Introduction
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# taz.de -- China, Wien, Berlin. Dann Corona.: „Musik hilft in Krisenzeiten“
> Zi Wan Breidler, in China geboren, lernte in einem katholischen
> Mädcheninternat in Wien Querflöte. In Berlin kam sie bei sich selbst an.
Bild: Die Flöten- und Klavierlehrerin Zi Wan Breidler und ihr Instrument
taz: Frau Wan Breidler, wie haben Sie die Coronakrise bislang überstanden?
Zi Wan Breidler: Alles stand still, wie die meisten durfte auch ich nicht
arbeiten. Aber ich habe online Unterricht gegeben. Am Anfang der Pandemie
habe ich begonnen, eigene Musikvideos zu drehen und am Computer zu
schneiden, sodass ich meinen Schülern alles Schritt für Schritt zeigen
konnte. Sie waren total happy. Seit Mitte Mai kann ich wieder Unterricht
geben. Und ich habe gemerkt, wie intensiv sie geübt haben.
Und wie erging und ergeht es Ihnen als Musikerin in dieser Zeit?
Ich vermisse den Kontakt zu den Zuhörern sehr! Manchmal bekommen die
Menschen in meinen Konzerten ganz glänzende Augen, wenn ich spiele. Einen
weichen Blick. Manche weinen auch. Ich habe zwar einige Balkonkonzerte
gegeben, aber mir fehlen die richtigen Auftritte.
Es gab auch Projekte von Musikerinnen und Musikern, die aus Aufnahmen
Orchestermusik zusammengeschnitten oder auf Zoom geprobt haben.
Das habe ich eher nicht ausprobiert, wegen der langen Reaktionszeiten, die
das Medium mit sich bringt. Trotzdem finde ich die technischen
Möglichkeiten, die es heute gibt, sehr toll. Ich hätte nie gedacht, dass
das so gut funktioniert.
Wie kamen Sie zur Musik?
Ich finde es sehr schön, auf meine Kindheit zurückzublicken, aber ich
erinnere mich auch an viel Druck. Denn ich komme nicht aus einer
Musikerfamilie, auch gab es in unserem Bekanntenkreis keine Musiker. Als
meine Mutter jung war, da war es in China nicht selbstverständlich, das
Abitur zu machen und danach zu studieren. Meine Mutter kam aus einer armen
Familie. Ihre Eltern lebten von der Landwirtschaft, sie hat drei
Geschwister und ihre Mutter ist gestorben, als sie noch ein Kind war. Das
Essen hätte für drei, vier Leute gereicht, aber nicht für sechs. Deshalb
war der Wunsch meiner Mutter sehr stark, aus der Armut herauszukommen.
Das klingt nach Sozialaufstieg.
Ja. Was daran aber ungewöhnlich war: Sie dachte, es müsste schön sein, auch
mit Musik und Kultur zu tun zu haben – schon deshalb, weil sich das in
China damals nicht jeder leisten konnte.
Ihre Eltern wollten, dass Sie Musikerin werden?
Meine Eltern haben für mich ein Klavier angeschafft, als ich noch gar nicht
auf der Welt war. Als ich vier Jahre alt war, musste ich jede Woche den
weiten Weg zur allerbesten Klavierlehrerin der Gegend antreten.
Heißt es nicht auch hierzulande, dass man früh anfangen muss, wenn man eine
große Karriere anstrebt?
Als Vierjährige kann man noch nicht lernen, Noten zu lesen. Man kann noch
nicht verstehen, was Rhythmus ist. Ich glaube, man kann viel später
anfangen, wenn man Talent hat und viel übt. Ich hatte keinen Spaß. Ich habe
das nur gemacht, weil meine Mutter es wollte. Als ich acht Jahre war,
durfte ich dann endlich mit dem Klavierspielen aufhören.
Bedauern Sie, dass Sie damit aufgehört haben?
Manchmal schon. Ich habe ja nicht aufgehört, weil ich das Instrument nicht
mochte. Ich hatte eine Krise, weil ich nicht weitergekommen bin. Ich bin in
ein richtiges Loch gefallen. Meine Lehrerin war eine ausgezeichnete
Pianistin. Aber sie konnte mir nicht helfen, spielerisch meine Krise zu
überwinden.
Warum nicht?
