Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Berliner Musikszene in der Corona-Krise: Eine Branche vor dem Abgru…
> Kleine und große Konzertveranstalter leiden stark unter der Pandemie.
> Existenzen sind bedroht. Was bleibt, ist die Hoffnung auf bessere Zeiten.
Bild: So schön war’s noch vor ein paar Monaten in Huxleys Neuer Welt, einem …
Berlin taz | Neben ein paar hundert weiteren Zuschauern eine tolle Band bei
einem Clubkonzert erleben, eine HipHop-Show beklatschen, in einem
Neuköllner Mini-Jazz-Club abhängen, pogen, stagediven – das alles gab es
lange nicht, und das wird es in Berlin auch noch lange nicht wieder geben.
„500 betrunkene Leute bei einem Konzert, die grölen und schwitzen: Vor
nächstem Jahr im Sommer wird man das nicht erleben, denke ich“, ist sich
Nanette Fleig vom Kreuzberger Club SO 36 sicher.
Egal, mit wem man spricht aus der Berliner Konzertbranche: Vor März, April
nächsten Jahres rechnet niemand ernsthaft damit, dass es wieder Shows in
Live-Venues gibt. Die zweite Welle scheint anzurollen, keiner weiß genau,
wie sich die Coronalage im Herbst entwickelt, ob vielleicht doch noch ein
weiterer Lockdown kommt. Daher die ernüchternden Prognosen.
In den Konzertagenturen der Hauptstadt waren sie in den letzten Monaten mit
kaum etwas anderem beschäftigt, als Konzerte abzusagen. Oder, so es
irgendwie möglich war, diese zu verschieben, immer wieder neu ins Ungewisse
hinein.
„Die letzte Zeit habe ich so viel gearbeitet wie seit Jahren nicht“, sagt
der Konzertveranstalter Berthold Seliger. „Die Tour der Band Van der Graaf
Generator habe ich gerade zum dritten Mal verschoben. Von April 2020 auf
September. Dann von September auf März. Ich gehe aber nicht davon aus, dass
in der nächsten ersten Jahreshälfte schon wieder Tourneen stattfinden
werden. Deswegen habe ich erneut verschoben, auf September 2021.“ In Berlin
soll die englische Prog-Rockband dann ebenfalls auftreten.
## Verlegte Shows ohne Ende
Auch bei Trinity, Berlins lokalem Veranstalter, der mit mehr als 900
Konzerten im Jahr so viele Live-Shows wie kein anderer in der Stadt
organisiert, herrscht auf der Homepage reges Treiben. Abgesagte,
verschobene, in andere Locations verlegte Shows ohne Ende. Und zu den
bereits verlegten Terminen kommen ständig neue Konzertankündigungen hinzu.
Allein für den September kann man, nach aktuellem Stand, für 38 Events
Karten für Trinity-Veranstaltungen erstehen, für den Oktober gar für 41.
Auch wenn kaum jemand wirklich glaubt, dass von diesen irgendeine auch
wirklich stattfindet. „Wir müssen eben für den Fall gerüstet sein, dass wir
plötzlich doch wieder Konzerte veranstalten können“, sagt Nanette Fleig vom
SO36, das für September auch wieder Live-Events ankündigt: „Sonst stehen
wir im Fall der Fälle auch weiterhin ohne Einnahmen da.“
Existenziell bedroht ist die Clubkultur genauso wie die Konzertbranche.
Doch wäre morgen Corona vorbei und die Dance-Clubs hätten sich genau wie
die Konzertveranstalter und -venues nicht auf diesen Moment vorbereitet,
könnte es schon am Wochenende drauf in den Clubs wieder hoch hergehen.
Während in den Berliner Konzerthallen für die nächsten Monate erst einmal
weiter die Lichter ausblieben. In Berlin gäbe es genügend DJs, die in den
ersten Wochen nach der Pandemie relativ spontan auf Partys auflegen würden.
Zur Not würde es auch reichen, den Hausmeister hinters DJ-Pult zu stellen.
Auch er könnte kaum etwas falsch machen, so gierig sind die Leute nach
Partys.
## Ein global vernetzter Betrieb
Für die Veranstaltung eines Live-Konzerts jedoch braucht es eine
monatelange Vorlaufzeit, um die sechs Monate bis zu einem Jahr. Die meisten
Acts aus dem Pop- und Rockbereich kommen aus den USA oder Großbritannien.
