# taz.de -- Sängerin Moonchild Sanelly aus Südafrika: Let’s talk about sex | |
> Moonchild Sanelly ist Teil der hippen Musikszene Südafrikas. Ihr zweites | |
> Album „Phases“ versteht sie als feministisches, sexpositives Manifest. | |
Bild: Sanelisiwe Twisha alias Moonchild Sanelly | |
Moonchild Sanelly singt, rappt und spricht gerne über Sex; nicht umsonst | |
tragen die Songs der südafrikanischen Musikerin Titel wie „Strip Club“, | |
„Bad Bitch Budget“ oder „F-Boyz“ (für „Fuckboys“). | |
Auch während des Interviews, zu dem sie Mitte April aus Johannesburg im | |
Videochat zugeschaltet ist, dauert es nur wenige Minuten, bis sie von der | |
weiblichen Sexualität redet: „Viele Frauen denken immer noch, Sex ist wie | |
eine Pflicht, die sie zu erledigen haben, an der sie aber nicht beteiligt | |
sind. Manche erwachsene Frauen wissen nicht mal, was ein Orgasmus ist, sie | |
denken, der Sex ist zu Ende, wenn der Mann gekommen ist. Frauen sollten | |
aber über ihren Körper Bescheid wissen und selbst über ihn bestimmen.“ | |
Weibliche Selbstermächtigung gehört für Moonchild Sanelly zum Programm, sie | |
hat sich selbst auch schon mal als „Präsidentin des weiblichen Orgasmus“ | |
bezeichnet. In Südafrika zählt sie zu den berühmtesten Künstlerinnen, auf | |
Facebook hat sie 1,7 Millionen Follower:innen. Wenn eine wie sie offen über | |
Sexualität und auch über sexualisierte Gewalt spricht – die sie selbst | |
erlebt hat –, hat das Gewicht. | |
Die 34-Jährige ist Teil der elektronischen Musikszene Südafrikas. In | |
Städten wie Johannesburg und Durban sind in jüngeren Jahren originäre | |
House-Substile wie Amapiano, Kwaito und Gqom entstanden, die in der | |
internationalen Pop-Welt adaptiert wurden. | |
„Man hört der Musik an, dass sie aus Südafrika kommt“, meint Moonchild | |
Sanelly, „es ist wohl irgendein ganz besonderes Gewürz in der Musik, das es | |
nur bei uns gibt. In Ländern wie Nigeria versucht man inzwischen schon | |
einen eigenen Amapiano-Stil zu etablieren. Aber man hört den Unterschied.“ | |
## Sphärischer Grime, rhythmischer Stil | |
Moonchild Sanelly gestikuliert beim Erzählen mit den Händen, ihre blauen, | |
voluminösen Haare schwenken hin und her. Sie trägt eine bunt gescheckte | |
Jacke, hat dick Lipgloss aufgetragen. | |
Anfang Juni erscheint nun „Phases“, ihr erstes Album seit sieben Jahren. | |
Darauf zeigt sich Moonchild Sanelly offen für Genres wie HipHop, Grime, | |
Dub, Dancehall und R&B – für manche Hörer:innen dürfte das ihre Musik | |
zugänglicher machen. Der bereits veröffentlichte Song „Demon“, den sie | |
zusammen mit dem englischen Duo Sad Night Dynamite komponiert hat, | |
verbindet etwa sehr gekonnt den sphärischen Grime der Briten mit dem | |
rhythmischen Stil Moonchild Sanellys. | |
Den Song „Cute“ nahm sie gemeinsam mit der jamaikanisch-britischen Rapperin | |
Trillary Banks auf. Dem Track ist anzuhören, dass auch die jüngeren | |
Grime-Generation um Künstlerinnen wie Little Simz und Flohio ihre Spuren im | |
Werk der Südafrikanerin hinterlassen hat. | |
