# taz.de -- Musikfestivals in Berlin: Zurück im Spiel | |
> Konzerte klassisch mit Publikum oder im digitalen Raum: In Berlin laden | |
> Musikfest und Pop-Kultur zum Festivalsommer. | |
Bild: Klassische Musiker*innen in Bewegung beim Musikfest Berlin | |
Zum Ende August hin läuft es musikalisch jetzt doch noch auf einen kleinen | |
Festivalsommer hinaus, mit zwei in der kommenden Woche startenden | |
Festivals, die man durchaus als Leuchttürme betrachten kann für ihr | |
jeweiliges Genre. Und an den beiden lässt sich auch gut sehen, dass diese | |
Leuchttürme recht unterschiedliche Signale senden für den Fortgang mit | |
Konzerten im Herbst. | |
Da ist einerseits das Musikfest Berlin, das (normalerweise) internationale | |
Orchesterfestival der Berliner Festspiele, Auftakt der Konzertsaison für | |
klassische Musik. Startet am 25. August und streckt sich bis zum 23. | |
September. Und andererseits das Festival Pop-Kultur, das sein Anliegen | |
bereits prägnant im Festivalnamen trägt. Es findet vom 26. bis 28. August | |
statt. | |
Das sind also nicht nur musikalisch unterschiedlich geprägte Festivals, | |
sondern in diesem coronapandemisch gebeutelten Jahr auch bezüglich des | |
Formats. Das Musikfest kommt klassisch analog daher mit Livekonzerten, die | |
auch besucht werden können, bei der Pop-Kultur denkt man notgedrungen an | |
den alten Tocotronic-Hit „digital ist besser“ – und drängt in den | |
virtuellen Raum. | |
Bei beiden Festivals war man im März eigentlich fertig mit der Planung des | |
Programms. Zu einer Zeit also, in der man von Corona bereits einiges | |
wusste, nicht aber, welche Auswirkungen das Virus auf den Kulturbetrieb | |
wirklich haben würde. | |
Beim Musikfest ist das aktuelle Programm sogar weitgehend so wie vor Corona | |
geplant. Mit Einschnitten: Auf die auswärtigen Orchester, die vor allem mit | |
Beethoven im Gepäck anreisen sollten, muss man verzichten. Deswegen stemmen | |
diesen Schwerpunkt, der im Beethoven-Jahr zum 250. Geburtstag des | |
Komponisten einfach sein muss, nun die Berliner Orchester. Daneben stehen | |
auch kleinere Ensembles von außerhalb Berlins auf dem Programm, die großen | |
auswärtigen Orchester kommen aus verschiedenen Gründen nicht. Weil Proben | |
nicht stattfinden konnten oder Touren abgesagt wurden oder schlicht, weil | |
man als Veranstalter nicht alles machen muss, was man hinsichtlich der | |
Coronaregeln wieder machen dürfte, da muss man nur ein bisschen rechnen. | |
Die Zahlen: Die meisten Konzerte des Musikfests finden in der Philharmonie | |
statt, deren 2.400 Plätze bei den Konzerten bis Ende August mit 456 | |
Zuhörern besetzt werden können und dann mit 636. Auf das Gläschen Sekt | |
werden die wenigen Gäste auch verzichten müssen. Derzeit gibt es keine | |
Gastronomie in der Philharmonie. | |
Hygienevorschriften, Abstandsregeln, die Konzerte so abgespeckt, dass sie | |
wie derzeit noch vorgeschrieben ohne Pause durchgespielt werden können: Mit | |
diesen Vorgaben startet auch das Konzerthaus am Gendarmenmarkt Ende August | |
in die Konzertsaison 2020/21, in der das Haus sein 200-jähriges Bestehen | |
feiert. | |
Einschränkungen gibt es also durchaus im klassischen Betrieb. Aber es | |
findet immerhin ein Betrieb statt. Da wird man sogar das fehlende Gläschen | |
Sekt verschmerzen können, wenn man sich ein Konzertticket sichern konnte. | |