Im Normalfall geben sie im Rahmen von Tourneen ihre Konzerte in Europa.
Diese Tourneen und damit Auftritt für Auftritt in verschiedenen Städten
müssen von langer Hand geplant werden. Genügend Zeit für Werbung und
Ticketvorverkauf muss außerdem eingeplant werden.
Ein riesiger, global vernetzter Betrieb hinter den Kulissen wird deswegen
in der Livebranche am Laufen gehalten, der allein auf Eventualitäten
abzielt – und dessen Triebfeder vor allem reine Hoffnung ist.
Die Frage ist, wie lange die Branche der Konzertveranstalter durchhält,
wenn sie immer nur vorbereitet und vorbereitet – darauf aber nichts folgt.
Die von Monika Grütters, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und
Medien, initiierte und von der Bundesregierung verabschiedete
Gutscheinlösung ist auf den ersten Blick eine gute Hilfe für
Konzertveranstalter. Denn die dürfen Käufern von Tickets für Konzerte, die
wegen Corona ausfallen oder verschoben werden, Gutscheine ausgeben. Diese
können dann beim Nachholtermin des Konzerts oder bei einem anderen Angebot
des Veranstalters eingelöst werden.
## Die Firmen bleiben liquide – aber
Die Veranstalter generieren also weiterhin Einnahmen, allerdings für
Events, bei denen man sich nicht hundertprozentig sicher ist, wann sie
genau – und ob überhaupt – stattfinden. Die Firmen bleiben liquide, jedoch
dank Geld, das ihnen eigentlich noch gar nicht gehört. Darin liegt auch
eine große Gefahr. Lösen die Ticketkäufer im Laufe des nächsten Jahres ihre
Gutscheine nicht ein, weil Corona weiterhin den Konzertbetrieb lähmt,
bekommen sie ihr Geld zurück. Diese Situation würde wohl so einige
Konzertveranstalter finanziell überfordern.
Eigentlich dürfen ja wieder Live-Shows in Konzerthallen stattfinden.
Aktuell für 500 Besucher, ab September dann für 750, ab Oktober für
immerhin schon 1.000 Besucher. Doch Nanette Fleig vom SO36 sagt, bei
Einhaltung der Abstandsregeln könnten in ihren Club nicht mehr als 60
Besucher gelassen werden. „Und wenn man bedenkt, dass 60 Leute auch weniger
an der Bar konsumieren als 600, müssten die Tickets für so ein Konzert ja
600 Euro kosten“ rechnet sie vor.
Auch André Krüger, Geschäftsführer von Channel Music, einer mit Trinity
verbandelten Firma, die mehrere Konzertvenues in Berlin betreibt, sagt:
„Konzerte unter Einhaltung der Infektionsschutzverordnung zu veranstalten
ist für die ganze Branche nicht darstellbar. Wir können Hygienemaßnahmen
umsetzen. Auch eine lückenlose Kontaktdatenerhebung über personalisierte
Tickets ist möglich.
Aber Mindestabstände einzuhalten heißt: in einem Achtel der ursprünglichen
Kapazitäten zu spielen. Dann braucht man eine rund 3.000 Quadratmeter große
Grundfläche, um 700 Leute in eine Halle lassen zu dürfen. Das ist
kostentechnisch weder für die Konzertveranstalter noch für die Venues
umsetzbar.“
## Es gibt Konzerte: Open Air!
Freilich gibt es sie auch, die Corona-Vorschriften-gemäßen Konzerte. Meist
jedoch als Open-Air-Veranstaltungen und dank finanzieller Unterstützung. In
München treten noch bis Mitte September zig Bands auf einer kleinen
Sommerbühne im Olympiastadion auf. Die Konzerte kosten nichts, 400
Zuschauer sind erlaubt. Der Verband der Münchener Kulturveranstalter gönnt
sich das. Im Rahmen ihres eben begonnenen Sommerfests gibt es auch im
Veranstaltungsort Kampnagel in Hamburg mehrere Open-Air-Konzerte. Die
Berliner Sängerin Christiane Rösinger etwa wird dort auftreten – vor nicht
mehr als den erlaubten 99 Zuschauern. Und auf der Sommerterrasse im Haus
der Kulturen der Welt in Berlin finden gerade ebenfalls kleine Live-Shows
statt.