In China war der Unterricht damals noch nicht so weit. Erst in Europa habe
ich gelernt: Wenn Kinder feststecken, dann kann man sie auch einfach etwas
anderes spielen lassen. Man kann ihnen eine Geschichte erzählen. Auch als
Erwachsener ist es oft hilfreich, Umwege zu nehmen, umzudenken. Pause zu
machen. Ins Konzert zu gehen, sich inspirieren lassen. Das Stück nicht von
vorn nach hinten, sondern von hinten nach vorn zu spielen.
Also nicht immer Zähne zusammenbeißen und durch?
Nein, das bringt oft gar nichts.
Würden Sie sagen, dass die Menschen in China und Deutschland ein ganz
anderes Konzept von Kindheit haben?
Natürlich. Aber in China verstehen mehr und mehr Menschen auch, dass man
erfolgreich sein kann, indem man loslässt. Und dass man Freiräume braucht.
Ich denke, es ist ganz natürlich, dass Menschen solche Ideen erst
entwickeln können, nachdem sie lange Durststrecken hinter sich haben.
In den sechziger Jahren gab es in China die größte Hungersnot seit
Menschheitsgedenken. Dann die Kulturrevolution, die Niederschlagung der
Demokratiebewegung, meinen Sie das mit Durststrecken?
Ja.
Wie ging es für Sie nach dem Klavier weiter?
Ich habe erst einmal Pause gemacht, malen gelernt und im Chor gesungen. Und
eines Tages sah ich ein älteres Mädchen in der Schule Querflöte spielen.
Ich habe mich in dieses Instrument so verliebt. Ich wusste sofort: Das
möchte ich lernen.
Warum ausgerechnet Querflöte?
Ich fand damals, dass es wahnsinnig schön aussieht, wenn ein Mädchen ein so
glänzendes Instrument in der Hand hält. Wie im Märchenbuch. Und dann dieser
leichte, verträumte Klang. In meiner Familie hat keiner gewusst, was eine
Querflöte für ein Ding sein soll. Woraufhin ich zu meiner Mutter sagte, das
sei mir egal. Sie müsse das für mich herausfinden.
Und hat sie es herausgefunden?
Ich habe meine erste Querflöte bekommen, als ich elf Jahre alt war. Als ich
zum ersten Mal meine Stimme da hineinblasen durfte, war ich überwältigt.
Ich habe als Kind gern gesungen, aber es war perfekt für mich, dass ich
dank Querflöte nicht vor Menschen meinen Mund aufmachen musste. Ich brauche
ein Instrument, um meine Seele sprechen zu lassen.
Und dann lief alles ganz anders als beim Klavier?
Ja. Meine Eltern haben mich überhaupt nicht mehr unter Druck gesetzt. Es
kam nun alles völlig aus mir selbst heraus. Meine Lehrerin war ziemlich
erstaunt, dass ich dieses Instrument so sehr geliebt habe. Dass ich
freiwillig so viel von meiner Zeit investieren wollte. Ich erinnere mich
noch gut daran, wie sie mir zum ersten Mal Mozarts Zauberflöte vorgespielt
hat. Ich wurde die jüngste und die beste Schülerin. Und trotzdem hat mir
etwas gefehlt.
Was denn?
Das Instrument kommt nicht aus China. Ich hatte das Gefühl, dass ich dort
hin muss, wo die Querflöte herkommt.
Wie alt waren Sie, als Sie das entdeckt haben?
Dreizehn. Und vierzehn, als ich nach Graz gehen konnte. Der Ehemann meiner
Lehrerin war Doktorand an der Uni dort. Das war unsere Verbindung. Er wurde
mein Vormund. Und ich musste in einem katholischen Mädcheninternat leben.
Was für ein Kulturschock!
Natürlich! Ich habe am Anfang ja gar kein Deutsch gesprochen. Ich habe
englisch gesprochen und nicht alle Kinder haben mich verstanden. Auch die
Religion war mir sehr fremd. Dieses Gebet vor dem Essen hat mich total
irritiert. Ich wusste nicht, was es zu bedeuten hat und ob ich da auch
mitmachen muss. Ich war wie ein weißes Blatt und hatte großes Heimweh. Aber
die Lehrer waren teilweise sehr nett zu mir und haben mir gesagt, dass es
allein meine Entscheidung sei, ob ich beten will oder nicht.
Wie sind Sie durch diese schwierige Zeit gekommen?