Mit Blick auf die kargen Kapazitäten dort will man beim Musikfest als | |
Zusatzangebot mit den Konzerten vermehrt in den digitalen Raum gehen. | |
In diesen unendlichen Weiten tummelt sich die Pop-Kultur dann | |
ausschließlich. Obwohl Livekonzerte ja durchaus wieder möglich wären mit | |
den entsprechenden Vorschriften – die das Livegefühl allerdings doch | |
deutlich einschränken. | |
Weil Popmusik letztlich eben eine körperliche Musik ist. Weit mehr | |
jedenfalls als Klassik, bei deren Konzerten man die Besucher etwa | |
üblicherweise nie headbangen sieht. Was aber auch an der „Das macht man | |
nicht“-Konvention liegen mag (die Musik würde das heftige Kopfschütteln | |
manchmal schon hergeben). Was eben derzeit nicht mehr geht bei einem Pop- | |
oder Rockkonzert: Gemeinsam in der Menge stehen. Gemeinsam schwitzen. Von | |
so Kulturtechniken wie Pogo tanzen, Stagediven oder Crowdsurfen will mal | |
gar nicht erst reden. Leerstellen, die auch bei den gestreamten | |
Coronakonzerten spätestens beim Blick von der Bühne weg in den | |
Publikumsraum zu sehen waren. Da stand eben kein Publikum, da lebte nichts | |
mit. So transportieren diese Streams immer gleich mit, dass es sich hier | |
eben um eine Ersatzbefriedigung handelt. | |
So ein Livesurrogat wollte man bei der Pop-Kultur nicht. Stattdessen sind | |
bei dem Festival – mit deutlich abgespecktem Programm – von den | |
MusikerInnen und Bands vorab produzierte Aufzeichnungen zu sehen und zu | |
hören, die das Liveerlebnis gar nicht imitieren sollen. Es soll in Richtung | |
Kunstvideos gehen, wobei auch dabei laut den Festivalmachern „viele Ideen | |
und kreative Energie“ freigesetzt wurden. Die Krise, die Chance. Klar! Nur | |
hat das mit Konzerten nichts mehr zu tun, noch nicht einmal als Ersatz, | |
weil solche Videoformate doch eine ganz andere Kategorie sind, mit der man | |
der Popmusik im Livegeschäft nicht wirklich weiterhilft. | |
So scheint es, als würden gerade die als bereits zugeschüttet geglaubten | |
Gräben zwischen der E- und U-Musik wieder aufgerissen. Noch läuft der meist | |
subventionierte Klassikbetrieb (E wie ernste Musik) zwar nicht wirklich | |
rund, aber es tut sich doch etwas mit Konzerten, während bei der U-Musik | |
der Buchstabe derzeit statt für Unterhaltung eher für Ungewissheit steht: | |
Wie und ob überhaupt es weitergeht im Geschäft, das U-Musik, meist weniger | |
subventioniert, nun mal ist. | |
Das Pop-Kultur-Festival aber wird vom Musicboard Berlin ausgerichtet, und | |
das wiederum ist eine Einrichtung des Senats. Interessanterweise will man | |
es mit richtigen Konzerten neben dem Klassikbetrieb gerade dort am | |
Entschiedendsten wissen, wo man schon je auf die E- und U-Logik pfeift und | |
sich mit Subventionen genauso gut auskennt wie mit der Selbstaubeutung: bei | |
den musikalisch experimentierenden Szenen Berlins. Da wird auf den | |
Konzerten eher nicht getanzt, auch der Andrang des Publikums ist meist | |
überschaubar. Was aber musikalisch alles möglich ist, wird ab dem 28. | |
August mit einem weiteren „Monat der zeitgenössischen Musik“ präsentiert, | |
bei dem man auch in diesem Coronajahr auf Liveangebote nicht verzichten | |
will. | |
23 Aug 2020 | |
## AUTOREN | |
Thomas Mauch | |
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