„Vor allem in geförderten Einrichtungen mit einem Budget für Konzerte kann
man solche Events veranstalten“, so Wieland Krämer von Powerline, dessen in
Berlin ansässige Agentur auch für Rösingers Auftritt in Hamburg zuständig
ist. Und er fügt hinzu: „In einem Club vor 30 bis 50 Zuschauern auf Kasse
zu spielen macht keinen Sinn.“
Unterhält man sich mit Vertretern der Live-Branche, ist angesichts der
dramatischen Lage kaum Zuversicht zu spüren. „2020 war ein Totalausfall für
das Live-Entertainment, 2021 wird ein Reparationsjahr“, so André Krüger von
Channel Music. Das klingt noch ein bisschen nach Hoffnung.
Hört man dagegen Norbert Jackschenties vom Kreuzberger Privatclub zu, einem
eher kleinen, aber sehr beliebten Konzertveranstaltungsort, möchte man
diesen am liebsten in den Arm nehmen, so deprimiert hört er sich an.
„Beschissen“ gehe es ihm, sagt er, „sowohl emotional als auch geschäftli…
Seit vier Monaten habe ich Magenschmerzen.“
## „Nicht mehr lange durchhalten“
Das Schlimmste sei: „Es gibt keine Perspektive. Nicht die Idee einer
Perspektive, wann kleine bis mittlere Clubs wieder ihren Betrieb aufnehmen
können“, sagt Jackschenties. „Das wird schiefgehen. Ich werde auch nicht
mehr lange durchhalten können.“
Die Hilfen des Staates seien bislang einfach nicht ausreichend, zumindest
nicht für ihn. „Ich habe Soforthilfen von 15.000 Euro für die ersten drei
Monate nach Corona bekommen. Aber meine Kosten in diesem Zeitraum betrugen
über 25.000 Euro.“ Im Rahmen der „Soforthilfe IV“, einem Rettungsschirm …
Berliner Clubs, der vom Senat verabschiedet wurde und der 30 Millionen Euro
umfasst, wurde Jackschenties bislang auch noch nicht bedacht. Die
bisherigen Zahlungen gingen erst einmal an Betriebe mit mehr als zehn
Angestellten. Jackschenties aber hat nur drei feste Mitarbeiter.
Immerhin: Ab September sollen auch kleine Läden wie der Privatclub mit
wenigen Festangestellten von der „Soforthilfe IV“ profitieren können.
Am Live-Geschäft partizipieren viele Akteure, nicht nur Konzertveranstalter
und Clubbetreiber, sondern auch Catering-Services, Security-Unternehmen,
Tontechniker, Roadies, Beleuchter bis hin zu Busfahrern. Und Konzertkassen
wie Koka 36 mit Sitz in der Oranienstraße in Kreuzberg, die es bereits seit
25 Jahren gibt. „Wir verdienen gerade nur einen Bruchteil von dem, was wir
vor Corona verdient haben. Der reale Umsatz ist um 95 Prozent
zurückgegangen“, so deren Geschäftsführer Christian Raschke. Er wisse von
sechs kleinen Theater- und Konzertkassen in Berlin, die bereits aufgeben
mussten.
## „Alle 20 Mitarbeiter in Kurzarbeit“
Ähnlich hört sich das bei Mihai Danzke von der Firma Kulturplakatierung an,
die unter anderem für Trinity die Konzertplakatwerbung verantwortet: „Uns
gibt es seit dreißig Jahren. Wir haben nie Verluste gemacht. Aber aktuell
haben wir null Umsatz. Alle 20 Mitarbeiter sind in Kurzarbeit.“
Bei Trinity und Channel Music spielt sich das Elend noch einmal in ganz
anderen Dimensionen ab. Trinity beschäftigt 35 Mitarbeiter, alle sind in
Kurzarbeit, außer dem Ticketing und den Konzertbookern, die in Teilzeit
weiter fleißig Events verlegen und organisieren.
