
Der echte Konzertbesuch wäre nach diesen Visionen nur noch eine Möglichkeit | |
neben anderen, digitalen Formaten, einen Live-Act zu erleben. | |
Kretschmar glaubt zudem, dass wegen Corona entwickelte Technik auch die | |
ganze Art der Live-Präsentation auf Dauer verändern werde. „Es wird mehr | |
Interaktion von Musikern mit Zuschauern geben und eine Vernetzung des | |
Publikums durch digitale Tools.“ | |
Anstatt das Handy zu verbieten, wie es zuletzt immer mehr Musiker taten, um | |
nicht ständig dem nervigen Gefilme der Handykamera ausgesetzt zu sein, wird | |
es also demnächst bei Live-Events vielleicht heißen: Angeschaltetes Handy | |
unbedingt mitbringen. | |
Wobei das Handy ja jetzt auch schon auf Konzerten ausdrücklich erwünscht | |
ist: wegen der Corona-App. | |
15 Aug 2020 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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