Nur durch meinen Willen, endlich die westliche Musik richtig
kennenzulernen. Ich bin mit einem sehr kleinen Koffer nach Österreich
gekommen, in den hatte ich hauptsächlich CDs von Mozart gepackt. Ich habe
die Musik von Mozart so sehr gemocht.
Und was wollten Sie erreichen?
Ich wollte in die Vorbereitungsklasse der Uni. Die erste Aufnahmeprüfung
habe ich nicht bestanden, also habe ich erst an einem privaten
Konservatorium in Graz studiert und es später auf die staatliche
Musikschule in Wien geschafft.
Was hat Sie damals so angetrieben?
Ich habe selbst viel von mir erwartet. Das mag vielleicht seltsam klingen:
Unterbewusst hatte ich immer das Gefühl, ich müsste als Fremde in einem
fremden Land etwas beweisen, um mir den Respekt der anderen zu verdienen.
Ich wollte aber natürlich auch nicht versagen, weil meine Eltern mich so
großartig unterstützt haben.
Ihre Eltern haben das alles bezahlt?
Sie haben mich anfangs vollständig finanziert und ich bin ihnen dafür sehr
dankbar. Es hatte ja schon mit dem Klavier angefangen. Dann der
Klavierunterricht, dann der Flötenunterricht. Die Fahrerei zu den
Wettbewerben. Und schließlich Österreich.
Vor 20 Jahren konnten es sich in China nur wenige Menschen leisten, ihr
Kind nach Europa zu schicken, oder?
Richtig. Hinzu kam, dass damals kein Mensch verstanden hat, warum meine
Eltern das überhaupt tun. Sie haben zu ihnen gesagt: Seid ihr blöd? Wozu
soll man das lernen? Wozu braucht man das denn?
Sie hätten nach landläufiger Meinung Ärztin oder Ingenieurin werden sollen.
Genau.
Waren Ihre Eltern reich?
Mein Vater hat drei oder vier eigene Firmen aufgebaut. Meine Mutter war
Bürokraft. Ich würde sagen, sie gehörten der oberen Mittelschicht an.
Sie haben sicher keine Geschwister?
Nein.
Es muss schwer sein, wenn die einzige Tochter so früh das Haus verlässt und
dann gleich so weit weg geht.
Meine Mutter hat mich einmal im Jahr besucht, seit ich in Europa bin.
Und Ihr Vater?
Mein Vater uns vor einem halben Jahr zum ersten Mal in Berlin besucht. Es
war ihm wichtig zu sehen, dass es mir gut geht. Sie haben akzeptiert, dass
man seine Tochter nicht mit 14 Jahren in eine ganz andere Gesellschaft
schicken und dann erwarten kann, dass sie immer dieselbe und immer richtig
chinesisch bleibt. Ich glaube, sie sind beide mit einem leichten Herzen
zurück nach Hause geflogen. Sie haben erlebt, wie glücklich ich hier bin.
Seit wann leben Sie in Berlin?
Ich habe zehn Jahre in Wien studiert. Ich hatte so viel Zeit, es war ein
absoluter Luxus. Dann habe ich in Detmold noch einen Masterstudiengang
gemacht. Jetzt bin ich seit sechs Jahren in Berlin. Damals hat mein Mann,
Christoph Breidler, seine Stelle an der Komischen Oper bekommen. Die Stadt
ist nach Wien meine zweite Heimat geworden.
Warum spielen Sie nicht in einem Orchester?
Das war eine ganz bewusste Entscheidung. Mein Lehrer in Wien ist
Orchestermusiker und Solo-Flötist, und ich habe gesehen, wie das ist, wenn
man Familie hat. Wie viel Zeit das kostet, wie oft man abends weg ist. Mein
Mann ist Dirigent und Komponist. Er ist dauernd abends unterwegs und
arbeitet oft nachts. Und ich unterrichte sehr gern. Ich spiele viel
Kammermusik mit Freunden, wir machen Konzerte, und ich bin sehr glücklich
so. Ich spiele sehr gern für alle, die gern Musik hören.
Sie setzen sich nicht mehr so unter Druck wie früher?
Ich bin heute viel entspannter.
Wie finden das Ihre Eltern, dass Sie nicht mehr so ehrgeizig sind?