Channel Music beschäftigt 86 feste Angestellte, außerdem 150
Gastroaushilfen und 50 Soloselbstständige. Alle sind in Kurzarbeit oder
haben Grundsicherung beantragt. Für die Läden, die die Firma betreibt, das
Quasimodo, Musik & Frieden, Huxley's Neue Welt, das Metropol, die
Freiluftbühne an der Zitadelle in Spandau und einen ganz neuen Laden in
Neukölln, das ehemalige Galaxy, jetzt Hole 44 – das eigentlich diesen
Sommer eröffnen sollte, was aber auf unbestimmte Zeit verschoben ist –,
fallen monatlich um die 70.000 bis 100.000 Euro laufende Kosten an, so
André Krüger.
Vom „Soforthilfeprogramm IV“ habe noch nicht einer seiner Clubs profitieren
können, da man sich momentan ja vermeintlich noch über Kredite
refinanzieren könne. Verständnis hat Krüger für die Ablehnung der Berliner
Soforthilfeanträge nicht. Um die 1.000 Konzerte mit über 360.000 Besuchern
haben 2019 in den Channel Venues stattgefunden. „Ja, wir sind
kulturrelevant“, findet Krüger, „und wir brauchen eine klare Perspektive,
wann und wie wir wieder öffnen dürfen.“
## Offener Brief der Veranstaltungs- und Eventbranche
Langsam die Kapazitäten wieder hochfahren, das ist dabei der Weg, den
Krüger sich vorstellt. Erst 30 Prozent, dann vielleicht 50 oder 60 Prozent.
„Aktuell würden wir Geld dafür bekommen, dass wir unsere Clubs geschlossen
halten. Aber eigentlich bräuchten wir Subventionen oder einen finanziellen
Ausgleich, um auch mit reduzierten Kapazitäten wieder geordnet und
kostendeckend beginnen zu können“, sagt er. „Wenigstens würden dann auch
wieder ein paar unserer Mitarbeiter und die unserer beteiligten
Dienstleister etwas Arbeit bekommen.“
In einem offenen Brief der Berliner Veranstaltungs- und Eventbranche, den
Krüger mit unterschrieben hat, wird sogar ein noch rascherer Restart in
Raten gefordert. 60 Prozent der Kapazitäten würde man gern wieder ab 25.
Oktober und 80 Prozent ab 1. Dezember bespielen. Zu Beginn des nächsten
Jahres soll mit maximaler Kapazität der Betrieb hochgefahren werden dürfen.
André Krüger findet, Konzerte in Livespielstätten müssten bei den
Planspielen um einen Restart auch anders bewertet werden als Clubs im
Allgemeinen. „Im Moment gibt es pauschale Personenobergrenzen für
Indoor-Veranstaltungen. Dabei werden die strukturellen Voraussetzungen des
Veranstaltungsorts, was die Grundfläche, Zugangsmöglichkeiten und Belüftung
angeht, gar nicht berücksichtigt. Im Huxley's etwa haben wir eine
Deckenhöhe von fast 12 Metern und eine Belüftung, die innerhalb von 25
Minuten die ganze Luft austauscht“, sagt Krüger.
Man könne außerdem für geordneten Einlass sorgen, über personalisierte
Tickets eine lückenlose Kontaktdatenerhebung gewährleisten, die allgemeinen
Hygienemaßnahmen umsetzen, mit Security die Besucher darauf hinweisen, sich
einigermaßen coronagerecht zu verhalten und eine Maskenpflicht bei den
Besuchern durchsetzen. Nach etwa eineinhalb Stunden Show sei ja auch schon
wieder alles vorbei.
## Ein sehr schwieriges nächstes Jahr
Aber auch wenn bald der Konzertbetrieb langsam wieder hochgefahren werden
würde, dürfte es für einen lokal relativ großen Vielveranstalter wie
Trinity ein sehr schwieriges nächstes Jahr werden. Die Firma organisiert
große Open Airs in der Zitadelle oder Waldbühne genauso wie Auftritte von
Indiebands in kleineren Clubs. „Am Ende des Tages wird jedoch bei uns nur
mit den größeren Shows wirklich Geld verdient“, so André Krüger.
Konzerte in den kleineren Läden mit bis zu 800 Zuschauern, das, was Berlin
so ausmache, das seien meist Minusgeschäfte. Die man halt so mitnehme, weil
das gute Möglichkeiten seien für Bands, die in der Zukunft vielleicht
erfolgreich sein werden und deren Durchführung entsprechend essentiell ist.
„In dem Moment, in dem uns Corona jedoch die Möglichkeit nimmt, größere
Konzerte zu veranstalten, haben wir das Problem, dass wir die kleinen
Sachen eigentlich gar nicht mitfinanzieren können“, sagt er.
