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# taz.de -- Zu Ehren des Komponisten Moondog: Durch Hamburg mit dem Mondmobil
> Zum Kampnagel-Festival fuhren Thies Mynther, Veit Sprenger und Tobias
> Euler durch Hamburger Kieze. Ihre „Moon Machine“ ist eine Hommage.
Bild: Nicht mit dem Batmobil, sondern der „Moon Machine“ durch Hamburgs Str…
Da steht es, unter den Bäumen der Moorweide, in Wurfweite des Hamburger
Dammtorbahnhofs. Ein seltsames Gefährt auf vier Rädern, ein
überdimensionierter Leierkasten, mit Anleihen an persische Sänften und
jamaikanische Soundsystems.
Darauf zwei Männern in langen schwarzen Roben, die an die minimalistische
Kluft der Bauhaus-Künstler erinnert. Beide bedienen Keyboards und Laptops.
Der mit dem kahlen Schädel loopt ein sanftes Fender-Rhodes-Motiv, der mit
dem Pferdeschwanz singt lautmalerisch die Melodie des „Bird’s Lament“ daz…
Eine unglaubliche Komposition im Stile einer barocken Chaconne, im Original
kaum zwei Minuten lang: unruhige Perkussion, Bläser und Streicher, die sich
hymnisch umtänzeln, ein süchtig machendes Thema. Vor mehr als 50 Jahren
schrieb es der US-Amerikaner Louis Thomas Hardin. Hardin war jahrzehntelang
ein Straßenmusiker, der seine Instrumente selbst baute und Stücke schuf,
die selbst Leonard Bernstein zum Staunen brachten.
Als [1][Moondog] wurde er weit über die Straßen Manhattans hinaus bekannt,
ehe er Anfang der siebziger Jahre von dort verschwand. Und ausgerechnet in
Westdeutschland wieder auftauchte. Auf einmal stand der blinde Musiker in
den Fußgängerzonen von Hannover und Recklinghausen. Und hier: auf einer
Wiese am Hamburger Dammtor.
## Mit Rauschebart, gehörntem Helm und Speer
Da, wo einst der zwei Meter große Moondog stand, mit Rauschebart,
Lederumhang, gehörntem Helm und einem Speer in der Hand, parkt nun die
„Moon Machine“. Die „interventionistische Musikmaschine“ ziert Hörner …
und rechts und am Heck neben dem Speaker eine von Moondog-Porträts
eingerahmte Sanduhr; überall hängen Instrumente. Bunte Sonnenschirme
schützen die Performer notdürftig vor dem langsam einsetzenden Regen.
Der Zug setzt sich in Bewegung. „No love, no hate, just parade“, ruft Thies
Mynther, der Mann mit dem kahlen Schädel, ins Mikrofon. Die „Moon Machine“
hat der Komponist gemeinsam mit dem Theatermacher Veit Sprenger und dem
bildenden Künstler Tobias Euler entwickelt. Während Mynther und Sprenger
musizieren, muss Euler, in Shorts und Basecap, das Gefährt wie einen
Bollerwagen ziehen. Der Dieselgenerator reicht gerade mal aus, um die
Technik mit Strom zu versorgen.
Ziel der Parade: das Außengelände einer ehemaligen Maschinenfabrik in
Hamburg-Winterhude. Die [2][Kulturfabrik Kampnagel zollt bei ihrem
diesjährigen Sommerfestival] dem vor 21 Jahren verstorbenen Moondog Tribut.
[3][Mynther ist auf Kampnagel schon mit Tocotronic]-Sänger [4][Dirk von
Lowtzow] aufgetreten. Er hat mit [5][Die Sterne], Bernd Begemann, Superpunk
und Tellavision performt – also eigentlich mit allen Hamburger Rockbands
von Bedeutung. Kurz vor der Parade schwärmt Mynther von den humorvollen
Texten und den Kompositionstechniken Moondogs.
## Eine „Kunstgebung“ für den Mondhund
„Er ist ja auch wegen Bach nach Deutschland gekommen. Dessen Kunst der Fuge
hat ihn genauso beeinflusst wie die Rhythmen der Blackfoot-Ureinwohner, die
er als Kind erlebte.“
Die Parade überquert den Mittelweg und erreicht die Außenalster.
„Wortspiele mit Kunst sind ja eigentlich verboten. Aber was wir hier
machen, ist eine Kunstgebung“, erklärt Veit Sprengler. Der Zug ist
ordentlich als Demonstration angemeldet, die 50-Teilnehmer-Grenze wird
knapp unterschritten. Das Blaulicht vorweg lenkt die Aufmerksamkeit auf den
bunten Holzwagen. „Dies ist kein Batmobil, dies ist die Moon Machine!“,
skandiert Sprengler.
Eine Gruppe Abiturienten mit Bierkästen und Polohemden wartet mit offenen
Mündern darauf, die Straße überqueren zu können. Kurz vor der
Krugkoppelbrücke: Tankstopp, der Generator wird befüllt. Es geht an Villen
vorbei, die Moondog auch mit hunderttausend Jahren Straßenmusik nicht hätte
bezahlen können. Während sie performen, rührt Sprengler für sich und
Mynther einen Matcha-Tee an.
Die Moon Machine ist im „Avant-Garden“ von Kampnagel angekommen. Nach
kurzer Pause beginnt ein weiteres Set. „Er hat selbst Instrumente erfunden,
also wollten wir das auch“, sagt Mynther über den stets mit einer selbst
gebauten Trimba-Trommel bewaffneten Moondog. Die zwei Miniklaviere am Bug
der Moon Machine werden bespielt, der Klang ist nun Dub-artig.
Die automatisierten Shaker shaken, die mechanische Flöte flötet. Der
Nieselregen tropft unaufhörlich, die Plastikstühle sind fest im Boden
verankert und der Sound ist zu leise. Mynther und Sprengler singen ein
wenig schief. Aber der Gin Tonic beginnt zu wirken, die Lichterketten
funkeln, die [6][Musiker remixen „Bird’s Lament“] und alles ist gut.
23 Aug 2020
## LINKS
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[4] /Tocotronic-Saenger-ueber-Antisemitismus/!5629216
[5] /Frank-Spilker-ueber-Die-Sterne/!5664861
[6] https://www.youtube.com/watch?v=RW8SBwGNcF8
## AUTOREN
Jan Paersch
## TAGS
Performance
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Experimentelle Musik
Kampnagel
Theater
Schwerpunkt Coronavirus
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