# taz.de -- Honorare an Musikschulen: Ohne Moos kein Ton | |
> Prekär nennt die Gewerkschaft verdi die Situation der Musikschullehrenden | |
> in der Stadt. Mehr Geld soll es sukzessive bis August 2021 geben. | |
Bild: MusikschullehrerInnen geben als Honorarkräfte in Berlin auch mal Klavier… | |
Der Job als MusikschullehrerIn klingt erst einmal nach einem Versprechen. | |
Wer sich auf diesen einlässt, dem sollte jedoch zumindest in Berlin klar | |
sein: Auf Rosen gebettet wird man hier bei der Ausübung dieses Berufs | |
nicht. Rückwirkend zum August dieses Jahres wurden nun immerhin seitens des | |
Berliner Senats die Honorare für MusikschullehrerInnen um 15 Prozent | |
erhöht. Bis August nächsten Jahres soll dann erneut nachgebessert werden. | |
Damit dieser Beruf mehr bleibt als bloß ein Nebenjob. | |
Eine Festanstellung zum Beispiel wird es mit großer Wahrscheinlichkeit | |
nicht geben. 80 Prozent der laut Andreas Köhn von der Gewerkschaft Verdi | |
rund 1.800 hauptberuflich tätigen MusikschullehrerInnen in Berlin | |
[1][arbeiten als Honorarkräfte]. Was das bedeutet, beschreibt Elisabeth | |
Fischer-Sgard, die an den Musikschulen in Köpenick und | |
Friedrichshain-Kreuzberg Gesang unterrichtet, so: „Man lebt mit einer | |
großen Unsicherheit. Es gibt keinen Kündigungsschutz, Krankengeld bekommt | |
man erst ab dem vierten Tag, und das auch nur zu 80 Prozent.“ | |
Verträge mit MusikschülerInnen werden immer nur für ein halbes Jahr | |
abgeschlossen. „Wir wissen nicht, ob wir danach noch weiter eine Arbeit | |
haben oder nicht“, so die studierte Musikpädagogin, „die Musikschule | |
könnte, wenn der Direktorin die Nase von jemandem nicht mehr passt, diesen | |
theoretisch jederzeit vor die Türe setzen.“ Andreas Köhn von Verdi nennt | |
die Lage, in der sich die große Mehrheit der Lehrkräfte an den Musikschulen | |
in Berlin befindet, schlichtweg „prekär und aus unserer Sicht unsozial“. | |
Berlin ist mit seiner extrem zögerlichen Haltung, was Festanstellungen an | |
öffentlichen Musikschulen betrifft, im Bundesvergleich einsame Spitze. In | |
allen anderen Bundesländern sei das Verhältnis zwischen Festangestellten | |
und Honorarkräften ungefähr genau andersherum, so Andreas Köhn. Dabei habe | |
sich hier in den letzten Jahren ja sogar etwas zum Positiven entwickelt. | |
## Falsche Weichenstellungen | |
Vor der aktuellen Regierungskoalition in Berlin habe es gerade mal noch 7 | |
Prozent Festangestellte gegeben. SPD, Linke und Grüne hatten dann | |
versprochen, hier etwas zu verbessern. Und sie haben Wort gehalten. Das | |
ändere jedoch nichts daran, dass man seitens Verdi längerfristig prozentual | |
ähnlich viele Festanstellungen an den Berliner Musikschulen fordere, wie | |
das in den anderen Bundesländern bereits üblich ist. | |
Mehr Festanstellungen an Berliner Musikschulen, das wünscht sich auch | |
bereits seit Jahren der Landesmusikrat Berlin. Und weist genau wie Verdi | |
auf die vielen weiteren Probleme an den hiesigen Musikschulen hin: | |
schlechte Bezahlung der Lehrkräfte, außerdem Raummangel an den | |
Institutionen, die zudem noch oft unterbesetzt seien. | |
Für Franziska Stoff, Generalsekretärin des Landesmusikrats Berlin, liegen | |
viele Ursachen dafür, dass sich Lehrkräfte an den hiesigen Musikschulen oft | |
so unzufrieden über ihre Arbeitsverhältnisse zeigten, an falschen | |
Weichenstellungen nach der Wiedervereinigung. Im Ostteil der Stadt seien | |
die MusikschullehrerInnen als BürgerInnen der DDR fest angestellt gewesen. | |
Im Westteil war es schon zu Zeiten der Wende üblich, dass man als | |
Honorarkraft seinen SchülerInnen Musik näherbringen muss. | |
## Musikunterricht in Sporthallen | |
Wie meist nach der Wiedervereinigung hat man sich dann sukzessive an den im | |
Westen üblichen Bedingungen ausgerichtet, und das habe „die Musikschulen | |
strukturell geschwächt“, so Franziska Stoff. „Im Ostteil Berlins haben die | |
Musikschulen auch schönere Gebäude als im Westteil“, sagt sie weiter, | |
„beziehungsweise haben sie dort überhaupt Gebäude.“ | |
So wie man sich das vielleicht vorstellt bei einer Schule für Musik, | |