Aktuell reicht die Fantasie des Berliner Senats nicht über die erlaubten
1.000 Zuschauer hinaus, die ab Oktober bei Indoor-Veranstaltungen
zugelassen sein werden. Bliebe es bis auf Weiteres dabei, wären die für die
Querfinanzierung von Trinity nötigen größeren Konzerte mit zig Tausenden
Zuschauern auch weiterhin verboten. Dazu komme, so Krüger, dass die großen
Europatourneen der internationalen Künstler auch von den
Corona-Entwicklungen in den europäischen Ländern abhängig seien.
Blieben die etwas größeren nationalen Künstler. „Da ist aber das Problem�…
so der Channel-Music-Chef, „dass du keine Tournee für diese hinbekommen
wirst, wenn du aufgrund der von Bundesland zu Bundesland unterschiedlichen
Coronaregelungen in Nordrhein-Westfalen vor 2.000 Leuten oder mehr spielen
kannst, in Berlin aber nur vor 750. Auf Bundesebenen müssen erst einmal
klare Vorgaben für unsere Branche geschaffen werden.“
## Eine tiefe Krise
Der Live-Entertainment-Sektor steckt in einer tiefen Krise, die anhalten
wird. Was aber, wenn er nicht bald wieder damit beginnen kann, sich langsam
aus der prekären Lage herauszuschaufeln? Wenn die Staatshilfen alle weiter
nicht eins zu eins helfen, wie Norbert Jackschenties vom Privatclub klagt?
Dann wird sich das Konzertgeschehen in Berlin massiv ändern. Auch so glaubt
Veranstalter Berthold Seliger schon jetzt, dass es „25 bis 30 Prozent der
kleineren Agenturen im nächstes Jahr nicht mehr geben wird. Das ist ein
Problem, da wir dann langsam nur noch die Gleichförmigkeit und den
Einheitsbrei haben, den die großen Firmen veranstalten.“ Er befürchtet gar
regelrecht einen Verdrängungswettbewerb. „Die Großen haben irrsinnige
Kriegskassen. Sie werden länger überleben, haben einen längeren Atem als
die kleinen Firmen. Natürlich werden die Großen versuchen, kleinere
Unternehmen aufzukaufen. Ich glaube, das wird nicht zum Wohl der
kulturellen Vielfalt sein.“
Auch droht einigen der kleineren Konzertvenues der Kollaps, warnt Norbert
Jackschenties vom Privatclub. Kleineren Acts und Newcomern, die zu einer
lebendigen Konzertlandschaft einfach dazugehören, würden dann die passenden
Orte für Auftritte wegfallen.
Olaf Kretschmar könnte sich sogar gut vorstellen, dass sich das Erlebnis
Konzertbesuch wegen und nach Corona nachhaltig verändern werde. Kretschmar
ist Vorstandsvorsitzender der Berlin Music Commission, eines Lobbyverbands
der hiesigen Musikwirtschaft. Das Live-Entertainment werde nach Corona ganz
anders funktionieren als bisher, glaubt Kretschmar. Während des
Corona-Lockdowns boomten Onlinekonzerte. Kaum ein Musiker, der sich nicht
via Stream mit der Gitarre in der Hand aus seinem Wohnzimmer bei seinen
Fans meldete. Live-Konzerte via Plattformen wie Youtube boomen immer noch.
Techfirmen arbeiten nun zunehmend daran, diese Online-Auftritte immer
weiter zu verbessern.
## Konzerte mit digitalen Mitteln
Das alles wird nicht einfach wieder verschwinden, glaubt Kretschmar. Von
Hybridmodellen ist inzwischen schon die Rede, davon, das reale
Konzerterlebnis stärker mit technischen Innovationen zu verknüpfen.
Die Berlin Music Commission hat nun gemeinsam mit dem Musikrat Berlin die
Initiative „Transform-Music“ ins Leben gerufen. Deren Ziel ist es,
„zukunftsweisende und aktuelle Entwicklungen im digitalen Bereich, an der
Schnittstelle zwischen Musik und Technologie“, aufzuzeigen. In einem
Positionspapier der Initiative zum Thema virtuelle Konzerte ist dann viel
die Rede von Virtual- und Augmented-Reality, von komplexen, simulierten
3-D-Welten, von der Überlagerung der realen Welt mit digitalen Inhalten.
