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# taz.de -- Musikschulen in der Krise: Zapfenstreich für Scheinanstellung
> Immer mehr deutet darauf hin, dass Berlin rechtswidrig Lehrkräfte auf
> Honorarbasis beschäftigt. Doch für Festanstellungen ist kein Geld da.
Bild: Panikorchester: Musikschullehr:innen demonstrieren im Mai für den Erhalt…
Berlin taz | Musikschullehrerin Anna-Katharina Schau ist verzweifelt: „Ich
weiß nicht, wie es nach den Ferien weitergehen soll.“ Die 29-Jährige
unterrichtet Akkordeonspiel an der Neuköllner Musikschule Paul Hindemith –
noch. Denn die Berliner Musikschulen stehen vor einer potenziell
existenzbedrohenden Krise. Die Honorarverträge, mit denen derzeit rund drei
Viertel der Lehrkräfte angestellt sind, sind womöglich rechtswidrig. Die
Bezirke drängen auf die Klärung der Rechtslage, bis dahin haben nach
Angaben der Lehrervertretung der [1][Musikschulen] bereits fünf Bezirke die
Ausstellung von Honorarverträgen gestoppt. Die Zeit drängt – denn viele
Honorarverträge müssen zu Beginn des Schuljahres erneuert werden.
„Wenn der Senat nicht zu Potte kommt, gibt es ein echtes Problem“, sagt
Gewerkschaftssekretär Andreas Köhn von Verdi. Auslöser ist das sogenannte
Herrenberg-Urteil des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 2022. In der
gleichnamigen Stadt klagte eine auf Honorarbasis beschäftigte
Musikschullehrerin auf Festanstellung. Sie bekam recht, und obwohl ein
Einzelfall, galt das Urteil bundesweit als richtungsweisend für die oft
prekäre Beschäftigungspraxis an Musikschulen.
Im Juli vergangenen Jahres legten die Spitzenorganisationen der
Sozialversicherung nach und stellten einen detaillierten Kriterienkatalog
auf, was eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausmacht. Demnach
„dürfen Honorarlehrkräfte nicht in die Musikschule eingegliedert sein“.
Unterrichtet eine Lehrerin nach einem von der Musikschule festgelegten
Lehrplan, handele es sich schon um eine Eingliederung.
Werden die Lehrkräfte trotzdem auf Honorarbasis beschäftigt, drohen
empfindliche Strafen: Bis zu fünf Jahre Gefängnis winken
Musikschuleiter:innen bei Sozialversicherungsbetrug, auf die Bezirke
kämen rückwirkende Beitragsnachzahlungen von vier Jahren zu.
## Verwirrung bei den Bezirken
Betroffen sind dabei nicht nur Musikschulen, sondern auch Volkshochschulen
und Jugendkunstschulen, die ebenfalls viele Honorarkräfte beschäftigen. So
berichtet der Tagesspiegel am Donnerstag, dass der Bezirk Reinickendorf
auch einen Einstellungsstopp für die Volkshochschule verhängt hat. „Der
Senat ist eindeutig rechtlich verantwortlich“, sagt die Pankower
Bürgermeisterin Cordelia Koch (Grüne) der taz. „Die Risiken tragen jedoch
im Moment die Bezirke, deren Beschäftigten und die Lehrkräfte.“
Eine Umfrage der taz ergab, dass sieben Bezirke weiterhin Honorarverträge
ausstellen, in der Hoffnung, der Senat werde bald die rechtlichen
Voraussetzungen klären. Dabei sehen nicht alle Bezirke das
Herrenberg-Urteil so problematisch.
„Das angesprochene Urteil bezieht sich auf eine konkrete Musikschulkraft
in einem anderen Bundesland“, begründet Tym Styrie, Pressesprecher von
Friedrichshain Kreuzberg, gegenüber der taz die Entscheidung des Bezirks,
weiterhin Honorarverträge abzuschließen, „Es gab im selben Zeitraum andere
Urteile in ähnlich gelagerten Fällen, die zur gegenteiligen Einschätzung
gelangten.“
Aus der Kultursenatsverwaltung heißt es, man prüfe derzeit, unter welchen
Voraussetzungen Honorarverträge weiterhin möglich sind. Dazu habe man für
Ende Juni ein Treffen mit der Deutschen Rentenversicherung anberaumt. Dass
das Urteil aber ein Ende des bisherigen Beschäftigungsmodells bedeute,
sieht auch die Senatsverwaltung. „Wir gehen davon aus, dass in Zukunft nur
noch ein kleiner Teil des Unterrichts von Honorarlehrkräften erteilt werden
kann“, sagt ein Sprecher der taz.
## Senat will nicht ausfinanzieren
Eine Schlussfolgerung, die für Gewerkschafter Andreas Köhn längst
überfällig ist. [2][Schon seit Jahren kämpft Verdi für Festanstellungen der
Honorarkräfte,] denen aufgrund der fehlenden Sozialversicherungsbeiträge
häufig die Altersarmut droht. Köhn ärgert das lange Zögern des Senats. „W…
reden von einem Urteil das 2022 gefallen ist. Viele Städte sind bereits
dazu übergegangen, entsprechende Regelungen zu finden.“
Doch im bundesweiten Vergleich ist Berlin mit seinem außergewöhnlich hohen
Anteil an Honorarkräften ein Sonderfall. Der aktuelle Anteil von 25 Prozent
galt schon als Erfolg des Vorgängersenats, davor waren es lediglich 7
Prozent. Das Ziel, den Anteil an Festanstellungen zu erhöhen, ist auch im
aktuellen Koalitionsvertrag festgeschrieben.
Warum also nicht einfach alle Honorarkräfte fest anstellen? „Eine
sogenannte ‚Umwandlung‘ ist nicht möglich“, erklärt
Friedrichshains-Kreuzbergs Pressesprecher Styrie mit Verweis auf das
Gleichstellungsgebot im öffentlichen Dienst. Demnach müssten alle Stellen
neu geschaffen und ausgeschrieben werden. Die Mittel dafür müssten vom
Senat bereitgestellt werden, das sei noch nicht geschehen.
Angesichts der [3][angespannten Haushaltslage] gilt das als
unwahrscheinlich. Die Kulturverwaltung spricht allein für die Musikschulen
von einem Mehrbedarf von 13,5 Millionen Euro. Mittes Bezirksbürgermeisterin
Stefanie Remlinger (Grüne) berichtet, der Senat habe diesbezüglich bereits
eine Absage erteilt. Der Mehraufwand müsse innerhalb des zugewiesenen
Budgets bewältigt werden. Die Folgen wären „eine erhebliche Reduzierung
unseres Bildungsangebots“, so Remlinger. „Die Institutionen wären danach
nie mehr dieselben.“
Für die Lehrkräfte bedeutet die Situation vor allem Ungewissheit. „Ich
gucke mich schon nach Stellen abseits vom Unterrichten um“, sagt
Musikschullehrerin Anna-Katharina Schau. Sie frustriere es, so lange
hingehalten zu werden, „Wie kompliziert kann es sein, die Lehrkräfte sind
doch da?“
23 May 2024
## LINKS
[1] /Musikschulen-in-finanzieller-Not/!5971484
[2] /Honorare-an-Musikschulen/!5716184
[3] /Berliner-Linke-warnt-vor-Haushaltskrise/!5974095
## AUTOREN
Jonas Wahmkow
## TAGS
Musikschulen
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