# taz.de -- Chorprobe unter Coronabedingungen: Ein Gloria im Keller | |
> Weil Indoor-Singen unter Hygieneauflagen kaum möglich ist, improvisieren | |
> viele Ensembles. Der Berliner Figuralchor etwa probt in einer Tiefgarage. | |
Bild: Lobgesänge in der Tiefgarage: Der Berliner Figuralchor bei der Probe | |
BERLIN taz | Mitten im Magnificat schlängelt sich zwischen Sopranen und | |
Tenören ein Motorrad durch. Dirigent Gerhard Oppelt unterbricht kurz, alle | |
Beteiligten grinsen, dann geht es weiter. Die Komposition des 1620 | |
gestorbenen polnischen Komponisten Mikołaj Zieleński ist das letzte Stück | |
in dieser gemeinsamen Probe des [1][Berliner Figuralchors] mit dem Ensemble | |
Berlin Baroque – in einer zugigen Tiefgarageneinfahrt am Potsdamer Platz. | |
Beim Auftritt an diesem Freitagabend stehen noch weitere im Polen des 17. | |
Jahrhunderts entstandene Stücke auf dem Programm, unter anderem die „Missa | |
La Lombardesca“ des königlichen Kapellmeisters in Warschau, Bartłomiej | |
Pękiel. Allerdings wird dann nicht zwischen Halteverbotsschildern und | |
Müllcontainern musiziert wie bei der Probe am Donnerstagabend, und es muss | |
auch niemand frösteln: Nur auf strikte Einhaltung der Hygiene- und | |
Abstandsregeln wird im Kammermusiksaal der Philharmonie großen Wert gelegt. | |
Dort finden die Konzerte des Berliner Figuralchors regelmäßig statt, zu | |
Ostern traditionell eine Bach'sche Passion, zu anderen Terminen auch | |
Händel-Oratorien oder eben Programme selten aufgeführter Werke alter Musik | |
wie bei diesem Mal. Geprobt wird schon seit vielen Jahren in Räumen der | |
Charlottenburger Luisenkirche. Aber durch Corona war daran seit dem | |
Frühjahr nicht mehr zu denken. | |
Erst galt für Chöre nicht nur in Berlin ein komplettes Probenverbot, wegen | |
des erhöhten Ansteckungsrisikos durch Tröpfchen und Aerosole aus den Tiefen | |
der kräftig beanspruchten Lungen. Der Figuralchor experimentierte eine | |
Weile mit Zoom-Videokonferenzen, was sich als wenig brauchbar | |
herausstellte. „Das hat überhaupt keinen Spaß gemacht“, erinnert sich | |
Ulrich Traub (Bass), „denn wegen der leichten Zeitverzögerungen kann man | |
nicht synchron singen. Wir konnten nur Gerhard Oppelts Anweisungen und sein | |
Cembalo hören und dazu unsere Stimme üben. Das war eine ziemlich einsame | |
Angelegenheit.“ | |
Nach vielen Gesprächen zwischen dem Berliner Chorverband und der Berliner | |
Senatskulturverwaltung ist seit einiger Zeit wieder gemeinsames Singen „in | |
echt“ möglich. Die Anforderungen an Abstand und vor allem Durchlüftung sind | |
aber so hoch, dass sich das in der Praxis äußerst kompliziert gestaltet: | |
„Wir könnten in einem Kirchenraum proben“, sagt Traub, „aber die | |
vorgeschriebenen Pausen zum Durchlüften wären dann tatsächlich länger als | |
die Zeit, die zum Singen bleibt.“ | |
Die vorläufige Lösung ergab sich fast zufällig: Weil auch der Vertreter der | |
Generaldirektorin der Staatsbibliothek im Figuralchor mitsingt, kam eine | |
Kooperation mit der Bücherei zustande. Bis auf Weiteres dürfen die Proben | |
im Einfahrtsbereich der früheren Tiefgarage an der Potsdamer Straße | |
stattfinden. | |
Die Fläche zwischen den rohen Betonwänden ist groß genug und vor allem nach | |
vorne hin offen, also dauerhaft durchlüftet. Dass hier auch mal ein | |
Motorrad durchrollt, kommt nur ganz selten vor: Autoparkplätze gibt es | |
schon seit den 80ern nicht mehr, als weite Teile der Garage dem Magazin | |
zugeschlagen wurden. | |
## Akustik wie in einer guten Kirche | |
„Gloria in excelsis deo“, Ehre sei Gott in der Höhe, hallt es nun | |
ironischerweise durch ein Untergeschoss. Aber Dirigent Oppelt, seit | |
Jahrzehnten auf die Aufführung alter Musik spezialisiert, lobt die Akustik: | |
„Wie in einer guten Kirche.“ Der Raum habe einen schönen Nachhall, trotzdem | |
bleibe der Klang sehr klar. | |
Die Proben mit dem auf knapp 40 SängerInnen verkleinerten Chor liefen trotz | |
der Aufstellung mit ungewohnter Distanz ausgezeichnet. Aber Oppelt ist | |
klar, dass es angesichts des nahenden Winters nicht mehr lange hier | |
weitergehen kann: „Wir brauchen einen richtigen Raum.“ | |
Die Sache ist: An geeigneten, weil großvolumigen Räumen mangelt es in | |
Berlin eigentlich nicht – zum Beispiel sind da die Messehallen unterm | |
Funkturm, wo wohl nicht so schnell wieder große Publikumsevents stattfinden | |
können. „Wir haben im Chorverband ein Konzept entwickelt, mit dem 30 Chöre | |
in einer Woche für je 90 Minuten in einer der Hallen proben könnten“, so | |
Oppelt. Es habe darüber auch Gespräche mit der Messe GmbH gegeben, aber | |
deren preisliche Vorstellungen ließen sich beim besten Willen nicht | |
erfüllen. | |
Immerhin ist es dem Figuralchor dank der Chorförderung der | |
Senatskulturverwaltung möglich, den Solisten und Instrumentalisten | |
angemessene Honorare zu zahlen – obwohl durch die stark verringerte Anzahl | |
der Plätze im Saal auch die Einnahmen noch einmal schrumpfen. Und eines ist | |
sicher: Dass die geistlichen Gesänge sozusagen im Keller einstudiert | |
wurden, ist ihnen in keinster Weise anzuhören. | |
9 Oct 2020 | |
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## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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