Der echte Konzertbesuch wäre nach diesen Visionen nur noch eine Möglichkeit
neben anderen, digitalen Formaten, einen Live-Act zu erleben.
Kretschmar glaubt zudem, dass wegen Corona entwickelte Technik auch die
ganze Art der Live-Präsentation auf Dauer verändern werde. „Es wird mehr
Interaktion von Musikern mit Zuschauern geben und eine Vernetzung des
Publikums durch digitale Tools.“
Anstatt das Handy zu verbieten, wie es zuletzt immer mehr Musiker taten, um
nicht ständig dem nervigen Gefilme der Handykamera ausgesetzt zu sein, wird
es also demnächst bei Live-Events vielleicht heißen: Angeschaltetes Handy
unbedingt mitbringen.
Wobei das Handy ja jetzt auch schon auf Konzerten ausdrücklich erwünscht
ist: wegen der Corona-App.
15 Aug 2020
## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
Abstandsregeln
Konzert
Global Pop
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Jazz
Performance
Klassik
Schwerpunkt Coronavirus
Theater
Schleswig-Holstein
Kolumne Berlin viral
Kolumne Berlin viral
## ARTIKEL ZUM THEMA
Sängerin Moonchild Sanelly aus Südafrika: Let’s talk about sex
Moonchild Sanelly ist Teil der hippen Musikszene Südafrikas. Ihr zweites
Album „Phases“ versteht sie als feministisches, sexpositives Manifest.
Ein Jahr Corona in Berlin: Einsam leben
Längst scheint es erschreckend vertraut, das Virus, das die Stadt seit
einem Jahr in Atem hält. Was macht das mit Berlin und seinen BewohnerInnen?
Jazzmusiker*innen ohne Perspektive: „Jazz lebt vom Austausch“
Keine Konzerte und kein Miteinander: Die Berliner MusikerInnen Pechlof,
Neuser und Rupp sprechen über den Jazz in der Pandemie.
Corona-Hilfen für Lockdown-Betriebe: Lob der Gießkanne
Manche Unternehmer kriegen zu viel Corona-Hilfen, andere zu wenig. Das
Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit ist aufwändig – besser ist das der
Gießkanne.
Festivalmacherin über ihre Arbeit: „Ich bin Schnelldenkerin“
Tina Heine erfand das Hamburger Elbjazz-Festival und leitet das Festival
Jazz & The City in Salzburg. Ein Gespräch über Improvisation und
Zuversicht.
Zu Ehren des Komponisten Moondog: Durch Hamburg mit dem Mondmobil
Zum Kampnagel-Festival fuhren Thies Mynther, Veit Sprenger und Tobias Euler
durch Hamburger Kieze. Ihre „Moon Machine“ ist eine Hommage.
Musikfestivals in Berlin: Zurück im Spiel
Konzerte klassisch mit Publikum oder im digitalen Raum: In Berlin laden
Musikfest und Pop-Kultur zum Festivalsommer.
IG-Metall fordert eine Vier-Tage-Woche: Corona killt den Lohnausgleich
Arbeitszeitverkürzung klingt nach Freizeit. Aber wenn sie zur
Krisenbewältigung dient, dann zahlen sie die Beschäftigten.
Studie zur Nutzung von Kultur in Berlin: Ein Blick vor die Bühne
Kino ist das beliebteste Kulturangebot für BerlinerInnen, klassischen
Konzerten droht das Publikum wegzusterben. Das zeigt eine neue Studie.
Erstes Großkonzert seit Corona-Pandemie: Zu Sarah mit Maske
Musikveranstalter kündigt für September ein Event in Düsseldorf an.
NRW-Gesundheitsminister äußert Kritik. Bundespräsident besucht kleines
Konzert.
Livemusik in Coronazeiten: Warten auf die Coronas
Was Konzerte betrifft, muss man derzeit nehmen, was legal möglich ist –
z.B. auf der Dachterrasse des Hauses der Kulturen der Welt in Berlin.
Demo der Veranstaltungsbranche: Pappschild mit „Save the fun“
In Coronazeiten setzt die Veranstaltungsbranche auf Demos für mehr
politische Beachtung. Was fehlt, ist Kreativität.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.