nämlich dass man sein Kind an einer festen Adresse für den Unterricht | |
abgibt, sei das nämlich oft nicht. Da werde dann provisorisch in | |
Sporthallen ausgewichen oder in freie Räume benachbarter regulärer Schulen. | |
„Da ist dann aber plötzlich der Raum belegt, ohne dass die Musikschule | |
vorher informiert wurde, oder der Raum ist unerwartet vollgestellt und muss | |
erst geräumt werden“, so Franziska Stoff. | |
An der Josef-Schmidt-Musikschule in Adlershof gab es im Juni gar den Fall, | |
dass nach dem Coronalockdown und der zeitweiligen Schließung der | |
Institution eine Coronahotline, die dort in mehreren Räumen vom Bezirksamt | |
eingerichtet wurde, auch nach der Wiedereröffnung einfach bestehen blieb. | |
Die Lehrkräfte der Musikschule protestierten gegen diese ihrer Ansicht nach | |
absurde Situation. Doch der Bezirk behielt ein paar der Räume für seine | |
Hotline. Und präsentierte als Ausweichmöglichkeiten, so wie das Franziska | |
Stoff beschreibt, Räume in einer nahe gelegenen Schule und in einer | |
Sporthalle. | |
## Honorarausfall wegen Corona | |
Dass sich MusikschullehrerInnen oft schlecht behandelt, zu wenig | |
wertgeschätzt fühlen und den Umgang mit ihnen seitens der Behörden | |
bemängeln, wurde auch erst jüngst wieder deutlich. | |
Den [2][Honorarkräften in Friedrichshain-Kreuzberg] wurde Anfang Juli ein | |
Schreiben zugeschickt mit der Bitte, dieses doch bitte zu unterschreiben. | |
Die Forderung, die darin enthalten war: Im Falle eines erneuten | |
[3][Coronalockdowns auf ein Ausfallhonorar] doch bitte zu verzichten, falls | |
auch kein Online-Unterricht als Notlösung möglich sei. Verdi schaltete sich | |
ein, die LehrerInnenschaft protestierte geschlossen gegen das vom Bezirk | |
Geforderte. Am Ende verzichtete dieser auf die Unterschriften. | |
Kurz danach passierte im Bezirk Spandau genau das Gleiche. Auch hier wieder | |
großer Aufschrei seitens der Lehrenden und schließlich ein Einknicken des | |
Bezirks. Man kann das Vorgehen dieser Bezirke sogar in gewisser Weise | |
verstehen. Sie finanzieren ihre Musikschulen zu etwas mehr als der Hälfte | |
aus öffentlichen Mitteln, die restlichen Einnahmen kommen über die Gebühren | |
der MusikschülerInnen. Die Musikschulen sind dazu verpflichtet, mit diesen | |
Geldern vernünftig zu wirtschaften. Bei Ausfällen von Gebühren wie im Falle | |
eines Coronalockdowns droht eine finanzielle Schieflage. Die einzige echte | |
Möglichkeit, dann zu sparen, besteht darin, die Kosten für die Lehrkräfte | |
zu senken, die den eindeutig größten Posten an Ausgaben ausmachen. | |
## Musik im Nebenjob | |
Die Bezirksämter in Friedrichshain-Kreuzberg und Spandau begründeten ihr | |
Vorgehen damit, dass nicht eindeutig gesichert sei, dass der Senat für das | |
unvorhergesehene Wegfallen von Gebühren einstehen würde. Auch wenn seitens | |
des Senats eigentlich klargemacht wurde, dass er im Fall der Fälle durchaus | |
helfen würde. Bezirke und Senat rangeln sich, doch bei den | |
MusikschullehrerInnen bleibt am Ende der Eindruck hängen, der Streit ums | |
liebe Geld würde auf ihre Kosten ausgetragen werden. Bei Musikschullehrerin | |
Elisabeth Fischer-Sgard blieb gar der bittere Nachgeschmack, dass ihr Beruf | |
seitens der Zuständigen in so manchem Bezirksamt wie eine Art besseres | |
Hobby wahrgenommen werden würde. | |
In einem informellen Gespräch mit Bärbel Schürrle, der Amtsleiterin des | |
Fachbereichs Weiterbildung und Kultur in Friedrichshain-Kreuzberg, habe | |
diese ihr zu verstehen gegeben, dass sie die Tätigkeit als | |
MusikschullehrerIn eigentlich als Nebenberuf verstehe. Weil man von dem | |
Geld, das man dort verdiene, doch sowieso keine Familie ernähren könne. | |
„Diese Einstellung ist weltfremd“, so Elisabeth Fischer-Sgard, „ich habe | |
Musikpädagogik studiert, das ist ein Vollstudium. Ich bin dazu ausgebildet | |
worden, an Musikschulen zu unterrichten, und das war auch immer mein | |
Wunsch. Ich liebe diesen Beruf und das ist kein Notnagel.“ | |
8 Oct 2020 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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