Sie haben mich oft genug auf großen Bühnen gesehen. Trotzdem sprechen sie
immer noch davon, dass ich mit Zwanzig ein Angebot hatte, in Shanghai
Solo-Flötistin zu werden. Sie sagen, ich wäre heute vielleicht Professorin
dort und hätte eine Talentklasse. Ich war damals mitten im Studium, ich
wollte das nicht hinschmeißen.
Haben Sie nie überlegt, ein paar Jahre nach China zurückzugehen?
Es gab eine Zeit, wo mein Mann und ich das sehr gern wollten. Christoph hat
ja auch ein Jahr in China studiert. Er kann ein bisschen chinesisch
sprechen und schreiben. Ich denke, dass wir deshalb überhaupt zusammen sein
können. Das Problem ist, dass wir beide westliche Musik machen. Und dass
wir die Musik nicht nur vermitteln wollen. Für uns ist es sehr wichtig,
dass wir guten Input haben. Die Opernhäuser, die Berliner Philharmoniker,
die Museen. Wir sind superglücklich hier.
Werden Sie im Alltag in Berlin noch als Chinesin angesprochen?
Ich habe mir lange Sorgen gemacht, ob ich hier als Ausländerin gelte. Am
besten machen es eigentlich die Kinder. Bei ihnen geht immer alles es sehr
schnell. Sie bauen Vertrauen auf – und dann bin ich nur noch ihre
Musiklehrerin. Es spielt keine Rolle, woher ich komme. Das finde ich sehr
schön.
Waren Sie Anfeindungen ausgesetzt, als die Pandemie aus China in Europa
ankam?
Viele Asiaten sind weltweit attackiert worden, haben sich dumme Sprüche
oder Vorwürfe anhören müssen. Ich hatte sehr, sehr viel Angst, aber zum
Glück ist mir persönlich nichts Blödes passiert. Inzwischen denke ich: Das
Aussehen kann man nicht verändern. Man kann nur versuchen,
Selbstbewusstsein auszustrahlen.
Was denken Sie über das Image von China zur Zeit?
Es macht es den Chinesinnen und Chinesen im Ausland nicht leicht. Aber es
war auch sehr seltsam mitzuerleben, als das Virus in Amerika ausbrach und
Chinas Vorgehen plötzlich vergleichsweise gut dastand. Im Grunde kann man
an diesen Dingen sehr wenig ändern.
Fliegen Sie oft zurück?
Vor Corona im Schnitt alle zwei Jahre.
Wie empfinden Sie das Land heute, aus der Distanz?
Ich erkenne meine Heimatstadt kaum wieder. Vieles ist dort inzwischen
moderner als hier, überall Wolkenkratzer. Ich finde es schade, dass so
viele von den alten Dingen verschwinden. Andererseits ist dort ungeheuer
viel in Bewegung. Besonders die jungen Leute kommen mir sehr
experimentierfreudig vor. Und ich denke, diese Veränderungen tun dem Land
sehr gut.
Ist China noch Ihre Heimat?
Ich habe jetzt schon mehr Zeit hier verbracht als in China, sodass ich es
manchmal nicht mehr sagen kann, ob ich mich eher chinesisch oder europäisch
fühle. Aber manchmal merke ich dann doch, wie sehr China noch ein Stück von
mir ist. Ich lese zum Beispiel sehr viel auf Chinesisch. Einfach, weil es
so schön ist. Das Denken der Chinesen und der Europäer unterscheidet sich
sehr. Auch spiele ich oft alte chinesische Musik oder auch westliche
Melodien pentatonisch.
Also in Tonleitern, die aus fünf verschiedenen Tönen bestehen?
Ja. Oder ich befasse mich mit westlichen Komponisten, die aus ihrer
Bewunderung für China heraus fantastische pentatonische Musik geschrieben
haben, Debussy zum Beispiel. Aber eigentlich würde ich gern noch etwas ganz
anderes los werden.
Ja?
Ich hatte wie viele Menschen sehr viel Zeit in diesem Frühjahr. Und ich
habe sehr viel darüber nachgedacht, ob Musik eigentlich systemrelevant ist.
Ob man sie braucht, ob sie notwendig ist.
Und? Ist sie es?
Ich denke schon. Die Musik hat mir in allen Krisenzeiten geholfen. Sie hat
mir Kraft gegeben und mich immer sensibler gemacht.
23 Aug 2020
## AUTOREN
Susanne Messmer
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