Geboren wird Moonchild Sanelly 1987 als Sanelisiwe Twisha in Port | |
Elizabeth. Ihre Mutter singt in einer Jazzband, ihr Bruder ist | |
HipHop-Produzent. „Es war so, als hätte Dr. Dre im Nachbarzimmer gewohnt, | |
ich habe den ganzen Tag Beats gehört. Über meine Mutter lernte ich Künstler | |
wie Hugh Masekela kennen.“ | |
Auch Gospels werden in ihrer Familie gesungen: ihre Großmutter, die sie mit | |
aufzieht, geht jeden Sonntag in die Kirche und zelebriert die Gesänge. Sie | |
selbst lernt im Teenageralter Ballroom und Latin Dance, tanzt zu | |
Spice-Girls-Songs und singt sie nach. Moonchild Sanellys Vorbilder aber | |
kommen vor allem aus den USA und Kanada: Sie hört Mary J. Blige, Destiny’s | |
Child und Avril Lavigne. | |
Mit 18 geht sie nach Durban, um Modedesign zu studieren. Dort kommt sie mit | |
der HipHop- und der Lyrikszene in Berührung. Doch erst als sie in den | |
zehner Jahren nach Johannesburg zieht, beginnt sie selbst Musik zu machen. | |
Ihr Debütalbum „Rabulapha!“ erscheint 2015, darauf zu hören: Knalliger | |
Kwaito-Sound, also eine Mixtur aus House, Reggae und HipHop, zudem sind | |
Synthie-Pop-Klänge zu vernehmen. | |
## Erfahrungen als Clubbetreiberin | |
International bekannt wird Moonchild Sanelly, als sie 2019 einen Song mit | |
Beyoncé aufnimmt und im Jahr darauf [1][mit den Gorillaz]. 2020 erscheint | |
eine EP von ihr auf dem britischen Label Transgressive Records, das für | |
seinen Spürsinn bekannt ist. | |
Moonchild Sanelly sagt, man höre ihrem neuen Album alle verschiedenen | |
Facetten ihrer Person, alle Phasen – „Phases“ – ihrer Entwicklung an. W… | |
oft wie ein Gemeinplatz klingt, stimmt in diesem Fall. Der Schwerpunkt | |
liegt sich auf den Kwaito- und Gqom-Klängen ihrer Heimat, aber es gibt auch | |
HipHop-/R&B-Balladen auf diesem Album („Bird So Bad“), Songs zwischen | |
Grime, R&B und Elektronik („Over You“) oder gar jazzige Momente. | |
Auch inhaltlich ist „Phases“ breit aufgestellt. Angekündigt wurde es vor | |
allem als ein Album, das von einer toxischen Beziehung handelt, doch es | |
gibt auch andere Themen: In „Covivi“ sehnt Moonchild Sanelly das Ende der | |
Pandemie herbei, „Cute“ handelt davon, als Frau keinen Erwartungen | |
entsprechen zu wollen. „Strip Club“ erzählt dagegen von persönlichen | |
Erfahrungen als Clubbetreiberin: Moonchild Sanelly hat in Johannesburg | |
verschiedene Bars mit Pole-Dance betrieben. | |
Das Singen und Rappen über Sex hat dabei einen sexpositiven Hintergrund, | |
Moonchild Sanelly nutzt ihre Stimme dabei auch, um über körperliche Grenzen | |
zu sprechen. Sie selbst hat sexualisierte Gewalt von Familienmitgliedern | |
erlebt, ist einmal vergewaltigt worden, wie sie 2019 erklärte. | |
„Ich denke, mein Körper ist politisch. Ich bestimme über ihn, niemand darf | |
ihn angrabbeln, ohne dass ich es erlaube.“ Das gehöre als Allererstes zur | |
Selbstermächtigung. Und nicht nur ihre Message ist progressiv – auch die | |
Sounds klingen wie Boten eines besseren Morgen. | |
13 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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